RE:Seeraub (Seeräuber, Seeräuberei)

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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1. Allgemeines. Die Bezeichnung πειρατής findet sich anscheinend erst in
Band II A,1 (1921) S. 10361042
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Seeraub (Seeräuber, Seeräuberei).

1. Allgemeines.

Die Bezeichnung πειρατής findet sich anscheinend erst in hellenistischer Zeit (LXX Iob. 25, 3. Polyb.) und dann besonders bei den Römern (neben praedones maritimi); vorher sagt man λῃστής (ληίστωρ u. dgl.), auch καταποντιστής (z. B. Isokr. IV 115).

Bei der Behandlung des S.s liegt eine Hauptschwierigkeit darin, daß die Grenzen zwischen S. und Seekrieg schwer zu ziehen sind (Ps.-Xen. Resp. Ath. 2, 4). Vgl. etwa, was Iustin. IX 1, 6 von Philipp erzählt: captis CLXX navibus mercium et distractis anhelantem inopiam paululum recreavit und Fälle, wo eine kriegführende Macht πειρατὰς ἐκπέμπει wie Polyb. IV 6, 1. Je mehr Staaten es in alter Zeit gab, die miteinander in rechtlosem Zustande lebten, und je schwerer es zu allen Zeiten ist, völkerrechtliche Grundsätze auf dem Meere durchzuführen, desto häufiger mußte der S. sein und desto öfter gingen einzelne auf Kaperei aus. Der Vertrag zwischen den lokrischen Städten Oiantheia und Chaleion (GDI 1479) aus dem 5. Jhdt. gestattet den Bürgern jeden S., außer im Gebiet der beiden Gemeinden; ähnliche Verhältnisse setzt bereits Hom. Od. XVI 427 voraus. Schon ein solonisches Gesetz scheint die Genossenschaften von ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι anerkannt zu haben (Glotz La solidarité de la famille, Paris 1904, 200). Im Kriege verleiht der Staat manchmal seinen Bürgern ausdrücklich das Repressalienrecht (σῦλα διδόναι, s. d.), und es war keine Gewähr vorhanden, daß es nur gegen Feinde angewendet wurde. So beschließen die Athener ums J. 355 σῦλα πλοίων πολεμίων εἶναι (Demosth. XXIV Arg. und § 12), und eine Triere, die mit Gesandten zu Maussolos unterwegs ist, bringt daraufhin ein Schiff aus Naukratis auf, das für gute Prise erklärt wird (Schäfer Demosth. I 364). Es ist die Zeit, wo es gewöhnlich war, ,daß die attischen Kapitäne und ebenso die Söldner nebenbei etwas Piraterie gegen Freund und Feind trieben‘ (Ed. Meyer Gesch. des Altert. V 456; vgl. Demosth. LI 13. Schäfer III B 155). Aber natürlich leistete jeder Krieg dem S. Vorschub; vgl. Andok. I 138. Thuk. II 69, 1. Diod. XX 97, 5. IG II 591 b πολέμου γενομένου τοῦ περὶ Ἀλέξανδρον (ums J. 254) καὶ πειρατῶν ἐκπλεόντων ἐκ τοῦ Ἐπιλιμνίου. Erwähnt sei auch das eigenmächtige Vorgehen [1037] des Diopeithes (o. Bd. V S. 1047), der zwar nicht S. treibt, aber von den Gemeinden Beiträge verlangt, die angeblich gutwillig gegeben wurden (als εὔνοιαι), damit er ihre Schiffe gegen S. beschützte. Von Philopoimen erzählt Polyb. XXII 4, 13 ἀπέδωκε τοῖς αἰτουμένοις τὰ ῥύσια κατὰ τῶν Βοιωτῶν (vgl. IV 53, 2).

2. Alte Zeit.

Schon Thuk. I 5 hat erkannt, daß in alter Zeit der S. ein Erwerb war wie andere, gefahrvoll, aber mit keinem Makel behaftet (übertreibend Iustin XLIII 3, s. u.). Er folgert das mit vollem Recht aus der im Epos üblichen Frage (Hom. Od. III 72. IX 252. Hymn. Ap. Pyth. 275) ἤ τι κατὰ πρῆξιν ἤ μαψιδίως ἀλάλησθε οἰά τε λῃστῆρες ὑπεὶρ ἅλα, τοί τ' ἀλόωνται ψυχὰς παρθέμενοι κακὸν ἀλλοδαποῖσι φέροντες, wozu andere Stellen bestätigend hinzutreten (Bischoff Philol. XXXIV 561). Namentlich sind Bastarde und andere nicht gesättigte Existenzen darauf angewiesen (Od. XIV 202ff.); noch um die Mitte des 4. Jhdts. verschafft sich die zügellose attische Jugend durch S. die Mittel zu einem üppigen Leben (Aisch. I 191). Die vor Troia liegenden Griechen decken ihre Bedürfnisse durch S. (Od. III 105); bei Patroklos schläft Iphis, die ihm Achill aus Skyros geraubt hat (Il. IX 667). Odysseus überfällt die Kikonen (Od. IX 40), Menelaos macht auf seiner Irrfahrt reiche Beute (IV 90), Messenier führen aus Ithake 300 Schafe nebst den Hirten fort (XXI 18), Antinoos’ Vater beteiligt sich an einem Beutezuge taphischer S. nach Thesprotien (XVI 426). Vgl. noch Il. XI 670; Od. XI 401. XIV 85. 264. XVII 425. Der Erwerb von Sklaven durch Raub erscheint Od. I 398 als das Übliche, und ἀνδραποδιστής ist eine häufige Bezeichnung des Räubers. Ob die Schiffsdarstellungen auf den Dipylonvasen etwas mit S. zu tun haben, wie Helbig Mém. Acad. Inscr. XXXVI 387 annimmt, ist zweifelhaft.

Die große Bedeutung des S.s in jener alten Zeit hat Thuk. I 7f. voll gewürdigt, der u. a. anführt, daß man aus Furcht vor S. die Städte nicht unmittelbar am Meere angelegt habe. Die schlimmsten S. seien in jener Zeit die die Inseln bewohnenden Karer und Phoiniker gewesen, deren Treiben Minos ein Ende gemacht habe. Daran ist soviel richtig, daß Phoiniker und Karer, d. h. die Träger der vorgriechischen Kultur (s. vorläufig den Art. Kreta) zeitweise das Meer beherrscht und in großem Stile S. geübt haben, so daß die kleineren S. zurücktraten. Minos als Vertreter der karischen Kultur ist einerseits selbst S., anderseits vernichtet er weniger mächtige Piraten (so nennt Xen. hell. VI 4, 35 den Alexander von Pherai ἄδικος λῃστὴς καὶ κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλατταν). Daß die S. in mykenischer Zeit geringfügig gewesen sei, ist daher eine etwas schiefe Behauptung von Helbig 411.

3. Hellenische Zeit.

Später wird der S. durch die allmähliche Verbesserung der völkerrechtlichen Beziehungen und durch das Auftreten größerer Flotten einzelner griechischer Staaten (Thuk. I 13, 5) eingeschränkt, hört aber nie ganz auf, da die Kleinstaaterei jede durchgreifende Maßregel verhindert. Sobald eine das Meer beherrschende Flotte vorhanden ist, wie zeitweilig die von Athen und Rhodos, tritt der S. zurück, blüht aber in Kriegszeiten sofort als Kaperei auf [1038] (s. o. und z. B. Thuk. II 69, 1 über das λῃστικόν der Peloponnesier, die den Verkehr Athens mit Phaselis und Phönizien zu hindern suchten). Daß die in Milet und Chalkis vorkommenden Aeinautai (o. Bd. I S. 477) den Schutz gegen S. zur Aufgabe hatten, vermutet v. Wilamowitz bei Helbig 396. Belege aus älterer Zeit sind die folgenden. Zankle wird von S., die aus Kyme kommen (d. h. von auf S. ausgehenden kymäischen Bürgern, vergleichbar den ἐπὶ λείαν οἰχόμενοι in Athen o. S. 1036), gegründet (Thuk. VI 4, 5). Ionier und Karer unternehmen unter Psammetich einen Plünderungszug gegen Ägypten (Herod. II 152), Polykrates organisiert den S. im großen (III 39) und überfällt z. B. Lakedaimon (III 47), um 500 setzen sich Phokäer, von denen Iustin XLIII 3, 5 sagt plerumque latrocinio maris, quod illis temporibus gloriae habebatur, vitam tolerabant, in Korsika fest und plündern dort Jahre lang (I 166. VI 17).

Von der segensreichen Tätigkeit des attischen Seebundes, die zeitweise Ruhe im Ägäischen Meere schaffte, zeugt die Expedition gegen die dolopischen S. auf Skyros (Plut. Kim. 8); seit dieser Zeit sahen die Athener die Aufsicht über das Meer als ihre Aufgabe an und stritten sich darüber mit König Philipp (Ps.-Demosth. VII 14, s. das Psephisma des Moirokles bei Ps.-Demosth. LVIII 53). Der Niedergang der attischen Macht bewirkte wohl ein erneutes Aufkommen der S. Ums J. 370 wird ein aus Athen ausfahrender Kaufmann im Argolischen Meerbusen von S. aufgebracht und getötet (Ps.-Demosth. LII 5). Vgl. Demosth. XXIII 148. 166. LIII 6. J. 335/4 fahren attische Trieren aus ἐπὶ τὴν φυλακὴν τῶν λειστῶν IG II 804 B b 32. Alexander ergreift einmal energische Maßregeln, um das Ägäische Meer zu sichern (Curt. IV 8, 15). Der Kaufmann im Trinummus (Original um 300 v. Chr.) sagt v. 1087 ego miser summis periclis sum per maria maxima vectus, capitali periclo per praedones plurumos me servati. Die Verwaltung des delischen Heiligtums gibt J. 299 einige Tausend Drachmen an die Rhodier εἰς φυλακήν τῶν Τυρρηνῶν (Homοlle Bibl. écol. franç. XLIX 68). In der zweiten Hälfte des 3. Jhdts. dringen einmal S. in Amorgos ein und rauben 30 Menschen, Freie und Sklaven, darunter auch Frauen und Mädchen; zwei tatkräftigen Männern unter den Gefangenen gelingt es, den Räuberhauptmann zu veranlassen, daß er die Freien losläßt, die so alle der Sklaverei entgehen (Dittenberger² 255). Besondere Herde der S. waren der Pontos (Strab. VII 308. XI 495 E.), wo Eumelos ums J. 310 kräftige Gegenmaßregeln ergreift (Diod. XX 25, 2), die Gegend um Korykion an der ionischen Küste, wo die Listen der S. sogar ins Sprichwort übergegangen waren (Strab. XIV 644), die immer einen Schlupfwinkel für S. bildenden Kykladen (Ps.-Demosth. LVIII 56), Kilikien (s. u.), Kreta: Strab. X 477 behauptet, die Kreter hätten die Tyrrhener im S. abgelöst (s. schon Hom. Od. XIV 199ff.). Besonders gefürchtet waren die schon mehrfach genannten Tyrrhener, eigentlich in Thrakien, der Propontis und Karien, namentlich aber auf Inseln wie Imbros und Lemnos heimische Absprengungen des kleinasiatisch-etruskischen Volksstammes (o. Bd. VI S. 732. IX 1106; die Stellen [1039] bei Ed. Meyer Forsch. I 12ff.), doch scheint schon früh der ethnographische Zusammenhang vergessen und das Wort zur allgemeinen Bezeichnung für S. im Ägäischen Meere geworden zu sein (wie später Kilikier: App. Mithr. 92 E.). Es begegnet zuerst in der Sage von Dionysos und den tyrrhenischen S. (o. Bd. V S. 1039 und z. B. Baumeister Hymni Hom. 338). Aus J. 325/4 haben wir einen attischen Volksbeschluß über Gründung einer Kolonie im Adriatischen Meere (Dittenberger³ 305), darin v. 53 ὅπως δ' ἂν ὑπάρχῃ τῷ δήμῳ εἰς τὸν ἅπαντα χρόνον ἐμπορία οἰκεία καὶ σιτοπομπία καὶ ναυστάθμου οἰκείου κατασκευασθέντος ὑπάρχει φυλακή ἐπὶ Τυρρηνούς. Auf dieselbe Angelegenheit bezog sich wohl Hypereides' Rede περὶ τῆς φυλακῆς τῶν Τυρρηνῶν (Nr. 56) und Deinarchos' Tyrrhenikos. Hundert Jahre später finden wir in Rhodos ein Ehrendekret für drei Brüder, deren einer ἐν τοῖς παρακαθημένοις ἀγωνιζόμενος ποτὶ Τυρρανοὺς ἐτελεύτασε (Athen. Mitt. XX 223). Wo im Westen von Tyrrhenern die Rede ist, sind Etrusker gemeint (s. u.). – Im fernen Osten sind die Anwohner der indischen Küste so gefürchtet, daß ihr Land als das ἀνδρῶν πειρατῶν bezeichnet wird (Ptolem. VII 1, 7. 84); vgl. Plin. n. h. VI 101 omnibus annis navigatur sagittariorum cohortibus inpositis, etenim piratae maxime infestabant. Durch Einschreiten gegen die S. machte sich Rhodos verdient, das ums J. 270 als Herrin des Meeres galt (Polyb. IV 47, 1): ἐθαλαττοκράτησε πολὺν χρόνον καὶ τὰ λῃστήρια καθεῖλεν, Strab. XIV 652; sein Vorgehen gegen die Tyrrhener rühmt Aristid. XXIV 53. XXV 4. Vgl. Cic. imp. 54. Der Niedergang der rhodischen Macht ums J. 150 (Mommsen R. G. II 64) wirkte ungünstig, und Scipio mußte auf seiner Gesandtschaftsreise an die Höfe des Ostens (o. Bd. IV S. 1452) J. 139/8 (?) ein energisches Vorgehen gegen die Seeräuber verlangen.

4. Rom und der Westen.

S. in großem Stil trieben die Illyrier, die sich dabei ihrer raschen Liburnae (s. d.) bedienten, wie überhaupt Schnellsegler die eigentlichen S.-Schiffe sind: μυοπάρων (z. B. auch Cic. Verr. II 1, 86), ἐπακτροκέλης Aischin. I 191, καμάρα Strab. XI 495, ἡμιολία Appian. Mithr. 92. Vgl. Liv. X 2, 4 Illyrii Liburnique et Histri, gentes ferae et magna ex parte latrociniis maritimis infames. Polyb. II 4, 8 erzählt, daß die Königin Teuta ihren Untertanen den S. gestattete. Als eine römische Gesandtschaft (o. Bd. IV S. 1663) gegen den Unfug protestierte, erklärte sie, ihnen diesen Verdienst nicht entziehen zu können (ebd. 8, 8). Appian. Ill. 3. 8. Klagen über Histri und Ligures um J. 181 Liv. XL 18, 3. Das Adriatische Meer galt daher für unsicher (Lys. frg. 1, 4). Dionys d. J. legte zwei Städte in Apulien an, um dem S. der Küstenbewohner zu steuern (Diod. XVI 5, 3). Anaxilaos (o. Bd. I S. 2083) hatte Skyllaion gegründet, um den S. den Weg durch die sizilische Meerenge zu verlegen (Strab. VI 257).

Für schlimme S. galten die Etrusker. Cic. rep. II 9 e barbaris quidem ipsis nulli erant antea maritimi praeter Etruscos et Poenos, alteri mercandi causa, alteri latrocinandi. Von ihren Abmachungen mit den Karthagern weiß Aristot. pol. III 9. 1280 a 36. Strab. V 232 nennt die Antiaten als Teilnehmer am S. der Etrusker zur [1040] Zeit des Alexander und Demetrios, bis Rom diesem Unfug ein Ende macht. Vgl. Dion. Hal. VII 37, 3. IX 56, 5. Dagegen erhält Caere ein Lob (Strab. 220), weil es sich am S. nicht beteiligt habe. Auch hier wird die Bezeichnung Tyrrhener nicht genau genommen: denn der J. 339 von Timoleon in Syrakus mit 12 Kaperschiffen festgenommene und hingerichtete Postumius (Diod. XVI 82, 3) war schwerlich ein Etrusker.

Da die Römer sich der Pflicht, dem S. zu steuern, die ihnen nach dem Untergange der karthagischen Macht und der Erschlaffung der östlichen Monarchien oblag, lange entzogen, so war die Zeit bis zum Auftreten des Pompeius eine Blütezeit der S. Q. Metellus konnte sich J. 121 durch die Eroberung der Baliaren, deren Bewohner damals die Meere unsicher machten (Flor. I 43, 2), billige Lorbeeren erwerben (o. Bd. III S. 1207). Die schlimmsten S. dieser Zeit waren die Kilikier, deren Land durch die Beschaffenheit seiner Küsten vorzüglich für den S. geeignet war (Appian. Mithr. 92). Sie hatten die Erbschaft der Kreter angetreten, nachdem sie deren Macht gebrochen hatten (Strab. X 477). Als den zeitlichen Ausgangspunkt der kilikischen S. gibt Strab. XIV 668 das Auftreten des Diodotos Tryphon um J. 140 an: eher wird man die Ohnmacht der rhodischen Flotte geltend machen (o. S. 1039). Μ. Antonius focht als Praetor J. 102 glücklich gegen sie, ohne daß damit ein dauernder Erfolg erzielt worden wäre.

Sehr arg wurde es im Mithridatischen Kriege, wo die S., von Mithridates unterstützt (Appian. Mithr. 92), große Flotten unter besonderen Befehlshabern bildeten, je länger desto herrischer auftraten und nicht nur Sommers und Winters die Meere beunruhigten, sondern auch in die Häfen eindrangen. Nachdem sie zuerst unter Führung des Isidoros ihr Unwesen bis zum Malischen Meerbusen getrieben hatten (Flor. I 41, 3), wagten sie sich auch im Westbecken des Mittelmeeres bis zu den Säulen des Herakles vor (Appian. Mithr. 93). Die Zahl der von ihnen zerstörten Städte wird auf 400 angegeben (Plut. Pomp. 24). Auch Italien war nicht sicher vor ihnen; die Plünderung von Ostia griff an den Lebensnerv Roms (Dio XXXVI 21f.), dessen Getreidezufuhr unterbunden war (Liv. ep. 99); auch die via Appia war bedroht (Cic. imp. 55). Besonders schmachvoll war die Gefangennahme vornehmer Leute (Cic. 53. Plut.); auch P. Clodius geriet damals in die Gewalt von S., und Ptolemaios von Cypern soll ihm zwei Talente geschickt haben, um sich loszukaufen (o. Bd. IV S. 82). Sie legten es namentlich auf die Plünderung der angesehensten Heiligtümer an, denen sie fast allen ihren Besuch abstatteten; so erbeuteten sie in Samothrake 1000 Talente (Appian. Mithr. 63). Großes Aufsehen erregte die Plünderung von Delos durch Athenodoros im J. 69 (o. Bd. IV S. 2499). Phlegon FHG III 606 Ἀθ. πειρατὴς ἐξανδραπόδισάμενος Δηλίους τὰ τῶν θεῶν ξόανα διελυμήνατο. Vgl. Th. Reinach Mithradates (übers. von Götz) 302. 377. Dieser oder einer etwas früheren Zeit gehören eine Reihe von Inschriften an, die vom Treiben der S. Kunde geben. So beloben IG XII 3 nr. 171 die Epheser die Bürger von Astypalaia, weil sie bei einem Überfall durch von Phygelis kommende S., die in ein Artemisheiligtum eindrangen [1041] und Menschen raubten, tapfere Hilfe leisteten. Die Bürger von Syros IG XII 5 nr. 652 loben einen Siphnier, der sich bei der Nachricht von κακοῦργα πλοῖα, die κατὰ ῥύσιον einfallen wollten, und später bei einem Einfall von S., die Sklaven fortführten, gut benommen hatte; so Tenos CIG 2335 den Aufidius Bassus (o. Bd. II S. 2291) wegen freundlichen Verhaltens in einer Zeit von κοινὸς πόλεμος καὶ συνεχεῖς πειρατῶν ἐπίπλοι. Lucullus lief auf der Fahrt nach Asien oft Gefahr, von S. gefangen zu werden (Appian. Mithr. 56).

Der Feldzug des Servilius Isauricus J. 78–74 gegen die damals noch mit Sertorius verbündeten kilikischen S. war trotz guter Erfolge doch nur von vorübergehender Bedeutung (Cic. Verr. V 66 unus pluris praedonum duces vivos cepit P. Servilius quam omnes antea). Μ. Antonius, der als Praetor J. 74 ein unbeschränktes Imperium gegen die S. bis 50 Millien ins Land herein erhielt, richtete nur wenig aus (s. o. Bd. I S. 2594. Wilhelm Athen. Mitt. XXVI 419). Da beantragte A. Gabinius im J. 67 die Übertragung eines außerordentlichen Kommandos an Pompeius (o. Bd. VII S. 424); nachdem dieser es erhalten hatte, säuberte er in 40 Tagen das westliche, in 49 das östliche Mittelmeerbecken: er soll 377 Schiffe erbeutet (Appian. 96 E.), mehr als 1300 verbrannt haben (Strab. XIV 665, vgl. X 477). Von da an datiert man das Verschwinden der S., Cic. Flacc. 29 Pompeius classes praedonum, urbes, portus, receptacula sustulit, pacem maritimam summa virtute atque incredibili celeritate confecit (was nicht hinderte, daß einzelne S. auch nachher auftraten, ebd. 31). So ließ der Krieg mit S. Pompeius den S. aufleben (Appian. bell. civ. IV 83. V 80. Flor. II 18, 2. Vellei. II 73, 3). Einen schweren Schlag gegen die illyrischen S. führte Octavian im J. 35 (o. Bd. X S. 321): es herrschte jetzt ziemliche Sicherheit (Plin. n. h. II 117), da die Flotten in Misenum und Ravenna gute Wacht hielten (o. Bd. III S. 2635): pacatum volitant per mare navitae Hor. c. IV 5, 19 (vgl. Heinze z. St.). In den besten Jahrhunderten der Kaiserzeit fristete der S. sein Dasein hauptsächlich in der Phantasie der Deklamatoren (s. u.). Ein Ausnahmefall bei Joseph. bell. Iud. III 414. Mit dem Erschlaffen der Kaisermacht regt sich auch der S. wieder; so hören wir von einem außerordentlichen Kommando des Sallustius Victor gegen S. (ums J. 232? S. Bd. I A S. 1958) und einem Kommando des Valerius Statilius an der lykischen Küste unter Gallienus (v. Domaszewski Rh. Mus. LVIII 389). Vgl. Sestier 259.

5. Dichtung.

Über Homer s. o. S. 1037, über andere alte Sagen Sestier 17. Die neuere Komödie hat die Entführung eines Kindes durch S. öfters zum Ausgangspunkte der Handlung gemacht. So Plaut. Poen. 86; Rud. 40. Ter. Eun. 107ff. Im Mil. 118 wird der Sklave auf der Fahrt von Athen nach Naupaktos von S. gefangen und nach Ephesos verschenkt. Natürlich hat sich der Roman das Motiv nicht entgehen lassen. Bei Heliodor verliebt sich ein S. in die Heldin, folgt ihrem Schiffe von Zakynthos bis nach Libyen (V 18ff.) und zwingt es zur Übergabe: auch eine Nebenfigur, Knemon, wird auf der Fahrt nach [1042] Ägypten von S. gefangen, entkommt ihnen aber (VI 2). In der Hist. Apoll. 32 wird Tarsia am Ufer von S. entführt und in Mitylene verkauft. Über Xenoph. Eph. s. Rohde Roman 382. Die Deklamationen bewegen sich gern in derselben Sphäre. Sen. contr. I 2: quaedam virgo a piratis capta venit; I 6 captus a piratis scripsit patri de redemptione: non redimebatur, archipiratae filia iurare eum coegit, ut duceret se uxorem, si dimissus esset usw.; vgl. VII 4. Quint. decl. 5. 6. 9 (der von S. gefangene Jüngling wird als Gladiator verkauft). Ritter Ind. zu Quint. decl. min. 487.

6. Recht.

Besondere Gesetze für S. gab es nicht; das mag an der mangelnden Unterscheidung des S.s vom Kriege liegen. Tatsächlich wurde er wie anderer Raub mit dem Tode geahndet. Nach dem römischen Recht kann der Beamte mit Imperium kraft seines Coercitionsrechtes gegen S. einschreiten, ohne daß Appellation möglich ist (Dig. XLIX 1, 16). So sagt Cic. Verr. V 63ff. 161, daß Verres alle S., auch die römischen Bürger, hätte hinrichten sollen. Die Syrakusaner brennen vor Begier cruciatu atque supplicio (des archipirata) pascere oculos Cic. 65. ecquem scis in Sicilia antea captum archipiratam, qui non securi percussus sit? (67). Caesar geht gegen die S. rücksichtslos vor (o. Bd. X S. 188). Augustus tötet bei der Ausrottung der illyrischen S. die Erwachsenen und verkauft die übrigen (Appian. III 16). S. den Art. Latrocinium. Auch λῃστὰς ὑποδέχεσθαι ist strafbar, Ps.-Dem. XII 2. LVIII 56. GDI 5632 (Teos).

Literatur. Sestier La piraterie dans l'antiquité, Paris 1880. Lécrivain Art. Piratae bei Daremberg-Saglio. Vgl. die Art Schiffahrt und Straßenraub.