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Artikel „Forckenbeck, Max von“ von Hermann Oncken in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 630–650, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Forckenbeck,_Max_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 14:21 Uhr UTC)
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Forckenbeck: Max von F., geboren am 23. October 1821 in Münster, † in Berlin am 26. Mai 1892, einer der parlamentarischen Führer des preußisch-deutschen Liberalismus im Zeitalter der Einigung Deutschlands. Auch einen parlamentarischen Führer des deutschen Bürgerthums hat man ihn wol genannt, doch mit beschränkterem Rechte, weil die Begriffe Liberalismus und Bürgerthum sich keineswegs decken, vielmehr die von jenem vertretenen Ideen einen größeren und zugleich einen geringeren Kreis als diese eine Classe umfassen: die am meisten in den Vordergrund tretenden liberalen Führer der sechziger und siebenziger Jahre gehen, bezeichnend genug, aus nichtbürgerlicher Sphäre hervor, der hannoversche Edelmann Rudolf v. Bennigsen wie der ostpreußische Freiherr Leopold v. Hoverbeck, der fränkische Reichsritter Franz v. Stauffenberg wie der preußische Generalssohn v. Unruh, vor allem auch der preußische Beamtensohn Max v. Forckenbeck.

Allerdings stammte die nach dem Osten verschlagene geadelte Beamtenfamilie, der F. angehörte, aus dem bäuerlich-bürgerlichen Blute des neupreußischen Westens. Ein jüngerer Sohn eines alten Schulzenhofes, auf dem die Forckenbecks im Kreise Lüdinghausen im Stifte Münster seit langem saßen, war in die Stadt gezogen und seine Nachkommen hatten bürgerliche und gelehrte Berufe, schließlich in der Stadt Münster selbst ergriffen. Ein Maximilian Forckenbeck, der Großvater des Unsrigen, war im höheren Beamtendienst des Hochstifts Münster emporgekommen, in der Epoche, da die Ideen des 18. Jahrhunderts, der Aufklärung und der wohlmeinenden Reform von oben auch in dieses geistliche Staatswesen hineinwehten, lange Zeit die rechte Hand des trefflichen Ministers Fürstenberg. Und als sein Staat der preußischen Monarchie einverleibt ward, wurde der tüchtige Mann von dem Oberpräsidenten [631] Frhrn. vom Stein auserwählt, damit er als geborener Münsterländer die Hinüberführung in die neuen Zustände erleichtere. Der liberale Katholik widerstrebte dem protestantischen Staate nicht, verwandelte sich 1804 in einen preußischen Geheimen Kriegs- und Domänenrath und wurde in den preußischen Adelstand erhoben. Wie er auch in französischer Zeit Treue hielt, so ging die folgende Generation von vornherein in dem neuen Vaterlande auf; noch nicht siebzehnjährig trat 1813 sein Sohn Franz zu den freiwilligen Jägern. Nach dem Kriege wandte auch er sich zu der juristischen Laufbahn des Vaters; er wurde Richter in Münster und hier gebar ihm seine aus ansehnlicher münsterischer Bürgerfamilie stammende Gemahlin Brigitte Hosius im J. 1821 seinen einzigen Sohn Maximilian Maria: ein Westfale war dieser somit von beiden Eltern und manche Eigenschaften seines Blutes rücken ihn in die Reihe der Westfalen unter den preußischen Politikern der Zeit, zu Bodelschwingh, Harkort, Vincke, Waldeck. Der Vater hegte liberale Gesinnung und gehörte zu den Mitgliedern des westfälischen Provinziallandtages, die 1832 unter der Nachwirkung der Julirevolution den König an die Errichtung der verheißenen Reichsstände mahnten; dafür sollte er als Beamter die Gegenwirkung des Beamtenstaates erfahren. Er wurde im nächsten Jahre nach Breslau strafversetzt, dann stieg er 1840 zum Vicepräsidenten des Appellationtsgerichtes in Glogau empor, der erste Katholik, wie es heißt, in so hervorragender richterlicher Stellung in Preußen. So war es der Liberalismus des Vaters, der die Jugend des Sohnes aus dem westfälischen Geburtsboden entwurzelte und ihn nach seinem ganzen Lebenslaufe: Schlesien–Ostpreußen–Schlesien–Berlin zu einem Ostdeutschen machte.

Der junge F. bestimmte sich für die Laufbahn seines Vaters und beschritt sie ohne besondere Zwischenfälle, er war ein lebensfroher Student in Gießen seit 1838 und dann in Berlin ein arbeitsamer; 1842 wurde er Auscultator und 1847 Assessor am Stadtgericht zu Glogau. Das Revolutionsjahr regte auch seine politische Thätigkeit an. Ohne den Sturm und Drang, der sonst die Jugend in politischen Dingen in die Extreme wirft, hielt er von vornherein die mittlere Linie des Vaters inne; von den drei politischen Clubs der Stadt, einem demokratischen, einem constitutionellen und einem conservativen präsidirte er dem mittleren und vertrat ihn auf einem Congreß der constitutionellen Vereine in Breslau, auch hier trotz seiner jungen Jahre bereits zum Vicepräsidenten gewählt. Da starb 1849 sein Vater, mitten aus der Verfassungsarbeit in der Ersten Kammer, in der er auf der Linken seinen Platz genommen hatte, hinweggerafft. Jetzt wiesen die Sorge für seine Familie und die Erwägung, daß bei der hereinbrechenden Reaction an eine richterliche Anstellung nicht zu denken sei, den jungen Juristen auf einen praktischen Beruf, und mit raschem Entschluß wählte er von den ihm zur Verfügung gestellten Anwaltsstellen in einigen ostpreußischen Städtchen diejenige in Mohrungen für sich aus. So gelangte er in das politisches Milieu, als dessen besonderer Vertreter er in der ersten Hälfte der sechziger Jahre erschien.

Aus äußerlich bescheidener Thätigkeit in der Kleinstadt ist F. zu leitender politischer Wirksamkeit und dann zur Spitze großstädtischer Verwaltung aufgestiegen. Zehn Jahre lang, von 1849 bis 1859, wirkte er als Rechtsanwalt in Mohrungen, dann bis 1872 in demselben Berufe in Elbing. In die erste Zeit noch fällt seine Vermählung mit Marie Raschke, der Tochter eines Rittergutsbesitzers im Kreise Pr.-Holland; er hat die ihm geistig ebenbürtige Frau später ganz zur Genossin seines dem ehelichen Zusammenleben viele Opfer auferlegenden politischen Wirkens gemacht, und seine Briefe an sie geben uns [632] die werthvollsten Aufschlüsse über seine parlamentarische Arbeit. Zugleich vollendete das Jahrzehnt der Reaction das Reifen zum Manne. Als vortrefflicher Anwalt war er bald weithin geschätzt, durch ein klares juristisches Urtheil und zugleich einen praktischen Geschäftsverstand ausgezeichnet. Seine allgemein-geistige Mitgift war nicht eben umfassend, eher an Schranken gebunden, die ihm nachher auf der Höhe lästig waren; man kann ihm nicht nachsagen, daß er sich durch eigene Ideen vor den Anderen hervorhob, und ebenso wenig strahlte von ihm der Zauber einer reichen oder gar genialen Persönlichkeit aus. Legt man aber jene höhern Maßstäbe bei Seite, so gewahrt man eine Reihe trefflicher Gaben für einen Mann politischen Wirkens, von einer gesunden Individualität zusammengehalten: Thatkraft und Liebenswürdigkeit, Festigkeit ohne Eigensinn, Schlichtheit im Aeußerlichen sind die hervorstechenden Züge, der im Beruf geschärfte Sinn für das Praktische und Erreichbare eigentlich das Beste. Schwung lag ihm fern und Pathos vollends, aber in der Tiefe dieser manchmal heftigen, dann wieder schweren Natur brannte doch ein Ehrgeiz, und trieb den auf das Wirken gestellten Mann vorwärts. Die Politik war die Welt, wo er sich durchsetzen, selber vorankommen und die Dinge um sich gestalten konnte. Und wie von selbst führte ihn die Politik in das Lager der Liberalen, die Tradition der Familie, die lastende Luft der Reactionszeit, die Schärfe der Gegensätze gerade in seiner Provinz und besonders auch in seinem Kreise, alles wirkte zusammen. Die Ideale der constitutionellen Staatsform hatte er sich rückhaltlos angeeignet, aber seine ganze Anlage bewahrte ihn vor dem Doctrinarismus; auf Verwirklichung kam es ihm an, und wenn er als Ostpreuße gern „vernünftige, freie Verfassungszustände“ im Munde führte, so ging er auch gern den „vernünftigen“ Weg, um zu ihnen zu gelangen, und das hieß dann den möglichen Weg, diesen aber mit Entschiedenheit.

Der Versuch des Prinzregenten, in der „Neuen Aera“ im Bunde mit seinem maßvollen Liberalismus zu verfassungsmäßigen Zuständen in Preußen zurückzulenken, machte die Bahn für dieses schlummernde politische Talent frei. Bei den Wahlen von Ende 1858 wurde F. zum Abgeordneten für Mohrungen-Preußisch-Holland gewählt. Die Wahlen hatten auch für Ostpreußen einen völligen Umschwung gebracht; die gewählten Liberalen waren meist neue Leute, durchweg auch Entschiedene, wie der derbe und fanatische Frhr. Leo von Hoverbeck, dem F. bald persönlich nähertrat. Sie alle traten zunächst der Fraction Schwerin-Vincke bei, der größten, die ohne eigentliches Programm sehr verschiedenartige Elemente umspannte. Mit sicherm Urtheil überblickte F. die Sachlage, wenn er im Januar 1859 schrieb: „Alle Zustände hängen hier wie mit baumwollenen Fäden zusammen: so dies Ministerium mit dem Prinz-Regenten und unter sich und mit der liberalen Majorität des Hauses. Jeder fürchtet sich, durch Bewegung die Baumwolle zu zerreißen. Wie lange aber namentlich das Abgeordnetenhaus diese Zustände ertragen wird, steht dahin“. Der Liberalismus war äußerlich angesehen zur Herrschaft gekommen, aber eben dadurch in der parlamentarischen Action gelähmt, vor allem durch die Rücksichten der Fractionsführer auf ihre alten Parteigenossen im Ministerium und durch die Erwägung, daß ein allzustarkes Drängen die Minister in eine schwierige Situation dem Prinzregenten gegenüber bringen und diesen womöglich seinem Wege entfremden könnte. Auch F. unterschied sich in seinen principiellen politischen Ueberzeugungen keineswegs von Vincke oder auch von Schwerin, aber er galt schon von Anfang an in der Fraction – die anfänglichen Hoffnungen der Clerikalen hatte er bald durch sein Auftreten in der Unterrichtscommission enttäuscht – als „einer der entschiedensten“; denn diese neue [633] Generation, ohne die Erinnerungen einer langen Parteigemeinschaft, ohne Rücksichten nach oben, allein von dem Eindruck des letzten Jahrzehnts erfüllt, verlangte ein rascheres Vorwärtsgehen. Und der Ehrgeiz Forckenbeck’s ließ sich, so wenig wie der Hoverbeck’s, nicht lange von dem monarchischen Parteiregiment Vincke’s niederhalten, sondern suchte ein von allen diplomatischen Erwägungen freies Feld, um die Allen gemeinsamen Ideen selbständig und energisch durchzukämpfen. Er bedurfte dafür des Hebels der Idee und fand ihn in dem Anschluß an die 1859 wieder stärker angefachte deutschnationale Bewegung. Darum trat er dem Nationalverein bei, in der Ueberzeugung: „Ohne eine andere Gestaltung der deutschen Verhältnisse ist für die Dauer auch die Existenz einer vernünftigen freien Verfassung eine Unmöglichkeit. Bleiben die deutschen Verhältnisse so wie sie sind, so wird und muß in Preußen nur der Militärstaat ausgebildet werden“ (August 1859). Durch Förderung der deutschen Einheitsbestrebungen den Adern des preußischen Liberalismus frisches Blut zuzuführen: in dieser Richtung gingen von vornherein seine Absichten. Weder den Weg der alten Constitutionellen noch den der alten Demokraten Preußens wollte er gehen, und von den deutschen Unitariern unterschied ihn, daß der Schwerpunkt seines Wollens auf preußischem Gebiete lag. Die beiden Leitsterne hatte er aufgestellt, der Weg zu ihnen lag nicht fest, sondern war einzig durch Fragen der Taktik abgesteckt, konnte bald besser durch Festigkeit, bald eher durch Entgegenkommen zurückgelegt werden, ohne daß das Ziel jemals aus den Augen verloren wurde. Und so ist dieser Mann, der drei Mal an einem folgenreichen Austritt aus einer Partei maßgebend mitwirkte und drei Mal zu einer folgenreichen Neugründung einer Partei beitrug, trotzdem kein Anderer, sondern immer derselbe gewesen. Die parlamentarische Geschichte des preußisch-deutschen Liberalismus in der zweiten Generation weist nicht zufällig eine unaufhörliche Verschiebung der Gruppen, einen mehrfachen Frontwechsel seiner Kerntruppen auf. Denn immer handelte es sich um dasselbe Problem, den Liberalismus zur Verwirklichung, das heißt zur Macht zu bringen: kein Wunder, daß die Wandlungen der allgemeinen Lage ihm bald diese, bald jene Stellung zu den herrschenden Gewalten anwiesen. Erwägt man diese ganze Entwicklung, so sieht man sie mehr von Fragen der Taktik als von Principien bestimmt, und unter diesen Taktikern des Liberalismus steht die auf das Mögliche gerichtete, eigentlich politische Natur Forckenbeck’s in der ersten Linie.

Seine Ueberzeugung, daß für seine Selbständigkeit in der Fraction Vincke kein Raum sei, befestigte sich ihm in der folgenden Session des Landtages, in der er einen Antrag auf Abänderung der reactionären Städteordnung einbrachte. Er meinte im Januar 1860, er wolle auf Schwerin und Patow nichts kommen lassen, aber: „unsere liberale Fraction scheint in ihrer Mehrheit aus übergroßer Vorsicht immer einen Schritt hinter dem Ministerium zurückbleiben zu wollen, während sie einen Schritt voraus sein sollte“. Er und Hoverbeck – sie haben in dieser Session bereits einmal den noch gar nicht dem Hause angehörenden Waldeck aufgesucht – und alle ihre ostpreußischen Freunde drängten zu diesem rascheren Tempo; der Compromiß Vinckes über die Militärvorlage trieb sie nur noch ungeduldiger voran. Um der Ziellosigkeit in der Partei ein Ende zu machen, vereinbarten Hoverbeck, Behrend und F. im November 1860 einen Programmentwurf und legten ihn am 12. Januar 1861 ihren Fractionsgenossen vor. Die Absicht war, „einerseits dem Volke offen zu sagen, was das Ziel unseres Strebens sei, andererseits manche Mitglieder der Fraction, die bisher statt liberal nur rein ministeriell gewesen waren, zu der bestimmten Wahl zu zwingen, entweder mit uns zu gehen oder [634] auszutreten“. Man dachte also zunächst nicht an Austritt, sondern eher an Eroberung der Fraction zu gunsten einer entschiedeneren Action. Der Versuch scheiterte an Vincke’s Widerstand, der die eigene Machtstellung und die der Liberalen nicht durch numerische Verluste geschwächt noch durch programmatische Festlegung behindert wissen wollte; die überwiegende Mehrheit der Fraction stand zu ihm. Der Bruch wurde noch etwas hingehalten, da Vincke unter dem Druck der drohenden Secessionsmöglichkeit in der Adreßdebatte schärfere Töne gegen die Regierung anschlug; erst als er von neuem zurückwich, entschlossen sich Forckenbeck und Hoverbeck mit ihrem Anhang zum Austritt. Ihre politische Richtung formulirte damals Hoverbeck: „Wir Entschiedeneren hatten bei der Adresse hauptsächlich drei Ziele im Auge: 1. Die Entfernung der reactionären Beamten. 2. Die äußere Politik besonders concentrirt in der italienischen Frage. 3. Die deutsche Politik im Sinne des Nationalvereins.“ Es waren im ganzen 14 Abgeordnete, die austraten, alle Preußen, „Jung-Lithauen“ nach dem Spottwort Vincke’s, das sich länger hielt als die anfänglich auch vorkommende Bezeichnung „Fraction Forckenbeck“; sie stellten sich „auf den Boden freisinniger durch Rücksichten keiner Art beirrter Wirksamkeit für das Wohl des preußischen und des davon untrennbaren deutschen Vaterlandes“; durch den Zutritt von Schulze-Delitzsch und dann auch Waldeck’s verstärkten sie sich bald aus dem Lager der alten Demokraten. Immerhin konnte die kleine Gruppe, die in dieser Session z. B. den Entwurf eines Ministerverantwortlichkeits-Gesetzes einbrachte, zunächst keine eigenen Wege gehen; erst der heraufziehende Militärconflict, durch den zweiten Compromiß vom Mai 1861 nur hinausgezögert, wies ihr eine bedeutendere Stellung an. So konnte sie infolge der Verschärfung der Gegensätze zwischen der Regierung und den Liberalen den Kern einer neuen Parteibildung abgeben, die sich die Begründung eines verfassungsmäßigen Zustandes in Preußen und die Einigung Deutschlands auf wirklich nationaler Grundlage zum Ziele setzte, der am 9. Juni 1861 constituirten „Deutschen Fortschrittspartei“. Aus der kleinen parlamentarischen Gruppe erstand eine rasch wachsende deutsche Partei; im ganzen Vaterlande suchte man Anschluß, dachte an „Verbrüderung“ mit dem Nationalverein, gelegentlich auch an die Firma „nationale Partei“. F. mit drei andern Begründern der neuen Partei trat in den Ausschuß des Nationalvereins ein.

Eine Proclamation neuer politischer Gedanken hatte nicht stattgefunden, und nicht mit Unrecht urtheilte Vincke über die Forderungen des Wahlprogramms der Deutschen Fortschrittspartei, daß sie im wesentlichen keine anderen seien, als diejenigen, welche die constitutionelle Partei unter aller Ungunst der Verhältnisse aufrecht erhalten habe und niemals aufgeben könne, ohne sich selbst untreu zu werden. Und doch war es eine bedeutsame politische Wendung, als die neue Partei bei den Wahlen von Ende 1861 einen unerwarteten Erfolg errang: der auf 95 Mitglieder verminderten Fraction der Altliberalen konnte sie aus eigener Kraft 83 Stimmen entgegenstellen und verfügte sogar mit den 68 Stimmen des ihr nahestehenden Linken Centrums unter Bockum-Dolffs über die Hälfte des Abgeordnetenhauses, sie hatte fortan die Entscheidung in der Hand. Dieser Aufschwung der Fortschrittspartei hat ohne Frage den Ausbruch des Conflicts beschleunigt, den die Altliberalen zu vertuschen oder hintanzuhalten gesucht hatten, aber es ist sehr die Frage, ob sich die ganze Auseinandersetzung zwischen dem militärischen Königsstaate und den liberal-constitutionellen Grundsätzen, die weit über die Grenzen des Bürgerthums hinaus alle Gemüther in Preußen erfüllten, überhaupt hätte vermeiden lassen. Jetzt freilich traten die tieferen Gegensätze aus ihrer Verschleierung, [635] der sie in der Neuen Aera unterlegen waren, in ihrer wahren Schärfe hervor. Insofern behielt F. mit seiner Taktik gegenüber der liberalen Regierung und der früheren Parteileitung Recht. Aber gerade er neigte auch jetzt noch keinswegs dazu, die Kluft der Gegensätze unnöthig zu vertiefen, sondern glaubte nur kraft seines energischeren Vorgehens sicherer zum Ziele zu gelangen, als die Altliberalen es vermocht hatten: immer schloß dieses Ziel die Vereinbarung mit der Regierung in sich. Selbst in der Militärfrage gedachte er mit ihr auf der Grundlage: stark erhöhte, der allgemeinen Wehrpflicht möglichst entsprechende Rekrutirung, zweijährige Dienstzeit, Erhaltung der Landwehr zusammenzuwirken. Aber er konnte es nicht verhindern, daß das altliberale Ministerium in dem ungestümeren Drängen des Fortschritts einen willkommenen Vorwand erblickte, seine Entlassung einzureichen. Die Bildung eines neuen, homogen conservativen Ministeriums im März 1862 rückte die Möglichkeit einer Vereinbarung viel weiter hinaus. Die Antwort erfolgte in den Neuwahlen des Mai, in denen die altliberale Fraction auf ein kleines Häuflein zusammenschmolz, die Fortschrittspartei mit 135 zusammen mit den 98 Stimmen des Linken Centrums zum unbestrittenen Herrn des Parlaments wurde und nunmehr ihrerseits vor die Probe ihres Könnens gestellt ward.

Die parlamentarische Stellung Forckenbeck’s war durch diesen Umschwung gewachsen, aber zugleich innerlich verändert. Schon Anfang 1862 hatte er bemerkt, daß in seiner Partei eine starke Gruppe unter Waldeck sich negativ und passiv verhalte, während er selbst mit der positiven, realpolitischeren Mehrheit ging. Jetzt hatte sich dieses Verhältniß in der angewachsenen Partei noch weiter verschärft. Sie war in sich ebenso wenig homogen wie früher die Altliberalen, und gegenüber den auf Waldeck’s Stimme hörenden Rheinländern und Schlesiern erschien F. als Führer des gemäßigten Flügels, von den Andern bald als „der Reactionär in der Partei“ bezeichnet. Denn keineswegs war er der Mann, der auf einen Conflict zutrieb wie jene Radicaleren; je rascher die Fraction gewachsen war, desto stärker empfand er jetzt die Verantwortung, keine Möglichkeit der Verständigung von der Hand zu weisen. Seine Politik lag noch ein gut Stück links von der Vincke’s und betonte die zweijährige Dienstzeit als unumgängliche Voraussetzung, aber sie war jeden Augenblick bereit, von hier aus eine Brücke hinüberzuschlagen. So hat F. in seiner Parteitaktik bald manche Situationen Vincke’s auch an sich erlebt. Auch er suchte durch Maßhalten sich die Chancen des Erfolges zu sichern: „Der Sieg hängt davon ab, daß wir die ganze öffentliche Meinung aller liberalen Parteien hinter uns haben, die aber extremen Vorschlägen nicht beistimmen werden“. Immer predigte er gegen Waldeck und seinen Anhang: mäßige Ziele mit Entschiedenheit verfolgen. Als Roon so weit ging, die Gesetzlichkeit der ganzen Reorganisation auf Grund des Gesetzes von 1814 zu behaupten, brachte er einen Antrag in der Budgetcommission ein, die Gesammtkosten der Reorganisation für 1862 und 1863 zu streichen; gleich darauf aber schlug er Resolutionen vor, die die Regierung in Stand setzen sollten, Indemnität für das Vorangegangene zu erlangen und die Reorganisation auf Grundlage der zweijährigen Dienstzeit durchzuführen. Er unterlag, auch sein alter Freund Hoverbeck war mit diesem Entgegenkommen nicht einverstanden. Am 16. September trat er in seiner ersten größeren Rede im Plenum für die Verwerfung der Reorganisation ein. Für einen Augenblick schien es, als wenn die Regierung jetzt noch, in letzter Stunde, nachzugeben geneigt sei; man verhandelte durch Simson’s Vermittlung mit F.; auch Roon zeigte sich plötzlich wenn auch nicht der gesetzlichen, so doch der thatsächlichen Einführung der zweijährigen Dienstzeit günstig. Da schlug am andern Tage am Hofe der Wind wieder um, keine [636] Concessionen hieß wiederum die Losung; das Abgeordnetenhaus verwarf darauf mit 308 gegen 11 Stimmen die gesammten Kosten der Reorganisation. Und nun griff der König zu seiner letzten Hülfe in der Noth, zu Bismarck als Ministerpräsidenten.

F. war sich von vornherein über den Sinn dieser Wendung klar: „Bismarck-Schönhausen“, schrieb er tags nach der Ernennung, „bedeutet: regieren ohne Etat, Säbelregiment im Innern, Krieg nach außen. Ich halte ihn für den gefährlichsten Minister für Preußens Freiheit und Glück“. Umso entschlossener suchte er ihn zu zwingen, seine Absichten zu bekennen. Als Berichterstatter der Commission beantragte er am 30. September, die Staatsregierung zur schleunigen Vorlegung des umgeänderten Etats für 1863 aufzufordern, damit dieser noch vor dem 1. Januar 1863 festgestellt werden könne, und die Leistung jeder Ausgabe, die von dem Abgeordnetenhause abgelehnt worden, durch die Regierung für verfassungswidrig zu erklären. Es war die berühmte Sitzung, in der Bismarck zum ersten Male vor den Abgeordneten erschien und seine ebenso genialen wie unparlamentarischen Excurse über Recht und Macht, die Anpassung der Verfassung, die Grenzen der Krongewalt und Parlamentsgewalt, über Blut und Eisen hielt, eine Sprache, die für die Abgeordneten fast unverständlich war und ihnen jedenfalls kein Vertrauen einflößte. Unerbittlich entgegnete F.: „Von einem Streite über die Grenze zwischen Krongewalt und Parlamentsgewalt ist keine Rede. Das preußische Volk ist viel zu nüchtern, um einen solchen theoretischen Streit zu unterstützen; das Materielle der Militärfrage ist es, was das Volk bewegt“. Und ebenso knüpfte er in der Plenarsitzung vom 6. October an die berühmte Prophezeiung des überlegenen Gegners über die Lösung der deutschen Frage an mit den Worten: „In Preußen ist meiner Meinung nach eine Regierung nicht anders möglich, als mit vollständiger treuer Beobachtung der Verfassung, und nur einer solchen Regierung würden Blut und Eisen der Nation zu Gebote stehen“. Pathetischer als es sonst seine Art war, forderte er andern Tags in seinem Schlußworte alle Parteien des Volkes auf, sich um die gefährdete Verfassung zu scharen. Der seinen Namen tragende Commissionsantrag wurde mit 251 gegen 36 Stimmen angenommen; der Versuch des Herrenhauses, das Regierungsbudget wiederherzustellen, wurde nach seinem Antrag für verfassungswidrig und deshalb null und nichtig erklärt. Der Kampf um das Recht hatte begonnen: daß er sich immer mehr zu einem Kampfe um die Macht entwickelte, sollte ihn entscheiden.

Der preußische Verfassungsconflict wird von einigen Seiten heute auf die Differenzen über technisch-militärische Streitfragen und die strittige Auslegung einiger Verfassungsparagraphen zurückgeführt, aber er war mehr, ein Machtkampf, den der Ueberlegene gewann. Und als solcher ist er von der späteren Generation in der Regel einseitig beurtheilt worden, weil die siegreichen Kriege und die Gründung des Reiches Bismarck Recht und seinen Gegnern Unrecht gegeben haben. Aber darin liegt nicht die ganze Wahrheit. Es wäre kein Ruhmestitel des preußischen Volkes gewesen, wenn es selber in diesem Machtkampfe seine Rechte von sich geworfen hätte. Heute wissen wir, daß der Conflict auch für Bismarck wesentlich Mittel zum Zweck gewesen ist, um sich selbst im Sattel zu halten und mittlerweile über das Herz und den Kopf des Königs hinweg seine eigene Politik, die Eroberungspolitik der unabhängigen Großmacht Preußen durchzuführen. Wer dem Abgeordnetenhause vorwerfen will, daß es dieses dämonische Spiel nicht durchschaute, mag sich von Bismarck selber (in seiner Landtagsrede vom 5. April 1876) eines Bessern belehren lassen: „Ich habe Objectivität genug, um mich in den Ideengang des [637] Abgeordnetenhauses von 1862–1866 vollständig einleben zu können, und habe die völlige Achtung vor der Entschlossenheit, mit der die damalige Volksvertretung das, was sie für recht hielt, vertreten hat. … Sie konnten damals nicht wissen, wo meiner Ansicht nach die Politik schließlich hinausgehen sollte … und Sie hatten auch das Recht, wenn ich es Ihnen hätte sagen können, mir immer noch zu antworten: Uns steht das Verfassungsrecht des Landes höher, als seine auswärtige Politik“. Gerade F. hat in seiner Eigenschaft als Führer der Majorität des Hauses auch noch im J. 1863 wiederholt bewiesen, daß es ihm und seinen Anhängern nicht auf Conflictsverewigung und Parlamentsherrschaft ankam: die Verwirklichung der constitutionellen Rechte und die Verständigung mit der Krone hatte er jeder Zeit gleichmäßig im Auge. Als Referent der Budgetcommission und der Militärcommission verkörperte er die zugleich feste und versöhnliche Gesinnung der Mehrheit. Seine Anträge in der Militärcommission zu dem neuen Heeresreorganisationsplan boten der Regierung die gesetzmäßige Festlegung des jährlichen Rekrutencontingents auf 60 000 Mann, gegen die Bewilligung der zweijährigen Dienstzeit. Für einen Theil der Fortschrittspartei unter Führung von Waldeck – Schulze-Delitzsch und selbst des linken Centrums waren diese Vermittlungsvorschläge zu militaristisch; immerhin war in den am 7. Mai 1863 beginnenden Debatten im Plenum auf eine Mehrheit von zwei Drittel der Stimmen zu rechnen. Eine Verständigung wäre, das mußte man auch auf der Gegenseite anerkennen, möglich gewesen. Freilich nur unter einem andern ministeriellen Regime: unter der jetzigen Staatsregierung, erklärte eine Resolution Forckenbeck’s, würde eine Durchführung des Gesetzentwurfes unmöglich sein. Auf den Sturz Bismarck’s und die Wiederberufung eines liberalen Ministeriums steuerte man los. Man begreift, daß Bismarck die erste Gelegenheit gewaltsam herbeizog, um ein Fortschreiten dieser Verständigungsaction abzubrechen. So kam es zu der bekannten, von Roon provocirten Scene im Abgeordnetenhaus, zur Vertagung des Hauses am 27. Mai, zum Erlaß der unerhörten Preßordonnanzen am 1. Juni und zu allen jenen Maßregeln des Ministeriums, die auch auf der Gegenseite die Erbitterung aufs höchste ansteigen ließen.

In der im November 1863 eröffneten Session – die Neuwahlen hatten die Fortschrittspartei noch weiter verstärkt und die gemäßigten Liberalen ganz verschwinden lassen – trat F. von seiner bisherigen Führerrolle mehr und mehr zurück. Seine Taktik der Verständigung war ergebnißlos geblieben und mußte auch ergebnißlos bleiben gegenüber einem Manne, der die Verständigung nicht brauchen konnte, weil er ihr erstes Opfer geworden wäre, wohl aber den heftigsten Kampf, um sich unentbehrlich zu machen. Für diese Situation trafen die jetzt mehr in den Vordergrund tretenden leidenschaftlicheren und radicaleren Politiker des Parlaments eher den richtigen Ton. Die einzelnen parlamentarischen Actionen, an denen F. persönlich betheiligt war, aufzuzählen, hat kein besonderes biographisches Interesse. Was im ganzen ein nothwendiger Kampf unabhängiger Gesinnung war, löste sich im einzelnen in eine schließlich ermüdende Reihe von fruchtlosen Verwahrungen, pathetischen Erklärungen und allerhand geschäftsordnungsmäßigen Kriegslisten auf. F. mit seiner durchaus realistischen Veranlagung hielt sich von manchen Illusionen seiner Parteigenossen zurück; er fürchtete für die Liberalen „das Schicksal aller der Parteien, welche fruchtlos gegen die Macht ankämpfen. Sie zerfallen in Koterien und werden nur mühsam äußerlich zusammengehalten“. Seine Festigkeit blieb unerschüttert: „ich will keinen faulen Frieden, lieber noch fortgesetzten Kampf und endlich wirkliche Resultate“. Als der Minister Eulenburg im Januar 1865 die Hand zum Ausgleich zu bieten schien – die [638] herannahende Auseinandersetzung mit Oesterreich mußte für Bismarck auch im Innern eine andere Musik wünschenswerth machen –, ließ F. zwar von seinem Mißtrauen nicht ab, aber er versuchte doch wieder, abweichend von den rein negirenden Radicalen vorzugehen und auch die Regierung an die fortdauernde Bereitschaft der Mehrheit zum Entgegenkommen unter ihren Bedingungen zu erinnern. Aber von neuem trieb man tiefer in den Conflict hinein. Auch F. fand jetzt schärfere Worte als sonst: „es ist nothwendig für den Bestand der Monarchie, daß dieser Mißbrauch des Vertrauens aufhöre“; er war es, der im Juni das Duell Virchow-Bismarck durch Beschluß des Abgeordnetenhauses inhibiren ließ; in flammender Rede war er im Februar 1866 der Wortführer des Hauses, als das Obertribunal auf Veranlassung der Regierung den unerhörten Versuch machte, die Redefreiheit der Abgeordneten anzutasten und ein gerichtliches Verfahren gegen Twesten und Frentzel einzuleiten.

Er hatte den Zusammenbruch des ganzen Systems prophezeit, in demselben Augenblicke, wo es sich anschickte, sich auf das Höchste zu bewähren. Der siegreiche Krieg gegen Oesterreich brachte den innern Kampf zum Stehen. Schon die am Tage von Königgrätz vorgenommenen Wahlen führten 142 Conservative gegen 26 Altliberale, 65 Linkes Centrum und 83 Fortschrittsleute, im ganzen 174 Liberale in das Abgeordnetenhaus; F. selbst war nicht mehr in seinem alten ländlichen Wahlkreise Mohrungen, sondern nur mit geringer Mehrheit in Königsberg durchgedrungen. Der praktische Taktiker war von Anfang an entschlossen einzulenken: der bisherige Verlauf des Conflictes und der Umschlag der Volksstimmung gaben ihm zu denken, und vor allem die Rücksicht auf die neuen Aufgaben Preußens, auf die schwierige Phase der halbvollendeten Einigung Deutschlands, mußten für ihn jede andere Rücksicht bei Seite treten lassen. Für die Mehrheit des Parlaments war er gerade kraft seiner Vergangenheit der Mann der Situation: als Grabow und Unruh verzichteten, wurde er am 10. August 1866 zum Präsidenten des Abgeordnetenhausets gewählt. Nach den Worten Sybel’s war seine Wahl das erste Symptom einer neuen Parteibildung zugleich im liberalen und nationalen Sinne. Und gerade in der Zeit, wo diese Parteibildung culminiren sollte, hat F. als der Vertrauenssmann dieser Gruppe die parlamentarischen Geschäfte geleitet, 1866–1873 als Präsident des Abgeordnetenhauses, 1874 bis 1879 als Präsident des Reichstages. Ein vortrefflicher Präsident, sachlich, fest in der Wahrung der Rechte des Hauses, gerecht, eher strenge gegen die eigene Partei. Nur die würdevolle Repräsentation, wie sie Gagern und Simson zu Gebote stand, war ihm versagt; die Natur hatte ihn, so urtheilt Bamberger, für seine ganze Person in allem, was mit dem Sinn für Aeußerlichkeit zusammenhängt, so stiefmütterlich ausgestattet, wie wenige Sterbliche, ein Mangel, der umso stärker auffallen mußte, als F. mit einer prächtigen, wie zum Repräsentiren geschaffenen Körperlichkeit ausgestattet war. Aber wichtiger als die Form war gerade in diesem Moment der Inhalt, den er seiner Stellung gab.

Indem Bismarck sofort dem Hause eine Indemnitätsvorlage unterbreitete, sprengte er die bisherige Parteiorganisation, Fortschrittspartei und linkes Centrum, und legte den Grund zu einer neuen. Zu dieser Umbildung hat F. von Anfang an beigetragen: er wußte, daß nur eine verblendete Taktik die noch vorhandenen Chancen des Liberalismus zu verscherzen im Stande war. Seiner Rechtsauffassung wollte er nichts vergeben; als ihn am 15. August der Kronprinz, jetzt im Augenblick der Versöhnung und des großen politischen Neubaus ein eifriger und nützlicher Helfer Bismarck’s, in aller Heimlichkeit [639] zu sich kommen ließ – der Beginn eines dauernden Vertrauensverhältnisses –, sprach er offen und fest aus: Wir müssen noch eine Zusicherung der Staatsregierung haben, einmal, daß Ausgaben, die wir verweigert, nicht geleistet werden; dann, daß alljährlich der Etat so rechtzeitig vorgelegt werde, daß er vor Beginn des Etatsjahres als Gesetz publicirt werden könne. Auf dieser Grundlage aber half er auch seinerseits, daß unnütze Steine aus dem Wege geräumt wurden; in der Adreßdebatte, die schon zum Ausscheiden von Unruh, Twesten, Lasker aus der Fortschrittspartei führte, verhalf er der gemäßigteren Fassung zum Siege über den Entwurf Waldeck’s, ohne das Budgetrecht der Abgeordneten preiszugeben; taktvoll vermied er, daß die Antwort des Königs auf die Adresse ein Anlaß zu neuen Bedenken werde. So stimmte er denn mit der größeren Hälfte der Fortschrittspartei und den meisten Mitgliedern des linken Centrums für die Indemnität. Auch in anderen Fragen unterstützte er die Regierung gegen Sicherstellung grundsätzlicher liberaler Forderungen. Mit Recht mochte er einen Gewinn darin erblicken, daß zum ersten Male ein Etat rechtzeitig Gesetzeskraft erlangte, und zwar „unter Formen, die gegen 1861 einen unendlichen Fortschritt in wirklicher Machtentwicklung des Abgeordnetenhauses beweisen“. Als am 24. October 1866 die Erklärung von Hammacher und Genossen den Grund zu einer neuen Parteigruppirung legte und bald darauf diese neue „nationale“ Partei sich auch äußerlich zusammenschloß, da verstand es sich für F. von selbst, daß er bei aller für den Präsidenten gebotenen Reserve sich ihr anschloß. So hatte die kleine, erst 25 Mitglieder zählende Gruppe, die in kurzem den Namen der Nationalliberalen annahm, der zukunftsreiche Kern für die entscheidende Fraction des nächsten Jahrzehnts, in der Persönlichkeit Forckenbeck’s schon von Anfang an die Anwartschaft auf das Präsidium in den Händen. Im Stile dieser ersten Monate war dann seine ganze politische Wirksamkeit in den Jahren 1866 bis 1870 gehalten: in der mittleren Richtung dieser Männer, in der Anpassung der liberalen Ziele an die neue Constellation, ging nun eine gute Zeit lang der Strom der öffentlichen Meinung. Der nationale Gedanke und die praktische Erwägung hatten diese Liberalen zu Opportunisten gemacht: ihre Politik war in diesen Jahren eine historische Nothwendigkeit. Freilich Forckenbeck’s politische Stellung zu Freund und Feind hatte sich durch diese taktische Wendung von Grund aus verändert. Seine alten Genossen, zumal die Ostpreußen, wandten sich von ihm ab; so schrieb Hoverbeck Ende 1866: „Unsern alten F. haben wir noch immer recht lieb. Sein Talent zum Präsidiren findet allgemeine Anerkennung; als Politiker ist er mir zu flau und hofft zu viel von dem Kleinkram der parlamentarisch-ministeriellen Intriguen. Dabei ist er aber ein ehrlicher Mann, dem es nur um die Sache, nicht um seine Person zu thun ist“ und ein Jahr später, als die Verhandlung über das Militärgesetz den Bruch verschärft hatte: „Er weiß von mir, daß ich ihn lieb habe und an seinem Schicksal lebhaft Antheil nehme, und daß ich ihn auch in seiner politischen Thätigkeit nicht für schlecht oder gar für ehrlos, sondern nur für schwach halte“. Es war bezeichnend, daß F. infolge der Neuerhebung der Conservativen einerseits und der Unzufriedenheit der Radicaleren anderseits für keine Volksvertretung ein ostpreußisches Mandat zu erhalten vermochte; in den constitutionellen Reichstag des Norddeutschen Bundes verhalf ihm nachträglich (März 1867) die Empfehlung des Kronprinzen zu einem Mandat für Neuhaldensleben-Wolmirstädt, das er siebzehn Jahre lang behauptete, und in den Landtag von 1868 gelangte er als Vertreter Kölns. Aber auch innerhalb der jungen nationalliberalen Fraction stand er anders als in seiner früheren Partei. Während bei den Reichstagswahlen von 1867 [640] die Fortschrittspartei ganz aus den alten Provinzen hinweggefegt wurde und nur 19 Sitze behauptete, gehörte auch von den 79 Nationalliberalen die größere Hälfte den neuen Provinzen und den Bundesstaaten an; auch im preußischen Landtage, wenngleich nicht in demselben Maaße, wurden die neuen Provinzen eine Domäne des Nationalliberalismus. Und das bedeutete eine Verbindung von keineswegs ganz homogenen Elementen. Die Altpreußen der Partei konnten die Conflictszeit nicht so rasch vergessen, als daß sie nicht fest zu ihren constitutionellen Grundsätzen gestanden hätten, sie waren gewohnt, der von dem Großstaat ausgehenden schärferen Anspannung der Volkskraft auch ein festeres Beharren auf die Volksrechte entgegenzusetzen, sie waren in einem innern Machtkampf von tieferem Inhalt groß geworden; anders die Neupreußen, Mittel- und Kleinstaatler, vor allem in Bennigsen verkörpert, die von jener verbitternden Erinnerung frei, aber mit Enthusiasmus aus engen Verhältnissen in freiere und größere hinübertraten und in Bismarck nicht den Gegner von ehedem, sondern den großen Minister der Gegenwart sahen. Diese Gegensätze machten sich in der nationalliberalen Partei schon sehr früh bemerkbar, sie nahmen mit der Zeit zu und fanden in den siebziger Jahren in dem allmählichen Verschieben des Schwergewichts von der Richtung Forckenbeck zu der Richtung Bennigsen ihren Ausdruck. Schon im Reichstage von 1867 fühlte sich F., der einzige ehemalige Junglithauer in der nationalliberalen Partei, anfänglich gar nicht am Platze und er meinte unwirsch: „Man quält uns, nachdem wir eine Generation lang in Deutschland über Verfassung theoretisch gesprochen und gearbeitet haben, seitens der Deutschen aus den kleinen Staaten und den annectirten Ländern in der öffentlichen Sitzung mit den Anfängen der constitutionellen Doctrin“. So vertrat er innerhalb der Nationalliberalen eine kräftigere Tonart, suchte aber vermöge dieses Druckes stets auf den Ausgleich, auf das praktische Ergebniß hinzusteuern. In diesem Sinne hat er seine Präsidentenstellung im Landtage häufig im Sinne der Vermittlung ausgeübt. Er wurde bald ein Vertrauensmann des Kronprinzen, der von Anfang an große Hoffnungen auf ihn setzte und die Einigung zwischen Bismarck und den Liberalen förderte.

Gerade als Liberaler sah F. den von Bismarck vorgelegten Entwurf der Bundesverfassung mit großer Sorge an: „Ein dauerndes Normal-Militärbudget als Grundgesetz des Bundes, von 1 % der Bevölkerung, 225 Thaler pro Mann, ein Reichstag mit solchen Competenzen, ohne Diäten, neben dem Abgeordnetenhause – das kann kein entschiedener Liberaler acceptiren.“ In einer Besprechung, die der Kronprinz mit ihm, Twesten, Braun und Bennigsen hatte, erklärte er, daß er „wol am feindlichsten von allen Anwesenden dem Entwurf gegenüberstehe und zwar aus Interessen des preußischen Volkes und des Staates“. Und doch trug er in verantwortlichem Entschlusse dazu bei, daß dieser Entwurf Gesetz wurde; in der Diätenfrage blieb er zwar mit den altpreußischen Nationalliberalen gegenüber Bismarck’s Drängen persönlich fest; in dem eigentlich Entscheidenden, der Militärfrage, die wie immer in den Kern des politischen Problems hineinführte, war er es, der den durch das Amendement Bennigsen-Ujest ausgedrückten Vermittlungsvorschlag fand, daß die Bundessteuer von 225 Thalern auch nach dem 31. December 1871 erhoben werden solle, daß aber dann ihre Verwendung durch das Etatsgesetz geregelt werden und auch die Erhöhung der zu 1 % der gegenwärtigen Bevölkerung angesetzten Präsenzziffer künftig nur durch Bundesgesetz erfolgen solle. Der Kronprinz selber hatte auf ihn eingewirkt: „sollen wir in einem innern Conflict sein, während wir gegen die Franzosen kämpfen?“ So entschloß er sich zu der nach seiner Meinung vorübergehenden Concession; er blieb bei seiner [641] Auffassung, daß die Unabhängigkeit der militärischen Executive von dem Landtage und dem Reichstage für immer nichts anderes bedeute als die Vernichtung des Budgetrechts inbezug auf die Militärverwaltung, und „allein zur Constituitung des Norddeutschen Bundes von Volksrechten und von Budgetrechten vorübergehend das Nothwendige zu opfern“, war er bereit. Die Fortschrittspartei grollte ihm seit dem Augenblicke, wo er diesen geschickten Mittelweg gefunden hatte.

F. hatte Bismarck offen erklärt, daß er seine Abstimmung für die Bundesverfassung im Landtage von der Einbringung einer liberalen Kreisordnung und der Ersetzung der verhaßtesten Reactionsminister abhängig mache. Und in diesem Sinne suchte er, wiederholt mit Erfolg, einen Druck zur Einschlagung liberaler Bahnen in Preußen auszuüben. Mit seiner Vermittlung in dem Conflict zwischen Bismarck und Twesten über einen Fall von budgetwidriger Entnahme von Geldern aus der Kriegsanleihe beförderte er den Rücktritt des reactionären Justizministers Grafen Lippe. Von solchen Theilerfolgen wollte er nicht lange befriedigt sein; „Eulenburg und Mühler bleiben“, schrieb er ungeduldig am 7. Februar 1869, „und wenn auch einige gute Gesetze beschlossen sind, so geht es in der Hauptsache doch nicht weiter.“ Er kam auf den Gedanken, die Gelegenheit der Steuervorlagen von 1869, das v. d. Heydt’sche „Steuerbouquet“, zur Fortbildung des Budgetrechts zu benutzen. Er verlangte, die Regierung solle alles zurücknehmen, „und sich mit der liberalen Partei ernstlich zu verständigen suchen, namentlich uns solche Rechte geben, daß wir wenigstens hinsichtlich einer vorhandenen Steuer jährlich bewilligen könnten“. Das hieß, zum Entgelt für die Bewilligung großer indirecter Steuern das bisherige Steuerbewilligungsrecht zu dem Rechte der alljährlichen Festsetzung der Steuern auszubauen: mit diesen „constitutionellen Garantien“ hätten die Liberalen einen Hebel der Macht ergriffen, den Bismarck niemals aus der Hand gelassen hätte. Die Verwerfung der Steuervorlagen sollte dem Minister die Macht der Liberalen zeigen.

Wiederholt unternahm Bismarck, den unbequemen und einflußreichen Mann in persönlicher Besprechung an sich heranzuziehen, er zeigte ihm wiederholt, wie das seine Art war, von weitem einen Ministerposten, schon um ihn auf das Vorhandensein gouvernementaler Neigungen zu sondiren; „er müsse sich gewöhnen, die Dinge vom ministeriellen Standpunkte anzusehen“ (Mai 1869). Daß es ihm mit solchen Perspectiven sonderlich Ernst war, ist nicht anzunehmen, aber ebenso wenig, daß er damit auf F. wirklichen Eindruck machte. Denn dieser war viel zu sehr liberaler Parteimann, um an die Möglichkeit eines Eintritts in ein Ministerium Bismarck in seiner damaligen Zusammensetzung zu denken; so schrieb er an seine Frau: „Meine unabhängige Gesinnung behalte ich. Dessen kannst du ganz sicher sein, die Entscheidung fällt für die bescheidene Unabhängigkeit in Elbing aus.“ Freilich, seitdem er dem Mittelpunkte der Geschäfte näher gerückt war, gewann er eine richtigere Ansicht von den das Staatswesen beherrschenden realen Mächten, so von dem Könige selber, den die Liberalen früher kaum in Rechnung zu bringen gewöhnt waren. Jetzt erkannte er: „Die Dinge bleiben bei der allein maßgebenden Bedeutung des persönlichen königlichen Willens, wie dieselben sind, das heißt Fortschritt keiner oder nur mit außerordentlich schwerer, aufreibender Arbeit“ (1869, Januar). Und auch dem Könige war der ehemalige Fortschrittsmann keineswegs unsympathisch; er dankte einmal den Elbingern öffentlich, daß sie ihm einen so gerechten unparteiischen Präsidenten gegeben hätten und trat sogar in der Frage der Frankfurter Entschädigung in privater Correspondenz, anscheinend hinter dem Rücken Bismarck’s, an den Präsidenten des [642] Abgeordnetenhauses heran; F. war eben, wie er scherzte, „der allgemeine Vertrauenstopf“ geworden. Auch zu Bismarck, dem er zuerst mit Mißtrauen entgegengetreten war, gewann er allmählich ein größeres Zutrauen. Aus einer längeren Unterredung im December 1869 glaubte er den Eindruck davontragen zu dürfen, daß „Bismarck nunmehr vor allen Dingen national unitarisch deutsch“ sei, sodann aber „vermöge dieser Grundgesinnung gegenüber den inneren preußischen Dingen immer objectiver werde, nicht mehr der Junker der alten Art sei, und auch mit Milde alle Standpunkte zu betrachten und aus ihnen das Richtige für das jeweilige Staatsinteresse zu erkennen anfange“.

Der Krieg gegen Frankreich, der das unablässig sich drehende parlamentarische Rad, Reichstag, Landtag, Zollparlament zunächst zum Stocken brachte, sollte ganz neue Aufgaben bringen. F. sah voraus, daß der unabhängige Liberalismus, wie er im August an Lasker schrieb, große Mühe haben werde, seinen Einfluß zu behaupten: „er wird sehr besonnen, sehr vorsichtig, vor allen Dingen sehr einig sein müssen und disciplinirt in der Einheit.“ In diesem Gedankengange hoffte er zugleich der Nation und der Partei zu dienen, als er im folgenden Monat mit Bennigsen und Lasker nach Süddeutschland fuhr, um hier die Einheitsbewegung zu stärken und einen Druck auf die zögernden Entschließungen der Höfe auszuüben. Daß die Versailler Verträge seinen Wünschen nicht entsprachen, begreift sich ebenso gut, wie seine Einsicht in die Unmöglichkeit ihrer Ablehnung: die Liberalen mußten selber erkennen, daß in diesem Momente ein organischer Ausbau der Volksrechte in ihrem Sinne eine undenkbare Sache war. Im December 1870 wiederum zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt, erhielt er nach der Kaiserproclamation den Auftrag, dem König eine Adresse des Hauses in Versailles zu überreichen.

Die nächsten Jahre parlamentarischer Arbeit nach dem Friedensschlusse tragen noch einen den Jahren vor dem Kriege verwandten Charakter. Eine gewisse Abwandlung machte sich aber doch geltend. Zunächst hatte der Krieg die Machtstellung und das Bewußtsein der Krone gestärkt und der föderalistische Ausbau der Reichsverfassung einen parlamentarischen Unitarismus unmöglich gemacht: die Liberalen, wenn sie zu einflußreicher Mitarbeit herangezogen werden wollten, waren weniger auf Vordringen denn auf Compromisse gestellt. Und dann begann seit 1870 die Bildung der ultramontanen Partei hemmend auf das parlamentarische Vorgehen der Liberalen zu wirken, sie complicirte das Parteienverhältniß und drängte die Liberalen in einen Kampf mit neuer Front, je mehr sie auch in deren alten Besitzstand erobernd eingriff. Diese Entwicklung betraf F. mehr als Andere, weil er Katholik war; auch ein religiöser Katholik, der als Präsident des Abgeordnetenhauses stets an dem Eröffnungsgottesdienst theilnahm; er ließ seinen einzigen Sohn katholisch, die Töchter evangelisch erziehen und lehnte es ab, sich an der Adresse der Staatskatholiken zu betheiligen. Aber schon in Versailles, am 7. Februar 1871 hatte er sich dem Kronprinzen als entschiedenen Gegner der ultramontanen Partei bekannt, er stand im Culturkampf fest, wenngleich nicht an vorderster Stelle auf seiten des Staates, stimmte als Mitglied des staatlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten für die Absetzung der renitenten Bischöfe und versagte nur besonderen Härten wie der Verschärfung des Kanzelparagraphen seine Zustimmung. War die Stellung der Nationalliberalen und die für sie mögliche Taktik in dieser Weise doppelt modificirt, so gelangte dafür, innerhalb jener Schranken, ihr parlamentarischer Einfluß jetzt erst auf den Höhepunkt; die Zahl ihrer Mandate im preußischen Landtage wuchs [643] 1870 auf 123, 1873 auf 178, 1876 auf 186, im Reichstage 1871 auf 119, 1874 auf 155, 1877 waren es noch 130; entweder mit der Fortschrittspartei oder mit den Freiconservativen hatten sie jederzeit die Mehrheit in der Hand, sie waren eine Macht, mit der die Regierung verhandeln mußte. Dem entsprach es auch, daß F. fortdauernd das Präsidium des Abgeordnetenhauses führte, und 1874, als er als Oberbürgermeister von Breslau ins Herrenhaus berufen wurde und daher auf sein Mandat verzichtete, gleichsam zum Ersatz, nach dem Rücktritt Simson’s zum Präsidenten des Reichstages erwählt wurde.

Die erste wichtige Entscheidung fiel im Reichstage, und zwar über die Frage des Militäretats. Und hier zeigte sich, daß auch F. über die Linie seiner Concessionen von 1870 hinausging. Er und Bennigsen waren von den Nationalliberalen zur Verhandlung mit der Regierung beauftragt und einigten sich über die Bewilligung eines dreijährigen, Ende 1874 ablaufenden Pauschquantums. Die Motivirung für dies Entgegenkommen sah F. in der Nothwendigkeit einer ruhigen und gedeihlichen Entwicklung des Reichs unmittelbar in den Jahren nach einem welterschütternden Kriege. Seine eigene Schwenkung war in diesem Falle offensichtlich; er rechtfertigte seine Inconsequenz, gegenüber seiner Haltung am 15. April 1867, mit den großen Thatsachen des Krieges von 1870, aber selbst in seiner eigenen Partei war eine große Gruppe unter Lasker, Unruh, Miquel, Bamberger nicht damit einverstanden, so daß er nachträglich noch das Compromiß eines zweijährigen Pauschquantums ins Auge faßte, aber als dieses verworfen wurde, sich wieder für das dreijährige einsetzte. „Ich bekenne mich“, sagte er, „von vornherein klipp und klar für einen Anhänger der Bewilligung eines mehrjährigen, im wesentlichen unveränderlichen Pauschquantums. Ich habe diese Ansicht schon gefaßt während der letzten Friedensverhandlungen und nach dem letzten Friedensschlusse.“ Keineswegs wollte er wie sein Fractionsgenosse H. v. Treitschke das Budgetrecht in Militärsachen aufgehoben wissen, aber er wollte seine Ausübung auf die rechte Zeit, die ihm noch nicht gekommen schien, beschränken. Sein eigenes Verhalten in dieser Frage scheint ein Beweis zu sein, daß die Gruppe Bennigsen innerhalb der nationalliberalen Partei sich bereits als die stärkere erwies. Gleich darauf ereignete sich in seinen persönlichen Verhältnissen ein Wechsel. Es konnte nicht anders sein, als daß seine durch Doppelmandat und Präsidentenpflichten besonders angestrengte parlamentarische Thätigkeit ihm in seinem Familienleben und in seinem Anwaltberufe schwere Opfer auferlegte. Jetzt bot sich ihm eine Gelegenheit, seinen Beruf mit einem der ehrenvollsten Aemter communaler Verwaltung in Preußen zu vertauschen. Schon Anfang 1872 kam er als einer der Candidaten für den Berliner Oberbürgermeisterposten in Betracht; man erzählt, daß Bismarck sich über diese Möglichkeit zu Berliner Stadtverordneten äußerte: „Was, F. wollt Ihr zum Oberbürgermeister wählen? Das laßt, mit dem habe ich was anderes vor!“; aber es ist nicht bekannt, ob sich es damals um greifbare Pläne über seinen Eintritt in den Staatsdienst handelte. Die Wahl fiel in Berlin freilich nicht auf F., sondern auf den Breslauer Oberbürgermeister Hobrecht, dafür wurde er aber im Juli 1872 zu dessen Nachfolger in Breslau erwählt, und es verstand sich für den Vorkämpfer des bürgerlichen Liberalismus, daß er die Verwaltung der zweiten Stadt Preußens dem ihm vom Ministerium angebotenen Posten als Präsident des Appellationsgerichts in Aachen vorzog. Seine wichtigste Thätigkeit in dieser letzten Session des Abgeordnetenhauses bezog sich auf das Zustandekommen der Kreisordnung, die ihm immer sehr am Herzen gelegen hatte als ein wichtiges Glied zur Umwandlung der ländlichen Verwaltungsverhältnisse. Es gelang ihm, durch ein sehr diplomatisches Compromiß mit [644] dem Minister Eulenburg, der Kreisordnung, nachdem sie einen Pairsschub nöthig gemacht hatte, im Abgeordnetenhause zum Siege zu verhelfen.

Nach den Reichstagswahlen von 1874 wurde F., der inzwischen mit Rücksicht auf sein neues Amt auf die Wiederwahl zum Abgeordnetenhause verzichtet hatte, zum Präsidenten des Reichstages gewählt. Als solcher war er dann wesentlich an der Herbeiführung der Compromisse betheiligt, die nunmehr, nachdem die mehrfachen Provisorien von 1867 und 1871 jedesmal die Entscheidung hinausgeschoben hatten, über das Militärgesetz geschlossen wurden: statt des von der Regierung geforderten Aeternats die Bewilligung von 401 659 Mann auf sieben Jahre, bis zum 31. December 1881, auszusprechen. Das Compromiß trug den Namen Bennigsen’s, doch hat F. auch in directer Verhandlung mit dem Kaiser, so viel bekannt geworden ist, in derselben Richtung erfolgreich vermittelt. Es ist keine Frage, daß er damals von seinen ursprünglichen Ansichten über die Ausdehnung des Budgetrechts über den Militäretat weit zurückgekommen war; man mag billig zweifeln, ob er damals die Hoffnungen der Linksnationalliberalen, wie Lasker’s, getheilt hat, daß dieses Opfer das letzte sein würde, daß nach sieben Jahren der Ausnahmezustand in Betreff des Militäretats aufhören und die Rückkehr zu dem alten Budgetrecht stattfinden würde; es war nicht anders, die Rücksicht auf die vom Reichskanzler mit Erfolg bearbeitete Volksstimmung machte auch für F. eine Machtprobe unräthlich. Man mußte, wovon auch er sich überzeugt hatte, auf militärischem Gebiete weitgehende Concessionen machen, um sich im ganzen regierungsfähig zu erhalten und sich die große praktische Einwirkung auf den liberalen Fortgang der Gesetzgebung im Reich und im Preußen zu sichern, wie er in den nächsten Jahren durch die Einführung der Civilehe, die Abschaffung des Zeitungsstempels, die Justizreform, die Durchsetzung der Kreisordnung auch im Herrenhause zum Ausdruck kam.

Verschiedene Momente haben dazu zusammengewirkt, daß F. in den letzten Jahren weniger in selbständiger politischen Action hervortrat als in der Zeit von 1866–1870 und auch noch in der ersten Zeit nach dem Kriege, Er war nicht mehr Mitglied des Abgeordnetenhauses und als Reichstagspräsident der Parteiführung im täglichen Kampfe entrückt; in dem Compromiß über die Justizgesetzgebung hatte er sich absichtlich neutral verhalten und den Abschluß Miquel, Bennigsen und Lasker überlassen. Vielleicht empfand er, daß die maßgebende Führung der Partei mehr und mehr in die Hände Anderer übergegangen und daß der linke Flügel, dem er in der Hauptsache, aber nicht immer zuzuzählen war, trotz seiner rednerischen Talente und seines großen Einflusses doch an Zahl nicht stark genug war, um den stärkeren Compromißneigungen der größeren Hälfte die Wage zu halten. Man begreift, daß Bismarck bald Bennigsen als Vertrauensmann dem aus härterem Holze geschnitzten F. vorzog; sein Verhältniß zu dem neuen Reichstagspräsidenten bewahrte nicht die gleiche Vertraulichkeit wie das frühere zu Simson; möglich, daß Bismarck in ihm einen Rivalen für den Fall eines Regierungswechsels befürchtete. Und nun begannen die Anzeichen aufzutauchen, daß Bismarck an einen wirthschaftlichen und überhaupt allgemeinpolitischen Umschwung denke und seine Vorliebe für ein näheres Aneinanderrücken des rechten Flügels der Nationalliberalen und der gemäßigten Conservativen, unter Abstoßen des linken Flügels und scharfer Absage an die Fortschrittspartei, nicht verhehle. Demgegenüber glaubte F. als liberaler Politiker auf dem Posten sein zu müssen. Schon am 5. Juli 1877 warnte er in Breslau vor einem allzustürmischen Drängen der Liberalen, das einen Rückschlag um so rascher hervorrufen werde; seine Rede athmete Befürchtungen und rieth zur Vorsicht, sie schloß mit den Worten: „Zurück auf [645] die Schanzen zu mannhafter Vertheidigung des bisher Errungenen.“ In einem andern Tone klang es bereits am 22. November 1877 in einem Breslauer Trinkspruch, der in der Aufforderung zum Zusammenhalten aller liberalen Parteien gipfelte: könne das Bürgerthum zu keiner Einigkeit kommen, so wisse er nicht, wie es noch ferner Anspruch auf Einfluß erheben könne. War es schon die Antwort auf die Hoffnungen Bismarck’s, einen Keil in die nationalliberale Partei treiben zu können? Im übrigen zeigte dies Auftreten, wie unklar die Führer der Nationalliberalen über den künftigen Curs Bismarck’s waren und wie zusammenhangslos sie operirten. Denn in dieser Situation geschah es, daß Bismarck vom 26.–29. December 1877 mit Bennigsen in Varzin verhandelte. Während der Reichskanzler allein Bennigsen’s Eintritt in das Ministerium wünschte, als Ersatz für Eulenburg, wollte jener nur in der Voraussetzung darauf eingehen, daß neben ihm als Finanzminister F. als Minister des Innern und Stauffenberg in einem Reichsamt, mit anderen Worten nicht ein Einzelner, sondern die nationalliberale Partei in die Leitung der Geschäfte eintreten. Bismarck aber würde es schon schwer gefallen sein, allein die Ernennung Bennigsen’s durchzusetzen: zu einer so ausgedehnten Schwenkung war er selbst unter keinen Umständen bereit, noch hätte er die Unterschrift des Kaisers dafür erlangen können. Insbesondere war er schon damals entschlossen, einen Mann von der liberalen Energie und zugleich von den Beziehungen Forckenbeck’s nicht an die Spitze der preußischen Verwaltung zu stellen; eine officiöse Zeitungsnachricht erklärte später: „es lag weder in der Absicht noch in der Macht des Ministerpräsidenten, Herrn v. F. ein Portefeuille zu verschaffen“. Während Bennigsen noch bis zum Februar an die Möglichkeit des Abschlusses glaubte, erklärte F., daß er immer an dem Gelingen dieser Verhandlung gezweifelt habe. Bismarck aber führte mit seiner Rede über das Tabaksmonopol am 23. Februar den Abbruch herbei; der Tod des Papstes hatte ihm mit einem Male ganz andere Aussichten eröffnet. Dann kamen die Attentate des Mai und Juni, jetzt „hatte“ Bismarck die Liberalen und löste den Reichstag auf. F. erklärte in einer Wahlrede: „Ich bin ein Mann entschieden liberaler Anschauungen und werde diese entschieden liberalen Anschauungen immer vertreten. Es ist hauptsächlich zu erstreben, daß in dem zukünftigen Reichstage das liberale Bürgerthum in Stadt und Land, diese überwiegende Kraft des deutschen Volkes und darunter die festesten Stützen des nationalen Gedankens, wie bisher eine entscheidende Stellung einnehmen, einen entscheidenden Einfluß ausüben müsse.“ Die Neuwahlen brachten jedoch seiner Partei Verluste und verstärkten in ihr den rechten Flügel, der sich bald „gegen die Herrschaft einer kleinen Clique hervorragender Männer“ aufzulehnen begann. Aber noch war auch F., dem damals der Kronprinz als Stellvertreter des verwundeten Kaisers sagte: „Auf Sie verlasse ich mich vor allem in diesen schweren Zeiten“, noch weit entfernt, etwa dem von Bennigsen über das Socialistengesetz abgeschlossenen Compromiß in den Weg zu treten; er hielt eher die linksstrebenden Elemente an dieser Vereinbarung fest, vielleicht schon deshalb, weil er mehr als seine Fractionsgenossen mit den Möglichkeiten rechnen mußte, die für den damals näher gerückten Fall eines Thronwechsels an die Führer des Liberalismus hätten herantreten können.

Er hatte inzwischen seinen Breslauer Wirkungskreis verlassen. Er hatte hier trotz der ständigen Abhaltung durch die parlamentarische Arbeit doch seine Bürgermeisterpflichten keineswegs vernachlässigt. Von dem communalen Leben Breslaus in der Periode seiner Amtsführung – einzelne Gegenstände: Schulwesen, Patronatsreceß, Armenpflege, Brückenbau, Canalisation, Gasanstalt, [646] Pferdebahn, Provinzialmuseum lassen sich hier nur auf das kürzeste andeuten – geht ein großer Theil auf seine erfolgreiche Initiative zurück. Als er, als Ehrenbürger der Stadt, von Breslau schied, bezeugte auch eine conservative Zeitung: „Die Zeit der Wirksamkeit Forckenbeck’s in unserm Gemeinwesen ist eine Periode des Glanzes und höchsten communalen Triumphes für Breslau.“ Jetzt wurde er am 26. September 1878 als Nachfolger Hobrecht’s fast einstimmig zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt, er nahm an, wurde sogleich bestätigt und am 21. November 1878 in sein neues Amt eingeführt. Als ein Vorkämpfer des liberalen Bürgerthums, als ein Vorkämpfer der Selbstverwaltung in Stadt und Land war er emporgekommen: wie konnte es anders sein, als daß er sich an der Spitze der ersten Bürgerschaft des Reiches und des größten communalen Selbstverwaltungskörpers des Continents auf dem richtigen Platze fühlte. So groß dieser Erfolg seines öffentlichen Lebens war, so gewaltig waren auch die neuen Arbeitsverpflichtungen für einen Mann, der sich den Sechzigern näherte. Freilich hatte er dafür, was ihm seit zwanzig Jahren gefehlt hatte, wiederum einen einzigen festen Wohnsitz anstatt des bisherigen Doppellebens, und in dem neuen fortschrittlichen Milieu Berlins verstärkte sich ihm der liberale Grundton seiner politischen Ueberzeugungen. In dem Bewußtsein seiner weithin sichtbaren Stellung und des kräftigen Resonanzbodens der Hauptstadt, meinte er jetzt nach den Jahren des unvermeidlichen Compromittirens die liberalen Gedanken wieder lebendiger betonen zu dürfen.

Es war gerade der Moment, wo diese ganze Gedankenwelt, der F. selber angehörte, nach einem Jahrzehnt des Ansteigens und Ausdehnens von neuen Kräften überholt, in die Vertheidigung zurückgeworfen, in die Periode ihres Niederganges eintreten sollte. Bismarck hatte in den wirthschaftlichen Interessen das unfehlbare Mittel erkannt, um mit Erfolg das Steuer nach der Seite der staatlichen Factoren herumzuwerfen; wenige Wochen nach Forckenbeck’s Amtsantritt in Berlin bekannte er sich, einer schutzzöllnerischen Mehrheit im Reichstage sicher, zu den veränderten wirthschaftspolitischen Grundsätzen, und begann die Action, welche die im Vorjahre bereits erschütterte Machtstellung der Nationalliberalen völlig brechen sollte. Man begreift, aus welchen Beweggründen F. die entschlossenste Stellung dagegen nahm; seit dem Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn war er Freihändler, aber es waren doch weniger doctrinäre und rein wirthschaftspolitische, als vielmehr praktische allgemeinpolitische Gesichtspunkte, die ihn zum Gegner der neuen Aera machten: er erkannte, daß die Entscheidung über alle seine liberal-constitutionellen Ideale auf dem Spiele stand. Darum eilte er in diesen Kampf mit einer lebhafteren Initiative, als ihm sonst eigen war. Indem er als Präsident nach Einbringung des Zolltarifentwurfes in den Reichstag ausgedehnte Osterferien wider den Willen Bismarck’s ansetzte, verdarb er es mit der Regierung und mit dem bis dahin ihm gewogenen Kaiser. Er entschloß sich, die Führung im Kampfe zu übernehmen. Auf seine Veranlassung richtete der Berliner Magistrat eine Petition an den Reichstag gegen die Besteuerung der nothwendigsten Lebensmittel; dann betrieb er unter der Hand die Aufforderung der Ostseestädte an den Berliner Magistrat, einen deutschen Städtetag zu demselben Zwecke einzuberufen; am 17. Mai 1879 trat dieser 72 Städte vertretende Tag unter seinem Vorsitz zusammen. Auf dem Festbankett im Zoologischen Garten rief F. das deutsche Bürgerthum auf die Schanzen zum Widerstande gegen die ihm feindlichen Bestrebungen. Es war nichts anderes als eine Kriegserklärung wider die Regierung. Aeußerlich angesehen, erschien das Auftreten Forckenbeck’s als eine Art Höhepunkt seines Lebens, in Wirklichkeit war es das Gegentheil. Das Ganze war nichts als eine ergebnißlose [647] Demonstration. Sie kam zu spät, nachdem tags zuvor die erste wichtigere Abstimmung im Reichstage eine Zweidrittelmehrheit für den Zolltarif gezeigt hatte, und sie blieb ohne Folgen, weil das von den Gegnern sogenannte „Städteparlament“, wie schon seine schwache Beschickung zeigte, in Wahrheit auf schwachen Säulen ruhte. Das von F. aufgerufene Bürgerthum existirte als einheitlicher politischer Factor gar nicht; confessionell gespalten, von wirthschaftlichen Interessen durchsetzt, in Sorge vor der Ueberfluthung durch die Socialdemokratie, hier und dort mehr bismarckisch als liberal gesinnt, trieben große Scharen in das andere Lager. Und wie stand es mit F. selbst? Er hatte wol seine sonstige Zurückhaltung bei Seite gesetzt, aber er war nicht der Mann, den Kampf unter seinem eigenen Schlachtrufe durchzuführen: zu dem agitatorischen Führer einer Antikornzollliga reichten sein Temperament und seine Mittel nicht aus, und seine amtliche Stellung wie seine ganze Vergangenheit stellten sich nicht minder solcher Möglichkeit in den Weg. Es war nicht zu leugnen, daß er in dem aufreibenden Geschäftsleben der letzten Jahrzehnte zwar nicht die Fähigkeit, aber die Frische der Actionskraft eingebüßt hatte; zumal nach dem Tode seiner Gemahlin (Februar 1876) begann er bald über seine Jahre hinaus müde und schwerbeweglich zu werden, der Cunctator, wie Lasker ihn nannte. So kann man fast sagen, daß von diesem Moment an das politische Leben Forckenbeck’s im großen Stile sich Schritt für Schritt abwärts bewegt. Nicht nur, weil er nach wenigen Tagen einsichtig genug war, das Präsidium eines Reichstages niederzulegen, zu dessen Mehrheit er in offenem Gegensatz stand, sondern vor allem, weil er sich nicht wieder erhob; nach dem großen Anlauf fehlte die Arena und die That. Der Kampf setzte sich zunächst in dem Innern der nationalliberalen Partei fort, ein langwieriger Auflösungsproceß, in dem ein Theil der süddeutschen Schutzzöllner sowie einige politisch eher conservative Elemente nach rechts, die entschiedenen Freihändler, mit ihnen auch F., nach links drängten, während Bennigsen mit einer starken aus Schutzzöllnern und Freihändlern bestehenden mittleren Gruppe aus allgemeinpolitischen Gründen den Zerfall hintanhalten wollte; der rechte wollte den linken, der linke den rechten Flügel hinaustreiben. F. arbeitete auf das letztere Ziel zu, um für sich die Zügel in die Hand zu bekommen, und warf Bennigsen erregt vor, daß er wieder und wieder die Energie der Partei lähme; zunächst mit dem Erfolge, daß die rechtsstehende Gruppe Völk-Schauß ausschied und die Parteileitung dem schwankenden Bennigsen fast aus den Händen glitt; beide traten in diesem Moment als Rivalen einander gegenüber. Stauffenberg rief F. zu: „Sie müssen die Fractionsführung, und zwar nicht nominell, sondern mit Aufbietung aller Kraft übernehmen. Lasker und ich haben nicht die Autorität, die hier vor allem nothwendig ist.“ Als sich jedoch zeigte, daß der Anhang Bennigsen’s an Zahl auch jetzt noch der stärkere blieb, begannen Stauffenberg, Lasker, Bamberger zum Austritt zu rathen, zumal da die Niederlage der Nationalliberalen in den Landtagswahlen – nun wurden sie auch aus der Majorität und dem Präsidium des Abgeordnetenhauses verdrängt – ihrem rechten Flügel noch weiteres Uebergewicht gab. F. jedoch konnte jetzt zu keinem Entschluß kommen, weil im Grunde auch er wie Bennigsen für das Zusammenhalten einer größeren Gruppe war, um nicht alle Chancen einzubüßen; er zögerte immer wieder, selbst die Abstimmung über das Septennat, das er 1880 zusammen mit seinen Freunden von der Linken ablehnte, führte noch nicht zum Bruch. Er wich immer von neuem der Entscheidung aus, es war als ob die frühere Energie von ihm gewichen wäre. Lasker schied noch auf eigene Faust aus, dann erst faßte er selbst im Sommer 1880 im Bade Tarasp den Entschluß, der bei dem Gewicht seines Namens für [648] die Uebrigen entscheidend war. Es wiederholen sich bei dieser Trennung Situationen aus den Anfängen seines politischen Lebens; in der Thatkraft war er inzwischen ein anderer geworden, in dem Gehalt seiner politischen Ideen kaum ein anderer. Er schrieb im August an Rickert: „Seit zwei Jahren ist die nationalliberale Partei auch nicht mehr eine Partei. Zwischen denjenigen, welche das Bennigsen’sche machtlose Anhängsel an die conservative Partei für den Kern politischer Weisheit halten, und denjenigen, welche selbständig den liberalen Gedanken hochhalten wollen, ist zur Zeit keine Gemeinsamkeit.“ Am 28. August 1880 erschien das von 28 Reichstags- und Landtagsabgeordneten unterzeichnete Manifest; Wirksamkeit eines wahrhaft constitutionellen Systems, enge Verbindung der wirthschaftlichen mit der politischen Freiheit, fester Widerstand gegen die rückschrittliche Bewegung waren die Schlagworte. Im November trat die „Liberale Vereinigung“ unter der anerkannten Führerschaft Forckenbeck’s an die Oeffentlichkeit.

Die neue Parteigründung fand die unverhohlene Zustimmung des Kronprinzen. Ueber ihre Angriffsfront ist man nicht im Zweifel, wenn man in jenem Briefe F.’s an Rickert liest: „Der seit Jahren maßgebenden Macht eines einzelnen hochverdienten und begabten, aber auf das äußerste aufgeregten und immer rücksichtsloser werdenden Mannes, dessen Politik alle Interessen aufregt und durchwühlt, kann nur durch ein wahrhaft constitutionelles System entgegengetreten werden, und ganz unerläßliche Vorbedingung desselben, vereint mit wirklicher Macht und Würde des Parlamentes, ist eine Organisation der liberalen Partei, die in den wesentlichen Fragen einiges Handeln möglichst verbürgt.“ Bismarck glaubte nicht im Zweifel zu sein, worauf die neue Gruppe ihre Rechnung gestellt hatte, und stürzte sich sofort in einen leidenschaftlichen Kampf gegen sie; seine Angriffe gegen den Berliner Fortschrittsring waren übrigens weniger gegen die Person des Oberbürgermeisters als gegen die Stadtverordnetenversammlung gerichtet. Die Wahlen fielen für die junge Parteigründung nicht ungünstig aus: 46 „Secessionisten“ neben 54 Fortschrittsleuten und 42 Nationalliberalen. F. selbst aber zog sich von der activen Betheiligung an der Reichstagsarbeit ganz auf seine Amtspflichten zurück; nur dem Namen nach gehörte er zu den Führern der liberalen Secession. Eine Wirksamkeit nach seinem Sinne war ihm versperrt, sich im oppositionellen Kleinkampf ohne erreichbares Ziel zu tummeln, war nie seine Art gewesen. Eben darum widerstrebte er, als seine eigenen Parteifreunde mit der Fortschrittspartei die „Fusion“ eingingen, um endlich wieder „die große liberale Partei“ erstehen zu lassen. Er theilte nicht die Hoffnungen, die der neuen Partei eine starke Anziehungskraft versprachen, sondern blieb dauernd von schweren Bedenken erfüllt, denn mit der zur Unfruchtbarkeit verurtheilten Politik Eugen Richter’s hatte die von ihm stets geübte Taktik zu wenig gemein. Und jener blieb auf die Dauer der Stärkere in dem neuen Bunde. Anfangs hatte F. noch nach der Fusion mit einer Anzahl seiner secessionistischen Freunde für das Socialistengesetz gestimmt, bald verzichtete er darauf, wider den Strom zu schwimmen. So war die Fusion gerade für seine Persönlichkeit der politische Tod: war sie damals unvermeidlich, so lag darin auch eine Kritik der Secession von 1880. Jede der erhofften Wirkungen blieb aus; bei den Wahlen von 1884 schmolz die neue Partei von 110 Mandaten auf 64 zusammen; F. selbst erfuhr die Niederlage noch am eigenen Leibe, da er in seinem alten Wahlkreise Neuhaldensleben nicht wieder gewählt wurde und erst nachträglich für Sagan in den Reichstag gelangte. Von jetzt an gehörte er vollends dem Parlament nur nominell an, er beherzigte das Wort, daß er an seinem siebzigjährigen Geburtstage aussprach, niemand könne zweien Herren dienen. [649] Er war fremd geworden in seiner Zeit und der reichen gesetzgeberischen Thätigkeit der achtziger Jahre brachte er kein Verständniß entgegen.

Seine ganze Fähigkeit concentrirte sich fortan auf das ungeheure Arbeitsfeld der Berliner Communalverwaltung. Es ist ja freilich für den Fernstehenden schwer zu erkennen, was von den Geschäften der zwölf Jahre von 1879–1892 seinem persönlichen Verdienste zuzuschreiben ist und wo er nur als der ausführende und vollziehende Vertreter der Gesammtheit erscheint; unzweifelhaft ist er zunächst häufig fremder Initiative, wie der besonders einflußreichen des Stadtraths Eberty, gefolgt, und ebenso mußte er in den letzten Jahren, als Frische und Regsamkeit ihn allmählich verließen, die Dinge in dem gewohnten Geleise gehen lassen; schöpferisch, mit unverbrauchter Kraft hat er das weite Feld dieses Wirkens, das er als 57jähriger Mann betrat, nicht mehr bebauen können, aber überall die tüchtigen Seiten seines Wesens: Gesundheit, Klarheit, Urtheil, praktischen Blick bewiesen. Seine Stellung war nicht leicht, gerade durch seine in den ersten Jahren erfolgte scharfe politische Parteinahme hatte er sie sich nach oben hin erschwert; der Kaiser veränderte seine ihm bisher sehr gewogene Gesinnung, vermuthlich auf Bismarck’s Andringen, und brach jede persönliche Beziehung ab; auch als Kaiser Friedrich dem stets von ihm geschätzten Manne in der kurzen Spanne seiner Regierung einen Gunstbeweis durch eine hohe Ordensauszeichnung zu theil werden ließ, erzwang Bismarck, um der Opposition gegenüber den Regierungsstandpunkt zu betonen, die außergewöhnliche Motivirung „in Anerkennung seiner Thätigkeit zur Unterstützung der Ueberschwemmten“; bei seiner Wiederwahl im J. 1890 dauerte es acht Monate, bis er bestätigt wurde. Auch in anderen Reibungen, mit dem Polizeipräsidium, innerhalb des Magistratscollegiums, mit der fortschrittlichen Stadtverordnetenversammlung fehlte es nicht: aber durch Festigkeit und Versöhnlichkeit, durch die ganze Autorität, über die er verfügte, überwand er das alles. Es gelang ihm, die Grenzen zwischen der städtischen Verwaltung und der staatlichen Controlle fester als bisher zu ziehen: so konnte er noch praktisch an der Verwirklichung seiner politischen Lieblingssideen arbeiten. Und überreich blieb die Fülle des Geschaffenen in der gewaltig anwachsenden Großstadt: die opulente Fürsorge für das Schulwesen, der Stolz der Berliner Commune, für Volksschulen, Realschulen, Fortbildungsschulen, die Entwicklung des Straßennetzes mit der Organisation der Straßenreinigung und der Anlage grüner Schmuckplätze, die besonders auf Eberty zurückgehende Erbauung eines Centralviehhofes, von Schlachthäusern und Markthallen, die Ausbildung des Verkehrswesens, die Spreeregulirung und die Wasserwerke. Man kann hier nicht ins Einzelne gehen, ohne sich zu verlieren: genug, von alledem, was Berlin heute zu einer der saubersten, gesundesten und bestverwalteten Großstädte der Erde gemacht hat, fällt in diesen Jahren ein großes Stück fruchtbarer Mitarbeit auf die Schultern Forckenbeck’s. In diesen Bestrebungen und in dem Familienleben ging er fast ausschließlich in den Jahren des Alters auf, während er politisch immer mehr isolirt war und auch den Freundeskreis von ehemals entbehrte. Seine Ueberzeugung blieb bis zuletzt die gleiche: „Die Interessenwirthschaft in der Politik“, so schrieb er 1890, „die unser Bürgerthum infolge der Bismarck’schen Staatskunst seit Jahren verführt hat, inficirt noch weite Kreise desselben. Ich erwarte von der gegenwärtigen Zeit nichts, hege vielmehr große Besorgnisse“.

Seit längerer Zeit war sein kräftiger Körper erschüttert, zuletzt mehrfach durch Krankheiten heimgesucht, als er am 26. Mai 1892 starb. An seine Beerdigung knüpfte sich ein die Meisten peinlich überraschender Nachklang weit zurückliegender Kämpfe seines politischen Lebens. Auf Befehl des Fürstbischofs [650] Kopp wurde dem Katholiken, weil er einst dem staatlichen Gerichtshof für Kirchenangelegenheiten angehört hatte, das kirchliche Begräbniß verweigert. So fand das Begängniß unter allgemeinster Theilnahme auf dem Nicolaikirchhofe statt und ein evangelischer Pfarrer sprach die letzten Worte an seinem Grabe: „So betten wir denn den Sohn der westfälischen Erde in den märkischen Sand, den Sohn der katholischen Kirche auf evangelischem Friedhofe.“

Martin Philippson, Max von Forckenbeck. Ein Lebensbild. Dresden und Leipzig 1898; – Ders., Forckenbeck’s erstes Debut beim Kronprinzen und beim Grafen Bismarck. Auf Grund bisher ungedruckter Papiere Forckenbeck’s. Deutsche Revue, Bd. XXIII, 4 (1898), S. 1–16; – Ders., Die innere Entwicklung im Norddeutschen Bunde. Aus M. v. Forckenbeck’s ungedruckten Briefen. Das. XXIII, 4 (1898), S. 141–158; – Ders., Die Zeit um 1870 in parlamentarischer Beleuchtung. Aus Forckenbeck’s Briefen an seine Gemahlin. Das. XXIV, 1 (1899), S. 129–146. – Ueber die Familie: Braun-Wiesbaden, Die von Forckenbeck. Unsere Zeit, 1882. II, 252 ff. – H. Duncker, Berichte der Gemeinde-Verwaltung der Stadt Berlin 1878–1881 und 1882–1888.