Empfohlene Zitierweise:

Artikel „La Roche, Sophie von“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 717–721, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:La_Roche,_Sophie_von&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 07:11 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Laroche, Johann
Band 17 (1883), S. 717–721 (Quelle).
Sophie von La Roche bei Wikisource
Sophie von La Roche in der Wikipedia
Sophie von La Roche in Wikidata
GND-Nummer 118569767
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|17|717|721|La Roche, Sophie von|Erich Schmidt|ADB:La Roche, Sophie von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118569767}}    

La Roche: Marie Sophie von La R., Schriftstellerin, geb. zu Kaufbeuren am 6. December 1731, Tochter des in Frankreich und Holland gebildeten Arztes Gutermann von Gutershofen, das älteste von 13 Kindern eines herben strengen Vaters und einer milden, schwärmerischen Mutter, folgte 1743 den Eltern nach Augsburg. Gleich Wieland las und lernte sie erstaunlich früh und viel; nicht zum Vortheil origineller Productionskraft. Dem frühreifen gebildeten und hübschen Mädchen fehlte es nicht an Freiern (Mein Schreibetisch, 2, 131). Als liebende Braut des geistvollen Arztes Bianconi ging sie, 1748 der Mutter beraubt, zu ihrem Großvater Gutermann nach Biberach, die Hochzeit war bestimmt, doch die schon anfangs kaum überwundenen Conflikte des protestantischen Vaters mit [718] dem Katholiken Bianconi lösten in letzter Stunde die Verlobung. 1750 finden wir Sophie, deren Vater zu einer zweiten Ehe schritt, wieder in Biberach bei Pastor Wieland’s, ihren Verwandten. Sie schloß eine empfindsame Seelenfreundschaft mit dem um zwei Jahre jüngeren Haussohn Christoph Martin, wurde dem Scheidenden Geliebte, Ideal, Muse und empfing aus Tübingen und Zürich Klopstockisirende Oden und Briefe. Sie ist die Doris seiner verstiegenen Lyrik, für sie entstand „Die Natur der Dinge“ und der antiovidische „Lobgesang auf die Liebe“, in den „Moralischen Erzählungen“ erscheint sie als Serena, in den „Sympathien“ als Ungenannte etc., noch im „Don Sylvio“ als Felicia. Aber der junge Schwärmer ließ sich durch Klatschereien seiner Mutter zum sachten Rückzug bestimmen. Sophie gab ihm den Abschied und schloß eine Vernunftheirath mit dem kurmainzischen Hofrath Georg Michael Frank von La Roche, einem liebenswürdigen sicheren Mann, der durch tactvolles Benehmen auch den murrenden Wieland gewann. Sie zogen 1754 nach Mainz. Hier im bunten und leichten Treiben wandelte sich die Klopstockenthusiastin an der Seite ihres kühleren Gatten, eines aufgeklärten Katholiken, und seines Gönners, des Ministers Graf Stadion, eines französisch gebildeten Skeptikers, in eine gewandte Weltdame, die fortan auch die geliebte Schwärmerei nicht ohne kokett bewußte Selbstgefälligkeit betrieb. Die spätere Flucht zu Jean-Jacques und den Engländern hat daran nichts geändert. 1762 übersiedelten sie mit Stadion auf Schloß Warthausen bei Biberach. Wieland trat in den angeregten Kreis, neue Freundschaft erblühte, er häutete sich als Mensch und Poet, Sophiens Schriftstellerei regte sich zunächst nur in der Correspondenz mit der klugen Julie von Bondeli, um einen größeren Anlauf im Amthaus von Bönigheim zu nehmen, wo La Roche nach dem Tode des Grafen von 1768-70 wohnte. Sophie würzte auf Rath des Pfarrers Brechter durch Abfassung ihres ersten, berühmtesten und besten Buchs, der „Geschichte der Fräulein von Sternheim“, die Einsamkeit, die ihrer geselligen Natur nicht behagte.

1771 kam ihre Glanzperiode. La Roche wurde kurtrierscher Geheimrath, bald Kanzler mit dem Sitz in der schönsten deutschen Landschaft, zu Ehrenbreitstein nämlich, wo sich nun der bedeutendste deutsche Salon jener Zeit aufthat. Neben der Mutter, die so stattlich die Honneurs machte, stand die reizende „Max“ (Maximiliane Euphrosyne), bei der sich schon der Dichter der „Sommernacht“, J. G. Jacobi, allerdings fast provocirt durch einen anonymen Huldigungsbrief und eine Amorstatuette aus Bönigheim, einen Korb geholt. Auf den Tischen lagen neue Bücher und die gehaltvollen Briefe der Bondeli, neben denen Leuchsenring seine Portefeuilles ausschüttete. Die Brüder Jacobi kamen und waren Zeugen einer in Freytag’s „Bildern“ hübsch verwertheten Rührscene zwischen Sophie und Wieland. Merck führte den jungen Goethe ein, der, inzwischen berühmt geworden, einen zweiten Besuch mit Lavater und Basedow abstattete, Heinse erschien, aus der Nähe sprachen häufig vor die Familien v. Stein, Minister Groschlag, Dumeix, Domherr von Hohenfeld als Intimus: alle von Loeper (s. u.) trefflich charakterisiert. Junge Talente, wie Lenz, näherten sich ihr brieflich. Conversirend, correspondirend, reisend gewann die Kanzlerin einen an Zahl und Bedeutung ungemeinen Anhang. An sie richtete der kleine Jacobi ein offenes Schreiben in Sachen Klotz-Hausen, um sich vor der Welt als lieblicher Unschuldsfänger zu behaupten. Aber den Darmstädter Damen mißfiel, wie Caroline an Herder berichtet, das anspruchsvolle, pretiöse Gebahren der berühmten Frau, oder wie sie allenthalben hieß: der „Sternheim“.

Der Roman erschien 1771 in zwei Theilen als „Geschichte der Fräulein von Sternheim. Von einer Freundin derselben aus Originalpapieren und andern zuverlässigen Quellen gezogen“. Sophie ist in die Schule der Engländer gegangen [719] und ihr später Erstling weist auf Richardson zurück. Die Intrigue erinnert an „Clarissa“, ist aber reicher, ebenso die stark in Briefen und Tagebüchern arbeitende Composition. Sophie von Sternheim steht neben Clarissa, wie Lord Derby neben seinem Landsmann Lovelace. Dem gewissenlosen Roué sieht man den blassen Schwärmer Seymour und den zweiten Grandison Lord Rich (Hohenfeld) gegenüber. Das Ganze ist die Leidensgeschichte weiblicher Tugend, die aber endlich nach vieler Täuschung, Verfolgung und Mißhandlung an der Seite eines würdigen Mannes belohnt wird. Die Verfasserin liebt die englischen Romane „wegen der Reinheit und Zartheit des Gefühls, auch wegen der schönen Schwärmerey für melancholische Naturscenen“. Diese Elemente sind bei ihr selbst reichlich vertreten, aber auch in der Stimmung geht der Roman entschieden über die monotone Richardsoniade hinaus, denn die L. R. contrastirt als Rousseauistin Land und Stadt, Tugend und höfisches Laster, wagt revolutionäre Anklagen gegen die Wollust der Fürsten und wendet sich als liebevolle Pädagogin den Bauerkindern zu. So sprach aus den langathmigen Sätzen des frauenzimmerlichen Romans zugleich schönselige Tugend, patriotischer Freimuth, mannigfaltiger Natursinn, werkthätiger Philanthropinismus. Man begreift den Erfolg. Herder war entzückt, Goethe in den „Frankfurter gel. Anzeigen“ nennt den Roman kurzweg „eine Menschenseele“; nur Einer hatte schon dem ersten Manuscript von 1769 keinen Geschmack abgewinnen können, eben der Vertrauensmann und Herausgeber: Wieland, der seine Abneigung gegen die Richardson’sche Richtung, die er mühsam, aber gründlich überwunden, brieflich und in Noten kundgab. Er hatte kein Verhältniß zu dem Buch und, offen gesagt, kein Verhältniß mehr zu der „Sternheim“ selbst. Man schalt und höhnte ihn. Sophie setzte ihn ab und erhob Goethe zu ihrem geheimen Secretär, der nun in das handlungsleere zweite Buch „Rosaliens Briefe an Mariane von St.“, einen Würzruch seines Fäßleins dämpfte und selbst als schlittschuhlaufendes Genie vorgeführt wurde. Erfindungsarm, im puren Erlebniß schwelgend, bringt Sophie auch in ihren Romanen alle lieben Bekannten, Stadion und Wieland zuvörderst, an und geht später zur breiten intimen Mittheilung von Erinnerungen über, wie das nachmals die Enkelin Bettina auf ihre poesievolle Weise that. Strenge der Technik fehlte schon der „Sternheim“, „Rosaliens Briefe“ (1791 hinkt „Rosalie und Cleberg auf dem Lande“ nach) lassen sich möglichst bequem gehen. Ein paar Episoden geben Facta, sonst bilden „Freundschaftliche Frauenzimmerbriefe“ ein „Seelentagebuch“ voll Naturempfindung, reich an Volksfiguren, die bereits kleine „Bauernromane“, d. h. Dorfgeschichten abspielen. Zu Rousseau und Richardson ist Goethe’s „Werther“ getreten, aus dessen zweitem Theil uns nicht mehr Lotte und Kestner, sondern die schwarzäugige Max und ihr Gatte anschauen. Die La R. war nicht nur schwärmende Sternheim, sondern auch praktische hausbackene Schwäbin. Sie hatte auch von dem harten Wesen des Vaters etwas geerbt und, wie sie selbst auf Liebe verzichtet, aber doch ein tüchtiges, glückliches Leben gezimmert, so meinte sie jetzt als Mutter heiratsfähiger Töchter rücksichtslos verfahren zu dürfen. Im Frühjahr 1774 mußte die Max den verwittweten Kaufmann Brentano in Frankfurt heirathen. 1779 wurde Luise dem Hofrath Möhn angetraut, den Frau Rath kaum zu ausfallend ein „Ungeheuer“ nennt und in dessen Haus der kleine Clemens Brentano trostlose Tage verleben sollte. Drei von acht Kindern Sophiens sind im zartesten Alter gestorben. Fritz, eine Zeit lang bei Wieland in Erfurt, ging in einem Abenteurerleben unter, Karl wurde ein tüchtiger Beamter der preußischen Bergverwaltung, ihr Liebling Franz, Lerse’s Schüler, der eben als junger Forstbeamter die Braut heimführen wollte, starb 1791.

[720] Im Herbste 1780 übersiedelte sie nach dem Sturz des Kanzlers nach Speier. Dem sehr geschmälerten Einkommen suchte Sophie mit der Feder aufzuhelfen. Sie hatte spät begonnen und auch dann mit der Veröffentlichung nicht geeilt. Jetzt wird die Dilettantin zur unermüdlichen Berufsschriftstellerin, die Herrin des litterarischen Salons zur Lehrerin der weiblichen Jugend, die Mitarbeiterin an Jacobi’s Frauenzimmerjournal „Iris“ zur fleißigen, wortreichen Herausgeberin einer Zeitschrift für „Teutschlands Töchter“, „Sternheim“ zur „Pomona“. Sie gewann einen Stab namhafter Gehilfinnen und ihrer „Pomona“, 1783, gefördert auch durch die Gunst einiger Großen, weite Verbreitung. „Briefe an Lina, ein Buch für junge Frauenzimmer, die ihr Herz und ihren Verstand bilden wollen“, schloß sich an. Wieland stand ihr durch die Aufnahme „moralischer Novellen“ à la Marmontel in den „Merkur“ bei. Noch immer erweiterte sich ihr Kreis, besonders durch die Winteraufenthalte in Mannheim. 1783 stellte sich Schiller ihr vor; „Kabale und Liebe“ fand sie aber „abscheulich“ (an Jacobi, 20 I. 85). Ihren Franz brachte sie zu Pfeffel nach Colmar. Das Alter schien die Energie und auch die Reiselust der Unverwüstlichen nur zu steigern. Hatte man sie früher in Hamburg freundlich aufgenommen, so feierte sie 1784 wahre Triumphe in der Schweiz, wo sie nicht nur die Landschaft bewunderte und auf Wieland’s und Juliens Spur wandelte, sondern eine Menge interessanter Menschen, wie Gibbon, Raynal, Mercier, Tissot, Saussure, Madame Necker kennen lernte; Bonstetten, Matthisson, Salis gehören dann zu ihren Intimen. 1785 besuchte sie Paris und theilte sich zwischen Busson und Mad. de Genlis, einer ihr verwandten Gouvernantennatur. So verkehrte sie 1786 in England mit Herschel und mit Miß Burney. Ihre Virtuosität im Bekanntschaftschließen, in empfindsamen Begrüßungen, schmeichelnder Conversation und interessanten Anspielungen auf Wieland’s Jugendliebe und dazu das süßsaure Verhalten der Colleginnen sind nicht ohne Komik. Von London heimgekehrt, folgte sie dem Gatten nach Offenbach, wo dieser am 21. Novbr. 1788 starb. Sie ist mehrmals in die Schweiz gereist und war 1799 mit ihrer Enkelin Sophie Brentano der Gast Wieland’s in Osmannstädt, herzlich aufgenommen, aber ein mehr drückender, als willkommener Besuch. Ihre Wärme fand bei Schiller, Herder und Goethe keine Nahrung. Sie sei eine nivellirende Natur, die das Niedrige empor-, das Hohe herabziehe und alles in derselben Sauce, einer altmodischen Rührseligkeit nämlich, anrichte, lautet Goethe’s scharfes, aber nicht ungerechtes Urtheil. Clemens brachte sie nach Offenbach zurück, wo sie im kleinen Haus und Garten der Erziehung ihrer Enkelinnen oblag und die Erlebnisse, besonders ihrer Reisen mit oder ohne romanhafte Zuthat verarbeitete. Eine Gruppe bilden: 1787 „Tagebuch einer Reise durch die Schweiz“, 1788 „Tagebuch einer Reise durch Holland und England“, 1791 „Briefe über Mannheim“, 1793 „Erinnerungen aus meiner dritten Schweizerreise“, 1799 „Reise von Offenbach nach Weimar und Schönebeck“. Es fehlt nirgends an Beweisen vielseitiger und verständiger Antheilnahme, mannigfaltiger Lectüre und feiner Empfindung, aber alles wird zu weich gekocht, sie kann nicht scharf charakterisiren, macht zu viele Worte, kramt in Sentiments und stellt sich etwa in der „Dritten Schweizerreise“ („Meinem verwundeten Herzen zur Linderung, vielleicht auch mancher trauernden Seele zum Trost geschrieben“) aller Welt als Mutter der Max und Luisens, die sie apostrophirt, als des theuren Franz beraubte Greisin vor. Außer den verschiedenen ausdrücklich „moralisch“ genannten Erzählungen veröffentlichte die alternde Pädagogin 1789 „Geschichte von Miß Lony“, das lesbarste ihrer späteren Werke, wieder die Leiden einer schönen Seele behandelnd, bei Reventlows in Richmond entworfen und ein Monument für Gräfin Julie; 1795 „Schönes Bild der Resignation“ und 1797, auf Grund von Mittheilungen [721] der Schwiegertochter, „Erscheinungen am See Oneida“, mit Beziehungen auf die politischen Stürme; 1794–97 die Fortsetzung der Linabriefe „Lina als Mutter“; als matter Nachzügler seit 1801 „Fanny und Julia“, „Liebehütten“, „Herbsttage“, „Melusiens Sommerabende“ angelehnt an St. Pierre, mit ihrem Porträt und einer Lebensskizze, herausgegeben von Wieland, dem Pathen ihres ersten Versuchs. 1799 hatte sie in dem zweibändigen Sammelwerk „Mein Schreibetisch“ alle Läden dieses treuen Möbels, das ihr seit Biberach überallhin gefolgt war, vor dem Publicum umgekehrt: Lesefrüchte aus allen Ländern und Zeiten mit Bevorzugung der Engländer, Idealistisches und Abschnitzel fürs praktische Leben im besondern Hinblick auf Erziehung, Gedichte verschiedener Verfasser, Listen von Bildern, Verzeichnisse zu lesender Bücher, abgerissene Erinnerungen, Schreiben von Jacobi und Schiller, die französischen Briefe Juliens von Bondeli.

Die Greisin mit ihrem vornehmen Wesen, der altmodischen Grandisonschwärmerei und daneben der schwäbelnden Gemüthlichkeit tritt uns am anschaulichsten aus dem Buch „Die Günderode“ ihrer Enkelin Bettina entgegen. Sie starb am 18. Februar 1807.

C. M. Wieland’s Briefe an Sophie von La Roche ed. Horn, 1820. – Goethe’s Briefe an Sophie von La Roche und Bettina Brentano, Berlin 1879, musterhaft von Loeper herausgegeben, vervollständigten und überholten die Mittheilungen im Anhang des Assing’schen Buchs, im Katalog der Berliner Goetheausstellung und in Frese’s Goethebriefen, 1877. – Sophie von La Roche, die Freundin Wieland’s. Von Ludmilla Assing, Berlin 1859, hinten ein Quellenverzeichniß, vgl. dazu Loeper, a. a. O. XXXIII f.