ADB:Oberthür, Franz
Julius Echter begründete Knabeninstitut im Juliusspital aufnahm. In diesem Asyle hat O. sieben Jahre zugebracht und von da aus unter der Leitung der Jesuiten das Gymnasium und die ersten Jahre der philosophischen Studien an der Universität absolvirt. Die classische Litteratur hat einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; er hatte Augenblicke, in welchen er sich auf dem Gebiete der schönen Künste das Höchste erreichen zu können zutraute – emporstrebender aber gutmüthiger Ehrgeiz war eine seiner charakteristischen Eigenschaften –: zuletzt entschied er sich aber doch für das Studium der Theologie und zwar nach einigem Schwanken und unter dem Einflusse seines fürstbischöflichen Gönners, für den Weltpriesterstand. Im J. 1763 trat er in das Clericalseminar ein und wendete sich neben den philosophischen und theologischen Studien auf Wunsch des Fürstbischofs, der offenbar Größeres mit ihm vorhatte, zugleich dem Studium der Rechtswissenschaft, bez. des canonischen Rechtes zu. Im J. 1769 wurde er zum Priester geweiht, aber erst im Anfange des Jahres 1771 trat er als Kaplan im Juliusspitale in die praktische Seelsorge ein. Jedoch schon vier Monate darauf unternahm er, wieder auf Veranlassung des Fürstbischofs, zu seiner höheren Ausbildung, namentlich in der Curialpraxis, eine Reise nach Rom. Sein Aufenthalt in der Weltstadt dauerte ungefähr anderthalb Jahre und er hatte sich über den Mangel freundlicher Aufnahme und fördernder Behandlung von Seite der maßgebenden Kreise durchaus nicht zu beklagen. Nicht Alles, was er in Rom zu beobachten Gelegenheit fand, erfreute sich seines Beifalls; namentlich wollte es ihm scheinen, daß die „Volksbildung und die sorgfältige christliche Volkserziehung“ einigermaßen vernachlässigt würden. Anfangs Juli 1773 traf O. wieder in Würzburg ein, gerade in der denkwürdigen Zeit, in welcher die Aufhebung des Jesuitenordens die bekannten Umwälzungen hervorrief, die sich in einem geistlichen Staate im besonderen Grade fühlbar machen mußten. Der Gönner Oberthür’s, der regierende Fürstbischof, war kein Gegner dieser Maßregel und überhaupt dem erneuerten, reformierenden Geiste der Epoche zugewandt. Von O. darf man, ohne fehl zu gehen, dasselbe behaupten. Sein enthusiastischer Geist stand für alle Eindrücke des Jahrhunderts und dessen humanitäre, aufklärende Forderungen offen. Genug, seine Zeit war jetzt gekommen. Schon bald nach seiner Heimkehr ernannte ihn Adam Friedrich zum Vicariats- und Consistorialrath, und wenige Monate darauf (November 1773) übertrug er ihm die erledigte Professur der Dogmatik an der Universität, obwohl nach dem Spruche competenter und doch milder Beurteiler O. gerade für diese Disciplin nach seiner ganzen Geistesanlage am wenigsten befähigt war. Im darauffolgenden Jahre gab ihm der Fürstbischof durch die Verleihung einer Präbende am Collegiatstift Haug zu Würzburg einen neuen Beweis seiner Gunst. Auch zu Karl Theodor von Dalberg, dem späteren Fürstprimas, der zugleich Mitglied des Würzburger Domcapitels war, trat O. schon jetzt in nähere Beziehungen; die Correspondenz beider geistesverwandten Männer beginnt mit dem Jahre 1774 und verstummt [108] erst ungefähr seit dem Jahre 1790. Dalberg dachte in diesen Jahren wenigstens ungemein hoch von O. und legte ihm (1774) in seiner Ueberschwänglichkeit das schriftliche Geständniß ab, daß ihm erst durch den Umgang mit O. das wahre Christenthum aufgegangen sei. An wissenschaftlichen Leistungen hatte O. übrigens bislang nichts hervorragendes aufzuweisen. Im J. 1776 hatte er den 1. Theil der Dogmatik und Polemik u. d. T. „Theologia revelata“ erscheinen lassen, ohne aber damit bei den Fachleuten einen günstigen Eindruck hervorzurufen. Im Gegentheile: er fand schon jetzt mißgünstige und strenge Richter, die ihn überdies in den Geruch der Neologie brachten. Ein unverkennbares Verdienst Oberthür’s dagegen war es, daß er sehr frühe die Nothwendigkeit sorgfältiger Quellenstudien für ein fruchtbares Studium der Theologie theoretisch betonte und praktisch in seiner Weise dafür zu wirken suchte. Die von ihm im J. 1777 begonnene und bis 1794 fortgesetzte Handausgabe der Väter der ersten Jahrhunderte ist ein Ergebniß dieser seiner Anschauung, das strengeren wissenschaftlichen Anforderungen freilich nicht genügt. Auch seine Ausgabe des Flavius Josephus (1782–85, mit lateinischer Uebersetzung) hat sich keine bessere Censur verdient; der in Aussicht gestellte Commentar ist niemals an das Licht getreten. Es hing dieses Unterlassen eben mit einer sich immer stärker entwickelnden Neigung Oberthür’s zusammen, sich zu gleicher Zeit mit den verschiedensten Unternehmungen und Arbeiten zu befassen, gern in das Weite zu wirken und, indem er stets das Beste wollte, aller Welt nützen zu wollen. So zersplitterte er häufig seine Kräfte und verlor er oft seinen nächsten Beruf aus den Augen. In dieser Richtung auf das Gemeinwohl liegt am Ende aber auch seine eigentliche Bedeutung und hat er im Verlauf der Zeit in der That Ersprießliches und Bleibendes geleistet. Schon jetzt nehmen wir zugleich seine Neigung wahr, die dann freilich zunahm, nach allen Seiten hin, mit den verschiedenartigsten Persönlichkeiten Verbindungen anzuknüpfen und zu unterhalten. Seine erhaltene Passiv Correspondenz legt dafür oft überraschendes Zeugniß ab. Männer und Frauen aller Berufe und Stände, oft hoch hinauf reichend, sind in derselben vertreten. Und hinwiederum ist es Mittel- und Norddeutschland, wohin er seine Fäden spinnt, und Protestanten fast mehr als Katholiken; jedenfalls sind ihre Beiträge die interessantesten darunter. O. war und blieb im Grunde seines Herzens zwar ein correcter Katholik, wenn er auch dem ausschließlichen Confessionalismus abhold war und eine Vereinigung der Confessionen nicht für ein bloßes Phantom hielt. Doch haben wir mit diesen Bemerkungen der Zeit beinahe etwas vorgegriffen. Der Tod von Oberthür’s Gönner, des Fürstbischofs Adam Friedrich v. Seinsheim, und die Erhebung Franz Ludwig’s von Erthal (1779) hat fürs erste und nächste für die Stellung Oberthür’s keine merklichen Folgen gehabt. Franz Ludwigs Ansichten von seiner Aufgabe und den brennenden Fragen der Zeit waren zwar unverkennbar um einiges strenger als die seines Vorgängers, er war von Haus aus von ernsterem und ängstlicherem Wesen, im übrigen jedoch trat auch er den Forderungen der Epoche auf Humanität und Aufklärung keineswegs ablehnend entgegen. So gestaltete sich anfangs Oberthür’s Verhältniß zu ihm freundlich. Als dieser in Uebereinstimmung mit Dalberg für den von seinem Collegen hart angegriffenen Mainzer Theologen Isenbiehl lebhaft eintrat und dafür von eben dorther scharfe Anfechtungen erlitt, trug der Fürstbischof ihm dieses nicht nach, ja er trat sogar auf seine Bitte beruhigend und beschwichtigend dazwischen. Als ferneres Zeugniß der anfänglichen Zufriedenheit Franz Ludwig’s mit O. darf die Thatsache dienen, daß er ihn 1780 zum Director sämmtlicher Stadtschulen und zwei Jahre darauf zum wirklich geistlichen Rath ernannte. O. hat in der That die Reform der Stadtschulen mit Nachdruck in Angriff genommen und einen Plan zu diesem Zwecke ausgearbeitet, der so manche Einrichtung [109] anregte und der Ausführung entgegenführte, die wir heutzutage als ganz selbstverständlich betrachten. Allmählich haben sich aber die guten Beziehungen zwischen O. und seinem Fürsten getrübt. Die Verstimmung des letzteren bezog sich hauptsächlich auf die Wirksamkeit Oberthür’s als Professor der Dogmatik. Wir haben schon angedeutet, wie es sich mit Oberthür’s Befähigung in dieser Richtung verhielt. Die Gabe des streng logischen und methodischen Denkens und Entwickelns, die diese Disciplin erfordert, ging ihm eben ab; dazu kam, daß seine Lehrgabe ebenfalls nicht seine stärkste Seite war, endlich ließ er sich überall gerne gehen und machte es seinen Gegnern, den Anwälten der strengeren Schule, leicht, ihn zu verdächtigen. Man meinte wohl und behauptete in diesen Kreisen, daß seine Vorstellung von dem Wesen der Religion nicht die correcte sei und daß er sie mit Humanität verwechsele u. s. w. Beschuldigungen dieser Art verfehlten nun nicht, Eindruck auf den von Natur ängstlichen und mißtrauischen Fürsten zu machen und er beschloß, die erwachsene Schwierigkeit durch das Auskunftsmittel zu lösen, daß O. an die Spitze des zu gründenden „Armeninstitutes“ als Präsident trete und dafür auf die Professur verzichte; selbst Dalberg rieth seinem Freunde, dieses Anerbieten anzunehmen. Letzterer hatte übrigens in derselben Zeit ungefähr O. zu bestimmen gesucht, durch ihren gemeinsamen Freund, den bekannten Geschichtsschreiber M. I. Schmidt, der seit dem Jahre 1777 eine angesehene Stellung in Wien einnahm, sich dorthin einen passenden Ruf zu verschaffen und so sich seiner unbequem gewordenen Lage in Würzburg zu entziehen; es scheint jedoch, daß O. diesen Vorschlag nicht weiter verfolgte, und gewiß ist, daß er jenen Wunsch Franz Ludwig’s, der ihm einen ehrenvollen Rückzug anbot, ablehnend beantwortete. Er mochte es als eine Ehrensache betrachten, seinen Gegnern freiwillig das Feld nicht zu räumen, dies um so weniger, als er die Meinung der Gegner, daß die Dogmatik nicht sein wahres Fach sei, in keiner Weise theilte. So entschloß sich der Fürst, dessen Neigungen ein gewaltsames Vorgehen nicht entsprach, auf eine mildere Weise zu seinem Ziele zu kommen, d. h. er entzog O. die Vorträge über Dogmatik und beschränkte ihn auf die Dogmengeschichte; eine Maßregel, in welcher immerhin eine Minderung seiner akademischen Stellung und Wirksamkeit lag. Von dieser Zeit an hat sich das Verhältniß zwischen O. und seinem Fürsten eher noch mehr getrübt, als wiederhergestellt. Es trat das namentlich im J. 1787 zu Tage, als die Universität Würzburg die Wahl Dalbergs zum Coadjutor von Mainz mit einer öffentlichen Feier beging und O. die Festrede hielt. Franz Ludwig fühlte sich durch einige Aeußerungen in dieser Rede, welche, wie er meinte, Dalberg auf seine Kosten rühmte und jenem gleichsam die intellectuelle Urheberschaft der von dem Fürsten durchgeführten Reformen zuschrieb, schwer gekränkt und unterließ nicht sich O. gegenüber ausdrücklich dagegen zu verwahren und den schwer empfundenen Irrthum schriftlich zu berichtigen. O. ließ sich durch Vorgänge dieser Art übrigens in seinem Thun und Lassen in keiner Weise beirren. Es begreift sich, daß, seitdem er sich in der Heimath so wenig verstanden sah, er seine im nördlichen Deutschland angeknüpften Verbindungen noch sorgfältiger pflegte; Jena, Weimar, Gotha und Göttingen waren im besonderen die Orte, wohin dieselben reichten; Männer wie z. B. in erster Linie der ältere Eichhorn, weiterhin Meiners, Böttiger u. s. w., waren es mit welchen er am häufigsten correspondirte; auch die Caroline Böhmer und später sogar auch der constitutionelle Bischof Gregoire befinden sich in dieser Reihe. Aber auch zu dem münster’schen Kreise, der Fürstin Gallitzin, dem Domdechant Spiegel von Desenberg u. A. trat er bald in nähere Beziehungen. Die oben genannten Städte hat er auch wiederholt besucht. Wenn, wie man gemeint hat, hierbei Oberthür’s Eitelkeit ein wenig im Spiele war und er sich in der Rolle gefiel, zwischen dem Norden und Süden, [110] den Katholiken und Protestanten freundliche Beziehungen herzustellen, so wäre das wohl die geringere Schwäche, die man ihm vorzuwerfen hätte, und zugleich für jene Zeit nicht der einzige Fall der Art. Auch seine litterarische Thätigkeit ruhte in diesem Jahre mit nichten. Sie war zum Theile populärer Natur, wie die Biographie des Würzburger Professors Adam Ulrichs (zuerst 1784 erschienen), die Lebensbeschreibung eines Mannes, der weniger als Gelehrter und Lehrer, als durch seine Cultur der Landwirthschaft und andere noch weniger interessante Eigenthümlichkeiten sich bemerkbar gemacht hatte. Wichtiger war Oberthür’s „Idea biblica ecclesiae Dei“, von welcher im J. 1790 der 1. Band, 1799 der 2. Band, der 6. und Schlußband aber erst 1821 veröffentlicht wurde. Es war dies ein Versuch zu einer neuen Grundlegung der Theologie, getragen von dem Gedanken einer biblischen Idee der Kirche, der jedoch von Seite der wissenschaftlichen Vertreter der Kirche in jenen und in späteren Jahren nur eine abfällige Beurtheilung gefunden hat. Eine Neigung zu kosmopolitischer Religionsmengerei und Mangel an Vertrautheit mit dem Geiste und Inhalte der kirchlichen Lehrtradition u. dgl. hat man noch in neuester Zeit daran getadelt. War ja doch auch schon der 2. Band von der Censur in Würzburg beanstandet worden und hatte auswärts gedruckt werden müssen. Nebenher fühlte sich Oberthür durch seinen gut fränkischen Patriotismus auch zu Streifzügen in das Gebiet der fränkischen und würzburgischen Geschichte veranlaßt. Sein „Taschenbuch für Geschichte, Topographie und Statistik Frankenlands“, besonders dessen Hauptstadt Würzburg erschien in mehreren Jahrgängen 1795 bis 1797, verfolgte aber nur praktische und populäre Zwecke. Im J. 1802 ließ er die Biographie seines Freundes, des bereits erwähnten Geschichtschreibers M. I. Schmidt an das Licht treten, die zwar dessen Bedeutung als Historiker nicht feststellte, aber immerhin einen dankenswerthen Beitrag zu seiner Lebensbeschreibung und Charakteristik lieferte.
Oberthür: Franz O., Theologe. Geb. am 6. August 1745 zu Würzburg als der Sohn wackerer Gärtnersleute und mit tüchtigen Anlagen ausgestattet, wurde er ohne Zweifel früh für eine höhere Laufbahn bestimmt. Entscheidend für die Zukunft des Knaben war, daß er bei Zeiten die Aufmerksamkeit des Domcapitulars Adam Friedrich v. Seinsheim erweckte, der, sowie er im J. 1755 zum Fürstbischof von Würzburg erhöht war, seine Vorliebe für den jungen O. dadurch bethätigte, daß er ihn in das von dem FürstbischofDer im J. 1795 erfolgte Tod Franz Ludwig’s von Erthal und die Nachfolgerschaft Georg Karl von Fechenbach’s hatte an der allgemeinen Stellung Oberthür’s wenig geändert. O. war mit dem neuen Fürstbischof von früher her befreundet und unterließ es nicht, als die Stimmung in Würzburg sich dem neuen Fürsten wenig entgegenkommend erwies, öffentlich in einer Predigt ihm die Wege zu ebenen. Die Regierung G. K. v. Fechenbach’s als eines weltlichen Fürsten hat bekanntlich nur bis zum J. 1803 gedauert; infolge der Säcularisation ging das Hochstift Würzburg an Kurbaiern über. Diese Umwälzung drohte nun auch, noch dazu ganz unerwarteter Weise, empfindlich in das Schicksal Oberthür’s einzugreifen. Die kurbaierische Regierung schritt nämlich unter anderen Reformen zu einer vollständigen Umgestaltung und Erneuerung der Würzburger Universität und zwar in einer recht gründlichen Weise, die von dem alten Bau keinen Stein mehr auf dem andern ließ. Manche der Professoren aus der fürstbischöflichen Zeit fielen dieser Reorganisation zum Opfer und darunter befand sich zur höchsten Ueberraschung auch O. Daß eine Regierung der Aufklärung einen so ausgesprochenen Mann der Aufklärung fallen ließ, mußte mit Recht befremden, und noch heutzutage bleibt jenes Vorgehen dunkel, wenn man nicht annimmt, daß die leitenden Geister der Reorganisation, wie z. B. Schelling, ihn für wissenschaftlich zu gering hielten. Dem sei jedoch wie ihm wolle, O. empfand den Schlag um so härter, je weniger er darauf gefaßt gewesen war, und die Tröstungen namentlich seiner auswärtigen, norddeutschen Freunde mochten ihm ein geringer Ersatz für die erlittene Kränkung dünken. Er war jedoch keinswes gemeint, sich dabei zu beruhigen und richtete u. a. ein Schreiben an den Staatsrath v. Zentner in München, in welchem er sich in lebhaftem Tone und Selbstgefühl über die erfahrene Zurücksetzung beklagte. In diese Zeit fällt die Entstehung seiner Schrift „die Baiern in Franken und die Franken in Baiern“ (Nürnberg 1804), und [111] die Vermuthung legt sich nahe, daß sie von dem Wunsche ihres Verfassers auf die Stimmung in München für seine Person fördernd einzuwirken, eingegeben war. Wie dem sein mag, sein Wunsch wurde erfüllt, er wurde am 28. April 1804 wieder angestellt und der theologischen Section eingereiht, denn die Facultüten alter Ordnung waren ja aufgehoben worden und katholische und protestantische Theologen in ein und derselben Section vereinigt. An dieser Combination hat O. wohl am wenigsten Anstoß genommen; er hat dann auch als Decan im J. 1805 einem protestantischen Gelehrten das Doctorat der Theologie ertheilt. Im übrigen ist seine Wirksamkeit als Lehrer in der Dogmatik auch in diesen Jahren nicht groß gewesen. Um so eifriger lebte er seiner Vorliebe zur Förderung gemeinnütziger Interessen, und wenn man ihm auch eine gewisse Anlage zur Projectenmacherei nicht bestreiten kann, so muß man zugleich zugeben, daß sich darunter höchst zeitgemäße und lebensfähige befanden und daß er durch die Betreibung derselben zum Wohlthäter seiner Vaterstadt geworden ist. So hat er noch in der Zeit Franz Ludwigs v. Erthal den Anstoß zur Gründung einer Lesegesellschaft gegeben, als deren letzte und reifste Frucht wir die Gesellschaft „Harmonie“ zu begrüßen haben, auf welche die Stadt Würzburg stolz zu sein Ursache hat. So verdankt ihm der sog. „polytechnische Verein“ seine Entstehung, eine für die Bildung des Gewerbe- und Handwerkerstandes unendlich segensreiche Anstalt. Auch mit der Hebung des Theaters scheint er sich gerade in diesen Jahren (1803–1806) und zwar in höherem Auftrage abgegeben zu haben. Schon dem Fürstbischof Franz Ludwig hatte er zum Zweck der Förderung der Sittlichkeit u. a. die Gründung eines Theaters vorgeschlagen, aber bei der bekannten Aengstlichkeit des Fürsten damit keinen Anklang gefunden. Es ist möglich, daß unter G. K. v. Fechenbach in kleinen Gränzen das s. Z. von Adam Friedrich v. Seinsheim unterhaltene Hoftheater wiederhergestellt wurde und O. dabei zugezogen wurde. In der sogen. ersten bairischen Zeit aber wurde ein öffentliches Theater in Würzburg, es scheint unter staatlicher Mitwirkung, geschaffen und an der Leitung desselben nahm O. „auf höheren Befehl“, wie er sagt, wenigstens eine Zeit lang Antheil. Das Ende der baierischen Herrschaft im J. 1806 und die Schöpfung des „Großherzogthums Würzburg“ unter dem ehemaligen Großherzog Ferdinand von Toscana hatte in der ersten Zeit keine Aenderung in Oberthür’s Stellung im Gefolge; aber als im J. 1809 eine im restaurativen Sinne gehaltene Umgestaltung der Universität und der von der baierischen Regierung getroffenen beliebt wurde, traf das Loos der Beseitigung auch den Repräsentanten der theologischen Aufklärung; O. wurde in den Ruhestand versetzt, und ist seitdem, trotz der dauernden Wiederkehr der baierschen Regierung im J. 1815, als akademischer Lehrer nicht wieder reactivirt worden. In seiner Weise thätig zu sein, hörte er freilich nach wie vor nicht auf. Noch im J. 1807 hatte er ein neues theologisches Werk begonnen, die „biblische Anthropologie“, die im J. 1810 in 5 Bänden abgeschlossen wurde. Sie behandelt „die gesammte biblisch-dogmatische Lehre vom Menschen in theologisch-speculativer Darstellung und will die Idee des Reiches Gottes zur Darstellung bringen“. Sie gilt für Oberthür’s bestes Werk, wie fachmännische Stimmen sagen, das zwar nicht frei von Mängeln ist wie sie allen seinen Schriften anhängen, aber das Verdienst hatte, in seiner Zeit anregend zu wirken und einen achtungswerthen Versuch enthielt, die kirchlich dogmatische Lehre vom Menschen dem allgemeinen Verständniß der Gebildeten näher zu rücken. In diesen Jahren nicht ganz freiwilliger Muße entstand in O. u. a. Projecten auch der Gedanke der Gründung einer „poetischen Gesellschaft“ oder einer „Dichter-Akademie“, die freilich nicht Gestalt gewonnen hat. Die Gründung einer Zeitschrift „Aurora“, zu welcher O. den Anstoß gegeben und die Abfassung seiner Schrift „die Minne- [112] und Meistersänger aus Franken“ etc. (Würzburg 1818) verdanken jenem Plane ihren Ursprung. Die Vorrede zu dieser Schrift ist so recht bezeichnend für den nie ruhenden Geist dieses Mannes, wenn auch der darauf folgende Entwurf zu einem vaterländischen Geisterdrama keine große Vorstellung von seiner poetischen und dramatischen Anlage erweckt. Daß Heinrich Voß den von der bairischen Regierung (1804) an ihn ergangenen Ruf nach Würzburg nicht annahm, bedauert O. vor allem auch darum, weil er sich an dem Wahn ergötzt hatte, Voß würde der Mittelpunkt einer fränkischen Dichterschule geworden sein und hätte eine neue Epoche der fränkischen Litteratur- und Culturgeschichte begründet! Eine für O. erfreuliche Gestaltung seiner äußeren Lage trat im J. 1821 ein, als er durch den König Max I. von Baiern bei Gelegenheit der Reorganisation des Bisthums Würzburgs zum Mitglied des Domcapitels ernannt wurde, mit der besonderen Zugabe, daß er darum seine Pension als ehemaliger Professor aus besonderer Gnade nicht verlor. Die noch übrigen 10 Jahre seines Lebens füllte er mit der Fortsetzung seiner uns bekannten Gewohnheiten aus. Theils beschäftigte ihn die Vollendung bereits angefangener Schriften, wie z. B. „die theologische Encyclopädie“, theils die zahlreiche Correspondenz, theils Reisen zu seinen Freunden, darunter eine letzte nach Thüringen, bez. nach Weimar, bei welcher Gelegenheit ein Besuch bei Goethe allerdings nicht mit der freundlichsten Aufnahme erwiedert wurde. Auch sonst versäumte Oberthür, selbstgefällig wie er war, keine Gelegenheit, öffentlich hervorzutreten. Im J. 1823 wurden es 50 Jahre, seit er zuerst den Lehrstuhl bestiegen hatte; allerdings war dieses halbe Jahrhundert insofern nicht voll, als er seit 1809 in den Ruhestand versetzt war. O. hielt es indeß gleichwohl für angezeigt, daß das Gedächtniß dieser Feier nicht unbeachtet vorüberginge und regte, da dies sonst Niemand that, selbst die Angelegenheit bei dem akademischen Senate an und erbot sich, auch selbst die Festrede zu halten. Das Entgegenkommen des Senates war jedoch wenig ermunternd, schon weil dieser die Jahre der Quiescenz nicht mit zählen wollte, und es scheint, daß O. sich mit einer Feier im verkleinerten Maßstabe bescheiden mußte. Seine Verdienste um die Universität waren bei Licht besehen auch nicht die größten, um so größer und unverkennbarer waren sie für die Stadt, für welche er durch sein gemeinnütziges Streben sich ein unvergängliches Andenken gegründet hat, das bis auf den heutigen Tag unversehrt fortlebt. Bei manchen Schwächen vertrat O. überhaupt durch seine humane und aufopfernde Gesinnung die Sache der Menschheit, so daß man am Ende doch sagen darf, daß eine große edle Seele in dem oft verkannten Manne lebte. Seine wahrhaft menschenfreundliche Gesinnung hat er noch durch seine letztwillige Verfügung documentirt, kraft welcher er sein trotz seiner fortgesetzten Wohlthätigkeit erübrigtes nicht unbedeutendes Vermögen zu Gunsten dürftiger Handwerker und Armenstiftungen vermachte. So möge denn auch sein Angedenken in Segen bleiben!
- Oberthür’s litterarischer Nachlaß mit der Passivcorrespondenz und die Selbstbiographie Oberthür’s in Händen der Universität Würzburg. Senatsacten der Universität W. – Gelehrten- und Schriftstellerlexikon der deutschen kath. Geistlichkeit. 2 Bde. Herausgeg. v. Waitzenegger (Landshut 1820) S. 71 bis 80 (der Art. scheint von O. selbst herzurühren). – Kirchenlexikon von Wetzer und Welte, 7. Bd. S. 680–688. – A. Ruland, Series et Vitae Professorum SS. Theologiae Wirceburgg. Wirceb. 1835 (S. 167–178). – K. Werner, Geschichte der katholischen Theologie (München 1866) S. 257. 273. 370. – J. C. Schwab, Franz Berg etc. (Würzburg 1869) stellenweise, besonders aber S. 235–251. – Joh. Friedrich Schulte, Karl Friedrich Eichhorn. (Stuttgart 1884) S. 17. – Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, III. S. 177–196.