Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Nachkommen d. troischen Dardanos
Band IV,2 (1901) S. 21582163
Dardanos (Sohn des Zeus) in der Wikipedia
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Dardanidai (Δαρδανίδαι), die Nachkommen des troischen Dardanos. Den Geschlechtsnamen führt in der Ilias häufig Priamos, zweimal Ilos in feierlicher Wendung (XI 166. 372).

Den Stammbaum des Geschlechts liefert durch den Mund des Aineias Il. XX 215ff., für die beiden letzten Generationen lässt er sich durch gelegentliche Angaben der Dichtung bedeutend vervollständigen, in einer Hinsicht aber versagt letztere fast ganz, nämlich für die Ahnfrauen. Hier traten ergänzend die jüngeren Epen ein, direct überliefert ist es nur für des Aineias Gattin (Eurydike) aus Kyprien und kleiner Ilias, aber gewiss nach epischer Quelle nennt Alkman (frg. 113) des Laomedon Gattin Zeuxippe. Die Ahnfrauen der mythographischen Litteratur hatte unter Benützung des Hellanikos u. a. Porphyrios in seiner Schrift περὶ τῶν παραλελειμμένων τῷ ποιητῇ ὀνομάτων behandelt, und aus ihr schöpfen die Scholien (vgl. E. Schwartz De schol. Hom. ad hist. fab. pert., Jahrb. f. Phil. Suppl. XII 1881). Besonders wertvoll wären die Angaben des Pherekydes, man weiss aber nur, dass er Laomedons Gattin Leukippe nannte und Hekubas Stamm durch drei Generationen auf Proteus oder Sangarios zurückführte (frg. 99). Zusammenstellung verschiedener Versionen ist nicht seine Art, also Proteus ist zu streichen oder Sangarios; wenn letzterer, dann wäre Pherekydes hier von der Autorität Homers abgewichen. Das thut er höchst selten – vgl. frg. 24 a (FHG IV 635] und frg. 102 –, dagegen verdankt man ihm wichtige Ergänzungen gerade zu Homer, so für Aëdon (vgl. Bd. I S. 468) und Niobe (Thraemer Pergamos 7). Da im Schol. Lyk. 18 Priamos und Tithonos Stiefbrüder sind und des ersteren Mutter den pherekydeischen Namen Leukippe trägt, so geht wohl auch die Mutter des Tithonos, Rhoio des Skamandros Tochter, auf diesen Logographen zurück. Reichlicher fliessen die Angaben aus des Hellanikos Troika. Über des Dardanos Mutter Elektryone und Gattin Bateia vgl. S. 2165. 2169. Frau des Tros war nach ihm Kallirrhoe Tochter des Skamandros (Schol. Il. XX 232), des Laomedon Strymo Tochter des Skamandros (frg. 137; man beachte die Abweichung von Pherekydes). Ebenfalls einheimische Flussnymphen (Töchter des Simoeis) sind Astyoche des Erichthonios und Hieromneme des Assarakos Frau (Tzetz. Lyk. 29. Apollod. III 12). Auch sie mögen aus Hellanikos stammen, wie M. Wellmann Comm. Gryph. 62 vermutet. Zu den Flussnymphen gehört noch Oinone, Tochter des Kebren, [2159] Frau des Paris, während Kalybe, von Laomedon Mutter des Bukolion, einfach als Nymphe bezeichnet ist (Apollod. III 12, 6, 1 u. 3, 8). Von anderer Art ist die Ilosgattin Eurydike, Tochter des Adrastos (Schol. Il. XX 236). Ich vermute im Vater den Eponym von Adresteie (Il. II 828); dieses nämlich lag in der Nachbarschaft von Priapos, und gerade in der Geschichte des Ilos spielt der priapische Apoll eine Rolle (Hellanikos im Schol. Lyk. 29). Zweimal findet Heirat unter Dardaniden statt: des Ilos Tochter Themis (Apollod. III 12) oder Erytheia (Schol. Town. Il. XX 239) verbindet sich mit dem Vetter Kapys, ja des Laomedon Tochter Klytodora (Dion. Hal. I 62) gewinnt es über sich, dem Grossoheim Assarakos die Hand zu reichen (die Frauen im Verzeichnis des Dionysios tragen teils die auch anderweits bekannten Namen, aber in abweichender Zuteilung, teils ganz neue, wie die eben genannte Klytodora oder des Tros Frau Akallaris, Tochter eines Eumedes; dieser Name kehrt im troischen Kreise wieder als Vater des Dolon, Il. X 314). Überblickt man die ganze Reihe der Gattinnen, so ist ihr specifisch troisches Gepräge ins Auge fallend, höchstens ein befreundeter Nachbarstamm liefert einmal einen Beitrag, wie Phrygien die von einem Unbekannten dem Laomedon gesellte Plakia Tochter des Otreus (der Name des Vaters richtig gestellt von M. Wellmann a. a. O. 56). Hier hat offenbar das Vorbild der Ilias gewirkt, denn was diese an Gattinnen des Geschlechts bietet, ist (von Eos und Aphrodite abgesehen) entweder troisch (die Nymphe Abarbaree VI 22, hierher stelle ich auch die namenlos erwähnte Ahnmutter XX 305) oder freundnachbarlich wie Hekabe, Phrygerin vom Sangarios (XVI 719), des Priamos Nebenfrau Laothoe (Lelegerin aus Pedaros XXI 81) und Andromache aus dem hypopklakischen Theben (VI 395). Ein jäher Sprung führt aus dem enggezogenen Kreise dardanischer Verbindungen zum Paar Hesione-Telamon, den Eltern des Teukros (Hellanik. frg. 138). Aber wie jung ist das! Diese Verbindung soll doch wohl die auffallende Thatsache erklären, dass in der Ilias ein Achaeer den Namen Teukros führt. Die Mutter Hesione giebt allerdings die Erklärung, aber unter der Vorbedingung, dass das teukrische Volkstum der Troas bereits entdeckt ist (vgl. das S. 2167 zu Kallinos Bemerkte). Die Laomedontis Hesione ist denn auch ein dorisches Gewächs, mag immerhin die Ilias in überlieferter Gestalt auf sie anspielen (XX 145–148). Das gehört in das Capitel der dorischen Verfälschungen des echten Homer (vgl. Thraemer Pergamos 112ff. und speciell über die prahlerisch vorgedrängten troischen Heldenthaten des Herakles ebd. 120). Die Rolle der Hesione nimmt das Geschick einer Kassandra oder Andromache vorweg und deckt sich andererseits mit der Geschichte der Andromeda.

Während die Griechen sich begnügt haben, den Ahnherrn der D. in Abhängigkeit von der hellenischen Sage zu bringen (durch Einsetzung der Arkaderin Elektra für die γυνὴ θνητή Homers, vgl. S. 2165), suchten die später in die Geschichte eintretenden Volksstämme Anschluss an die letzte Generation des Geschlechts. Den Anfang machte das molossische Herrscherhaus, ihm folgten die mit ihm verschwägerten Argeaden. In männlicher [2160] Linie leiteten sich jene von Aiakos, diese von Herakles ab (vgl. v. Gutschmid Die makedonische Anagraphe, Symb. phil. Bonn. 131ff.), mit Dardanos wurde das Band durch Achills Sohn Pyrrhos geknüpft. Verschleiert liegt dies schon in Pindars Anrede an den Makedonen Alexander: ὀλβίων ὁμώνυμε Δαρδανιδᾶν, παῖ θρασύμηδες Ἀμύντα (frg. 120 Bgk.), gerade heraus heisst Alexander d. Gr. bei Lykophr. 1440 ἀπ’ Αἰακοῦ τε κἀπὸ Δαρδάνου γεγὼς . . . λέων. Die Rechnung hat einen kleinen Fehler, denn die Stammmutter Andromache ist nicht Dardanis, sondern Kilissa. Die Behauptung der Scholien zu Lykophron, dass das molossische Herrscherhaus sich auf den Dardaniden Helenos zurückführte (sie berufen sich

[2161] auf Theopomp), ist falsch, des Helenos und der Andromache Sohn Kestrinos gehört den Chaonern. Der römischen Gens Iulia dagegen gab die Abstammung von Aeneas sowohl Dardanidenblut als das nächste Anrecht auf die Penates populi Romani.

Über die einzelnen Figuren des Kreises vgl. die betreffenden Artikel, hier mögen nur zwei Punkte allgemeinerer Natur berührt werden, die Residenz der D, und die Vorherverkündigung des Dardanidenschicksals.

1. Der Herrschersitz der Dardaniden. Nach Angabe der Ilias gründet der Ahnherr Dardanie am Ida, während Ilion noch nicht existiert (vgl. unter Dardanos S. 2164). Von wem die jüngere Residenz Troia-Ilion gegründet worden, sagt die Dichtung nicht, sie erwähnt nur den Mauerbau des Laomedon. Erichthonios und Tros sind jedenfalls noch in Dardania residierend gedacht, wenn also letzterer als Τρώεσσιν ἄναξ erscheint (Il. XX 230), so ist Τρῶες hier in der verallgemeinerten Bedeutung von der Bevölkerung des ganzen Landes verstanden. Die richtige Folgerung aus den Andeutungen der Ilias bietet Konon 12: τὰ περὶ Τρωὸς ...., ὃς ἐβασίλευσε τῶν περὶ τὴν Ἴδην χωρίων καὶ γεννᾷ .... Ἶλον, ἐξ οὗ τὸ Ἴλιον, vgl. Strab. XIII 593. So ist also der Eponym Troias in der griechischen Sage vor Troias Gründung gerückt. Seine einzige der Nachwelt überlieferte Thätigkeit ist die Erzeugung der drei Söhne Ilos, Assarakos, Ganymedes; für den Verlust des letzteren entschädigt ihn Zeus durch das Geschenk herrlicher Rosse (Il. V 265). Die kleine Ilias (Schol. Eur. Or. 1392; Troad. 821) nimmt ihm auch noch den Ganymed und macht diesen zum Laomedontiaden; die Entschädigung besteht jetzt in einem goldenen Weinstock. Überhaupt scheint Laomedon einen Hauptanziehungspunkt für die Sage darzustellen. Denn wie die Geschichte von Ganymed ist auch der Mauerbau (vgl. u.) von ihm attrahiert worden; endlich sind auch die vielen Frauen Laomedons ein Zeugnis mannigfach von ihm umgehender Überlieferung. Mögen Rhoio (Mutter des Tithonos) und Kalybe (Mutter des Bukolion, Apollod. III 12, 3) als Nebenfrauen ausser Rechnung bleiben, als legitime Gattinnen concurrieren Zeuxippe (Alkman), Leukippe (Pherekydes), Strymo (Hellanikos), Thoosa (Skamon), Plakia (Ps.-Apoll. bibl.). Troias Geschichte eröffnet nach der Sage erst Ilos; damit stimmt bestens sein in der Nähe Ilions befindliches Grab (Ἴλου σῆμα παλαιοῦ Δαρδανίδαο Il. XI 166). Die Späteren nennen ihn ausdrücklich den Gründer Ilions. Da indessen die Stadt nach der Ilias erst unter Ilos Sohn Laomedon eine Mauer erhält, εὐρύ τε καὶ μάλα καλόν, ἵν’ ἄρρηκτος πόλις εἴη (die Dichtung kennt zwei verschiedene Versionen, nach XXI 416 hat Poseidon allein, nach VII 543 haben Poseidon und Apoll die Mauer errichtet), so wird das vorlaomedontische Ilion als offene, etwa um eine feste Königsburg gelagerte Stadt gedacht worden sein. In den von Nicole veröffentlichten Genfer Scholien zu XXI 144 soll dieser Mauerbau die Πέργαμος ἄκρη befestigt haben, und als Gewährsmann dafür wird daselbst Hellanikos genannt. Was bleibt da für Ilos übrig, dem derselbe Hellanikos die Gründung Ilions zugeschrieben haben soll (Schol. Lyk. 29)? Eines der Zeugnisse muss fallen, ohne Zweifel das erstere.

[2162] 2. Die Weissagung über das Schicksal der beiden Dardanidenzweige. Il. XX 302ff. verkündet Poseidon dem durch Priamos vertretenen älteren Zweige den Untergang, nach dessen Erfüllung aber dem Geschlecht des Aineias in Kind und Kindeskindern die Herrschaft über die Troer. Dieselbe Weissagung wiederholt Aphrodite in dem ganz den Troika gewidmeten homerischen Hymnus IV 196f. Grundlage ist sie endlich auch für die Persis, nach welcher das von Zeus einst dem Dardanos verliehene Palladion in Troia (wohin es also aus Dardania übergeführt worden war) vorsorglich im Geheimen bewahrt, öffentlich dagegen eine Copie aufgestellt war; nur letztere sei in die Hände der Achaeer gekommen (Dion. Hal. I 69). Die Dichtung liess nach dem Untergang Laokoons Aineias mit den Seinen nach dem Ida abziehen, natürlich unter Mitnahme des echten Palladions, an dessen Bewahrung das Heil der Dardaniden geknüpft war (vgl. S. 2164). Die summarische Inhaltsangabe des Proklos hat das Palladion unterdrückt. Die Darstellung der Persis richtet sich gegen die kleine Ilias, die bekanntlich den Palladionraub durch Diomedes und Odysseus erzählt hatte. Ein schwächlicher Ausgleich zwischen der Aineiadenüberlieferung und der kleinen Ilias sind die zwei Palladien des Dardanos bei Dion. Hal. I 68. Was in der älteren Sage eine gelegentliche Weissagung aus göttlichem Munde war, ist von den Späteren in einen unter den Troern umlaufenden Orakelspruch umgewandelt (Schol. Il. XIII 461) und zwar nach Alex. Polyhistor der sibyllinischen Bücher (Schol. V u. Townl. Il. XX 307 und dazu Maass). Von ihm soll Homer Kenntnis erhalten und sie im Y verwertet haben. Um die Beziehung auf Rom deutlich hineinzubringen, wurde der Vers XX 307 so umgearbeitet: νῦν δὲ δὴ Αἰνείω γενεὴ πάντεσσι ἀνάξει (vgl. Strab. XIII 608). Eine Geschmacklosigkeit sondergleichen liefert die von den Schol. A B D a. a. O. dem Akusilaos zugeschriebene ἱστορία, dass Aphrodite nach Erkundung dieses Orakels die Verbindung mit dem alternden Anchises gesucht und dann den troianischen Krieg angezettelt habe. Indem die Schol. V und Townl. die Göttin gegen solche Niedertracht in Schutz nehmen, fügen sie die höchst wertvolle Erklärung der homerischen Weissagung hinzu (die Herstellung des Scholientextes bei Schwartz De schol. Hom. 16): ὅτι Αἰολεῖς ⟨οὐκ⟩ ἐξέβαλον τοὺς ἀπογόνους Αἰνείου. Selbst die Wandersage des Aineias hat die Überlieferung von dem Fortbestand troischer Aineiaden nicht unterdrücken können. Rein erscheint letztere bei Konon 41 (Ephoros nach Höfer Konon 70), der des Aineias Sohn Askanios am Ida herrschen lässt. Mit einem Seitenschössling tritt sie auf bei Hellanikos (frg. 127), wenn hier Aineias selbst zwar nach Thrakien auswandert, zuvor aber den Askanios nach dem askanischen See in Phrygien schickt, wo er König wird und später, durch Zuzug des aus Europa zurückkehrenden Hektoriden Skamandrios verstärkt, in das alte Dardanidenreich zurückkehrt. Diese Version muss auch Xanthos gekannt haben (vgl. Thraemer Pergamos 294. Kretschmer Gesch. d. gr. Spr. 186). Etwas anders wieder lautet die Geschichte bei Konon 46 (Hegesipp nach Höfer 59). Da gebietet nämlich zunächst Aineias am Ida. Aber zwei Hektoriden kehren aus Lydien, [2163] wohin sie Priamos während des Krieges geschickt, nach der Troas zurück und heanspruchen ihr väterliches Erbe. Nun weicht ihnen Aineias freiwillig und wandert nach Thrakien aus. Durch die Hineinziehung der Hektoriden ist die der Weissagung Poseidons zu Grunde liegende Idee verhunzt. Auch Demetrios (Strab. XIII 607) spricht von Aineiaden und zugleich von Hektoriden, was seinem von vielen für authentisch gehaltenen Zeugnis Abbruch thut. Immerhin aber mag in Skepsis ein Geschlecht existiert haben, das sich auf Aineias zurückführte.