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Artikel „Obrecht, Ulrich“ von Harry Breßlau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 119–121, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Obrecht,_Ulrich&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 08:14 Uhr UTC)
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Obrecht: Ulrich O., Historiker und Jurist, geb. am 23. Juli 1646 zu Straßburg, † am 16. Aug. 1701. Die Familie O. stammt aus Schlettstadt im Oberelsaß und siedelte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Straßburg über, wo verschiedene Mitglieder derselben es bald zu angesehenen Stellungen brachten. Thomas O., Ulrichs Urgroßvater, war Syndicus des Raths, Georg, sein Großvater, Professor der Jurisprudenz an der Universität und Verfasser einer größern Anzahl mehr oder minder bedeutender, heute indeß vergessener juristischer Abhandlungen. Ein Sohn des letzteren, gleichfalls Georg geheißen, war Doctor juris, Advocat und Procurator des kleineren Raths, aber ein übelberüchtigter Mann, der aus Gründen privater Feindschaft gegen den Ammeister Dominicus Dietrich (s. A. D. B. V, 193) denselben durch eine Anzahl böswilliger Pasquille, die er überall in der Stadt ausstreuen ließ, des Verraths der freien Reichsstadt beschuldigte, und nachdem seine Autorschaft durch einen Zufall an den Tag gekommen war, im Februar 1673 enthauptet wurde. Ulrich, das älteste seiner elf Kinder, hatte in Mümpelgard (Montbéliard) das Gymnasium besucht, wo er sich die volle Kenntniß der französischen Sprache angeeignet hatte, die ihm später sehr zu statten kam, und demnächst auf den Universitäten Straßburg, Altdorf und Basel Philologie, Geschichte und Jurisprudenz studirt. Nachdem er – um von verschiedenen Disputationen an diesen Universitäten abzusehen – im Jahre 1666 eine philologische Abhandlung („In M. Tullii Ciceronis somnium Scipionis schediasma“, Argent. 1666) veröffentlicht und im December 1667 seine Inaugural-Dissertation („De restitutione fideicommissorum et imputatione praelegatorum in quartam Trebellianicam“, ebendas. 1667), eine Abhandlung civilrechtlichen Inhalts, in Straßburg vertheidigt hatte, begleitete er als Praeceptor den Sohn eines vornehmen russischen Diplomaten auf einer Reise nach Wien und Venedig, und erhielt, nach seiner Heimath zurückgekehrt und nachdem er sich mit einer Tochter Joh. Heinrich Böclers vermählt hatte, 1676 die von diesem früher bekleidete Professur der Eloquenz und der Geschichte an der Universität, deren Rectorat ihm schon im Wintersemester dieses Jahres anvertraut wurde. Seine zahlreichen kleineren Abhandlungen aus den Jahren 1675 ff. sind zumeist historischen und staatsrechtlichen Inhalts; sie beschäftigen sich mit Vorliebe mit Thematen aus der römischen und deutschen Verfassungsgeschichte und zeichnen sich durch große Formgewandtheit aus; eine oder die andere, so die Abhandlung „De imperii Germanici ejusque statuum foederibus“ (1676) hat durch die Benutzung und Publication ungedruckter Actenstücke aus den reichen Schätzen des Straßburger Archivs einen mehr als vorübergehenden Werth erhalten. Daneben gingen philologische Arbeiten, darunter eine Abhandlung über eine Münze Domitians [120] (1675) und eine neue Ausgabe der „Scriptores hist. Augustae“ (1677) nebenher. Aber erst 1681 trat O. mit einem größeren und umfassenderen Werke auf den Plan: er beabsichtigte eine „Historia rerum Alsaticarum“ zu publicieren, welche in vier Bänden die Geschichte und Geographie des Elsaß von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart darstellen sollte; der Plan, wie er ihn darlegte, ist im wesentlichen, wie schon Spach bemerkt hat, derselbe, den später Schöpflin zur Ausführung brachte. Als Einleitung zu diesem großen Werke erschien 1681 „Ulrici Obrechti Alsaticarum rerum prodromus“, bestimmt eine Reihe von Einzelfragen in kritischer Erörterung zu lösen und sich mit den Ansichten älterer Schriftsteller auseinanderzusetzen. Die Schrift hatte zugleich ein actuelles Interesse, indem sie einerseits den Umfang der durch den Frieden von Münster begründeten französischen Herrschaftsrechte im Elsaß untersuchte und jede Erweiterung derselben über die einst von Oesterreich ausgeübten Befugnisse bekämpfte, andererseits (und hier nicht ohne eine, schon von Grandidier hervorgehobene fälschende Entstellung einer entscheidenden Urkunde Otto’s II. von 982) die völlige und von altersher bestehende Unabhängigkeit der Stadt von bischöflicher Herrschaft behauptete und damit den Ansprüchen, die Frankreich eben wegen jener angeblichen bischöflichen Rechte auch auf die Stadt erhob, entgegentrat. Schon diese Tendenz der Schrift, welche bald nach der Occupation Straßburgs durch die französischen Truppen ihre Confiscation herbeiführte, sollte O. vor dem übrigens durch keine mir bekannt gewordene Thatsache zu begründenden Verdacht schützen, als ob er bei der Auslieferung seiner Vaterstadt an die Franzosen in verrätherischer Weise die Hand im Spiel gehabt hätte. Aber das nachfolgende Verhalten des Mannes war allerdings nur zu geeignet, einen derartigen Verdacht entstehen zu lassen. Wie sein Freund, der Kanzler und Syndicus Christoph Güntzer (s. A. D. B. X, 180) begann auch O. sich alsbald dem neuen Machthaber eng anzuschließen und den Bekehrungsversuchen, mit denen man an ihn herantrat, widerstand er nicht lange. Im April 1682 wurde er zum Doctor juris promovirt und erhielt zu seiner historischen noch die Professur des Reichs- und Staatsrechts an der Universität; im August desselben Jahres stattete er Ludwig XIV. aus Veranlassung der Geburt eines Sohnes des Dauphins, durch einen begeisterten Panegyricus seinen Dank ab. Sein großes historisches Werk ließ er liegen und suchte unter der französischen Regierung auf anderem Wege schnell Carriere zu machen. Durch eine Denkschrift schlug er derselben vor, in Straßburg einen königlichen Prätor einzusetzen, welcher den neuen Souverän beim Rathe vertreten und den Verkehr zwischen den städtischen Behörden und dem Hofe von Versailles vermitteln sollte. Man nahm den Vorschlag beifällig auf, gab aber seinem Urheber zu verstehen, daß die Regierung nur einem Katholiken das wichtige Amt anvertrauen könne. Diese Lockung wirkte: O. reiste nach Paris, legte 1684 sein Glaubensbekenntniß in die Hände Bossuets ab und wurde im April 1685 zum Prätor ernannt. So wenig wie dieser Schritt, gereicht O. die Art zur Ehre, wie er den gewonnenen Einfluß dazu benutzte, an dem Ammeister Dietrich für das seinem Vater einst von diesem bereitete Schicksal Rache zu nehmen. Und auch seine Feder stand von da ab durchaus im Dienste der französischen Politik. Wissenschaftlich hat er wenig bedeutendes mehr geleistet: außer ein paar kleineren juristischen Abhandlungen sind etwa seine zu akademischen Vorlesungen bestimmte Ausgabe des Severinus von Monzambano Pufendorf’s mit einem Commentar zu den ersten Capiteln (1684) und seine Ausgabe der Acten über die Absetzung Wenzels und die Wahl Ruprechts von der Pfalz (1696) zu nennen. Dafür übersetzte er eine Abhandlung des Jesuiten P. Dez über die Nothwendigkeit der Rückkehr der Straßburger Protestanten in den Schooß der römischen Kirche in’s Deutsche (1688) und schrieb politische Broschüren, um die französische Politik, insbesondere [121] in der spanischen Successionsfrage zu rechtfertigen. 1698 ging er als königlicher Commissar nach Frankfurt, um bei der Auseinandersetzung in der pfälzischen Erbschaftssache die Rechte der Herzogin von Orleans zu vertreten; nicht lange nach seiner Rückkehr starb er. – O. war ein gewandter Mann, von feiner Bildung und umfassendstem Wissen; wie Bossuet[WS 1] ihn als die „Epitome omnium scientiarum“ bezeichnete, so haben andere gesagt, er verstehe über alle historischen Persönlichkeiten zu reden als wenn er ihr Zeitgenosse gewesen sei, über alle Länder, als wenn er sie bereist und über alle Gesetze, als wenn er sie gegeben habe. Aber er theilt mit anderen Polyhistoren seiner Zeit die Schwäche des Charakters und gehört zu der großen Zahl deutscher Professoren des 17. Jahrhunderts, deren Gesinnungstüchtigkeit ebenso schwach war, wie ihre Gelehrsamkeit erstaunlich.

Verzeichniß seiner Schriften bei Rotermund V, 901. – Ausgabe der kleineren Abhandlungen, Reden, Programme u. s. w. von Joh. Casp. Khunius, Ulrici Obrechti opuscula rariora academica in unum volumen collecta, Argentor. 1729. – Vgl. Niceron XXI, 239 ff. – Haag, La France protestante VIII, 36 ff. – Spach, Dominique Dietrich (Paris u. Straßburg 1857) S. 36 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jacques Bénigne Bossuet (1627–1704), französischer Bischof