Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Epiklesis d. Apollon
Band IV,2 (1901) S. 24432446
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Delios (Δήλιος) 1) Epiklesis des Apollon von seinem berühmten Cult auf Delos. Schon in alter Zeit scheint diese Insel mit ihrem Apollonheiligtum den Mittelpunkt einer religiös-politischen Vereinigung der benachbarten stammverwandten Anwohner des aegaeischen Meeres gebildet zu haben. Den Charakter der damaligen Feste schildert der schon von Thuc. III 104 gewürdigte homerische Hymnos I, mögen Einzelheiten auch auf eine spätere Zeit weisen, im ganzen wohl zutreffend. Staaten, die innerhalb jenes Kreises zu besonderer Blüte gelangten, scheinen alsbald die Beziehungen zu Delos besonders gepflegt zu haben (wie z. B. Naxos und Keos). Und so blieb es auch später; wer die politische Macht auf dem aegaeischen Meer anstrebte oder ausübte, suchte durch Weihgeschenke, Festgesandtschaften u. dgl. die Anknüpfung an den alten delischen Cult zu bekunden, oder er trat geradewegs als Sohutzherr von Delos, als Erneuerer alter Cultgebräuche, als Wiederhersteller alter Feste auf, so z. B. Peisistratos, Polykrates, dann die Athener mit ihrem delisch-attischen Seebund und der 426/5 erfolgten Erneuerung der delischen Feste u. a. Aus den historischen Quellen, aus den delischen Funden, Weihgeschenken und Inschriften lässt sich die Bedeutung, die aller Orten der kleinen Insel mit ihrem zeitweilig bedeutenden Markt- und Geldverkehr zuerkannt wurde, bis in die römische [2444] Zeit hinein verfolgen. Dementsprechend wird der delische Apollon, dessen Altar schon Homer Od. VI 162 erwähnt, in unseren Quellen oft gefeiert, wie z. B. in den Hymnen Hom. I und Kallim. IV, als Δάλου σκοπός bei Pind. Ol. VI 100, als Δαλογενής bei Bakchyl. III 58. X 15 Bl. Simonid. frg. 26 B Bgk. und ganz besonders häufig als Apollon D. oder als D. allein, z. B. Soph. Aias 704; Oid. Tyr. 154. Eurip. Rhes. 224. Socr. frg. 2 Bgk. Aristoph. Nub. 596. Menand. frg. 45 Kock. Kallim. hymn. II 4. Theocr. epigr. XXI 4 Ziegl. CIA III 171 b. CIG 1152. IGS I 114 = Ἐφ. ἀρχ. 1885, 158. Anth. Pal. XII 27. Anth. Plan. 317. Orph. Hymn. XXXIV 8. Anon. Laur. II 7 = Schöll-Studemund Anecd. II 267. Verg. Aen. III 162. VI 12. Ovid. met. V 329. VI 250 u. ö. Dass die Epiklesis D. sich von dem Cult auf der Insel Delos herleitet, wie u. a. schon Kallim. hymn. IV 269 und Suid. betonen, ist selbstverständlich und sei nur deshalb besonders erwähnt, weil die Ableitung von δῆλος, δηλόω, die sich u. a. bei Cornut. 32. Macrob. sat. I 17, 32. Plut. de e apud Delph. 2 p. 385 B, vgl. 21 p. 394 A und de latenter vivendo 6 p. 1130 A findet, noch neuerdings gelegentlich wiederholt wird, indem Apollon D. als Lichtgott erklärt wird, nach dessen Epiklesis erst die Insel benannt sei, vgl. z. B. Fröhde in Bezzenbergers Beiträgen XIX 234. Auf Delos selbst führte Apollon ursprünglich jene Epiklesis nicht, wie die überwiegende Zahl der delischen Inschriften zeigt, die nur von Apollon ohne jeden Zusatz oder von Apollon ἐν Δήλῳ sprechen. Doch gebrauchte man später die Epiklesis D. im gleichen Sinne wie ἐν Δήλῳ auch dort, vgl. z. B. CIG 2265. CIA II 814 b 11. 38; a B 26. 31 = CIG 158, und insbesondere die Weihgeschenkinschriften Bull. hell. VI 29ff. = Dittenberger Syll.² 588 (unter den zwölf verschiedenen Weihinschriften mit der Epiklesis D. sind die meisten von auswärts, eine aber auch von einem Delier, Bull. hell. VI 33 Z. 42); ebenso wird D. mit speciellem Bezug auf den Cult auf Delos gebraucht bei Thuc. III 104. Athen. X 424 f. Philostr. vit. Apollon. III 14. Clem. Protr. 45 p. 39 P. Syncell. p. 290 Dind. Athen agor. leg. pro Christ. 14. Über Delos und seinen Apolloncult, über die Feste Apollonia und Delia, über die Festgesandtschaften und die Priesterschaft vgl. im übrigen die Artikel Amphiktyonia Nr. 5, Angelion, Apollonia Nr. 33, Delia Nr. 3, Deliades, Delos sowie Gilbert Deliaca, Dissert. Götting. 1869. Lebègue Recherches sur Délos, Paris 1876. Nenz Quaestiones Deliacae, Dissert. Halle 1885. Busolt Griech. Geschichte I 16. 211f. 563. II 348ff. v. Schoeffer De Deli insulae rebus, Berliner Studien IX 1ff. Gruppe Griech. Myth. 237ff. Preller-Robert Griech. Myth. I 235ff. Homolle im Bull. hell, (in fast allen Jahrgängen] sowie in verschiedenen Specialschriften über die delischen Funde, insbesondere: Les archives de l’intendance sacrée à Délos, Paris 1887. Ein vollständiges Bild des delischen Cultes lässt sich erst erwarten, wenn einerseits die Gesamtpublication über die Ausgrabungen auf Delos abgeschlossen sein und andererseits die auf Delos bezüglichen Inschriften (vgl. CIG 2265ff. CIA II 813ff. Bull. hell. in allen Jahrgängen) in den Inscript. graec. [2445] insular. maris Aegaei vorliegen werden. Bezüglich der beiden wichtigsten Mythen, die sich auf den delischen Apollon beziehen, vgl. zur Geburtssage: o. Bd. II S. 21. Preller-Robert Griech. Myth. a. a. O. Robert Arch. Jahrb. V 218ff. zur und Hyperboreersage o. Bd. II S. 27. Preller-Robert a. a. O. 242ff. Crusius bei Roscher Myth. Lex. I 2810ff.

Wo der Cult des Apollon D. ausserhalb Delos vorkommt, steht er überall im Zusammenhang mit den um Delos gruppierten Vereinigungen oder bezweckt eine Angliederung bezw. Bekämpfung delischen Einflusses, ist somit in dieser Form überall jünger als der Cult auf Delos selbst. Nachweisen lässt sich die Verehrung des Apollon D. an folgenden Orten: A. Inseln des aegaeischen Meeres: 1. Amorgos: Tempel in Minoa, Ross Inscr. ined. 113. Athen. Mitt. I 338. Bull. hell. VIII 440; Ruinen des Heiligtums und Weihgeschenke, Weil Athen. Mitt. I 331ff. Ferner ein Tempel des Apollon Delieus in Arkesine, Athen. Mitt. XI 113, s. Delieus. 2. Chios: Delion, Bull. hell. III 231. 3. Kalymna: Weihgeschenk, Paton-Hicks Inscr. of Cos 60 = Bull. hell. V 228 ; Monat Δάλιος, Bull. hell. VIII 42. 4. Keos: Fest auf Keos und Festgesandtschaft nach Delos, Bakchyl. XVI 130 Bl. Bind. Isthm. I 4ff. mit Schol. zu 1–9. Pind. frg. 87. 88 nebst Bergk Poet. Lyr. Gr.⁴ I 482 (anders Boeckh Pind. Expl. 483f.); Unterkunftshalle der Keier auf Delos selbst, Herod. IV 35, vgl. u. Delos und Gruppe Griech. Myth. 237. 5. Kos: Delion, Paton-Hicks Inscr. of Cos 43 (= Dittenberger Syll.² 619); Priester, Paton-Hicks 125; Monat Δάλιος. Paton-Hicks 30. 43. 367, 53 sowie p. 328ff., vgl. Dubois Bull. hell. VIII 42. 6. Naxos: Delion nahe der Hauptstadt. Parthen. 9. Plut. mulier. virtut, 254 F. 7. Nisyros: Heiligtum, IGIns. III 92; Monat Δάλιος, ebd. 89. 8. Paros: Heiliger Bezirk, CIG II add. 2384 e. 9. Rhodos: Festgesandtschaft, Bull. hell. II 325; Monat Δάλιος, IGIns. I 839 u. ö. vgl. Dubois Bull. hell. VIII 42. 10. Syme: Weihung, IGIns. III 2. 11. Telos: Monat Δάλιος, IGIns. III 85. 12) Tenos: Festgesandtschaft, CIG 2329. B. Kleinasiatische Küste. 13. Erythrai: Priester, Rayet Rev. arch. XXXIV 107 = Dittenberger Syll.² 600, 21. C. Attika. 14. Athen: Priester, CIA III 270. vgl. 652. 1085. 1298. Keil Philol. XXIII 220f. Über den Cult vgl. Athen. VI 234 E. F. Theophr. b. Athen. X 424 F. Töpffer Herm. XXIII 332, der gegen Mommsen Heortol. 51. 423 die Existenz eines Delion in Athen verteidigt; anders v. Wilamowitz Herakles I 5. 346f., der an Verehrung des Apollon D. im Delphinion, bezw. in Daphnephoreion zu Phlya denkt, Festgesandtschaft nach Delos, deren Teilnehmer Δηλιασταί genannt werden, auf dem heiligen Schiff, besonders bekannt wegen des dadurch bewirkten Aufschubs von Sokrates Tod, Plat. Phaid. 58 A – 59 E; Krit. 48 C. Xenoph. memor. IV 8, 2. vgl. III 3, 12. Demosth. IV 34. Arist. Athen, pol. 54. 56. Plut. an seni resp. gerenda 6 p. 786 F. Schol. Plat. Phaid. 58 B. Hesych. und Suid. s. Δηλιασταί. Besonders glänzende Theorie unter Nikias, Plut. Nic. 3. Angeblich bestand der Brauch seit Theseus, der nach attischer Legende auch den Agon und das Cultbild auf Delos gestiftet [2446] haben sollte, vgl. Plat. Phaid. 58 A. B. Bakchyl. XVI Bl. Kallim. hymn. IV 313. Plut. Thes. 21. 23; quaest. conviv. VIII 3 p. 724 A. Paus. VIII 48,3. IX 40, 4. Suid. s. θεωρός. Hesych. s. Δηλιακὸς βωμός. Über die attische Theorie vgl. auch Boeckh Staatshaush. II 81f. C. F. Hermann De theoria Deliaca, Ind. Schol. Gotting. 1846/7. Pfuhl De Atheniens. pompis sacris 106f.; über die Δηλιασταί vgl. Töpffer Herm. XXIII 321ff. 15. Phaleron: besonderer Cult, CIA I 210. 16. Marathon: Delion, in dem vor Abgang der attischen Theorie geopfert wurde, Philochor. bei Schol. Soph. Oed. Col. 1047; vgl. Töpffer a. a. O. 321. Pfuhl a. a. O. 17. Prasiai: alte Beziehungen zu Delos durch die Erysichthon- und Hyperboraeersagen, Paus. I 18, 5. 31, 2. Phanodem. bei Athen. IX 392 d. Plut. frg. 10 bei Euseb. praep. evang. III 8 p. 88. Syncell. p. 290 Dind.; vgl. Lolling Athen. Mitt. IV 354ff. Töpffer a. a. O. 328. Preller-Robert Griech. Myth. I 246, 1. D. Euboia. 18. Chalkis: Festgesandtschaft, Paus. IX 12, 6. E. Boiotien. 19. Orchomenos: heiliger Bezirk, IGS I 3283, 20. Delion bei Tanagra, bekannt durch die Schlacht. Thuc. IV 76. 90–102. Paus. IX 20, 1, vgl. I 29, 13. IX 6, 3. Diog. Laert. VI 20 u. a., nach der einen Auffassung eine Stiftung unter delischem Einfluss, Strab. IX 403, mit einem angeblich aus Delos stammenden Cultbild, Herodot. VI 118. Paus. X 28, 6, nach boiotischer Legende aber zeitweilig wohl gerade im Gegensatz zu Delos als die wirkliche Heimat des Apollon D. betrachtet. Delienfest mit Agon, Schol. Pind. Ol. VII 153. Diod. XII 70. IGS I 20 = Εφ. ἀρχ. 1886, 228, 2. 21. Tegyra: auch in dieser Stadt mit altem Apolloncult, nach der boiotischen Sage bekanntlich Geburtsstadt des Apollon, knüpfte man an die delische Sage an, indem man einen Hügel Delos nannte (Plut. Pelop. 16) und den Anspruch erhob, dies sei der alte Platz, von dem Apollon D. in Wahrheit seine Epiklesis führe. F. Peloponnesos. 22. Epidelion an der lakonischen Küste, später auch Delion genannt, hatte ein Apollonheiligtum, wo ursprünglich wohl Apollon Ἐπιδήλιος verehrt sein mag. Später stellte man den üblichen Zusammenhang mit Delos her und erzählte, das Cultbild solle aus Delos stammen, Paus. III 23, 2. Strab. VIII 368. Sam Wide Lakon. Culte 71. 93. 23. Messene: Festgesandtschaft nach Delos mit angeblichem ᾆσμα προσόδιον des Eumelos, Paus. IV 4, 1. 33, 3. V 19, 10. Auch für andere Orte hat man noch auf Cult des Apollon D. geschlossen, so für Megara aus der dort gefundenen Inschrift IGS I 20 (doch gehört der hier erwähnte ἀγών des Apollon D. nach Delion bei Tanagra) und für Argos aus CIG 1152 (doch steht hier Δήλιος ebenso wie IGS I 114 nur als Synonym für Ἀπόλλων). Ebenso erscheint es zweifelhaft, ob man aus dem Vorkommen des Monates Delios (s. Art. Dalios) in jedem Falle ohne weiteres auf einen localen Cult des Apollon D. an dem betreffenden Orte schliessen darf.