Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Schiffsverkehr zum Schiffsbau s. Seewesen
Band II A,1 (1921) S. 408 (IA)–419
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Schiffahrt. Hier soll hauptsächlich der Schiffsverkehr behandelt werden; über den Bau der Schiffe s. den Art. Seewesen.

I. Technisches

1. Orientierung

I. Technisches. 1. Orientierung. Die S. der Alten leidet unter einem Hauptmangel, dem Fehlen des Kompasses, ohne den eine Orientierung auf hoher See nicht möglich ist, wenn keine andere Methode der Ortsbestimmung vorhanden ist. Selbst die Unterscheidung der Himmelsrichtungen ist erst allmählich durchgeführt worden: Homer kennt nur West und Ost. Die Windrose wurde mit der Zeit vervollkommnet (Berger Gesch. d. Erdkunde² 429): die des Timosthenes hatte 12, die des Eratosthenes 8, die des Varro wieder 12 Winde (Kaibel Herm. XX 609, dazu Schmekel Isidorus 216), doch waren nicht alle für die Praxis wichtig; s. den Art. Windrose. Eine gewisse Orientierung boten die Sterne, daher bringt Strab. XVI 757 die astronomischen Kenntnisse der Sidonier in Zusammenhang mit ihrer Gewohnheit, des Nachts zu fahren. Odysseus hat bei seiner Fahrt auf dem Floße die Pleiaden, den Bootes und den Bären im Auge, indem er letzteren links läßt (Hom. Od. V 272). Sidera servare ist die Aufgabe des Steuermannes (Verg. Aen. VI 338. Petr. 102, 3). Da auch dieses Mittel unvollkommen ist, so hält sich die antike S. meist an die Küste, wo es zahlreiche, nur dem Lokalverkehr dienende Fahrzeuge gab (orariae naves Plin. ep. ad Trai. 15. Per. mar. Er. 60); aber auch die Seeschiffe verließen ungern den Lauf der Küste (von den [409] ἀρχαιότaτοι sagt es Erat. bei Strab. I 48). Die von Troja heimkehrenden Griechen überlegen in Lesbos, ob sie östlich oder westlich um Chios herumfahren sollen, aber ein Gott heißt sie direkt nach Euboia fahren – das gilt also für kühn – und sie kommen glücklich nach Geraistos (Hom. Od. III 169). Die Fahrt von Hellas nach Sizilien ging nicht gerade über das Meer, sondern machte den Umweg über Kerkyra (Thuk. VI 44. VII 26 u. ö.). Dion fährt ausnahmsweise über das offene Meer von Zakynthos nach Pachynon, reichlich verproviantiert, und braucht dazu 12 Tage (Plut. Dion 25). Römische nach dem Osten bestimmte Schiffe, fahren von Messina erst nach dem Lakinischen Vorgebirge und von da über Korkyra nach Kap Malea (Liv. XXXVI 42 u. ö.). Der nach Spanien segelnde Proprätor fährt praeter oram Tusci maris, Alpes atque Gallicum sinum et deinde Pyrenaei circumvectus promunturium nach Emporiae (Liv. XXVI 20, 11; vgl. XXXIV 8); Claudius fährt im J. 202 über Populonia, Elba, Corsica und Sardinien, um nach Sizilien zu kommen. Daß man von Spanien nach Italien direkt über das Meer fuhr, sagt für seine Zeit Strab. III 143f.

2. Wind und Wetter

2. Wind und Wetter. Die Schiffer verfügten über viele Wetterregeln, in denen aber jedes System fehlte (Neumann-Partsch Physik. Geogr. 103); die Entdeckung der regelmäßigen Etesiai (o. Bd. VI S. 713) war ein großer Fortschritt. Die erhaltenen, auf das praktische Bedürfnis zugeschnittenen Kalender (abgedruckt von Wachsmuth hinter Lydos de ostentis und von Boll, Rehm usw. S.-Ber. Akad. Heidelb. 1910–1914) geben sorgfältig an, welche Sternbilder durch ihren Auf- oder Untergang Sturm auf dem Meere anzeigen, z. B. Ptolem. appar. 211, 9 (29. Aug.) ἐτησίαι παύονται. 267, 11 (18. Juli) ἐτησίαι ἄρχονται πνεῖν. 236, 1 (10. Jan.) κατὰ θάλασσαν βροντὴ καὶ ψακάς. Besonders berühmt war die ἐπισημασία der Pleiaden, deren Untergang eine für die S. ungünstige Zeit einleitete (Hesiod. op. 618. Ps.-Demosth. L 23), daher z. B. Prop. I 8, 10 et sit iners tardis navita Vergiliis (Gundel RVV III 190). Aiolos und Atlas werden euhemeristisch als Sternkundige gedeutet, die aus den Gestirnen die Veränderung des Wetters prophezeiten (Palaiph. 17. Herakl. incred. 4). Geringen Wert hatte die Beobachtung der Halkyonischen Tage um die Wintersonnenwende, wo die Winde ruhen sollten (Neumann-Partsch 121), zumal sie auf abergläubischem Grunde ruhte (o. Bd. I S. 45). Auch an anderen Wetterregeln fehlt es nicht; im Peripatos versuchte man sie zu sammeln. Der Katalog der aristotelischen Schriften bei Diog. Laert. V 26 nennt σημεῖα χειμώνων α', ein unter Theophrasts Namen gehendes Exzerpt aus einer ähnlichen Schrift besitzen wir noch (Heeger De Theophr. π. σημείων libro, Leipzig 1889). Arat denkt bei der Zusammenstellung der Diosemeia besonders daran, Regeln für die S. zu geben (v. 758ff.), z. B. bedeutet es Sturm, wenn manche Wasservögel auf dem Lande sitzend mit den Flügeln schlagen (v. 918). Gegen starke Winde war man machtlos: Beispiele zu häufen ist zwecklos (vgl. etwa Herod. IX 114. Liv. XXXVII 37). Ἀπλοία zwingt zu unfreiwilligem Stilliegen (Thuk. II 85, 6. IV [410] 4, 1. VIII 99 E.). Im Winter während des Wehens der starken Südwinde (Hesiod. op. 675) ruhte die S. (Theophr. de vent. 2, 10). Daher fürchten die Athener, von ihrer auf Sphakteria liegenden Besatzung abgeschnitten zu werden (Thuk. IV 27). Den natürlichen Abschluß der für die S. geeigneten Zeit bildeten die Äquinoktien (Liv. XXXI 47, 1. Thes. L. L. I 1011, 14), ebenso den Wiederanfang; Plin. n. h. II 122 bemerkt sogar schon zum 8. Februar ver aperit navigantibus maria. Hesiod erklärt die S. für gefahrlos bis 50 Tage nach der Sonnenwende (op. 663). Genauere Angaben macht nach Varros libri navales Veget. IV 39: die S. ist sicher vom Aufgange der Pleiaden bis zu dem des Arktur (27. Mai bis 14. Juli), dann unsicher bis 11. Nov. Bis 10. März sind die Meere geschlossen: nam lux minima noxque prolixa, nubium densitas, aeris obscuritas, ventorum imbri vel nivibus geminata saevitia non solum classes a pelago, sed etiam commeantes a terrestri itinere deturbat. Nach der feierlichen Eröffnung der S. – gemeint ist das Navigium Isidis am 5. März: Wissowa Rel. d. Röm. 354 – ist diese doch noch nicht völlig gefahrlos. Mit Rücksicht auf diese Winterruhe werden in Athen ἐμπορικαὶ δίκαι im Winter verhandelt (Lys. 17, 5), und seit der Mitte des 4. Jhdts. sind sie ἔμμηνοι, damit die Kaufleute nicht an der Abfahrt behindert wurden (Xen. vect. 3, 3. o. Bd. V S. 2530). Paulus (Acta 27, 5) rechnet von den jüdischen Fasten an die für die S. gefährliche Zeit, Philon leg. ad Gai. 15 nennt den Herbstanfang noch für die S. geeignet. Waghalsige vertrauen sich auch während des Winters dem Meere an, müssen aber oft dafür büßen. Soph. Ant. 335. Philo Flacc. 125. Dio or. VII Anf. Luk. Tox. 19 (περὶ δύσιν πλειάδος). Caes. bell. civ. III 25. Ovid Tr. I 11, 3. 7. Umgekehrt Heliod. Aeth. V 18. Dem entspricht es, daß der Seezins für Schiffe, die nach dem Aufgange des Arktur (damals nach Boeckh Urkunden 173 der 22. Sept.) ausfahren, höher war (Ps.-Demosth. XXXV 10). – Wurde ein Schiff vom Winter oder Sturme überrascht, so lief es womöglich den nächsten Hafen an und blieb dort unter Umständen Monate lang liegen; daher verzeichnen die Hilfsbücher Häfen, die sich für diesen Zweck eignen (Per. mar. Er. 32. Stadiasm. S. 472, 2. 513, 1 M.). Z. B. fährt Paulus von Malta auf einem alexandrinischen Schiff weiter, das dort überwintert hatte (Acta 28, 11). So soll im Roman des Heliodor (V 18) Zakynthos als Winterquartier benutzt werden.

3. Schnelligkeit

3. Schnelligkeit. Vgl. Riepl Das Nachrichtenwesen des Altertums. Leipzig 1913, 157. Goetz 227. 259. 275. 468. Die Angaben darüber sind nur teilweise so genau, daß sie zu bindenden Schlüssen verwertet werden können; auch erfahren wir nur selten, ob es sich um Rudern oder Segeln handelt. Einen Meßapparat beschreibt Vitr. X 9, 7, doch hören wir nie etwas von seiner Anwendung. Aus homerischer Zeit hören wir, daß die Strecke von Lesbos über Geraistos nach Argos in drei Tagen zurückgelegt wird (Odyss. III 180), was auf den Tag etwa 140 km ausmacht. Eine wenig höhere Geschwindigkeit wird vorausgesetzt, wenn ein Schiff von Ägypten nach Kreta vier Tage braucht (Od. XIV 257, ebenso [411] Strab. X 728); später kam auch eine Fahrzeit von drei Tagen vor. Herodot gibt in der etwas wunderlichen Rechnung IV 86 für einen δρόμος νυχθήμερος (so sagt nicht er, aber z. B. Per. mar. Er. 15) 1300 Stadien an, II 11 für eine Tagfahrt mit Rudern (indirekt) ca. 58 km, d. h. etwa 1000 Stadien. Ps. Skylax 69 rechnet auf die Tagfahrt 500 Stadien, Marinos bei Ptolem. I 17, 7 bei besonders ungünstigen Umständen auf die Tagnachtfahrt 400–500 Stadien. Markian. 568, 3 Müll. 500–900 (letzteres von Schnellseglern bei gutem Winde). Aristeides nimmt bei günstigem Winde 1200 Stadien an (or. 48, 111). Sehr lehrreich sind Arrians Angaben in der hist. Ind. über Nearchs Fahrt. Diese war natürlich von den Ankerplätzen abhängig, da Nearch im allgemeinen (Ausnahmen 27, 6. 41, 5) abends an Land geht und dort abkochen läßt. Im Durchschnitt wird man 300–900 Stadien (53–70 km) als das Ergebnis einer Tagfahrt bezeichnen dürfen, doch finden sich auch erheblich längere Strecken, z. B. 26, 6 600 Stadien bei Abfahrt am Morgen. Nicht selten bricht er nachts auf (26, 2. 27, 2. 4. 6. 29, 1. 7. 38, 6. 41, 6) und fährt dann wohl bis zum nächsten Abend: in solchen Fällen werden bis 1100 Stadien erreicht (29, 7), bei Aufbruch um Mitternacht (29, 1) 1000, vom Einbruch der Nacht bis zum folgenden Morgen 900 (41, 6). Thuk. II 97, 1 läßt Kauffahrteischiffe bei gutem Winde von Abdera bis zur Istermündung vier Tage und Nächte gebrauchen, so daß man auf etwa 240 km oder 1300 Stadien für den Tag kommt. Nach alledem kommt man auf einen ungefähren Durchschnitt von 5,6 Seemeilen, etwa 10 km für die Stunde. Bei den römischen Angaben wird man in Betracht ziehen müssen, daß die Benutzung von Schnellseglern (Liburnae, s. d.) in Betracht kommt. Cato fuhr von Karthago nach Rom drei Tage, was auf ungefähr 10–12 km in der Stunde führt (Plut. 27, 1. Plin. n. h. XV 74). Eine Reihe von Schnellfahrten zählt Plin. n. h. XIX 3 auf: nach Alexandria fährt Galerius vom Fretum Siculum in 7, Balbillus in 6 Tagen, Valerius Marianus braucht von Puteoli dorthin 9 Tage, das ergibt für die rascheste Fahrt 266 km (ca. 1500 Stadien) den Tag; man kommt aber auch für diese Zeit kaum auf mehr als auf 7½ Seemeilen in der Stunde (Stephan 49). Für Ruderschiffe haben wir die Notiz, daß rhodische Ruderer im J. 43 in einem Tage die 80 km bis Knidos fahren (App. b. c. IV 71) und dies für eine Rekordleistung gilt. Menodoros, der Admiral des S. Pompeius, legt durch angestrengtes Rudern in drei Tagen 1500 Stadien zurück (App. b. c. V 101).

Über wichtige Verbindungen haben wir eine Reihe von Nachrichten. Lastschiffe von der Maiotis nach Rhodos brauchen 10, von da nach Alexandreia 4 Tage (Diod. III 34, 7). Die Fahrt von Karthago nach den Säulen des Herakles wird von Ps.-Skylax 111 auf 7 Tage und Nächte bei guter Fahrt berechnet. Hier ist aber ebensowenig an ununterbrochene Fahrt zu denken wie bei der Angabe, daß man von Pyrene (dem Nordostpunkte Spaniens) bis zu den Heraklessäulen 7 Tage brauche (Ps.-Skyl. 2. Avien. ora mar. 562). Von Gades nach Ostia rechnet Plin. n. h. XIX 4 ebenfalls 7 Tage. Apollonios gelangt von Puteoli am [412] dritten Tage nach Tauromenion, von Syrakus am sechsten nach Elis (Philostr. VIII 15).

4. Gefahren

4. Gefahren. Die antike S. war, zumal wenn sie sich von der Küste entfernte, großen Fährlichkeiten ausgesetzt; s. den Art. Seeraub. Unangenehm genug war schon das Abirren vom richtigen Kurse; es hatte im günstigsten Falle starken Zeitverlust im Gefolge. Einige Beispiele seien beliebig herausgegriffen. Caesar kam bei der kurzen Überfahrt nach Britannien vom Kurse ab (bell. Gall. V 8, 2; vgl. 23, 4). Der Apostel Paulus fährt von Caesarea nach Sidon und will von da direkt nach Myrra in Lykien, muß aber wegen widrigen Windes zwischen Cypern und dem Festlande vorbei. Der Versuch, Knidos anzulaufen, mißlingt wegen Gegenwindes, so daß sie auf Kreta zuhalten und südlich daran entlang fahren bis Kaloi Limenes. Da dieser Hafen für die Überwinterung, die sich als bald notwendig herausstellt, ungeeignet ist, so beschließt man, nach Phoinix zu fahren, aber ein orkanartiger Nordost wirft sie nach Kauda (Gaudos): sie verlieren jede Orientierung und Herrschaft über das Schiff und fürchten, nach der Syrte verschlagen zu werden. Nach 14tägigem Treiben auf dem Meere sehen sie Land, das sie unter großen Fährlichkeiten mit Verlust des Schiffes erreichen; sie erfahren, daß sie sich in Malta befinden (Acta 27f., erläutert von J. Smith Voyage and Shipwreck of St. Paul, London 1848, deutsch von Thiersch; vgl. Breusing 142). – Eine überaus wehleidige Schilderung macht Aristeides von seiner Reise von Rom nach Smyrna (or. 48, 62). Im Tyrrhenischen Meer weht ihnen ein so starker Südwind entgegen, daß der Steuermann das Ruder losläßt und die Matrosen, sich und das Schiff verloren gebend, sich mit Asche bestreuen. Nach einem Tage und einer Nacht erreichen sie Messina, nach zwei Nächten und einem Tage Kephallenia, wo der Sturm die Landung erschwert oder verhindert. Zu der Fahrt von Patrai nach Milet brauchen sie, fortwährend vom Winde hin- und hergedreht, 14 Tage und landen schließlich glücklich in Smyrna. Natürlich hat sich die Dichtung das Motiv nicht entgehen lassen: außer auf die Odyssee verweise ich auf den Roman, z. B. wird Apollonius auf der Fahrt von Tarsos nach Tyros nach Lesbos abgetrieben (Hist. Apoll. 39) und bei Heliod. Aeth. V 28 das Piratenschiff an die Herakleotische Nilmündung verschlagen. Über die Gefahren der Adria s. o. Bd. I S. 418.

Unter solchen Umständen war Schiffbruch ein gewöhnliches Vorkommnis. Vgl. etwa Josephus’ Erzählung von seinem Schiffbruch in der Adria (vit. 15) und Kaibels Index zu Epigr. gr. 686 s. naufragi, z. B. nr. 186 auf einen Bithynier, der in Korkyra begraben lag, 214 auf zwei Männer, die in Seriphos umgekommen und in Rheneia beerdigt waren. Ferner Dessau 8515ff. Beim Untergange attischer Trieren fand ein besonderes Verfahren statt, um festzustellen, ob den Trierarchen eine Schuld traf (Boeckh Urkunden 193. 214). Auch hier ist die Dichtung sehr ausgiebig: nächst der Odyssee vgl. die Komödie (Legrand Daos 262), z. B. die Schilderung im Rudens 148ff., ferner die vielen Epigramme, die Grabschriften für Schiffbrüchige sind (A. P. VII 263ff. und Stadtmüller zu S. 180, 1 sowie Hor. c. I 28 [413] mit Heinzes Einl.) oder Weihungen Geretteter darstellen (A. P. VI 164. 166. 245). In der Praxis waren sie öfters von Bildern des Unfalles und der göttlichen Hilfe begleitet. Hor. a. p. 20 quid hoc, si fractis enatat exspes navibus, aere dato qui pingitur? C. I 5, 13. Mart. XII 57, 12 nec fasciato naufragus loquax trunco (der zur Bekräftigung des Vorfalles ein Stück Schiffsholz bei sich führt). Im Bilde erscheint der Schiffbruch z. B. Catull. 68, 3, wo Bährens und Ellis weitere Belege geben. Voraussagungen von Schiffbruch bei Astrologen nicht selten (vgl. Zieglers Index, zu Firmicus s. naufragium). Es wird Sitte, bei drohendem Schiffbruch sein Haar den Göttern zu weihen (L. Sommer Das Haar in Rel. und Abergl., Münster 1912, 81); das wurde von Betrügern benutzt, die sich kahl schoren und – womöglich unter Vorzeigung einer bildlichen Schilderung des Schiffbruches – bettelten. Iuv. 12, 81. 14, 301. Pers. 1, 88. Tertullian führt zur Verteidigung des Christentumes an, daß die von den Gemeinden gesammelten Gelder u. a. zur Unterstützung Schiffbrüchiger verwendet würden (apol. 39, 6). Auch dem, der glücklich an die Küste gelangt war, drohten weitere Gefahren von Strandräubern. Vgl. auch Dig. XLVII 9, 3, 8. XLVIII 8, 3, 4.

Kein Wunder also, daß man das Meer mit dem Gefühl der Furcht betrachtete und das Sprichwort es als das unerbittliche kannte (Erkl. zu Eur. Med. 28). Am naivsten kommt das wohl in der Komödie zum Ausdruck, wo die von einer Seefahrt Heimkehrenden erklären, sich dem Meer nie wieder anvertrauen zu wollen (Most. 431; Rud. 485; Trin. 820). Plutarch bezeichnet das Meer als πολέμιον τῇ φύσει τοῦ ἀνθρώπου στοιχεῖον (qu. conv. 729 B, dazu Frisch De compos. lib. Put. de Is., Göttingen 1907, 9). Altrömischer Anschauung entsprach es, wenn Cato (Plut. 9, 4) unter die wenigen Dinge, die er bereute, eine Seereige rechnete, die er durch Benutzung des Landweges hätte vermeiden können (ähnlich Cic. Att. X 11, 4); vgl. Heinze zu Hor. c. I 3, 22. Hildebrandt Phil. NF. XXIV 52. Man stellte sich namentlich unbekannte Meere von furchtbaren Ungeheuern bevölkert vor (πόντος μεγακήτης Odyss. III 158), so Pedo Albin. von der Nordsee (FPR 351) 5 nunc (vident) illum, pigris immania monstra sub undis qui ferat oceanum, qui saevas undique pristis aequoreasque canes, ratibus consurgere prensis. Dirae 55 nigro multa mari dicunt portenta natare, monstra repentinis terrentia saepe figuris. Arrian. Ind. 30 und dazu Müller (Geogr. Gr. min. I 350). Man glaubte sich zu sichern, indem man den Göttern der S. Opfer darbrachte (Stengel Kultusaltert.³ S. 135): so ist schon das Opfer der Iphigenie aufzufassen, nicht das einzige Beispiel eines Menschenopfers in einem solchen Falle (Schwenn RVV XV 122). Die Griechen opfern vor der Heimfahrt von Troia in Tenedos (Hom. Od. III 159); den Menelaos halten die Götter in Ägypten zurück, weil er es versäumt hat, ihnen Hekatomben zu opfern (ebd. IV 352, vgl. 475); die Phaiaken gießen eine Spende aus, ehe sie Odysseus über das Meer geleiten (XIII 50). Vgl. Arrian Ind. 21, 2. 36, 9. Liv. XXXVI 42, 2 und Weissenborn z. St. Man bringt vor der [414] Fahrt oder im Augenblicke höchster Bedrängnis (o. S. 413) Gelübde dar (Catull. 4, 22. Philodem Anth. Pal. VI 349 an Melikertes, Leukothea, die Nereiden, Poseidon und Zephyros, vgl. IX 9, 90) und betet zu den Göttern der S. (Stat. silv. III 2). Anrufung der Dioskuren als Nothelfer (o. Bd. V S. 1096) Catull. 68, 63. Nach Beendigung der Fahrt bringt man ein Dankopfer dar, Hom. Od. III 178. Arrian. Ind. 42, 6.

5. Fluß-S.

5. Fluß-S. Da die Fluß-S. von geringerer allgemeiner Bedeutung ist, wenn auch für einzelne Landschaften wichtig, so kann bei dem Mangel an Vorarbeiten nur das Dürftigste gegeben werden. Hellas hat überhaupt keinen schiffbaren Fluß; in Italien kommen Tiber, Anio und Po besonders in Betracht; die Bedeutung Roms beruht gerade auf seiner Lage an dem schiffbaren und vom Meere her bequem erreichbaren Fluß (Nissen Italische Landesk. I 308). Die Entwicklung der S. auf Rhein, Rhone und Donau wird durch die auf Nil und Euphrat weit übertroffen. Über Nearchs Fahrt auf dem Indus vgl. Arr. Ind. 21, 2ff. Vom Phasis sagt Plin. n. h. VI 13, er sei 38,5 Millien für die größten Schiffe fahrbar, dann eine lange Strecke für kleinere und endlich noch 120 Millien für Flöße. Die Fluß-S. lag im römischen Reiche in den Händen der Flußschiffergilde (navicularii), s. o. Bd. IV S. 454. Über die erreichten Geschwindigkeiten fehlt es an Angaben; Herod. II 158 rechnet auf den über 1000 Stadien langen Nechokanal vier Tage, für die Nilfahrt bis Aithiopien gibt Diod. III 34, 7 zehn Tage an, während Plin. VI 102 von Alexandreia bis Koptos (309 Millien) zwölf Tage rechnet. Nearch legt auf dem Indus an einem Tage höchstens 300 Stadien zurück (Arr. 22, 3f.). Vgl. die einzelnen Art., Götz und Riepl 171.

6. Hilfsbücher

6. Hilfsbücher. Obwohl natürlich durchweg Empirie herrschte, so kamen vereinzelt auch schriftliche Hilfsmittel in Betracht, namentlich für entlegenere Meere; vgl. d. Art. Periplus. Schon Hesiod gibt in den Erga Regeln für die S.; auch die unter seinem Namen gehende Astronomie, deren Alter zuletzt Nilsson Rh. Mus. LX 180 verteidigt hat, wird dasselbe getan haben. Daran schließt sich Thales' nautische Astrologie und die des Kleostratos von Tenedos (Diels Vorsokr. II 194). Timosthenes, der Admiral des zweiten Ptolemaios, hatte περὶ λιμένων geschrieben (auch als περίπλοι zitiert) und darin seine Windrose aufgestellt (o. S. 408). Von Varro gab es außer der Schrift de ora maritima, mit der wohl de aestuariis irgendwie zusammenhing, eine Ephemeris navalis, von der man sich nach den erhaltenen, freilich nicht speziell für Schiffer berechneten Kalendern eine Vorstellung bilden kann (Teuffel § 166, 6 c). Von den erhaltenen Schriften ist der Periplus des Erythräischen Meeres für Kaufleute, der Stadiasmus maris magni (Geogr. Gr. min. I 427) für Schiffer bestimmt. Außer den Entfernungen, die in älterer Zeit nach Tagen, später nach Stadien gegeben werden, finden sich genaue Mitteilungen über Häfen und Schwierigkeiten bei der Landung, Trinkwasser, Landmarken, Leuchttürme usw.

II. Historisches

7. Vorgänger

II. Historisches. 7. Vorgänger. Die Griechen wußten, daß ihnen in der S. nicht die [415] Priorität gebührte, und nannten namentlich die Phoiniker als Erfinder der S. (über babylonische S. Assmann Philol. XXI 193; Nomisma V 6). Φοινίκων τὰ ναυτικὰ εὑρόντων Athen. VI 273 e, dazu viele einzelne Angaben: so die Sidonier als Erfinder der Triere Clem. Alex. strom. I 16 (dazu Kremmer De catalogus heurematum, Leipz. 1890, 42), Hippos aus Tyros als der des Lastschiffes (Plin. VII 208). In der Tat spielt die phoinikische S. seit dem 2. Jahrtausend eine große Rolle, sie hat das Mittelmeer erschlossen; ihre Entdeckung der Insel Thasos setzt Herodot II 44. VI 47 in sehr frühe Zeit (Ed. Meyer G. d. Alt. II 141). Noch in der homerischen Dichtung erscheinen die Phoiniker als Hauptvertreter der S., so in der Erzählung des Eumaios (Od. XV 415) und in den Lügen des Odysseus (XIII 272. XIV 288). In der Flotte des Xerxes sind die sidonischen Schiffe die besten (Herodot VII 99), und Alexander wählt für die Fahrt Nearchs in erster Linie Phoiniker aus (Arrian. Ind. 18, 1). Noch später spielen sie als Kaufleute eine wichtige Rolle (o. Bd. IV S. 2495). Von den phoinikischen Kolonien hatte Gades als Ausgangspunkt für die Ozean-S. große Bedeutung (o. Bd. VII S. 439).

8. Das ältere Hellas

8. Das ältere Hellas. Die reiche Küstenentwicklung und die Unbequemlichkeit des Landverkehrs veranlaßten seit alter Zeit eine rege S. von Ort zu Ort, die durch die Gewohnheit des Fischfangs erleichtert wurde (Neumann-Partsch 133). Der rege S.-Verkehr, den die Erschließung der kretisch-mykenischen Kultur aufgedeckt hat, lag nicht in den Händen der Griechen, sondern ihrer ,karischen‘ Vorgänger und hat sich in der Sage um die Person des Minos gruppiert (Tuk. I 8, 2. Bethes Hypothesen Rh. Mus. LXV 200 sind nur mit starken Abstrichen verwertbar; vgl. Bilabel Philol. Suppl. XIV 62). Der griechische Handel war lange unbedeutend (Büchsenschütz Besitz und Erwerb 356, s. o. Bd. IX S. 1403), wie Thuk. I 13 richtig betont: er nennt als die ersten Griechen, die Trieren bauten, die Korinther und läßt den Korinther Ameinokles um J. 700 den Samiern einige Schiffe (Trieren) bauen. Eine Erinnerung an eine gewisse Jugend der S. hat sich in der Sage niedergeschlagen, daß die Argo das erste Schiff war (o. Bd. II S. 722). In der Odyssee bildet die S. das Rückgrat der Handlung, aber Odysseus' Fahrten erscheinen als durchaus abenteuerlich, und der geographische Horizont ist begrenzt. Sicherheit der Orientierung ist nur auf altbefahrenen Routen vorhanden, und weitere Fahrten werden mit einem Gefühl der Furcht betrachtet (III 169. 317. VII 320); so ist die Fahrt des Menelaos (IV 83) ganz verschwommen, und der Weg von Pharos zur ägyptischen Küste gilt für weit (IV 351). Vgl. auch Hesiod op. 236. Wenn die Lotophagen und Kyklopen wirklich an der libyschen Küste gedacht sind (v. Wilamowitz Homer. Unteruchs. 164), so ist doch eine deutliche Vorstellung von ihr nicht vorhanden. Sizilien kommt, abgesehen von XX 38, 3 nur an jungen Stellen vor, als Sikanie XXIV 307 (vgl. Thuk. VI 2). Jung ist auch die Stelle I 183, an der Temese, wohl Tempsa in Unteritalien, erwähnt wird (v. Wilamowitz 24), jung auch die Kenntnis [416] der hellen Nächte des Nordens (X 81). Die älteren Schichten wissen im Westen kaum Bescheid (über Scheria s. v. Wilamowitz 170), eher im Osten (v. Wilamowitz 166), wo mit Artakie (Od. X 108) die Quelle bei Kyzikos gemeint ist. Daher sind die Versuche späterer Erklärer, Odysseus in den Westen gelangen zu lassen und ihm einen Besuch des Ozeans zuzuschreiben, schon von Eratosthenes gebührend zurückgewiesen worden (Strab. I 16. 23). Kauffahrteischiffe werden nur V 249. VIII 161. X 322 erwähnt: man darf nicht vergessen, daß sie dem heroischen Stoffe des Epos fernliegen (vgl. Hesiod. op. 632) und ein ausgedehnter Handelsverkehr auch schon für diese Zeit vorausgesetzt werden darf.

Als Hintergrund dieser Schilderungen muß man sich die Kolonisation, richtiger den von ihr vorausgesetzten Verkehr denken (o. Bd. I S. 2827. IX S. 1871). Nachdem zuerst die gewissermaßen vor den Toren liegende kleinasiatische Küste, Cypern und Pamphylien besiedelt waren, folgt etwa in der Zeit von 850–600 die Erschließung von Thrakien, dem Hellespont, Kyrene, Sizilien und Italien; von besonderer Wichtigkeit sind die milesischen Kolonien im Pontos: nunmehr wird das ursprünglich geographisch unbestimmte Aia mit Kolchis gleichgesetzt (o. Bd. I S. 919). Namentlich im Westen und Nordosten werden der S. neue Gebiete erschlossen oder die vorhandenen gesichert. Denn man darf nicht vergessen, daß der Handelsverkehr meist der Gründung von Kolonien vorausgeht, aber ohne feste Stützpunkte schon wegen der Piraterie unsicher ist, deren Bedeutung Thuk. I 8. 13 betont. Hellas exportiert nach den besiedelten Gebieten seine Industrieerzeugnisse (o. Bd. IX S. 1403), und nicht zufällig sind die wichtigsten Handels- und Industrieplätze wie Korinth und Chalkis auch an der Kolonisation in erster Linie beteiligt (Büchsenschütz Besitz und Erwerb 366).

Das westliche Mittelmeer war lange Domäne der Phoiniker. Daß ein Samier Kolaios auf der Fahrt nach Ägypten durch widrige Winde bis nach Tartessos verschlagen sein sollte, war ein Ereignis, das sich dem Gedächtnis tief einprägte (Herod. IV 152). Das änderte sich durch die Entdeckungsfahrten der Phokäer, von denen Herod. I 163 berichtet, sie seien die ersten Griechen gewesen, die lange Seefahrten machten und die Adria, Tyrsenie (d. h. die Nordwestküste Italiens), Iberien und Tartessos erschlossen; sie fuhren nicht auf runden Kauffahrteischiffen, sondern auf Fünfzigruderern. Das führte zu einem regen Verkehr mit Adria und Spina, Sardinien und Corsica und besonders zur Gründung von Massilia (um 600), das ein Ausgangspunkt der griechischen S. im Westen wurde: nunmehr wurde das ganze Mittelmeer von Hellenen befahren. Doch war das übliche Ziel der S. immer noch der Osten, wo die ununterbrochene Inselkette eine Überfahrt nach Asien ermöglichte, die fast eine Küstenfahrt zu nennen war. Tyrrhenia und Karthago erschienen noch der perikleischen Zeit als Traum (Plut. Per. 20).

9. Athen

9. Athen. Der attische Handel und damit die attische S. entwickelt sich erst im 6. Jhdt. und wird im 5. nach Gründung des Seebundes so bedeutend, daß nunmehr ein großer Teil der [417] attischen Bevölkerung auf die S. angewiesen ist: abgesehen von den auf der Flotte dienenden Bürgern und den so gut wie ganz auf S. angewiesenen Kaufleuten ergaben sich schon durch die Kleruchien zahlreiche Beziehungen, die viele Athener zwangen, oft auf dem Wasser zu liegen: mochten die Kleruchen auch ihr Stimm- und Wahlrecht nur selten ausüben, so hatten sie doch ihren Gerichtsstand in Athen (o. Bd. XI S. 820). Daß viele attische Beamte unterwegs waren (z. B. im 4. Jhdt. die für Samos, Skyros, Lemnos und Imbros gewählten: Arist. Athen. pol. 62, 2), versteht sich von selbst. Auf der Höhe ihrer Macht übten die Athener sogar die Kontrolle über den pontischen Handel aus (o. Bd. VIII S. 181). Im J. 430 erwarten sie Frachtschiffe aus Phaselis und Phönizien (Thuk. II 69), J. 412 aus Ägypten (Thuk. VIII 35, 2). Mit Sizilien, Ägypten und dem Pontos bestehen die lebhaftesten Beziehungen (Xen. oec. 20, 27), von denen namentlich die Reden Zeugnis ablegen (Ps.-Dem. XXXIII 5. XXXIV 5ff. XXXV 15. LVI 7. LII 3 zeigt einen Kaufmann in Herakleia, der nach Libyen fährt und einen Bankier in Athen hat. Vgl. o. Bd. IX S. 2164 über Isokr. XVII). Wie dieser rege überseeische Verkehr auf das Familienleben wirkt, zeigt die Komödie (Legrand Daos 237): Geschäftsreisen nach Ägypten (Most. 994), Syrien (Trin. 112. 901), Kilikien (Phorm. 66), die sich oft bis ins dritte Jahr hinziehen (Stichus), sind ein beliebtes Motiv. Dichtung und Philosophie bilden den Typus des auf überseeischen Reisen dem Gewinn nachjagenden Kaufmanns aus (Norden In Varr. sat. 295. Gerhard Phoinix 97. 160. 220), z. B. Hor. ep. I 1, 45 impiger extremos curris mercator ad Indos per mare, pauperiem fugiens, per saxa per ignes. Ein Kaufmann aus dem phrygischen Hierapolis erzählt in seiner Grabschrift, daß er 72mal den Weg nach Italien über Kap Malea gemacht habe.

10. Rom

10. Rom. Die römische S. war lange unbedeutend und der überseeische Handel lag in den Händen von Phöniziern, Karthagern, Etruskern und Cumäern (Marquardt-Mau Privatleben 393, s. o. Bd. VI S. 756). In dem Vertrage mit Karthago vom J. 348 (?) verpflichteten sich die Römer, nicht über Kalon Akroterion hinaus zu fahren, und falls sie durch höhere Gewalt dazu gezwungen würden, keinen Handel zu treiben und binnen fünf Tagen abzufahren. In Libyen und Sardinien durften sie Handel treiben, aber unter Aufsicht karthagischer Beamter (Polyb. III 22). Von einem ähnlichen Vertrage mit Tarent erzählt Appian Samn. 7: danach durften die Römer nicht über das Lakinische Vorgebirge hinaus fahren. Erst seit der Niederwerfung Karthagos und der Erwerbung überseeischen Besitzes konnte sich eine lebhafte S. entwickeln; im 2. Jhdt. wird Rom die auch für den Osten maßgebende Macht, mehr und mehr Römer gingen über See, Ostia und Puteoli wurden lebhafte Häfen, in Delos spielte der römische Kaufmann und Bankier eine wichtige Rolle (o. Bd. IV S. 2494). Das Weltreich stellt ein ungeheures Handels- und Verkehrsgebiet dar (Strab. III 156), in dem außer den Kaufleuten auch Beamte und Studenten hin- und herfahren. Iuv. 14, 277 veniet classis quocumque vocarit spes lucri, nec Carpathium Gaetulaque tantum [418] aequara transiliet, sed longe Calpe relicta audiet Herculeo stridentem gurgite solum. Blümner Röm. Privatalt. 618.

11. Die Erschließung des Ozeans

11. Die Erschließung des Ozeans. Die Fahrten der Gaditaner über die Säulen des Herakles hinaus hinderten nicht, daß der westliche Ozean meist für unzugänglich galt; sie allein wagten die Fahrt nach den Kassiteriden (o. Bd. X S. 2328) und verstanden die Route auch vor den Römern geheim zu halten, bis es dem P. Crassus (ums J. 56) gelang, den Weg zu finden und der römischen S. zu erschließen (Strab. III 175). Die kühne Fahrt des Pytheas erschien noch dem Polybios so unglaublich, daß er ihn als Schwindler brandmarkte. Der Verkehr nach Gallien und Germanien bewegte sich auch in römischer Zeit fast ganz auf dem Landwege; eine Übertreibung ist Sen. qu. nat. IV 2, 24 nunc vero tota exteri maris ora mercatorum navibus stringitur (vgl. Aristid. 36, 91). Natürlich gab es auch in diesen Gegenden eine rege lokale S.; z. B. machte sich Caesar bei seinen britannischen Expeditionen die Erfahrungen der dort Handel treibenden gallischen Kaufleute zunutze (bell. Gall. IV 20, 3) und benutzte gallische Schiffe (21, 4, s. o. Bd. IX S. 2368). Erst in römischer Zeit (Strab. 117 E. Plin. n. h. II 167) erwarb man infolge einzelner kriegerischer Unternehmungen und Handelsfahrten eine solche Kenntnis dieser Länder, daß Ptolemaios die Entfernungen bis zur Weichselmündung anzugeben und auch über die weiter östlich liegende Küste Mitteilungen zu machen in der Lage ist, während Plin. IV 98 auf die Angabe genauer Maße in diesen Gegenden verzichtet hatte. Wie oberflächlich die Kenntnis dieser Gegenden auch später noch war, zeigen die falschen Vorstellungen, die man sich von Skandinavien machte (vgl. etwa Müllers Taf. 29 zu Geogr. Gr. min.). Partsch 48.

Noch weniger wußte man von der afrikanischen Westküste (Strab. I 32), trotz der vereinzelten Fahrten des Hanno und Himilko: Poseidonios lehnte die Nachrichten des Herodot und Herakleides Pontikos von einer Umsegelung Afrikas als unbezeugt ab (Strab. II 98). Dagegen machte er genaue Angaben über jenen Eudoxos (o. Bd. VI S. 929), der an der afrikanischen Ostküste Trümmer eines gaditanischen Fahrzeuges vorfand, und da Fahrten gaditanischer Fischer bis zum Lixosfluß häufig waren, so hielt er die Umschiffung Afrikas durch einen von ihnen nicht für unmöglich. Er versuchte dann von Gades aus die Umsegelung, anscheinend ohne Erfolg. Die anders lautende Nachricht des Nepos, Eudoxos sei Arabico sinu egressum Gadis usque pervectum (Plin. n. h. II 69), verdient daneben wenig Glauben; unkontrollierbar ist auch die Behauptung des Coelins Antipater (ebd.), vidisse se, qui navigasset ex Hispania in Aethiopiam commercii gratia. Ptolemaios weiß von dieser Küste weniger als Hanno gewußt hatte. Über Polybios’ Fahrt Plin. n. h. V 9. Cichorius Rh. Mus. LXIII 222.

Was den Osten angeht, so bestand zwischen Hellas und Indien lange keine S., da Indien mit dem Westen nur durch ägyptische, phönizische oder persische Vermittlung verbunden war (o. Bd. IX S. 1291). Die Ägypter befuhren zwar das Rote Meer (o. Bd. VI S. 594), aber den Handel [419] mit dem weiteren Osten vermittelten die Araber. Wie es mit der Umsegelung Südarabiens steht, die Skylax in Dareios’ Auftrage unternommen haben sollte, ist zweifelhaft (Berger 73). Epoche machte hier Nearchs Fahrt aus dem Indos bis zur Euphratmündung; wie kühn das Unternehmen war, geht aus dem Zweifel hervor, ob das dortige Meer wirklich schiffbar sei (Arrian. Ind. 22, 5). Immerhin konnte man sich für einzelne Strecken auf die Ortskunde der Eingeborenen stützen; ein Gedrosier bringt sie bis nach Karmanien (ebd. 27, 1), und auch sonst werden einheimische Lotsen genommen (ebd. 30, 3. 32, 7. 37, 2). – Die Versuche, eine direkte Verbindung von Ägypten nach Indien herzustellen, scheiterten zunächst (Arrian. 43, 9); auch die Expedition des Aelius Gallus mißglückte (Mommsen R. G. V 608). Doch gibt Strab. II 118 schon für jene Zeit die Zahl der von Myoshormos nach Indien fahrenden Schiffe auf 120 im Jahre an, während unter den Ptolemäern nur wenige die Fahrt gewagt hätten. Nicht lange nachher wurde der arabische Hauptstapelplatz Adane durch einen römischen Kaiser (Nero ?) zerstört und eine direkte Verbindung eingerichtet. Der Periplus des Roten Meeres (Ende des 1. Jhdts.) schildert die Fahrt von Myoshormos durch das Rote Meer an der arabischen Südküste entlang; die gewöhnliche Route bog an der Südostspitze Arabiens nach Nordwesten um, ging bis zum Vorgebirge Asabon (Mosandam), um von hier die persische Südküste (Omana) zu erreichen. An dieser entlang geht der Weg ostwärts, biegt an der Indosmündung nach Süden um und geht bis nach Bakare (o. Bd. II S. 2782) und Taprobane. Es gab aber auch kühnere Seefahrer, die von der Entdeckung des Südmonsums durch Hippalos (um 100 v. Chr. [?], s. o. Bd. VIII S. 1660) Nutzen zogen und von Kane oder vom Aromatavorgebirge direkt zur Indosmündung nach Barygaza oder zur Limyrike fuhren, wobei erstere Fahrt nicht länger als drei Tage dauerte (Peripl. 57, o. Bd. II S. 1210). Eine andere Route schildert Plin. n. h. VI 101ff., der von Berenike nach Ocelis (Aden) 30, von dort bis Muziris an der Limyrike mit dem Monsum 40 Tage rechnet. Durch diese Entwicklung war die Bedeutung von Arabia Eudaimon als Stapelplatz erheblich beeinträchtigt (Peripl. 26). Fahrten über die indische Westküste hinaus kamen nur vereinzelt vor; Peripl. 62–65 gibt einige dürftige Notizen über Verbindungen mit China. Ptolemaios bezeichnet als das Ende der S. vom Westen Kattigara, das man nicht mit Sicherheit lokalisieren kann, aber meist in Hinterindien sucht (o. Bd. XI S. 44). Partsch 16. Über entfernte Ahnungen von Java(?) s. o. Bd. IX S. 1175.

Die afrikanische Ostküste wurde vom Roten Meer aus befahren (Peripl. 7ff.); um das Aromatavorgebirge herum fuhr man an der Küste von Azania entlang bis zum Emporion Rhapta (o. Bd. II S. 2639. I A S. 238). Über die südlich anschliessende Gegend sagt Peripl. 18, sie sei unerforscht.

Literatur: H. Stephan Das Verkehrsleb. im Altert., Hist. Taschenb. 1868, 1. W. Götz Die Verkehrswege i. Dienste d. Welthandels, Stuttg. 1888. Breusing Die Nautik der Alten, Bremen 1886. Friedländer Sitt.-Gesch. II⁸ 1. Partsch Lpz. Ber. 68. Knapp Cl. Phil. II 19.