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Artikel „Kulpis, Johann Georg von“ von Roderich von Stintzing in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 17 (1883), S. 364–367, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kulpis,_Johann_Georg_von&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 11:49 Uhr UTC)
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Kulpis: Johann Georg v. K., Jurist und Staatsmann, geb. am 19. Decbr. 1652 zu Alsfeld, wo sein Vater Rector war, empfing seine erste Schulbildung auf dem Gymnasium zu Heilbronn, während der Vater eine Predigerstelle in Biberach versah; später, als dieser Prediger und Assessor Consistorii bei der Burg Friedberg zu Büdesheim geworden, besuchte er das Gymnasium in Frankfurt a. M. Mit Unterstützung des Freiherrn von Boyneburg bezog K. 1670 die Universität Straßburg, wo er noch Boeclers († 1672) historische und staatswissenschaftliche Vorlesungen hören konnte. Drei Jahre widmete er dem Studium der Philosophie und Geschichte, ging dann zur Jurisprudenz über, in der Ulrich Obrecht und Rebhan seine Lehrer waren. Durch die kriegerischen Unruhen bewogen, Straßburg zu verlassen [1676), ging er zunächst nach Frankfurt a. M. und bald darauf nach Gießen, wo er sich dem damals auf der Höhe seines Ansehens stehenden Juristen Johann Strauch († 1680) als Schüler und Verehrer anschloß. Strauch’s Gratulationsschreiben zu Kulpis’ bevorstehender Promotion (am 15. Aug. 1678 erlangte er die [365] Licentia, den Doctortitel scheint er nie erworben zu haben), ist uns in der Sammlung der Dissertationen des letzteren erhalten. Die Pietät und rückhaltslose Verehrung, mit welcher K. des bedeutenden Mannes in seinen Schriften stets gedenkt, zeigt, daß das Verhältniß zu ihm ein ungetrübtes geblieben ist und macht die Erzählung, Strauch sei ihm später gram geworden und seinem Fortkommen hinderlich gewesen, weil er sich in der Erwartung, daß K. eine seiner Töchter heirathen werde, getäuscht gesehen, als boshafter Klatsch verdächtig. Eine Erleichterung seiner nicht glänzenden pecuniären Verhältnisse brachte ihm seine Stellung als Hofmeister des in Gießen studirenden Lucas vom Kampe aus Hamburg, sowie (seit 1680) zweier Grafen von Leiningen-Westerburg, deren Vater ihn zu seinem Rath ernannte. Der Plan, seine Zöglinge auf längere Reisen zu begleiten, wurde durch Unfälle vereitelt. K. kehrte nach Gießen zurück und begann seine akademische Thätigkeit mit Privatvorlesungen über öffentliches Recht. Dem Einflusse Obrechts verdankte er bald eine Berufung nach Straßburg als Professor der Institutionen und des öffentlichen Rechts. Er übernahm sein neues Amt im März 1683, ward gleichzeitig zum Consulenten des Straßburger Raths ernannt und verheirathete sich 1684 mit einer Tochter des Baden-Durlach’schen Hofraths M. Kieffer. Schon nach drei Jahren verließ K. die akademische Thätigkeit. Auf Empfehlung des württembergischen geheimen Raths Forstner von Dambenoy, den er im Bade Teinach kennen gelernt, ward er als fürstlicher Oberrath und Vicedirector des Kirchenraths in herzoglich württembergische Dienste berufen und siedelte 1686 nach Stuttgart über. Im J. 1698 ward er zum geheimen Rath und Director des Kirchenraths erhoben, 1694 vom Kaiser Leopold geadelt. K. bewährte sich in den schwierigen Zeiten als ein kluger, gewandter und zuverlässiger Beamter, „reich an Kenntnissen und fruchtbaren Gedanken“. Die Angelegenheiten des schwäbischen Kreises, die er zu bearbeiten hatte, sowie diejenigen des fürstlichen Hauses führten ihn öfter auf Gesandtschaftsreisen. Als er 1691 in Wien war, ernannte ihn der Kaiser zum Reichshofrath; doch hat er dieses Amt niemals angetreten. Als herzoglich württembergischer Gesandter (Minister plenipotentiarius), auf dem Ryswyker Friedenscongreß (1697) erwarb er sich unter seinen Collegen durch Kenntnisse und Gewandtheit großes Ansehen; dennoch soll der unglückliche Ausgang der Verhandlungen ihm verhängnißvoll geworden sein. Es wird erzählt, daß er sich im Rausche oder durch die kindische Begierde sein neues Adelswappen unter der wichtigen Urkunde zu sehen, zu übereilter Unterzeichnung des Friedensinstruments mit der berüchtigten Klausel im Art. 4 habe verführen lassen, und daß der Kummer über die darauf folgende Ungnade des Herzogs die Ursache seines frühen Todes gewesen sei. Auch diese Erzählung gehört zu den Erfindungen jener schmähsüchtigen Zeit. Actenmäßig (Sattler, Gesch. des Herzogth. Würtemberg, 12, 137. 142. Beil. Nr. 22, 23, 24) steht fest, daß die durch die politische Lage abgezwungene Unterzeichnung des Friedens von den württembergischen Gesandten K. und von Heespen nur unter Protest gegen jene Klausel geschah und daß der Herzog dieses Verhalten seiner Gesandten ausdrücklich gebilligt hat. Auch Spittler, der in seiner Geschichte Wirtembergs unter der Regierung der Grafen und Herzöge (1783, S. 293 f.), die ungünstigen Urtheile und Erzählungen über K. wiederholt, sagt in der nach seinem Tode gedruckten Gesch. des wirtembergischen Geheimraths-Collegiums (Werke Bd. 13, S. 397, 400, 401): „Schade um diesen Edlen, daß er so früh zu Grabe ging. Er war ein Mann voll Verstand und Kenntnissen und von seltener Fruchtbarkeit auch an neuen Ideen. – Der Vorwurf, daß er den Ryswyker Frieden – unterschrieben, kann bei keinem billigen Richter seinem Andenken nachtheilig sein. Auch sind die Anekdoten, warum er unterschrieben habe, so armselig, daß sie [366] keiner Widerlegung bedürfen“. Auf der Rückreise vom Friedenscongresse erkrankte K. in Frankfurt a. M. Wieder hergestellt, kehrte er nach Stuttgart heim, nahm seine Amtsgeschäfte wieder auf, fungirte noch im nächsten Jahre (1698) als herzoglicher Commissar auf zwei Kreistagen in Ulm, erlag aber im folgenden Herbst (2. Sept. 1698), nachdem er vergeblich im Bade Teinach Hülfe gesucht, der Auszehrung und Brustwassersucht. Zu den Fabeln, welche sich an den frühzeitigen Tod des ausgezeichneten Mannes knüpften, gehört auch diese, daß er vergiftet sei. – Kulpis’ Verdienste als Schriftsteller liegen auf dem Gebiete des deutschen Staatsrechtes, das er, ohne von bahnbrechender Bedeutung zu sein, mit Scharfsinn und Gelehrsamkeit behandelt hat. Er ist ein hervorragender Vertreter der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zur Herrschaft gelangenden Doctrinen. Den Grundsätzen des Limnäus und Conring folgend, verwirft er die Geltung des römischen Rechts als Grundlage des deutschen Staatsrechts und will dieses auf das urkundlich festzustellende Reichsherkommen und die Grundgesetze des Reichs aufgebaut wissen. In den Grundfragen über die Reichsverfassung (status Imperii) vertritt er die seit dem westfälischen Frieden herrschende Theorie, daß die jura Majestatis dem Kaiser und den Reichsstädten gemeinsam zuständen, das Reich daher keine Monarchie (weder absoluta noch limitata), sondern eine aus Monarchie und Aristokratie gemischte (respublica mixta) Staatsform sei. Andererseits bekämpft er das Urtheil Monzambano’s (in welchem er den von ihm hochverehrten Pufendorf errieth), der das Reich für eine „respublica irregularis et monstrosa“ erklärte, die auf dem Wege sei, sich in einen Staatenbund aufzulösen. Er tritt ein für die Einheit des Reichs, welche, trotz der im westfälischen Frieden anerkannten superioritas territorialis der Reichsstände, durch deren Unterordnung unter Kaiser und Reich aufrechterhalten werde. Dies sind die Grundsätze, welche er hauptsächlich in seinen „Commentationes academicae in Sev. de Monzambano de Statu Imp. Rom. German. librum“ (Stuttgard. 1682, 1687, 1702. 8), sowie in den Dissertationen vertritt, welche er selbst (Stuttgart 1686. 8.) gesammelt herausgab. Eine neue Ausgabe dieser und anderer kleiner Schriften veranstaltete nach seinem Tode Joh. Schilter (Straßb. 1705. 4.). – In einer unter dem Pseudonym Conrad Sincerus herausgegebenen Schrift (Dissert. epistolica de Germanicarum legum veterum ac Romani juris in republica nostra origine auctoritateque praesenti, 1682, 12.) macht er, unter Recapitulation der Untersuchungen Conring’s, in lebhafter Argumentation die Ansicht geltend, daß man sich auf das römische Recht, da es niemals die Kraft eines Gesetzes erlangt habe, nur soweit berufen dürfe, als man im einzelnen Fall seine Reception durch Gewohnheit nachweisen könne, folglich die herkömmliche Regel, daß die Berufung auf römisches Recht „fundatam intentionem“ gebe, auch im Privatrecht nicht richtig sei; umgekehrt müsse man sie für alle Sätze des deutschen Rechts behaupten. Er greift mit dieser Schrift in die durch Conring erregte und seitdem eifrig verhandelte Streitfrage über Grund und Umfang der Geltung des Corpus juris ein. In seinen über Conring hinausgehenden Folgerungen fand er an Schilter (Acta eruditor. 1682, Novbr. p. 367, Schilter, Exercitationes, 1 § 12) einen Gegner, der die Behauptungen auf ihr richtiges Maß zurückführte, dagegen entschiedene Anhänger in Georg Beyer (Notitia auctor. jurid. II. 83. 1701) und Christ. Thomasius, der die ganze Abhandlung, mit Anmerkungen begleitet, seinen Notae ad sing. Institut. et Pandect. titulos (1712) beifügte. – Unter Kulpis’ übrigen Schriften, welche bei Jugler vollständig verzeichnet sind, heben wir noch die folgenden hervor: „Dissert. de legationibus Statuum Imperii“, zuerst als Inauguralabhandlung (Gissae 1678, im folgenden Jahre bedeutend vermehrt, erschienen. Er behandelt darin das Gesandtschaftsrecht [367] der deutschen Reichsstände nach Ursprung, Umfang und Ceremoniell; und berührt dabei die damals brennende Frage, in welcher auch Leibnitz (Caesarinus Fürstenerius de jure suprematus, 1678) zu Gunsten des Hauses Braunschweig-Lüneburg die Feder führte, über das Recht der Fürsten, Gesandte ersten Ranges abzuordnen. – „Collegium Grotianum super jure belli ac pacis, in Acad. Gissensi XV exercitationibus institutum“ (Frankf. 1682, 1685 und öfter, 4). Eine klare und als Compendium sehr geschätzte Uebersicht der Lehren des Grotius mit erläuternden Anmerkungen und litterarischen Nachweisungen, hervorgegangen aus seinen Privatvorlesungen in Gießen. – „Jo. G. Sulpicii Dissert. de studio juris publici recte instituendo et scriptoribus eo pertinentibus“ (s. l. 1688, 1700 und öfters, 8.). Eine Anleitung zum Studium des öffentlichen Rechts, in welcher als Hülfsmittel das Studium der deutschen Geschichte, sowie der politischen und staatsrechtlichen Litteratur, endlich der Verkehr mit praktischen Staatsmännern empfohlen werden. Daran schließt sich eine vortreffliche Uebersicht der deutschen staatsrechtlichen Litteratur, in welcher die einzelnen Schriftsteller nach Gruppen geordnet in chronologischer Reihenfolge besprochen und treffend beurtheilt sind.

G. H. Häberlin, Christliche Leich-Predigt bei hochansehnlicher Leich-Begängnuß des Joh. Georg Edlen v. Kulpis, Stuttgart 1698, Fol., dahinter die Personalia u. zahlreiche Epicedia, S. 21–51. G. Beyer, Notit. Auctor jurid. II. 90 s. Moser, Bibl. jur. publ. 1, 26. Senckenberg, Meditationes, 1, 132, 217. Jugler, Beytr. 1, 1–23. – Das von Jugler erwähnte, nicht gedruckte Werk Moser’s, Leben Württemberg. Staatsminister u. Rechtsgelehtter, ist nicht mehr aufzufinden. Vgl. darüber auch Moser, Württemberg. Bibliothek, 4. Aufl. S. 472.