ADB:Baur, Ferdinand Christian

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Artikel „Baur, Ferdinand“ von Eduard Zeller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 172–179, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Baur,_Ferdinand_Christian&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 11:45 Uhr UTC)
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Band 2 (1875), S. 172–179 (Quelle).
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Baur: Ferdinand Christian B., geb. den 21. Juni 1792 † 2. Decbr. 1860, war der Sohn eines protestantischen Predigers, welcher zuerst Pfarrer in dem würtembergischen Dorfe Schmiden, in der Nähe von Stuttgart, seit 1800 Dekan in Blaubeuren (zwei Meilen von Ulm) war, und im Juli 1817 gestorben ist. Zu Schmiden geboren, wurde er bis in sein 14. Jahr von seinem Vater, einem sehr fleißigen und pflichttreuen Manne, selbst unterrichtet. Im Herbst 1805 trat er in das niedere theologische Seminar zu Blaubeuren, zwei Jahre später in eine zweite Anstalt derselben Art, das Kloster Maulbronn ein. Den Hauptunterrichtsgegenstand bildeten in beiden die alten Sprachen mit Einschluß des Hebräischen; und es wurde hier zu der tüchtigen philologischen Bildung der Grund gelegt, welcher B. in der Folge sein gutes Latein und seine Befähigung zum Lehrer der classischen Sprachen verdankte, an der er aber auch ein unentbehrliches Hülfsmittel für seine theologischen und historischen Forschungen hatte. Im Herbst 1809 bezog B. die Universität Tübingen, auf welcher er sich fünf Jahre lang als Zögling des evangelisch-theologischen Seminars philosophischen und theologischen Studien widmete. Unter seinen Lehrern hatte die größte Bedeutung für ihn G. E. Bengel, einer der freisinnigsten, von der Kantischen Philosophie und der rationalistischen Kritik am stärksten berührten von den Supranaturalisten aus Storr’s Schule; für B. um so werthvoller, da er gerade [173] die historische Theologie, für die jener so großes leisten sollte, zwar ohne tiefere und umfassendere Gelehrsamkeit, aber in anregender, verständiger und geschmackvoller Weise vortrug. Im Gebiete der Philosophie fand sich Baur’s idealer Sinn vorzugsweise von Plato, Fichte und Schelling angezogen; unter den damaligen Vertretern derselben in Tübingen hätte er höchstens von Eschenmayer einige Anregung erhalten können; indessen hatte er seinen philosophischen Cursus eben beendigt, als dieser Freund der Schellingschen Naturphilosophie 1811 nach Tübingen kam. Während der nächsten zwei Jahre nach seinem Abgang von der Universität wurde B. erst als Vicar auf dem Lande, hierauf als Hülfslehrer an dem niedern theologischen Seminar in Schönthal verwendet; kehrte dann aber 1816 als Repetent in das Tübinger evangelische Seminar zurück. Indessen wurde ihm schon im Herbst 1817 eine Professur an dem Seminar in Blaubeuren übertragen, welche er bis 1826 bekleidete. Dieses Amt gewährte ihm die Befriedigung einer erfolgreichen, mit seiner Neigung übereinstimmenden Wirksamkeit; die Liebe und Verehrung seiner damaligen Schüler, unter denen sich so bedeutende Talente wie Fr. Strauß und Fr. Vischer, W. Zimmermann und G. Pfizer befanden, hat ihn bis ans Ende seines Lebens begleitet. Und er war auch wirklich nicht blos ein Lehrer, welcher namentlich den besseren Köpfen sehr viel gab, sondern auch ein Mann, der allen als Vorbild eines wissenschaftlichen Charakters, eines idealen, für alles Edle und Große empfänglichen Sinnes, einer seltenen Gewissenhaftigkeit und Arbeitslust voranleuchtete, und der immer an sich selbst noch höhere Anforderungen stellte, als an andere. In Blaubeuren begründete B. seinen Hausstand, indem er sich 1821 mit der Tochter eines angesehenen Arztes in Stuttgart, Emilie Becher, verheirathete; aus dieser Ehe entsprangen außer einem frühgestorbenen Kinde vier, die ihre Eltern überlebten, zwei Söhne und zwei Töchter. In der gleichen Zeit vollzog sich in Baur’s wissenschaftlicher Entwicklung ein Fortschritt von entscheidender Bedeutung, und aus diesem neugewonnenen Standpunkt ging die Arbeit hervor, welche ihm den Weg zur akademischen Laufbahn eröffnete. So ernstlich er sich nämlich auch bisher schon mit alter und neuerer Philosophie beschäftigt hatte, so sehen wir ihn doch bei seinem ersten litterarischen Auftreten (1818 in Bengel’s Archiv II. 656 ff.) mit dem rationalen Supranaturalismus der damaligen Tübinger Schule in der Hauptsache noch einverstanden; er bemühte sich zwar bereits, die geoffenbarten Religionen mit den natürlichen unter gewisse gemeinsame, freilich noch sehr schwankende Bestimmungen zu bringen, aber den Offenbarungs- und Wunderbegriff selbst tastet er nicht blos an, sondern er nimmt ihn ausdrücklich mit den herkömmlichen Gründen in Schutz. Erst Schleiermacher’s Dogmatik war es, die seinen religionsphilosophischen und theologischen Ansichten zur Klarheit verhalf, und seiner wissenschaftlichen Ueberzeugung den Boden darbot, auf welchem sie sich längere Zeit, wenn auch mit zunehmender Selbstständigkeit, entwickelte. Seine „Symbolik und Mythologie“ (2. Th. in 3 Bden., 1824 f.), das erste, was außer der oben erwähnten Recension von ihm erschien, hält sich in ihrem allgemeinen, religionsphilosophischen Theile fast durchaus an Schleiermacher’s Bestimmungen über das Wesen und die Hauptformen der Religion, um von hier aus theils die allgemeinen Eigenthümlichkeiten der religiösen Bewußtseins, die Natur der religiösen Symbole und Mythen, den Begriff der Offenbarung (welche mit Lessing auf die göttliche Erziehung des Menschheit zurückgeführt wird), theils den Charakter und das Verhältniß der gegebenen Religionen zu bestimmen. In seinen geschichtlichen Ausführungen folgt B. zwar mit Geist und eigenem Urtheil, aber doch im ganzen viel zu unbedingt der Richtung, welche durch Creuzer’s „Symbolik“ bezeichnet ist, und überläßt sich zu sehr der Neigung zu weitgreifenden Combinationen, die aus unsicheren Voraussetzungen mehr ableiten, als sich vor einer umsichtigen Kritik [174] rechtfertigen läßt. Nichtsdestoweniger war dieses Werk eine so bedeutende wissenschaftliche Leistung, und der Verfasser desselben hatte sich auch durch seine Lehrthätigkeit solche Achtung erworben, daß ihm nach Bengel’s Tode die von diesem bekleidete theologische Professur, trotz der von Seiten der Facultät gegen seine Orthodoxie erhobenen Bedenken, übertragen wurde.

Im Herbst 1826 trat er dieses Amt an. Von da an verlief sein Leben ohne einen ferneren Wechsel seiner äußeren Stellung in der regelmäßigen Thätigkeit des Gelehrten und des Lehrers. Vierunddreißig Jahre lang hatte er in Tübingen gewirkt, bis ins Alter trotz einiger lästigen körperlichen Beschwerden ungewöhnlich rüstig, als wiederholte Schlaganfälle seinen Tod herbeiführten. Während eines so langen Zeitraums änderte sich natürlich manches in den Verhältnissen der Universität, der B. angehörte; aus seiner Facultät schieden die früheren Collegen der Reihe nach aus, und neue, meist ehemalige Schüler von ihm, traten an ihre Stelle; sein alter Freundeskreis lichtete sich, während ein jüngerer Nachwuchs als jetzige „Tübinger Schule“ sich um ihn sammelte; in seinem häuslichen Leben wechselten schmerzliche und erfreuliche Erfahrungen, und schon 1839 traf ihn durch den Tod seiner Gattin ein Schlag, den sein weiches und tieffühlendes Gemüth in seiner vollen Schwere empfand. Aber der äußere Gang seines Lebens war im ganzen ebenso einfach und gleichförmig, wie die Lebensordnung, welche der fleißige Gelehrte, kaum zweimal im Jahre durch eine kurze Erholungszeit unterbrochen, mit größter Regelmäßigkeit einzuhalten pflegte. Um so reicher war aber der Ertrag dieser anhaltenden und geordneten Arbeit. Schon sein Amt brachte für B. eine erhebliche Geschäftslast. Neben seinen Vorlesungen hatte er mehr als 20 Jahre lang einen Theil der sonn- und festtäglichen Frühpredigten zu halten; und wenn ihm auch die Gabe volksthümlicher Beredsamkeit nur in geringerem Grade zu Gebote stand, machte doch der sittliche Gehalt, die Gediegenheit und der Schwung seiner sorgfältig ausgearbeiteten Vorträge auf ernstere Zuhörer einen bedeutenden Eindruck. Er war ferner neben manchen akademischen Aemtern und Geschäften seit 1837 auch bei der Leitung des evangelisch-theologischen Seminars wesentlich betheiligt, und er erwarb sich in dieser seiner amtlichen Stellung nicht allein durch seine strenge Rechtlichkeit, seine klare Bestimmtheit, seine Pünktlichkeit und seinen Ordnungssinn allgemeine Anerkennung, sondern er wußte auch der akademischen Jugend gegenüber Festigkeit und Humanität aufs glücklichste zu verbinden. Er hatte endlich in seinen Vorlesungen ein sehr umfassenden Gebiet zu vertreten: die ganze Kirchen- und Dogmengeschichte, die neutestamentliche Theologie und Einleitungswissenschaft, einen bedeutenden Theil der neutest. Exegese, die Symbolik und längere Zeit auch das protestantische Kirchenrecht; und so schlicht die äußere Form seines Vortrags, so schmucklos seine Darstellung auch war, so hatten doch seine Vorlesungen vom Anfang bis zum Ende seiner akademischen Wirksamkeit die gleiche Anziehungskraft auf die Zuhörer, denen in denselben mit einer Fülle von gelehrten Kenntnissen und fruchtbaren Gedanken zugleich das Bild eines aufs Große gerichteten, in die Sache vertieften, nichts als die Wahrheit suchenden Sinnes, eines rastlos arbeitenden und forschenden Geistes entgegentrat. Neben dieser umfassenden Berufsthätigkeit fand aber der fleißige Mann bald auch die Zeit, die Reihe der Schriften zu beginnen, durch welche er so nachhaltig in die Geschichte der Theologie eingreifen sollte. Sie alle hier aufzuzählen ist nicht möglich; die wichtigsten sollen im Folgenden genannt werden.

Zunächst sind hier aus den ersten Jahren seiner akademischen Thätigkeit einige kleinere Arbeiten zu erwähnen, die sich zwar fast alle mit der Geschichte der ältesten christlichen Kirche beschäftigen; von denen sich aber die einen specieller auf das neutestamentliche Christenthum, die andern auf die spätern Erscheinungen, [175] und insbesondere auf die gnostischen und die ihnen verwandten Systeme beziehen. Unter jenen ist die bedeutendste die Abhandlung über die Christuspartei in der korinthischen Gemeinde (Tübinger Zeitschr. f. Theol. 1831, 4), in der B. schon einen erheblichen Theil der Wahrnehmungen niedergelegt hat, aus denen sich ihm in der Folge seine Ansicht über den Charakter und die Entwicklung des Urchristenthums ergab; diese bestehen in den drei Programmen aus den Jahren 1827 f.: „Rationalismi et supranaturalismi historiae capita potiora (pars 1–3)“, dem Programm „De Ebjonitarum origine et doctrina ab Essenis repetenda“ (1831), und der schönen Untersuchung über den Manichäismus („das manich. Religionssystem“, 1831). Von den erstgenannten drei Programmen handelt das erste über die Gnostiker, und das zweite zieht zwischen ihnen und Schleiermacher eine Parallele, welche dieser um so übler aufnahm, da B. in derselben die schwächste Stelle seines Systems, das Verhältniß des historischen und des idealen Christus, scharf ins Auge gefaßt hatte. Mit den Studien über den Ebjonitismus steht auch die Schrift „Apollonius von Tyana und Christus“ in Verbindung, welche zugleich mit zwei Abhandlungen über die jüdische Religion in der Tüb. Zeitschr. 1832 erschien: wie B. früher in den Clementinischen Homilien einen ebjonitischen Tendenzroman aufgezeigt hatte, so zeigte er hier in der Biographie des Philostratus einen neupytagoreischen Tendenzroman auf, und wenn er vorher die Ebjoniten von den Essenern hergeleitet hatte, verfolgte er jetzt den Ursprung der letzteren weiter hinauf zu den Neupythagoreern. – Die Fortführung dieser Untersuchungen wurde zunächst durch eine litterarische Streitigkeit unterbrochen, in die B. mit seinem durch seine Lehrfächer ihm besonders nahestehenden und ihm bis dahin auch persönlich befreundeten Collegen Möhler verwickelt wurde. Die Angriffe, welche dieser gelehrte und geistvolle Restaurator des modernen Katholicismus in seiner „Symbolik“ auf die protestantische Kirche, ihre Lehre und ihre Stifter gemacht, die Geschichtsentstellungen, die er sich erlaubt hatte, forderten den protestantischen Symboliker zur Abwehr heraus. B. führte dieselbe in seinem „Gegensatz des Katholicismus und Protestantismus“ (1833. 2. verm. Ausg. 1836) mit einem Nachdruck und Erfolg, der ihn seinem Gegner an wissenschaftlicher Befähigung vollkommen gewachsen, in der Sache unverkennbar überlegen zeigte. Der Eindruck seiner Darstellung wäre aber allerdings ein noch reinerer, wenn dem Theologen sein damaliger Standpunkt schon eine schärfere Unterscheidung zwischen der altkirchlichen Lehre und seinen eigenen Ueberzeugungen erlaubt hätte. Was die letzteren anbelangt, so kommt neben der Schleiermacher’schen Grundlage seiner Theologie hier zuerst der Einfluß der Hegel’schen Philosophie bei ihm zum Vorschein, für welche ihn schon von früher her das Studium Schelling’s empfänglich gemacht haben mußte; was sie ihm besonders empfahl, war ihre großartige Geschichtsbehandlung, die seiner eigenen, überall auf die durchgreifenden Zusammenhänge und die innere Nothwendigkeit der Sache gerichteten Denkweise so wahlverwandt entgegenkam. Ohne zur Hegel’schen Schule im engeren Sinn zu gehören, schloß sich B. doch in seinen leitenden Gedanken an sie an, wie er denn auch äußerlich mit ihr in Verbindung trat und in ihr Organ, die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“, von 1834–1841 eine Reihe von Beiträgen lieferte; und es läßt sich nicht verkennen, daß er in seinen großen dogmengeschichtlichen Werken Hegel’s constructivem Verfahren sogar zu viel einräumte, und sich erst später, in seiner Kirchengeschichte, von der Einseitigkeit desselben befreite. Unter den Parteien, welche in der Folge innerhalb der Hegel’schen Schule hervortraten, konnte die Linke B., auch als Dogmatiker, mit ungleich größerem Recht für sich in Anspruch nehmen, als die Rechte; doch hat sich diese Stellung bei ihm nur allmählich im Zusammenhang mit seinen eigenen und Strauß’ historisch-kritischen Untersuchungen entschieden.

[176] Noch ehe die Streitverhandlungen mit Möhler zum Abschluß gekommen war, kehrte B. zu den geschichtlichen und kritischen Arbeiten zurück, welche er schon mit so bedeutendem Erfolge begonnen hatte. Die „Christliche Gnosis“ (1835) gab eine auf gründlicher Quellenforschung beruhende, an neuen und bedeutenden Ergebnissen reiche Darstellung der alt-gnostischen Systeme; indem sie aber die Gnosis unter den allgemeineren (in Wahrheit etwas zu allgemeinen und unbestimmten) Gesichtspunkt der „christlichen Religionsphilosophie“ stellte, fand sie Veranlassung, ihr die neuere Religionsphilosophie in ausführlicher Besprechung der Lehre J. Böhme’s, Schelling’s, Schleiermacher’s und Hegel’s gegenüberzustellen; die Beurtheilung der beiden letzteren gibt dem Vf. auch zur Darlegung seines eigenen dogmatischen Standpunkts Gelegenheit. Auf diese Schrift folgte 1838 „Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtl. Entwicklung von der ältesten Zeit bis auf die neueste“, und 1841–43 in drei starken Bänden „Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtl. Entwicklung“. Diese Werke sind es, welche in Verbindung mit den Schriften über Manichäismus und Gnosis B. seine Stellung an der Spitze der deutschen Dogmenhistoriker verschafft haben. Eine so gründliche und umfassende Gelehrsamkeit, einen so nachhaltigen Forscherfleiß hatte man bei keinem von seinen Vorgängern mit diesem Maß philosophischer Bildung, dieser großartigen, alles Einzelne auf das Ganze und die immanente Nothwendigkeit seiner Entwicklung beziehenden Geschichtsbetrachtung vereinigt gefunden. Eine kleinere Arbeit aus denselben Jahren ist die Abhandlung über Tertullian’s Lehre vom Abendmahl (Tüb. Zeitschr. 1839, 2); eine gedrängte Uebersicht der gesammten Dogmengeschichte gibt das „Lehrbuch der christl. Dogmengeschichte“ (1847; 2., neu bearbeitete Ausg. 1858; 3. Ausg. 1867). Von weiteren dogmengeschichtlichen Arbeiten mögen die folgenden genannt werden, welche sämmtlich in den von E. Zeller 1842 begründeten, seit 1847 von B. redigirten „Theologischen Jahrbüchern“ erschienen: „Der Begriff der christl. Philosophie und die Hauptmomente ihrer Entwicklung“ (1846); „Ueber Princip und Charakter des Lehrbegriffs der refomirten Kirche“ (1847; ein Nachtrag dazu 1848); „Kritische Studien über das Wesen des Protestantismus“ (1847); „Das Princip des Protest. und seine geschichtl. Entwicklung“ (1855); „Zur Geschichte der protestant. Mystik“ (1848, 1849); „Das System des Gnostikers Basilides“ (1856). Neben diesen dogmengeschichtlichen Abhandlungen ist hier auch der zwei anziehenden, auf das Verhältniß der alten Philosophie zum Christenthum bezüglichen Studien „Das Christliche des Platonismus oder Sokrates und Christus“ (Tüb. Zeitschr. 1837) und „Seneca und Paulus“ (Hilgenfeld’s Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1858) zu erwähnen. Noch bedeutender griff aber B. durch seine Untersuchungen über das älteste Christenthum und seine Litteratur, deren erste Anfänge schon oben erwähnt wurden, in die Geschichte der Theologie ein. Unmittelbar nach der „Christlichen Gnosis“ und gleichzeitig mit Strauß’ „Leben Jesu“ erschien von ihm die mit jener nahe zusammenhängende kleine Schrift „Die sogenannten Pastoralbriefe des Apostel Paulus“ (1835), ein Muster methodischer, mit grundsätzlichem Bewußtsein geübter und neben der Widerlegung falscher Ueberlieferungen zugleich auf die Gewinnung positiver geschichtlicher Ergebnisse ausgehende Kritik. Auf sie folgten die zwei wichtigen Abhandlungen „Ueber Zweck und Veranlassung des Römerbriefes“ (Tüb. Zeitschr. 1836) und „Ueber den Ursprung des Episkopats“ (ebend. 1838). Nachdem endlich der Theolog seine großen dogmengeschichtlichen Arbeiten vollendet hatte, widmete er seine schriftstellerische Thätigkeit mehrere Jahre lang ganz überwiegend den historisch-kritischen Forschungen, mit denen er schon so einen schönen Anfang gemacht hatte; und er konnte dies mit um so größerem Erfolge, da inzwischen Strauß’ „Leben Jesu“ seiner Kritik nicht blos [177] nach außen hin die Wege geebnet, sondern auch ihr selbst erst zur vollen Freiheit verholfen und die ihr zunächst vorliegenden Aufgaben näher bestimmt hatte. Das Jahr 1844 brachte (in den Theologischen Jahrbüchern) die für die Evangelienkritik epochemachende Schrift „Ueber die Composition und den Charakter des johanneïschen Evangeliums“; 1845 gab er im „Paulus“ eine umfassende Untersuchung über das Leben und Wirken, die Schriften und die Lehre dieses Apostels, in welche die hieher gehörigen früheren Abhandlungen großentheils aufgenommen wurden; 1846 in den Theologischen Jahrbüchern die ausführliche Abhandlung „Der Ursprung und Charakter des Lukasevangeliums“, während gleichzeitig in der geharnischten Streitschrift gegen Thiersch „Der Kritiker und der Fanatiker“ der Standpunkt der Baur’schen Kritik im ganzen vertheidigt ward. 1847 wurden die Erörterungen über das dritte und vierte Evangelium, neu revidirt und durch die entsprechenden Untersuchungen über Matthäus und Marcus ergänzt, in den „Kritischen Untersuchungen über die kanonischen Evangelien“ zu einem die gesammte Evangelienkritik umfassenden Ganzen verknüpft. An diese Hauptwerke schloß sich in der Folge eine lange Reihe von weiteren, auf den Ursprung, die Composition, die Erklärung und den Lehrinhalt der neutestamentlichen Bücher bezüglichen, der Vertheidigung, Berichtigung und Ergänzung seiner früheren Arbeiten gewidmeten Schriften und Aufsätzen an: die „Bemerkungen zur johanneïschen Frage“ (Theologische Jahrbücher 1847); „Das johanneïsche Evangelium und die Passahfeier des zweiten Jahrhunderts“ und „Die johanneïschen Briefe“, ebend. 1848; „Zur neutestamentlichen Kritik“, ebend. 1849; „Beiträge zur Erklärung der Korinthierbriefe“, ebend. 1850. 1852; „Die Einleitung in das Neue Testament als theologische Wissenschaft“, ebend. 1850. 1851; „Das Marcusevangelium nach seinem Ursprung und Charakter“, 1851; „Ueber Philipper 2, 6 f.“ Th. Jahrb. 1852; „Kritik der neuesten Erklärung der Apokalypse“, ebend. 1852; „Rückblick auf die neuesten Untersuchungen über das Marcusevangelium“, ebend. 1853; „Die johanneïsche Frage und ihre neuesten Beantwortungen“, ebend. 1854; „Die beiden Briefe an die Thessalonicher“; „Die reichsgeschichtliche Auffassung der Apokalypse“; „Ueber Jakobus 4, 5“ ebend. 1855; „Der erste petrinische Brief“, ebend. 1856; „Ueber Zweck und Gedankengang des Römerbriefes“; „Zur johanneïschen Frage“; „Das Verhältniß des ersten johanneïschen Briefes zum johanneïschen Evangelium“, ebend. 1857; Erörterungen über die Bedeutung des Wortes κανὼν über den Paschastreit, über die Lehre des Paulus vom erlösenden Tode Christi, über einige Stellen der Evangelien, namentlich des Marcus, über den Ausdruck: ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου, welche in Hilgenfeld’s Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie Bd. I-III (1858–60) erschienen. Es ist nun hier nicht möglich, über die Ansichten, welche in diesen zahlreichen und umfassenden Untersuchungen niedergelegt sind, eingehender zu berichten. Die allgemeine Voraussetzung derselben liegt in der Ueberzeugung, daß das Christenthum so wenig, als irgend eine andere geschichtlich bedeutende Erscheinung, von Anfang an fertig ins Dasein getreten sei, daß es vielmehr nur auf dem Weg einer natürlichen Entwicklung allmählich zu dem, was es in der Folge war, geworden sein könne. Aus der sorgfältigsten Durchforschung der neutestamentlichen und der patristischen Schriften gewann B. das Ergebniß: es habe auch schon in der apostolischen Kirche und unter den Häuptern derselben nicht die Uebereinstimmung der Ansichten geherrscht, die man gewöhnlich voraussetzt; das älteste Christenthum, das der jerusalemitischen Gemeinde und ihrer Apostel, habe dem Judenthum noch sehr nahe gestanden; erst Paulus habe die christliche Religion von dieser Beschränktheit befreit, aber die große Mehrzahl der Judenchristen und die Urapostel selbst haben sich mit seinem Universalismus nicht zu befreunden gewußt und seien demselben bald mit größerer bald mit geringerer Entschiedenheit, [178] theilweise mit leidenschaftlicher Feindseligkeit entgegengetreten; in diesem Parteikampf habe die judenchristliche oder ebjonitische Partei längere Zeit das Uebergewicht behauptet, und erst lange nach dem Tode des Paulus, und im wesentlichen erst unter dem Einfluß der durch die Gnosis hervorgerufenen Bewegung, um die Mitte und nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts, haben sich die streitenden Parteien, nach mancherlei unvollkommeneren Vermittlungsversuchen, durch die Dogmatik des vierten Evangeliums und die bischöfliche Verfassung zur allgemeinen oder katholischen Kirche vereinigt. Die verschiedenen Stadien dieses Processes sind, wie B. glaubt, durch Schriftwerke bezeichnet, welche uns nicht blos in der außerkanonischen, sondern auch in der neutestamentlichen Litteratur vorliegen; und aus diesem Gesichtspunkt erhielt er, durch die Arbeiten seiner Schüler und Freunde unterstützt, über den Ursprung der neutestamentlichen Schriften eine Ansicht, welche von den überlieferten Annahmen weit abliegt. Das urkundlichste Denkmal des ältesten palästinensischen Christenthums ist ihr zufolge die Offenbarung des Johannes, deren Aechtheit B. nach dem Vorgang von Schnitzer und einigen andern, aber im Widerspruch mit der bis dahin herrschenden Meinung, festhielt, während er die des Evangeliums und der Briefe entschieden bestritt; für die ursprüngliche Ueberlieferung über den Stifter unserer Religion ist das Evangelium des Matthäus, wenn auch an sich nur Bearbeitung einer älteren judenchristlichen Darstellung, die relativ zuverlässigste Quelle. Eine zweite Reihe von Denkmälern aus der apostolischen Zeit bilden die paulinischen Briefe; indessen erkennt B. von denselben nur vier als ächt an: den Brief an die Galater, die beiden an die Korinther, und den Römerbrief mit Ausschluß der zwei letzten Capitel. Alle übrigen neutestamentlichen Schriften dagegen sind seiner Ansicht nach jüngeren Ursprungs und spiegeln die spätere Entwicklung der Kirche in sich ab: sie stellen theils den einen der beiden streitenden Standpunkte, den judenchristlichen oder den paulinischen, mehr oder weniger einseitig und rein dar, theils und besonders zeigen sie uns die verschiedenen Wendungen und Formen ihrer fortschreitenden Vermittlung und Versöhnung, ihres allmählichen Zusammengehens zur Gemeinsamkeit des religiösen Glaubens und Lebens. Den Abschluß dieser Entwicklung zum Katholicismus bezeichnen unter den außerkanonischen Schriften die pseudo-ignatianischen Briefe, denen B. schon in der Abhandlung über den Ursprung des Episcopats besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und 1848 eine eigene kleine Schrift („Die ignatianischen Briefe“ u. s. w.) widmete; unter den neutestamentlichen das vierte Evangelium, dieses Werk eines Christen aus der Mitte des 2. Jahrhunderts, in welchem das Christenthum, als die Religion des Geistes, sich vom Judaismus vollständig befreit hat und Juden- wie Heidenchristen in der gemeinsamen Verehrung des menschgewordenen Logos zu einer und derselben Gemeinde vereinigt sind.

Im letzten Jahrzehend seines Lebens hatte B. seinen Arbeiten über die neutestamentlichen Schriften nur noch einzelne Nachträge beizufügen; um so eifriger beschäftigte er sich jetzt mit dem Plane, seinen dogmengeschichtlichen und historisch-kritischen Werken eine Darstellung der Kirchengeschichte beizufügen, welche jene ihren wesentlichen Ergebnissen nach in sich aufnehmen und sie zugleich durch die Berücksichtigung aller andern für das kirchliche Leben wichtigen Momente zu einem Gesammtbild, zunächst der altchristlichen Kirche und ihrer Entwicklung, ergänzen sollte. Nachdem er sich schon früher in seinen „Kritischen Beiträgen zur Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte“ (Th. Jahrbüch. 1845) mit den angesehensten gleichzeitigen Kirchenhistorikern, Neander und Gieseler, auseinandergesetzt hatte, gab er 1852 in den „Epochen der kirchlichen Geschichtschreibung“ eine kritische Uebersicht über die wichtigsten Bearbeitungen der Kirchengeschichte seit Eusebius von Cäsarea, welche zugleich eine selbständige Geschichte dieser Wissenschaft und [179] eine Vorbereitung seiner eigenen Darstellung derselben ist. 1853 folgte als erster Band der letztern „Das Christenthum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte“ (2. Aufl. 1860; 3. Aufl. 1863); 1859 der zweite Band: „Die christliche Kirche vom Anfang des 4. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts“ (2. Aufl. 1863); 1861 der dritte Band: „Die christliche Kirche des Mittelalters“, nach dem Tode des Verfassers von seinem Sohne F. F. Baur herausgegeben, aber von ihm selbst noch druckfertig hinterlassen; 1862 der fünfte Band: „Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts“, aus Baur’s Collegienheft von E. Zeller herausgegeben; 1864 der vierte Band: „Kirchengeschichte der neueren Zeit“, gleichfalls aus dem Collegienheft von F. F. Baur herausgegeben. Einen kleinen Ausschnitt aus der Kirchengeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts behandelt die „Geschichte der evangelisch-theologischen Facultät in Tübingen“ in Klüpfel und Eiffert, „Beschreibung der Stadt und Universität Tübingen“ (1849) II. 216 ff. 389 f. Baur’s „Vorlesungen über neutestamentliche Theologie“ (1864) und seine „Vorlesungen über die christliche Dogmengeschichte“ (1. Bd. 1. Abth. 1856. 2. Abth. 1866; 2. Bd. 1866; 3. Bd. 1867) gab sein Sohn nach seinem Tode heraus, eine neue Ausgabe des „Paulus“ besorgte E. Zeller; von der letzteren gibt der erste Theil (1866) die von B. hinterlassene, sehr eingreifende Umarbeitung der größeren Hälfte seines Werkes, während dem zweiten, zu dessen Revision der Verfasser nicht mehr gekommen war, nur einige Zusätze des Herausgebers und zwei Abhandlungen Baur’s aus den Theologischen Jahrbüchern beigefügt wurden. Ueber seinen Standpunkt im ganzen sprach sich B. außer anderem in dem Sendschreiben „An Herrn Dr. Karl Hase“ (1855), in der Schrift „Die Tübinger Schule und ihre Stellung zur Gegenwart“ (1859. 2. Aufl 1860), und in der „Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts“ S. 395 f. aus. Näheres über B., über seinen Entwicklungsgang, seine Schriften, seine wissenschaftlichen Leistungen und seine durch Eigenschaften des Gemüths und Charakters ebensosehr, wie durch Geist und Wissen, ausgezeichnete Persönlichkeit, außer Baur’s Werken auch auf handschriftlichen Quellen und persönlicher Erinnerung beruhend, findet sich in des Unterzeichneten „Vorträgen und Abhandlungen“ (1865) S. 354–434.