Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Entlassung aus der väterlichen Gewalt unter dem Recht eines Patrons
Band V,2 (1905) S. 24762479
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Emancipatio, scheint zuweilen nichts anderes bedeutet zu haben als mancipatio, d. h. eine Entäußerung durch dieses Geschäft. So bei Plinius ep. X 3, 3; andere Beweisstellen bei Cuq Les institutions juridiques des Romains. Paris 1891. 173. 1, ferner vgl. die schwankende Lesart Consultatio VI 10, 10 a. E. Inst. II 10, 2, eine Stelle, die das Testament durch mancipatio familiae betrifft (Lambert La traduction Romaine sur la succession des formes du testament [2477] devant l’histoire comparative, Paris 1901, 46ff.). Hiernach sind auch Dig. L 17, 77 und Gellius XV 27, 3 aufzufassen. Die gewöhnliche Bedeutung von E. ist jedoch die Entlassung aus der väterlichen Gewalt, so genannt, weil sie ursprünglich ohne mancipatio nicht möglich war (s. Mancipatio, auch Adoptio). Es wurde nämlich das Kind, das entlassen werden sollte, nicht unmittelbar von der Gewalt durch den Vater befreit. Es mußte vielmehr zunächst von ihm in ein Abhängigkeitsverhältnis (mancipium, s. d.) hingegeben werden, damit der Empfänger es nachher freilasse. Und zwar war dieses Verfahren, das eine Mehrheit von Rechtsgeschäften in sich schloß (Jhering Geist des römischen Rechtes IV 3 156), bei Söhnen umständlicher als bei Töchtern und Enkeln. Söhne mußten nämlich dreimal in das Abhängigkeitsverhältnis weggegeben werden, ehe sie endgültig von der Gewalt des Vaters frei wurden. Nach der ersten und zweiten Weggabe wurden sie durch den, dem sie hingegeben waren, freigelassen und dies bewirkte einen Rückfall in die väterliche Gewalt. Dies wird auf eine Vorschrift des Romulus zurückgeführt (Dion. Hal. II 27), deren Wortlaut allerdings so klingt, als sei dem Vater eine Schranke gesetzt worden, die verhinderte, den Sohn allzu häufig in fremde Gewalt hinein zu veräußern. Sie war auch in den 12 Tafeln wiederholt mit den Worten: si pater filium ter venum dabit, filius a patre liber esto, Gaius I 132 (Dirksen Übersicht der bisherigen Versuche zur Kritik und Herstellung des Textes des Zwölftafelfragmentes, Leipz. 1824, 278ff. Voigt Die Zwölftafeln I 708. II 311ff. Bruns Fontes tab. IV 2). Man faßte später diese Regel nur als eine Erschwerung der Emancipationsform für Söhne auf, worin man gewöhnlich eine Umbildung des ursprünglichen Strafrechtssatzes in eine Formvorschrift erblickt. So Sohm Institutionen § 12. Cuq a. a. O. 180. Der Zwang, das Kind zunächst einem Mitbürger anzuvertrauen, der die Verantwortung für den Wegfall der väterlichen Gewalt dadurch mit übernahm, mag den Vorteil mit sich gebracht haben, übereilten Emancipationen vorzubeugen; ein Zweck, dem auch der Grundsatz diente, daß der Haussohn wider seinen Willen nicht emanzipiert werden durfte, Paul. II 25. 5. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß das Gewaltsverhältnis des fremden Freilassers ursprünglich eine Zeitlang gedauert hat, damit er Gelegenheit fand, sich von der Tauglichkeit des Kindes zur E. zu überzeugen. Nach den Quellen freilich war sein Gewaltverhältnis nur ein scheinbares, sofort vorübergehendes, weil er sogleich die Freilassung vornahm, nachdem ihm das Kind übertragen worden war. Darum kann die Notwendigkeit der dreimaligen E. des Sohnes nur in der älteren Zeit einen Schutz gegen Übereilung gewährt haben, denn späterhin vollzogen sich die drei Veräußerungen mit den darauf folgenden Freilassungen hinter einander weg, so daß sie der späteren Zeit geradezu als eine zweck- und sinnlose Komödie erschienen. Vgl. hierzu Cod. Iust. VIII 48 (49), 6. Inst. I 12, 6. Theoph. I 12. 6. Lactant. IV 3, 17. Liv. VII 16. Ulp. XXIII 3. Paul. II 25, 2. Diese Förmlichkeit wurde dadurch noch verwickelter, daß der Vater sich durch Nebenvertrag [2478] (pactum fiduciae) auszubedingen pflegte, daß das Kind vor der endgültigen Freilassung ihm nochmals zurück übertragen werde, und zwar nicht mehr als Hauskind, sondern als eine dann auch bei ihm bloß in mancipatio befindliche Person. Dadurch erlangte er die Möglichkeit, es selbst frei zu lassen (parens manumissor), und erhielt selbst dem Kinde gegenüber die Rechte eines Patrons, die an den vorübergehenden Gewalthaber des Kindes gefallen sein würden, wenn dieser das Kind nicht zurückmancipiert, sondern statt dessen selbst in endgültiger Weise freigelassen hätte (als extraneus manumissor), was zuweilen vorkam. Volle Patronatsrechte wurden übrigens einem derartigen Freilasser nicht gewährt.

Die E. brachte eine capitis deminutio mit sich (Gai. I 162. Inst. I 16, 3), weil die agnatischen Familienrechte mit ihr dem Kinde verloren gingen (s. Capitis deminutio). Paulus erklärt dies daraus, daß bei ihr das Kind zunächst in eine scheinbare Sklaverei hinabstieg, ehe es gewaltfrei wurde, Dig. IV 5, 3, 1.

Das Geschäft der E. wurde in späteren Zeiten vielfach zu betrügerischen Zwecken mißbraucht, namentlich um der Familie des Vaters mehr Ackerland zu verschaffen, als erlaubt war, Liv. VII 16. Jhering Geist d. r. R. IV3 259. 260, auch Dig. XLIX 14, 26 (Emancipation zum Zwecke eines Erbschaftsantritts, der dem Fiskus den Nachlaß entziehen sollte). Der ursprüngliche Zweck scheint jedoch mit den Gründungen von Kolonien im Zusammenhange gewesen zu sein, da es wohl schwerlich anging, dem Hausvater in Rom seine Gewalt über die in die Kolonien gezogenen Kinder zu belassen. Ob vielleicht in diesem Falle die E. ursprünglich durch Gesetz geschah, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls mag es nicht selten vorgekommen sein, daß der Hausvater die Kinder seines in die Kolonie gezogenen Sohnes zunächst in der Gewalt zurückbehielt, später aber emancipierte, damit sie zu ihrem Vater reisen und von diesem arrogiert werden konnten (s. Adrogatio). Hiermit hängt die E. der unmündigen Kinder zusammen, bei denen der emancipierende Gewalthaber die Rechte eines gesetzlichen Vormundes erhielt. Inst. I 16, 18.

Die E. verlor dadurch viel an ihrer Gefährlichkeit, daß der Praetor die emanzipierten Kinder grundsätzlich den gewaltunterworfenen gleichstellte, wahrscheinlich deshalb, weil sie testamentarisch ihnen häufig gleichgestellt wurden. Jhering a. a. O. 284. Es mochte nämlich immer häufiger vorkommen, daß man Kinder emanzipierte, ohne sie zugleich wegen ihres Erbteiles abzufinden (vgl. E. Costa Corso di storia del diritto Romano, Bologna 1901, 320). Auch den Seitenverwandten des Vaters gegenüber verlor das Geschäft an Gefährlichkeit, weil die cognatische Erbfolge immer mehr die agnatische verdrängte. Dadurch wurde es mehr und mehr zu einer reinen Wohltat für die Emanzipierten, und wurde daher im neuesten römischen Rechte, welches überhaupt die väterliche Gewalt eher abschwächte, als steigerte, nicht nur nicht erschwert, sondern geradezu begünstigt. Seine Form wurde erleichtert. Schon Anastasius gestattete eine E. durch den Richter auf Grund kaiserlichen Reskriptes, Cod. VIII 49, 5, Iustinian sogar durch einfache Vereinbarung vor dem Richter, [2479] Cod. VIII 48 (49), 6. Inst. I 12, 6; Czyhlarz (Inst. 5. 6. 282) sieht in dem a sua manu dimittere, von dem der Kaiser spricht, das Erfordernis einer symbolischen Handlung, während es in Wahrheit wohl nur ein bildlicher Ausdruck ist.

Die Verleihung des Patriciats und der Erwerb der Bischofswürde sollten nach Iustinianischem Rechte jede E. überflüssig machen (Inst. I 12, 4. Nov. 81 praef.). Die Rechte eines parens, manumissor standen jetzt dem emancipierenden Vater ohne jedes paetum fiduciae von selber zu, Cod. VIII 48 (49), 6.

Außerdem wurde seit Constantin die E. dadurch befördert, daß das Gesetz dem Vater ein praemium emancipationis in Aussicht stellte, Cod. Theod. VIII 18 de bonis paternis c. 1, 2. c. 9, 3. Nach Iustinians Vorschrift bestand dieses praemium im Nießbrauche an der Hälfte des Vermögens des Kindes, Cod. Iust. VI 61, 6, 3. Zu dem Grundsatze, daß das selbständig gewordene Kind auch ohne E. gewaltfrei werden solle, ist jedoch das römische Recht auch in neuester Zeit nicht vorgedrungen, vielmehr blieb in ihm die väterliche Gewalt grundsätzlich ein Verhältnis für das ganze Leben (s. Patria potestas, auch Abdicatio). Mit Unrecht erblickt man in diesem Mangel einer gesetzlichen E. im römischen Recht ein zielbewußtes Zugeständnis an den Egoismus der Väter. Sie war vielmehr nur ein Überrest der patriarchalischen Urzustände, deren zweckmäßige Beschränkung innerhalb der römischen Rechtsgeschichte nicht zu einer vollen Entwicklung gelangt ist.

Literatur: Danz Lehrbuch der Geschichte des röm. Rechts II2 181ff. Jhering Geist d. röm. Rechts II4 184. III3 525. 553. 668. IV3 156. 259. 284. Windscheid-Kipp Pandekten8 III 101 § 525, 3 a. Dernburg Pandekten III6 59. Puchta-Krüger Inst. II10 390. Sohm Inst.11 56. 181. 468. 479. Czyhlarz Inst.5, 6 280ff. R. Leonhard Inst. 218ff. Jörs in Birkmeyers Encyklopädie I 161. Cuq Les institutions juridiques des Romains (Paris 1891) 151. 175. 179ff. 564ff. 648. E. Costa Corso di storia del diritto Romano (Bologna 1901) 314ff. Bonfante Diritto Romano (Firenze 1900) 177.