ADB:Klinger, Friedrich Maximilian

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Klinger, Friedrich Maximilian“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 190–192, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Klinger,_Friedrich_Maximilian&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 17:31 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 16 (1882), S. 190–192 (Quelle).
Friedrich Maximilian Klinger bei Wikisource
Friedrich Maximilian Klinger in der Wikipedia
Friedrich Maximilian Klinger in Wikidata
GND-Nummer 118563319
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|16|190|192|Klinger, Friedrich Maximilian|Erich Schmidt|ADB:Klinger, Friedrich Maximilian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118563319}}    

Klinger: Friedrich Maximilian (von) K., Dichter, geb. zu Frankfurt a/M. am 17. Febr. 1752 als Sohn des städtischen Constablers Johannes Klinger und dessen zweiter Frau, der Tochter des verstorbenen Sergeanten Fuchs, die nach dem Tode des Mannes (14. Febr. 1760) die Familie (den Sohn – ein zweiter war frühe gestorben – und die Töchter Anna Katharina, geb. 1751, und Agnes, geb. 1757) durch Kleinkram und Waschen erhielt. K. besuchte bis zum Herbste 1772 unter mancherlei Beschwerden das Frankfurter Gymnasium und wurde den 16. April 1774 in Gießen als Jurist immatriculirt. In der Zwischenzeit ward er mit Goethe und seinem Kreis intim. Ob K. in dem Nebenbau von Goethe’s Geburtshaus geboren ist, steht dahin. In Gießen wohnte er bei Höpfner. Albertine von Grün liebte den schönen Jüngling. Der Darmstädter Ernst Schleiermacher, dessen Schwester Jenny ihn anzog, war nach dem Musiker Kayser sein Busenfreund. Er verkehrte in Wetzlar und trat 1775 den Grafen Stolberg und Miller nahe. 1776 reiste Lenz durch Frankfurt nach Weimar. Ende Juni verließ K. Gießen und traf am 10. Juli in Goethe’s neuem Sitz ein; herzlich aufgenommen, von gefälligen Schönen in Weimar, Gotha etc. verwöhnt, allmählich Goethen durch ungebärdiges Wesen lästig, von Kaufmann verleumdet. Er ging darum Anfang October nach Leipzig und wurde, den Gedanken an Kriegsdienste in Amerika aufgebend, sogleich Theaterdichter der Truppe A. Seyler’s, dem er „Sturm und Drang“ überreichte. Seine Bühnenerfolge waren gering. Früher ein sittenstrenger Gegner Wieland’s, huldigte K. seit 1775, stärker noch seit dem Dresdener Aufenthalt einem heitern Epikureismus, gerieth während der süddeutschen Theatercampagne in bedenkliche Lage (Mannheim, Mainz, Frankfurt), befreundete sich mit dem Maler Müller und zu Köln mit Heinse, verließ Ende Februar 1778 die Seyler’sche Gesellschaft, sprach bei Goethe’s Schwager Schlosser, Lenzens Pfleger vor, wurde, von Schlosser empfohlen, [191] Lieutenant in einem kaiserlichen Freicorps bei Ulm, zog mit nach Böhmen und wandte sich nach Beendigung des bairischen Erbfolgekrieges in die Schweiz, wurde Freimaurer, lebte vom Ertrag seiner Romane, that im Kreise Sarasins (Basel) und als Gast Schlosser’s manche Unart seines gährenden Wesens ab, suchte Dienste und im August 1780 wurde zu Mömpelgard die von Schlosser durch Herzog Friedrich Eugen vermittelte Bestallung als Lieutenant im russischen Seebataillon und Ordonnanzoffizier beim Großfürsten Paul, dem Schwiegersohn des Herzogs, fertig. Er reiste von Basel über Frankfurt nach Hamburg und schiffte sich am 20. Septbr. zu Lübeck nach Petersburg ein.

In K. hat der rheinische Most lange gebraust. Er war einer der ungestümsten Stürmer und Dränger der Geniezeit, heftig und rebellisch im Leben und Dichten. Im Sommer 1774 dichtete er den „Otto“, ein wirres ungenießbares Trauerspiel, voll von Motiven des Götz und des Lear. 1774 auf 1775 entstand „Das leidende Weib“, ein bürgerliches Drama in der Richtung der Emilia Galotti und des Hofmeisters, doch ohne Lenzens laxe Ausgleichung, antiwielandisch, für die Genies (der Doctor ist Goethe) und gegen die Schöngeister, der vornehmen Hofgesellschaft zur Schande, mit natürlichen Kinderscenen, die er bis zu den Medeen nach Gerstenberg’s und Goethe’s Vorgang liebt, und Liebesscenen in Nachahmung von „Romeo und Julia“, in der Charakteristik der Aristokratie carikirt, Rousseauisch elegisch im Abschluß. Ein freches Pamphlet von Göntgen „Die frohe Frau“ wies er würdig ab. Am productivsten im Drama war er 1775. „Pyrrhus“ sollte eine freie Historie werden. „Die neue Arria“, erst vielleicht „Donna Viola“ genannt, ist politisch revolutionär. Er führt in mehreren Stücken verbrecherische oder schwache Fürsten vor, erliegende oder siegende Freiheitshelden zum Contrast. Er vereinigt hier Anregungen der E. Galotti und Richards III. mit solchen des Clavigo. Sein Hyperbelstil wird maßloser Bombast. Ebenso im „Simsone Grisaldo“: der Held, dem biblischen Simson ähnlich, nur glücklicher, ist der ideale Kraftmensch. Einfluß romanischer Epik und des Gozzi regt sich; sinnliche Lust tritt stark und anerkannt hervor. Die Komik ist widerwärtig. Im August 1775 schuf er, mit Leisewitz wetteifernd, an einem Stoff der italienischen Geschichte die beliebte Bruderfeindschaft ausmalend und zum Kampf um die Rechte der Erstgeburt gewaltig steigernd mit energischer Berücksichtigung der Bühnenfähigkeit „Die Zwillinge“, die Ostern 1776 den Schröder-Ackermann’schen Preis gewannen, zu Weimar den „Wirrwarr“, den Kaufmann in „Sturm und Drang“ umtaufte. Dieser Titel wurde die Devise der Zeit. Wildheit und Spleen verzerren die Gestalten. „Romeo und Julie“ und „Claudine“ wirken auf die zerfahrene Handlung und Charakteristik. Als Theaterdichter nahm er sich im „Stilpo“ zusammen und baute auf dem sehnsüchtigen Rufe des Al Hafi und der Beobachtung des Cagliostro’schen Treibenes den märchenhaften „Derwisch“ auf. Rousseau’sche Gedanken durchziehen alle Dramen. Die Romane der ersten Periode „Der neue Orpheus“, „Prinz Seidenwurm“, „Formoso“ fanden wenig Beachtung, keine Nachwirkung. Mit Anlehnung an Wieland und französische Feenmärchen enthalten sie, nachlässig hingeworfen, wichtige satirische Bekenntnisse Klinger’s über manichfache Strömungen der Zeit. Das Geniethum, das er in dem „Verbannten Göttersohn“ burlesk-titanisch gefeiert, und namentlich den Apostel Kaufmann half er im grobianischen „Plimplamplasko“ (großentheils von Sarasin) zu Ehren des puro senso verlachen. Er wurde strenger, herber und wollte der schwindelnden und empfindelnden Zeit in den „Falschen Spielern“ (Die Grecs“), im Septbr. 1781 zu Wien durchgefallen, einen Spiegel vorhalten, nach den ersten russischen Erfahrungen der frivolen Gesellschaft, die keiner Umkehr fähig, im „Schwur gegen die Ehe“. Unerfreuliche Werke. Die stramme Mäßigung [192] hielt an, doch gehört namentlich „Der Günstling“ 1785 eng zu den deutschen politischen Stücken. Wir denken an Coriolan und Fiesco. Die Privatrache schwindet gegen die Pflicht fürs Vaterland. Während in „Elfride“ ein anziehendes, doch dem Dramatiker gefährliches Liebesproblem etwas frostig abgehandelt wird (vgl. Augsb. Allg. Zeitung 13, II, 1878), zwingt sich K. 1784 im historischen Drama „Konradin“ zur edlen Ruhe gegenüber einem „Simson“ und dergleichen Löwenkämpfern, folgt im „Roderico“ der durch Schiller’s Don Carlos eröffneten Kunstweise, sucht in „Aristodemus“ und „Damokles“ seinen politischen Freisinn in antikes Gewand zu hüllen und setzt an die Stelle der früheren Machtweiber und neuen Arrien die leidenschaftliche „Medea in Corinth“, welche dann als „Medea auf dem Kaukasus“ Sühnung findet.

Die Hauptwerke der russischen Zeit sind Romane. 1785 „Der goldene Hahn“ (später „Sahir“), orientalisch märchenhaft, mit Satire gegen Kant, dem er allmählich näher rückte (Erdmann, Altpreuß. Monatsschrift 1878, S. 1 ff.). Seine bittere Weltanschauung legte er 1790–1797, immer noch in dem Bannkreis Rousseau’s, dessen Emil sein Lieblingsbuch war, gefangen, in Romanen, meist nach dem Prinzip der idealen Ferne nieder – vgl. an Goethe 26. Mai 1814 – weltliche und geistliche Tyrannei brandmarkend. „Tausend und eine Nacht“ etc. gaben mehrfach die Einkleidung; Wieland-Danischmende, Swift-Gulliver Anregungen. Besonnenes Maß fehlt. Faust, Faust der Morgenländer, Giafar der Barmecide, Reisen vor der Sündfluth. In der Gegenwart spielen – der zehnte Roman, über die französische Revolution, kam nicht ans Ziel – die „Geschichte eines Teutschen der neuesten Zeit“, ernste Confessionen des Rousseauisten, der im Ernst von Falkenburg sein eigenes Werden und Streben spiegelt, und der die alten Gegensätze und Conflicte in K. ausgleichende Dialog „Der Weltmann und der Dichter“. Sein Stil wurde allmählich herb und fest, wie sein Charakter. Auf dem russischen Isolirschemel wahrte er seinen deutschen Patriotismus und nahm, obwol durch die Vereinsamung geschädigt, regen Antheil an den litterarischen, politischen, religiösen, socialen Wandlungen des Vaterlandes. Seine Ansichten darüber und die ethischen Eroberungen seiner Laufbahn bekannte er 1801 ff. in den „Betrachtungen und Gedanken“.

Strenge Selbstzucht und makellose Ehrenhaftigkeit führten ihn in Rußland schnell empor. Er reiste 1781 mit dem Großfürsten nach Italien. Er wurde activer Militär und rückte von 1785–1798 bis zum Generalmajor des Cadettencorps auf. 1801 Director dieses, 1802 des Pagencorps, 1803 Curator der Dorpater Universität, 1811 Generallieutenant. Er war ein Liebling des Hofes, fühlte sich aber stets als Fremdling unter den Russen. 1790 heirathete er Elisabeth Alexejew. Zwei Kinder starben früh; Alexander v. K. aber wurde als Adjutant Barclay’s 1812 in der Schlacht von Borodino verwundet und überdauerte die Amputation des Fußes nicht. K. verstummte. Aber die alte Freundschaft mit Goethe wurde erneuert. „Dichtung und Wahrheit“ suchte den Jüngling aufs günstigste zu schildern; den Greis K. haben Gäste wie Arndt bewundernd angeschaut. 1817 und 1820 gab er seine Aemter zurück. Er starb am 25. Febr. (3. März) 1831.

Otto 1775 (neu: Deutsche Literaturdenkmale 1, Heilbronn 1881). Die ersten Romane nie wiederholt. „Theater“ 4, Riga 1786 f. „Neues Theater“, 2, Leipzig 1790. „Werke“, Königsberg 1809 ff. Stuttgart, Cotta 1841, ibid. (darin auch „Das leidende Weib“) 1878 ff.; unvollständig. – O. Erdmann, „Ueber F. M. Klinger’s dramatische Dichtungen“, Königsb. Programm 1877. – Prosch, „Klingers Romane“, 1882. – E. Schmidt, „Lenz und Klinger. Zwei Dichter der Geniezeit“, Berlin 1878. – M. Rieger, „Klinger in der Sturm- und Drangperiode. Mit vielen Briefen“, Darmstadt 1880 (2. Band in Vorbereitung). – Goethejahrbuch III.