Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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einer der Hauptgötter Phoinikiens = Kronos in der Kosmogonie des Philo
Band V,2 (1905) S. 22172219
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El. Das Wort El, oder vielmehr Il אל‎, dessen Etymologie bestritten wird (Lagrange 79, 1), bedeutet in den semitischen Sprachen so wie das Wort Ilâh (Allāh) einfach ,Gott‘ und zwar, ähnlich wie Ba'al (s. d.), entweder den bestimmten Gott eines Stammes bzw. einer Stadt oder auch im allgemeinen die Gottheit. Bei den griechischen Schriftstellern ist nur von dem phoinikischen Ἦλ die Rede. In der Kosmogonie des Philo von Byblos wird erzählt (FHG III 567ff.), wie der Sohn des Uranos und der Ge, E. oder Kronos (Ἦλος ὁ καὶ Κρόνος), seiner durch ihren Gatten bedrängten Mutter Hülfe leistete: er erzeugte zwei Töchter, Persephone und Athena. Die letztere und der Hermes Trismegistos (Thot) gaben dem Kronos den Rat, eine eiserne Sichel und einen Speer zu schmieden, und mit diesen Waffen entriß er die Herrschaft seinem Vater; darauf gründete er die erste Stadt Phoinikiens, Byblos. Dann vermählte er sich mit den drei Schwestern Astarte, Rhea und Dione und erzeugte eine Anzahl von Kindern. Der vertriebene Uranos versuchte ihn durch List zu ermorden, aber Kronos lockte seinen Vater in einen Hinterhalt und entmannte ihn. Das Blut der Schamteile tröpfelte in die Quellen und Flüsse, und bis jetzt, sagt am Ende Philo, wird der Ort gezeigt. In anderen Bruchstücken weiß Philo noch manches Wunderbare von der Regierung des Kronos zu erzählen. Es ist schwer zu sagen, was in diesem Mythos, wo Phoinikisches, Griechisches und Ägyptisches (Thot) seltsam gemischt sind, wirklich auf eine sakrale Überlieferung des einheimischen Klerus zurückgeht. Die Lehre einer Wechselfolge von Göttern ist, wie in Griechenland (Uranos, Kronos, Zeus), so im Orient sehr verbreitet (Cumont Myst. de Mithra I 756f.).

So viel ist sicher, daß E. einer der Hauptgötter nicht nur von Byblos, sondern von Phoinikien [2218] überhaupt war. Damascius (vita Isid. 115) berichtet ὅτι Φοίνικες καὶ Σύροι τὸν Κρόνον Ἦλ καὶ Βὴλ καὶ Βολαθήν (s. d.) ὀνομάζουσιν. Auf Weihinschriften erscheint E. (pl. Elim) häufig für ,Gott‘, und sein Kult ist durch die zusammengesetzten Eigennamen nicht nur für Phoinikien, sondern für das punische Afrika bezeugt (Bäthgen 301ff.). Die Griechen setzten ihn gewöhnlich dem Kronos gleich, und wenn sie von einem phoinikischen Kronos reden (z. B. bei Kinderopfern), wird gewöhnlich der E. zu verstehen sein (Ed. Meyer 1226f.; vgl. z. B. Le Bas-Waddington 2375. 2544). Die Ähnlichkeit des Klanges veranlasste auch eine Verwechslung des 'Ἦλος mit Helios (Serv. Aen. I 642: omnes in illis partibus Solem colunt, qui ipsorum lingua El dicitur; vgl. Diod. II 30 wo statt ἥλιον Ἦλον gemeint ist und Rev. Archeol. 1903, I 138 ein Κρόνου Ἡλίου βωμός in Beirut).

Dargestellt wurde E. nach Philo (frg. 2, 26) mit vier Augen, zwei vorne, zwei hinten und vier Flügeln, von denen zwei aufgespannt und zwei gesenkt sind. Das Bild dieses phoinikischen Kronos erscheint auf Münzen von Byblos und Mallos und auf geschnittenen Steinen (Clermont-Ganneau Rec. archéol. orient. IV 158) und ist das Prototyp des mithrischen Kronos (= Zervan Akarana) geworden (Cumont Myst. Mithra I 75, 4).

Wie der Ba'al mit Baltis (s. d.) ein Paar bildete, so wurde auch neben E. eine Elat verehrt. Sie besaß in Karthago einen Tempel mit einem Priesterinnenkollegium, und auch in Sardinien hatte sie ein Heiligtum (CIS I 149. 243; vgl. IV nr. 11).

Auch außerhalb des phoinikisch-punischen Gebietes ist die Verehrung des E. nachzuweisen. Bei den Hebräern hat sie einige Spuren in der Bibel hinterlassen, obwohl das Wort E. in den meisten Büchern vermieden wird (Bäthgen 298ff.; vgl. Etym. M. s. Ἰσραὴλ · ἢλ σημαίνει τὸν θεόν). In Nordsyrien finden wir auf der ersten Inschrift von Sindjirli diesen Gott viermal mit Hadad genannt (Halévy Revue sémitique I 138ff. 238ff.), und in der aramäischen Onomatologie ist E. ein häufiger Bestandteil der theophoren Namen. Bis an die Grenze der Wüste sind solche Komposita zahlreich, und E. scheint auch dort mit dem Helios verschmolzen zu sein (Dussaud et Macler Voyage au Safa 1901, 23. 64 usw.). Im Pantheon von Palmyra hat er nur einen bescheidenen Platz (Mordtmann Palmyrenisches [Mitt. Vorderasiat. Gesellsch. IV] 1899, 38). In Südarabien wird dagegen Il אל‎ häufig als Gottesbezeichnung gebraucht und z. B. bei den Himjaren als ein besonderer Gott neben Atthar angerufen (Bäthgen 306f.). Selbst in Aithiopien ist er nachgewiesen worden (ebd. 308).

Aus den zusammengestellten Tatsachen geht hervor, daß E., welcher dem assyrisch-babylonischen Ilu entspricht, in uralter Zeit bei den verschiedensten semitischen Stämmen verehrt wurde, aber in der historischen Epoche stellt er sich als ein im Verblassen begriffenes Überbleibsel dar. Die Sprache hat in den theophoren Namen die Erinnerung seines früheren Ansehens bewahrt, aber einen Kultus genießt er verhältnismäßig selten, und ist durch bedeutendere Nebenbuhler [2219] wie Ba'al oder Allah schon verdrängt. Ed. Meyer in Roschers Lexikon I 1223f. Bäthgen Beiträge zur semit. Religionsg. 1888, 297ff. Lagrange Etudes sur les relig. sémit. 70ff.

[Cumont. ]