ADB:Kayser, Philipp Christoph

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Artikel „Kayser, Philipp Christoph“ von Carl August Hugo Burkhardt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 91–93, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kayser,_Philipp_Christoph&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 03:21 Uhr UTC)
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Kayser: Philipp Christoph K. wurde am 10. März 1755 zu Frankfurt a. M. als ältester Sohn des Organisten an der Katharinenkirche Johann Matthäus K. geboren, der sich wahrscheinlich aus Thüringen nach Frankfurt gewandt und dort mit einer gleichnamigen, doch nicht verwandten Frankfurterin Christine Philippine K. verheirathet hatte, die die Mutter einer zahlreichen Familie wurde. Der Vater Philipp’s erkannte früh das musikalische Talent des Knaben, der schon im siebenten Jahre ein fertiger Clavierspieler war, und dies gab Veranlassung, daß er nach einem sechsjährigen Besuche des Frankfurter Gymnasiums von 1762–1768 dem damals weithin bekannten Musiker G. A. Sorge in Lobenstein zur weiteren Ausbildung anvertraut wurde. Nach Frankfurt zurückgekehrt, schloß sich der junge Künstler an den Goethe-Klinger’schen Freundeskreis an, der ihn zur litterarischen Beschäftigung anregte und zu dem bekanntlich auch Miller, Schubart, Lenz u. A. gehörten, die sich ihm ebenfalls förderlich zeigten. Ganz besonders war es aber Goethe selbst, der seinem jugendlichen Bewunderer zugethan war, dessen Clavierspiel ihn fesselte und veranlaßte, den jungen Musiker als das größte musikalische Genie hinzustellen. Als solches wurde er von Goethe an Lavater zu dessen physiognomischen Untersuchungen nach Zürich empfohlen, wo K. freundlich aufgenommen in den vornehmsten Häusern durch Ertheilung seines vielfach gerühmten musikalischen Unterrichts sich völlig heimisch fühlte. Mehr und mehr gliederten sich ihm neue Freunde durch Empfehlungen des Frankfurter Kreises an, und K. zeigte sich dadurch angeregt, auf musikalischem und litterarischen Gebiete thätig zu sein, indem er schon 1775 mit seinen Liedern und Melodien an die Oeffentlichkeit und in literarischer Beziehung auch mit Schubart und Wieland in Verbindung trat, nachdem zu dieser besonders Kayser’s Aufsatz über Gluck Veranlassung gegeben hatte. Trotzdem hatte Kayser’s Thätigkeit nichts Stetiges. Wie er von Haus zu Haus seinem Brote nachging, brachte er es auch in seiner musikalischen und litterarischen Production nur zu flüchtig hingeworfenen Kleinigkeiten, denen meist die Tiefe fehlte und schließlich machte ein mißglücktes Heirathsproject ihn zum religiösen Zweifler und Sonderling, so daß er nahe daran war, seine bisherige Thätigkeit ganz aufzugeben und diese mit einer rein militärischen zu vertauschen. Goethe rettete ihn aus dieser Verirrung, indem er ihm 1779 die Composition von Jery und Bätely anzuvertrauen suchte, doch führten ihre brieflichen interessanten Verhandlungen über die musikalische Gestaltung nicht zum Ziele, und da selbst der Aufenthalt Kayser’s in Weimar 1781 keine Erfolge aufwies, kehrte K. nach Zürich zurück, ohne seine Hoffnung in Weimar erfüllt zu sehen, hier eine dauernde Lebensstellung [92] zu erhalten. In der Folge glückte auch Goethe’s Plan nicht, seinen Günstling unter Gluck’s Leitung in Wien selbst zu stellen, und die beiderseitige Verbindung löste sich mehr und mehr, als Goethe den Abbruch des schriftlichen Verkehrs mit den Worten motivirt hatte: „Der Strom des Lebens reißt mich immer stärker, daß ich kaum Zeit habe, mich umzusehen.“

Erst als Goethe „Scherz, List und Rache“ beendet hatte, knüpfte er bei K. durch die alte Zusicherung an, mit ihm in Gemeinschaft wirken und schaffen zu wollen. Ein interessanter und langer Briefwechsel über das beiderseitige Wollen schloß sich an die Composition der Stücke, bis endlich K. der Einladung Goethe’s nach Rom folgte, wo beide eifrig bestrebt waren, die Operette musikalisch zu behandeln und gleichzeitig an der Symphonie zu Egmont zu arbeiten. Ein Lob Kayser’s übertraf das andere, und Goethe verstand es auch von fern her, den Herzog Karl August in das Interesse zu ziehen, vielleicht nicht ohne den Nebengedanken, durch ihn die Zukunft Kayser’s gesichert zu sehen. Nun eilte K. mit seinen musikalischen Schätzen nach Weimar, nachdem sich beide noch in die italienische Kirchenmusik vertieft hatten, um dort Goethe’s dramatisch musikalische Versuche von neuem zu stützen, denen sich aber inzwischen ungeahnte Schwierigkeiten in den Weg stellten, wozu die Abreise Kayser’s nach Italien im Gefolge der Herzogin Amalia nicht wenig beitrug. Damit, wie Goethe schrieb, schloß sich alle Hoffnung auf die schöne Tonkunst für ihn ab, während im Grunde eine kleine Mißstimmung zwischen Dichter und Componisten über die Aufführung der Oper selbst, sowie über die definitive Versorgung Kayser’s die Schuld trug. Kayser’s neue Verwendung schlug auch hier fehl, da Mißhelligkeiten mit dem Gefolge der Herzogin eintraten und sogar Kayser’s Rückreise nach Zürich im September 1789 veranlaßten. Mehr und mehr stellte sich heraus, daß Kayser’s musikalische Arbeit den Erwartungen nicht entsprach; auch war an eine Umarbeitung der Operette nicht mehr zu denken, als Reichardt eine Verbindung mit Goethe durch eine Composition von Claudine anstrebte, durch die sich K. verletzt und vielleicht auch überflügelt fühlte. Später faßte Goethe selbst in einem eigenen Geständniß die Gründe zusammen, aus denen die gemeinsame Arbeit scheiterte. Er selbst war über das Maß des Intermezzo hinausgegangen, und das kleinlich scheinende Sujet hatte sich in zu vielen Singstücken entfaltet, daß selbst bei sparsamer Musik drei Personen kaum mit der Darstellung zu Ende gekommen wären. K. hatte zudem nach altem Schnitt die Arien ausführlich, wenn auch stellenweise glücklich behandelt. Das Ganze litt aber an einer Stimmenmagerkeit; es stieg nicht weiter als bis zum Terzett, und man hätte zuletzt die Theriaksbüchse des Doctors gern beleben mögen, um einen Chor zu gewinnen. „All unser Bemühen,“ fährt Goethe fort, „nur im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat; seine Entführung aus dem Serail schlug alles nieder; von unserem so sorgsam gearbeiteten Stück ist auf dem Theater niemals die Rede gewesen.“

Auch im zweiten Punkte, der lebenslänglichen Versorgung Kayser’s, war Goethe nicht glücklich, vergebens waren auch die Bemühungen Klinger’s, wie eingehend nachgewiesen ist; K. blieb, was er war, bis an sein Lebensende Musiklehrer in Zürich. Als solcher leistete er Vorzügliches, der trotz seines gebieterischen, aber wortkargen Verhaltens sich stets die Zuneigung seiner Schüler zu gewinnen und zu erhalten wußte. Obwohl er in Zürich sich zur Geltung zu bringen verstanden hatte, blieb er anspruchslos gegen alle, die auf gleichem Felde mit ihm thätig waren; er war überhaupt ein trefflicher Charakter, ein neidloser, strebsamer Mensch, der in stiller Zurückgezogenheit an seiner Vervollkommnung arbeitete, dabei ein Polyhistor, der Alles in sich [93] aufnahm, was ihm förderlich zu sein schien. Auf dem Gebiete der Geistesaufklärung verhielt er sich als Sonderling, da diese sich nicht verallgemeinern, sondern nur in bestimmten Grenzen bewegen dürfe, wie er denn auf politischem Gebiete der Feind aller Neuerungen, der schroffste Conservative war und mit Zähigkeit seinen Standpunkt vertheidigte. Daneben war er der thätigste Freimaurer, dessen Opferfreudigkeit keine Grenzen kannte und selbstlos auf alle Ehrenstellen verzichtete, die ihm aus voller Anerkennung seiner Verdienste übertragen werden sollten. Trotz aller Einfachheit seines Lebens verließen ihn die Sorgen um dasselbe nie; er kämpfte bis an das Ende desselben ununterbrochen mit diesen um seine Existenz. Am wenigsten hatten seine Freunde eine Ahnung von diesen trüben Verhältnissen, so auch Goethe, der sein Leben ein abstruses nannte. Als gegen das Ende seines Lebens ihn die Sehnsucht nach seiner Vaterstadt Frankfurt zog, traf ihn die Nachricht von dem Tode seiner geliebten Schwester, an deren Seite er zu bleiben beschlossen hatte. Auch die Erfüllung dieses Wunsches blieb ihm versagt. Bald, am 23. December 1823, folgte er ihr ins bessere Jenseits. Klinger faßte sein Urtheil über ihn in den Worten zusammen: „Ja, er war ein eigener, aber reiner und edler Mensch, gebildet durch und für sich selbst aus seinem Innern. Sein stiller Geist, sein reines Herz waren seine Lehrer und Leiter und führten ihn zum stillen Leben, für das er allein geschaffen war.“

C. A. H. Burkhardt, Goethe und der Componist Ph. Chr. Kayser. Mit Bild und Compositionen Kayser’s. Leipzig 1879. – Max Friedlaender, Gedichte in Compositionen der Zeitgenossen (Goethe’s) in den Schriften der Goethe-Gesellschaft. Weimar 1896.