Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Begriff, Erfindung mit 17 Buchstaben durch Palamedes
Band I,2 (1894) S. 1612 (IA)–1629 (IA)
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Alphabet.

I. Griechische Alphabete.

Im Altertum selbst schrieb eine Überlieferung die Erfindung eines Alphabetes von 16 oder 17 Buchstaben dem Palamedes zu (vgl. Eur. Palam. frg. 578 und sonst), während andere Buchstaben dem Simonides oder Epicharm zugeschrieben werden. Herodot hingegen (V 58) deutet den phoinikischen Ursprung der griechischen Buchstaben an, welche auch φοινικήια genannt worden seien und vielfach wie alles, was man für phoinikisch hielt, auf Kadmos bezogen wurden. Auch Tacitus (ann. XI 14) nennt Kadmos als denjenigen, der die Schrift von den Phoinikern zu den Griechen gebracht habe, glaubt aber, dass die Phoiniker selbst sie von den Ägyptern entlehnt hätten. Auch inschriftlich ist uns das Wort φοινικήια für Buchstaben erhalten (IGA 497). Entscheidender als die Überlieferung des Altertums ist aber die Identität der ältesten griechischen Schrift mit der phoinikischen und die Identität der Benennungen der einzelnen Buchstaben. Das phoinikische Alphabet wurde, nachdem seine Ableitung aus der Hieroglyphenschrift missglückt war, für autochthon gehalten (Gesenius script. linguaeque Phoeniciae mon. 1837), bis es E. de Rougé gelang, den ägyptischen Ursprung nachzuweisen, indem er die demotische Schrift der Ägypter heranzog und aus dieser die phoinikischen Charaktere ableitete (Mémoire sur l’origine égypt. de l’alph. Phén. 1875). Diesem Nachweis gegenüber ist Deeckes (in K. O. Müllers Etrusker² II 513ff.) Versuch einer Ableitung der semitischen Alphabete aus der neuassyrischen Keilschrift nicht stichhaltig.

Das phoinikische Alphabet ist uns am besten aus der aus dem 9. Jhdt. v. Chr. stammenden Inschrift des Königs Mesa von Moab bekannt. Die Formen seiner Buchstaben sind folgende: . Die Bezeichnungen dieser Buchstaben entsprechen in den semitischen Sprachen Bedeutungen einzelner Wörter, wie Ochs, Haus, Kamel, Thüre, Hauch, Pflock, Zaun, Hand, Wasser, Fisch u. s. w. Die Buchstaben sind also akrophonetisch, d. h. ihre Zeichen stellen den Gegenstand dar, mit dessen erstem Laut das Wort beginnt, mit dem sie genannt sind. Was die Anordnung des semitischen Alphabetes betrifft, so sind darüber nicht streng [1613] beweisbare Theorien aufgestellt worden, wonach sie, auf einem lautphysiologischen Princip aufgebaut, von anderen Motiven durchkreuzt wird (eingehend wird darüber von Taylor in seinem Werke über das Alphabet gehandelt). Für die Übertragung des phoinikischen Alphabetes sind zunächst die Buchstabenformen der ältesten griechischen Inschriften beweisend, die mit den phoinikischen nahezu identisch sind, ferner die Verwendung der Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge als Zahlzeichen, wobei selbst in einzelnen Dialekten untergegangene Buchstaben an ihrer festen Stelle gezählt werden, endlich die Richtung der Schrift, die in den ältesten griechischen Inschriften linksläufig wie die semitische Schrift ist, oder furchenförmig (βουστροφηδόν), d. i. so angeordnet, dass die rechts- und linksläufigen Zeilen mit einander abwechseln. Die Rechtsläufigkeit der Schrift dringt erst im 5. Jhdt. völlig durch. Die Zeit der Reception des phoinikischen Alphabetes auf griechischem Boden lässt sich annäherungsweise ins 10. Jhdt. verlegen. Das phoinikische Alphabet besteht aus 22 Buchstaben, deren letzter das Tau ist. Dies muss also auch zur Zeit der Reception der letzte Buchstabe des griechischen Alphabetes gewesen sein. Einzelne Veränderungen in der Wertung der Buchstaben mussten aber bei der Reception vorgenommen werden, weil die semitischen Schriften die Vocale nicht schreiben, die griechische Sprache aber für einzelne Buchstaben des semitischen Alphabetes keine Verwendung hatte. Der Spiritus lenis (Aleph) wurde zum Ausdruck für a, das He des phoinikischen Alphabets zum Ausdruck für e, denn für den Spiritus asper der Griechen wurde das phoinikische Zeichen Chet (8. Stelle des Alphabets) verwendet, das ʿAjin, welches einen dem Griechischen fremden Laut darstellt, wurde zu o. Fraglich ist, ob das Zade des phoinikischen Alphabetes, welches seine Stelle nach Pê hat, recipiert wurde, weil es in der Reihe der griechischen Zahlzeichen fehlt. Sämtliche griechische Alphabete haben ferner nach dem das Ypsilon, welches also zwar griechische Erfindung ist, aber gleichzeitig mit der Reception des phoinikischen Alphabetes aufkam und eine Differenzierung aus Digamma (Vau), dem 6. Buchstaben des Alphabetes, ist. Der Reichtum an Zischlauten im phoinikischen Alphabet (Saïn, Samech, Zade, Schin) wurde im Griechischen so ausgenützt, dass der 7. Buchstabe (Saïn) von Anfang an für den Doppellaut Zeta verwendet, Samech, der 16. Buchstabe, in einigen Alphabeten fallen gelassen, in anderen als Xi gebraucht wurde. In Betreff der beiden andern S-Laute nahm Kirchhoff an, dass ursprünglich allgemein das Zade verwendet, später aber allgemein durch das Schin verdrängt und Sigma genannt wurde, während Schlottmann die Reception des Zade läugnet. Ein weiterer S-Laut ist das Sampi , welches von Clermont-Ganneau in der halikarnassischen Inschrift (IGA 500) in der Form nachgewiesen wurde. Ob es eine freie Erfindung oder mit einem phoinikischen S-Laute zu identificieren ist, ist strittig. Die Buchstaben von α bis υ sind allen griechischen Alphabeten gemeinsam, und auf den Inseln Melos, Thera und Kreta ist auch noch ein Zustand der Schrift erhalten, [1614] welcher keine anderen Buchstaben als diese kennt. Die Zeichen φ bis ω sind griechische Erfindungen, und diejenigen Alphabete, welche keinen so frühen Zustand darstellen wie die von Melos, Thera und Kreta, sondern diese Zeichen bereits besitzen, scheiden sich in eine östliche Gruppe, welche ungefähr Kleinasien, die Inseln des aegaeischen Meeres, den Bosporus, Makedonien, die ionischen Inseln, endlich noch Korinth, Megara und Argos umfasst, und in eine westliche Gruppe, die Mittelgriechenland mit Ausschluss Attikas, Euboea, Thessalien, den Peloponnes, Sicilien und Italien umfasst, während Attika eine Mittelstellung einnimmt. Die östliche Gruppe wertet Χ als Chi, Ψ als Psi und hat das phoinikische Samech als Xi; die westliche Gruppe wertet Χ als Xi, Ψ als Chi und hat entweder kein Psi oder drückt diesen Laut durch ein neues Zeichen aus. Das attische Alphabet hat kein ξ und ψ, sondern drückt die beiden Laute durch ΧΣ und ΦΣ aus, während es Φ und Χ wie die östliche Gruppe gebraucht. Die Thatsache steht fest, erklärt wurde sie auf verschiedene Weise. Während Kirchhoff die Erklärung offen lässt, halten andere die Verwendung der Zeichen in der östlichen Gruppe für älter und suchen die Verschiedenheit in der westlichen Gruppe durch Missverständnisse der recipierten Zeichen zu erklären (v. Wilamowitz). Für höheres Alter der östlichen Gruppe tritt auch Clermont-Ganneau ein, einen gegenseitigen Austausch von Buchstaben nahm Gardthausen an, während Taylor die Identität der verschieden gewerteten aber gleichgeformten Buchstaben in den beiden Gruppen läugnete. Endlich habe ich den Versuch einer Entwicklung beider Wertungen aus einem gemeinsamen Uralphabet gemacht, welcher wieder von Kalinka bestritten und durch eine neue Theorie ersetzt wird.

Das griechische Alphabet hat demnach ursprünglich folgende Gestalt:

Alpha Beta Gamma Delta Epsilon Vau Zeta Heta
Theta Iota Kappa Lambda My Ny Samech (Xi)
()  
Omikron Pi Zade Qoppa Rho Sigma Tau  

Die Aspiraten wurden ursprünglich durch die Tenuis in Verbindung mit dem rauhen Hauche ausgedrückt, also , . Auf diese Zeichen beschränkt sich das älteste Alphabet von Thera, welches jedoch bereits eine Scheidung der O-Laute versucht, indem es kurzes o und nicht diphthongisches u durch , langes o durch ausdrückt. Ihm verwandt ist das von Melos, welches aber Beta durch ausdrückt, den O-Laut nicht scheidet, im übrigen aber noch als H wertet und die Aspiraten durch die Tenuis mit ausdrückt. In weiterer Entwicklung scheidet es zwischen und (Omikron und Omega). Ähnlich ist das Alphabet von Kreta. Die andern Alphabete haben bereits die nichtphoinikischen Buchstaben. Wichtig ist, dass Paros für kurzes, für langes o hat, für [1615] Beta. Das uns geläufige Alphabet ist das ionische, welches, im kleinasiatischen Ionien entstanden, allmählich von allen griechischen Staaten recipiert, seit der Mitte des 4. Jhdts. das allein herrschende geworden ist. In demselben schwand schon früh die Wertung des für den rauhen Hauch und kam die Verwendung desselben für den langen E-Laut auf, etwas später die Scheidung des O-Lautes. Das Vau (Digamma) schwand aus dialektischen Gründen, blieb noch neben der Verwendung für den kurzen O-Laut für nicht-diphthongisches u, die Formen der Buchstaben näherten sich den bei uns üblichen. Vor dieser Reception ist in einigen Alphabeten, sicher in dem von Keos, die Verwendung von und so geregelt worden, dass für den ionisch-attischen E-Laut, der urgriechischem a entspricht, für den urgriechischen, wenn auch langen, E-Laut verwendet wurde (Dittenberger Hermes XV 225). Von Eigenarten der Sonderalphabete sei noch erwähnt das argivische (Lambda), das korinthische (Beta) und (Epsilon), das sikyonische (Epsilon). Die Alphabete des Westens sind ebenfalls durch das ionische verdrängt worden. Ausser den oben angeführten Kriterien, die für die ganze Gruppe gelten, haben sie folgende Besonderheiten. Das Lambda ist in Boeotien und in Chalkis auf Euboea , wie auch in Attika, das Psi erscheint durch ausgedrückt in Arkadien und im ozolischen Lokris, ferner in Chalkis und Arkadien für Gamma.

Abweichend, aber auf griechische Alphabete reducierbar, sind die phrygischen, karischen, lykischen Alphabete, die jedoch durch neu erfundene Zeichen erweitert sind.

Die heimischen Alphabete, deren Verwendung nirgends die erste Hälfte des 4. Jhdts. überdauert, haben natürlich von ihrem ältesten Stadium bis zu ihrer Verdrängung durch das ionische Alphabet eine Entwicklung durchgemacht, die sich in der Veränderung der Buchstabenformen äussert. Für Attika bietet die ältesten Formen die Vaseninschrift CIA IV 492a, deren Buchstaben sich von den phoinikischen Formen kaum unterscheiden. Sonst weisen die ältesten attischen Urkunden bereits für Iota gegen älteres auf, der S-Laut wird durch das dreistrichige Sigma () ausgedrückt, das vierstrichige , welches in Privatinschriften schon im 6. Jhdt. auftritt, begegnet auf einer öffentlichen Urkunde zuerst um 460 v. Chr. Das Theta hat wie überall die Kreuzform als ältere Form, während später aufkommt (vgl. U. Köhler Rh. Mus. XLVI 1ff.). Die geschlossene Form des Heta hört bereits im 6. Jhdt. auf. Die gesetzliche Reception des ionischen Alphabetes fand im Jahre des Eukleides (404/3) statt, und von diesem Jahre an findet sich daher kein officielles Aktenstück mehr, welches im epichorischen Alphabet abgefasst wäre. Aber auch schon früher dringen einzelne Formen des ionischen Alphabetes ein, und die Privatinschriften waren längst durchweg im ionischen Alphabet abgefasst, als dieses auch officiell eingeführt wurde. Namentlich hat U. Köhler [1616] (Athen. Mitt. X 359) die Verwendung des ionischen Alphabetes auf einer Reihe attischer Grabschriften nachgewiesen, deren Buchstabencharakter mit Sicherheit auf den Anfang des 5. Jhdts. weist, und gezeigt, dass seit dem Anfang des peloponnesischen Krieges auf Grabschriften das ionische Alphabet allgemein ist.

Litteratur: Franz Elementa epigraphices Graecae 1840. Boeckh Encyclopaedie 738ff. Grundlegend: Kirchhoff Studien zur Geschichte des gr. Alphabets (4. Aufl. 1887). Vgl. auch Th. Mommsen Die unterital. Dialekte 3ff. Schlottmann in Riehms Bibelwörterbuch II 1416ff. Deecke ZDMG XXXI 102ff; in Baumeister Denkm. des class. Altert. I 52f. v. Wilamowitz Homer. Unters. 287ff. Clermont-Ganneau origines des caractères complémentaires de l’alphabet grec in: Mélanges Graux, Paris 1884 II 413ff. Gardthausen Rh. Mus. XL 599ff. Szanto Athen. Mitt. XV[WS 1] 235. Kalinka ebd. XVII 101ff. G. Hirschfeld Rh. Mus. XLII 209ff. XLIV 461ff. Taylor the Alphabet, London 1853 (2 Bde.). Schütz historia alphabeti Attici, Berlin 1875. Zusammenstellungen: Hinrichs Gr. Epigraphik in Iwan Müllers Hdbch. der class. Altertw. I, 2. Aufl., bearb. von Larfeld München 1892. Reinach traité de l’épigraph. gr. 175ff.

II. Italische Alphabete.

Auf dem Boden Italiens sind nach den Ergebnissen der neuesten Forschungen folgende elf verschiedenen Alphabete im Altertum in Übung gewesen:

a) Das Alphabet, das bisher durch nur fünf in Trevisio, Cividate, Sale di Marasino, Voltino und Rotzo gefundene Inschriften (s. Pauli Altital. Forschungen I nr. 27–31) repräsentiert und von Pauli (a. a. O. I 56, vgl III 216ff.) als das von Sondrio bezeichnet wird. Als charakteristische Besonderheiten desselben sind folgende aufzuzählen: l hat die Form , z ist = , m = , p = , u = oder . Das Alphabet besitzt die Medien, denn d fehlt auf unseren Inschriften jedenfalls nur zufällig, wie auch r. Das k kann ursprünglich nicht gefehlt haben, mag aber durch das verdrängt worden sein. Dass = v dem Alphabet und nicht blos den erhaltenen Inschriften mangele, bestreitet Pauli a. a. O. III 217 gegen Deecke Götting. gel. Anz. 1886, 57. Ausserdem vermisst man h, θ, das in verschiedenen italischen Alphabeten noch vorhandene Samech, San, q, φ, χ. Welche dieser Buchstaben dem Alphabet wirklich und ursprünglich gefehlt haben, ist nicht ausgemacht. Die Richtung der Schrift ist nur in der Bilinguis Pauli a. a. O. I nr. 30 rechts-, sonst linksläufig.

b) Das Alphabet der Veneter, dessen Geltungsgebiet sich von Vicenza, Este und Padua nordöstlich bis nach Gurina in Kärnten erstreckt. Die meisten und wichtigsten Denkmäler desselben sind in und bei Este gefunden (s. Pauli a. a. O. III 1–71 und 441–445; dazu die Tafeln) und entweder linksläufig oder bustrophedon geschrieben. Ihrer Form halber verdienen folgende Buchstaben besondere Erwähnung: Neben der älteren Grundform [WS 2] hat sich eine jüngere, mehrfach [1617] modificierte, entwickelt. ist = z, , woneben einigemale durch etruskischen Einfluss erscheint, = h. , was sich in Inschriften von Este und Padua häufig findet, ist = f, wie auch für die Etrusker und Latiner als älteste Bezeichnung des f feststeht. Während dieselbe bei den Venetern die herrschende blieb, sind die Etrusker dann etwa um die Mitte des 4. Jhdts. zu der Vereinfachung (= ), die Latiner zu übergegangen (s. Pauli a. O. III 97ff. Helbig-Dümmler Röm. Mitt. II 1887, 37ff. Bücheler Rh. Mus. XLII 317f.). = θ findet sich nur in den Alphabeten und Syllabaren von Este, nicht in den wirklichen venetischen Inschriften (s. Pauli a. a. O. III 137–144). und = o (Pauli a. O. III 130–136; Deecke wollte und = θ nehmen, Gött. gel. Anz. 1886, 54). = l, = m, = n, = [WS 3] d. i. semitisches Samech, s. Pauli a. a. O. III 154ff., der dem Zeichen im Venetischen den Lautwert des cacuminalen s (= deutsch sch) zuspricht (a. a. O. III 183). Endlich ist = r, = t, = u.

Was den Bestand des Alphabets an Lautzeichen betrifft, so fehlen ihm die Medien, dagegen hat es die Aspiraten (über θ s. o.). Von zeigen die Veneterinschriften keine Spur mehr; das Syllabar der Bronzetafel von Este nr. 7 ersetzt es durch wie die umbrische und oskische Schrift, vgl. auch etruskisch cv und faliskisch cu (Pauli a. a. O. III 145). An Zischlauten hat das Venetische ausser den zwei schon genannten auch und , von denen wenigstens im Gemeinetruskischen nach Pauli a. a. O. III 177 jenes ein reines s, dieses einen dentalpalatalen Laut dargestellt hat. Doppelconsonanten bietet die venetische Schrift häufig, nicht blos zwischen Vocalen, sondern auch vor anderen Consonanten (s. Pauli a. a. O. III 186ff.). Bemerkenswert ist auch die häufig, und zwar oft in denselben Wörtern, die sonst einfaches i zeigen, auftretende Schreibung mit ii (Pauli a. a. O. III 82–92). Endlich ist noch auf die Doppelpunkte hinzuweisen, die die Veneter in sorgfältiger Schrift consequenter als in unsorgfältiger vor und hinter die einzelnen Buchstaben zu setzen pflegten. Über ihre Bedeutung steht nur so viel fest, dass es Silbentrennungszeichen nicht sind (Pauli a. a. O. III 191ff.).

c) Das sogenannte sabellische Alphabet. Unsere Kenntnis desselben beruht auf 7 Inschriften von Bellante, Nereto, Cupra Maritima, Crecchio, Castel di Jeri, Castrignano (s. Deecke Rh. Mus. XLI 1886, 191ff. und Pauli a. a. O. III 220ff.). Dieselben sind in einem eigentümlichen, in der Buchstabenstellung mannigfach wechselnden Bustrophedon geschrieben; die Lesung ist manchen Zweifeln unterworfen. An bemerkenswerten Buchstabenformen führe ich folgende auf: neben = b, und = h, neben = m, , , = Samech (Pauli bezeichnet es [1618] durch und sucht zu zeigen, dass es gallisch und sabellisch im Lautwert dem x verwandt war, a. a. O. II 160ff. Deecke wollte es dagegen = θ nehmen, Götting. gel. Anz. 1886, 54; andere vor ihm sogar = f, vgl. Corssen Ausspr. I² 2); neben und = o, bezw. und bezw. oder = r, neben , in Kopfstellung , , wenn der Punkt hier wie in nicht etwa als Interpunktion aufzufassen ist, = u. Die Aspiraten fehlen, auch San; dagegen bietet das sabellische Alphabet ein neues Vocalzeichen = ê (s. Pauli a. a. O. 220. 225). Zu bemerken ist auch die wennschon nicht consequente Punktierung mit einem Punkt hinter den einzelnen Buchstaben, sowie dass von Doppelschreibung der Consonanten kein Beispiel vorhanden ist.

d) Die nordetruskischen Alphabete, und zwar α) das östliche, dessen Verbreitungsbezirk die zumeist linksläufigen Inschriften von Matrey, des Gebietes von Bozen und von Trient umfasst (s. Pauli a. O. I nr. 32–39 und Archivio Trentino VII 139–150), und β) das westliche, dessen teils links-, teils rechtsläufig geschriebene Denkmäler besonders in dem Gebiet von Lugano, ferner in Rondineto, Alzate, Civiglio, Cernusco Asinario, Mailand, Novara, Todi zu Tage gekommen sind, aber auch durch die (gallischen) Münzlegenden der Provence, des Wallis, Aargaus und von Graubündten repräsentiert werden (s. Pauli Forsch. I 5. 56. Stokes Bezzenb. Beitr. XI 113ff.). Beide Alphabete sind einander sehr ähnlich; die Unterschiede sind unwesentlich. Sogar für im westlichen Alphabet fällt nicht ins Gewicht, da es sehr jungen Ursprungs und also auf Rechnung des Einflusses römischer Schrift zu setzen ist. Ebenso wird in dem Alphabet von Lugano erst spät wieder recipiert worden sein.

Von eigentümlichen Buchstabenformen will ich folgende aufführen (linksläufig geschrieben): = l, = p, = t, (einmal ) = χ, dies nur im östlichen Alphabet belegt. Beiden Alphabeten fehlen die Medien; z, h, θ, φ, χ dem Westalphabet, weil die Sprachen der betreffenden Denkmäler diese Laute entbehrten; dagegen fehlen in den Inschriften des Ostalphabets z, h, θ wohl nur zufällig. Das o geht dem Ostalphabet ab, f beiden. Von Zischlauten sind für das Ostalphabet und , für das westliche und belegt. Consonantenverdopplung kennt das eine so wenig wie das andere. Die beiden Alphabete geben sich als Tochteralphabete des gemeinen etruskischen zu erkennen, und zwar wäre nach Pauli a. O. I 61f. wegen des Fehlens von als ihr Ausgangspunkt das Etruskergebiet der Poebene zu bezeichnen.

e) Das dem eigentlichen Etrurien angehörige gemeinetruskische Alphabet. Der Bestand desselben ist aus zahlreichen Inschriften bekannt, die Reihenfolge aus den Darstellungen, die es auf einem Gefässe von Bomarzo (Fabretti nr. 2436) sowie auf drei clusinischen (Fabretti Suppl. I nr. 163/164. 165. 166 tab. V) gefunden hat. Von den Buchstabenformen verdienen folgende [1619] eine Erwähnung: steht neben wie neben ; = h; und = p; und = r, , auch = t; = χ. Die Medien, die das etruskische Alphabet besessen haben muss, als die Tochteralphabete der Umbrer und Osker sich von ihm abzweigten, hat es frühzeitig aufgegeben; erst später ist . wieder in Gebrauch gekommen als Tenuis, indem es das verdrängte, das demnach in den überlieferten Alphabeten fehlt. Die Aspiraten hat es vollständig aus dem griechischen Alphabet herübergenommen. O ist aufgegeben. (= q) bietet von den Alphabeten nur das zweite clusinische (Fabretti Suppl. I nr. 165 tab. V) in der Form (s. Pauli a. O. III 149), ausserdem findet es sich noch in einigen der ältesten etruskischen Inschriften, und zwar durchweg vor u. An Zischlauten sind und oder in Gebrauch, nach Pauli a. O. III 172–178 jenes für reines s, dieses für dentalpalatales sch. Den f-Laut haben die Etrusker ehemals, wie 4 oder 5 Inschriften des 4.–5. Jhdts. v. Chr. beweisen, gleich den Latinern und Venetern durch wiedergegeben; ungefähr in der 2. Hälfte des 4. Jhdts. sind sie zu der Vereinfachung übergegangen. Dieses Zeichen ist also nicht, wie Kirchhoff wollte (Griech. Alph.4 128), von den Etruskern ‚eigens erfunden‘ worden, auch nicht aus oder = φ (Mommsen Unterital. Dial. 4. Corssen Etrusk. I 8) oder aus = q (so Deecke bei Müller Etrusk. II² 526) differenziert, sondern vielmehr aus , dem zweiten Element der Gruppe , dessen ursprüngliche Form für h weiter gebraucht wurde. Dass in einer Übergangszeit für h und f gegolten habe (s. Pauli a. O. III 120ff.), kann ich nicht als bewiesen ansehen. In den Alphabeten, nämlich dem von Bomarzo und zwei clusinischen (Fabretti Suppl. I nr. 163/164. 166 tab. V), nimmt das die letzte Stelle ein, hinter den recipierten Zeichen des griechischen Mutteralphabets. Consonantendoppelung kennt die etruskische Schrift nicht. Ihre Richtung ist linksläufig, doch sind einige Inschriften auch in (gewöhnlichem) Bustrophedon geschrieben (s. Conestabile iscr. Etr. pref. p. 91; Tav. lit. 15. 54. 73).

f) Das campanisch-etruskische Alphabet, von dem uns Exemplare auf zwei nolanischen Schalen (Fabretti nr. 2766. 2767. vgl. Mommsen Unterital. Dial. 6f. 313f. Taf. XIII. Taf. I 14. 15. Deecke bei Müller Etrusk. II² Taf. Sp. VIII. IX) und ein drittes, freilich nur bis n reichend, auf einem nolanischen Krug (Deecke a. a. O. Taf. Sp. X) erhalten sind. Ausserdem ist es durch Inschriften vertreten. Es unterscheidet sich nur unwesentlich von dem gemeinetruskischen. Einige Buchstaben, a, m, n, p, s, nähern sich in ihren Formen den oskischen (vgl. Deecke a. a. O. 528); q fehlt in den Alphabeten wie in den Inschriften; = f statt des später gewöhnlichen , wie es unter anderen die [1620] zwei nolanischen Alphabete als letzten Buchstaben bieten, ist auch in der Aufschrift eines campanischen Gefässes nachgewiesen (Pauli a. O. III 100f.); , nach Pauli a. O. III 178 in der lautlichen Geltung von reinem s, findet sich sowohl in dem ersten nolanischen Alphabet als in campanisch-etruskischen Inschriften (s. Pauli a. a. O. 156f.).

g) Das umbrische Alphabet, in welchem vor allem die Tafeln von Iguvium geschrieben sind, das aber ausserdem auch durch eine Anzahl kleinerer Denkmäler repräsentiert wird (Lepsius inscr. Umbricae et Oscae, Leipz. 1841, tab. I–XIII. XXVII. XXIX, vgl. XXXI. Aufrecht u. Kirchhoff Die umbr. Sprachdenkmäler, Berl. 1849–51. Huschke Die iguv. Tafeln nebst d. kleineren umbr. Inschr., Leipz. 1859. Bréal Les tables Eugubines, Paris 1875. Bücheler Umbrica, Bonn 1883). Charakteristisch für dieses Alphabet ist die besondere Modification des in . Ferner mögen von eigentümlichen Buchstabenformen noch (auch etrusk.) = v, (auch etrusk.) und = z, (auch etrusk.) = p, (auch etrusk.) = r, und (wie etrusk.) = t hervorgehoben werden.

Was den Bestand des Alphabets betrifft, so ist von den Aspiraten nur das in Gebrauch geblieben. Doch findet es sich nur selten und unterscheidet sich in seinem Lautwert nicht von . Von den Medien ist nur beibehalten. Die Tenuis des Gutturalorgans wird stets durch bezeichnet; q ist nicht nachweisbar. und sind nebeneinander im Gebrauch ohne lautlichen Unterschied. Das o kennt das Umbrische so wenig wie das Etruskische, mit dem es andererseits das für f gemein hat. Endlich hat es sich auch noch zwei neue Zeichen geschaffen, nämlich (im etruskischen Alphabet Nebenform des ) für eine eigentümliche Nuance des d-Lautes, die auf den lateinisch geschriebenen Stücken der iguvinischen Tafeln durch rs ausgedrückt wird (s. Lepsius de tab. Eugub. 56f. Aufrecht u. Kirchhoff a. a. O. I 84f.), und zur Bezeichnung eines aus k mit folgendem i und e entstandenen Zischlautes, wie ihn auch das Spätlatein und die romanischen Sprachen kennen (Lepsius a. a. O. 58. Aufrecht u. Kirchhoff a. a. O. I 71. Corssen Ausspr. u. Vocalism. I² 3). Beide Zeichen haben im Alphabet vermutlich ihren Platz hinter dem gehabt. Dasselbe besteht demnach aus 21 Buchstaben. Consonantendoppelung kennt das Umbrische nicht. Die Schrift läuft auch hier, wie im Etruskischen, regelmässig von der Rechten zur Linken.

h) Das oskische Alphabet. Unsere Kenntnis desselben beruht auf der Weihinschrift von Agnone, dem Tempelvertrag zwischen Nola und Abella und einer Anzahl kleinerer Inschriften (s. besonders Lepsius inscr. Umbr. et Osc. tab. XXI–XXVIII. XXX, vgl. XXXI. Mommsen [1621] Unterital. Dial. Taf. VI–VIII. X–XII, vgl. I 17. J. Zwetajeff sylloge inscript. Oscarum, Petersb. 1878). Unter den Buchstaben zeigt eine auffallende Gestalt eigentlich nur das = d. Das d war wohl dereinst aufgegeben worden, und als sich später wieder das Bedürfnis einer Bezeichnung des Lautes geltend machte, wird man, weil das inzwischen für r in festen Brauch genommen war, das , eine Nebenform des , für diesen Zweck bestimmt haben (s. Kirchhoff Griech. Alph.4 132). Im Alphabet ist ihm jedenfalls der alte Platz wieder eingeräumt worden. Wie im Umbrischen und Etruskischen fehlt auch hier das und, wie im Umbrischen, das ; ferner sind nicht nur sämtliche Aspiraten aufgegeben, sondern auch das und das , wofür ks geschrieben wird. Das teilt das Oskische mit dem Umbrischen und Etruskischen. Für das fehlende ist später durch Differenzierung des ein neues Zeichen geschaffen worden, und , in ähnlicher Weise aus gebildet, bezeichnet einen Mittellaut zwischen i und e. Beide Zeichen scheinen auf den älteren oskischen Münzen noch nicht vorzukommen; Kirchhoff glaubt ihnen daher ihre Stelle im Alphabet hinter anweisen zu sollen (a. a. O. 132). Auch das so vervollständigte oskische Alphabet enthält demnach, gleichwie das umbrische, 21 Buchstaben. Die Consonantendoppelung tritt uns auf den oskischen Sprachdenkmälern in ausgedehntem Gebrauch entgegen. Die Richtung der Schrift ist linksläufig.

i) Das lateinische Alphabet. Unsere Kenntnis sowohl der ältesten Gestalt wie der späteren Geschichte desselben beruht ausser auf Grammatikernachrichten und einzelnen bei anderen Schriftstellern erhaltenen Traditionen vornehmlich auf Inschriften, deren älteste, freilich nur aus vier Wörtern bestehende, bis ins 6., die zweitälteste, längere, etwa bis in die Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. zurückreicht (s. Helbig-Dümmler Röm. Mitt. II 1887, 37–43. Bücheler Rh. Mus. XLII 317f. Dressel Annali dell’ Inst. 1880, 158–195. Bücheler Rh. Mus. XXXVI 1881, 235ff. H. Jordan Hermes XVI 1881, 225ff. u. a. m.). Die Inschriften der republicanischen Zeit haben, soweit sie damals bekannt waren, sämtlich eine musterhafte Facsimilierung erfahren in dem Prachtwerk Priscae Latinitatis monumenta epigraphica ed. Fr. Ritschelius, Berol. 1862; dazu fünf Supplementa, jetzt vereinigt in Ritschls opusc. IV 494ff. Schriftproben von den lateinischen Inschriften der Kaiserzeit als Unterlage für eine Geschichte der lateinischen Schrift auch in dieser Periode bieten die Exempla scripturae epigraphicae Latinae a Caesaris morte ad aetatem Iustiniani ed. Aem. Hübner, Berol. 1885.

Das altrömische Alphabet bestand aus 21 Buchstaben (Mommsen Unterital. Dial. Taf. I 8. Ritschl PLME p. 111. Kirchhoff Griech. Alph.4 130, 4). Im Gegensatz zum etruskischen, umbrischen, oskischen hat es sämtliche Vocalzeichen, auch das , aus dem griechischen [1622] Mutteralphabet herübergenommen. Es besass ursprünglich auch das z (s. Velius Longus GL VII 51 K. Varro l. l. VII 26), das aber frühzeitig ausser Gebrauch gekommen (Anon. GL Suppl. 308 K. Martian. Capella III 261) und auf altlateinischen Sprachdenkmälern wohl nur, und auch da nicht ganz sicher, in der Duenosinschrift vom Esquilin erhalten ist (Dressel a. a. O. 170ff.). Erst zu Ciceros Zeit ist es, etwa gleichzeitig mit dem υ (Ypsilon), das in älteren lateinischen Inschriften gewöhnlich durch V, selten durch I wiedergegeben wird (Ritschl PLME p. 124), aus der griechischen Schrift in der damals üblichen Gestalt für griechische Lehnwörter und Eigennamen in die lateinische Schrift wieder aufgenommen worden (s. Cic. orat. 160. Quint. XII 10, 27. Diomedes GL I 422–423. 426, 8ff. Marius Victor. GL VI 6, 6–7. Priscian. I 49H. Cassiodor GL VII 154, 7ff. K. Maxim. Victor. GL VI 196, 3ff. Audacis exc. GL VII 326f.). Ihren Platz erhielten und sodann am Schluss des lateinischen Alphabets, ohne indes je sich in dem Masse einzubürgern, dass sie aufgehört hätten, den Römern für griechische, für fremde Buchstaben zu gelten. Übrigens enthalten die Alphabete von Pompeii dieselben noch nie, so dass man annehmen muss, dass sie zur Zeit der Zerstörung dieser Stadt, wenn auch längst in praktischem Gebrauch, doch noch nicht officiell recipiert waren. Dagegen zeigt eine bei Petronell gefundene Alphabetinschrift aus dem Ende des 2. Jhdts. n. Chr. und als zum festen Bestande des lateinischen Alphabets gehörig (s. Kalinka Athen. Mitt. XVII 1892, 121f.). Im altlateinischen Alphabet hatte die letzte Stelle eingenommen (s. Mommsen Rh. Mus. XV 464f. Corssen Aussprache² I 6f.); der Platz des z war inzwischen anderweitig besetzt worden.

Ursprünglich nämlich und noch weit über das Zeitalter der Decemviralgesetzgebung herunter war wie im Griechischen zur Bezeichnung der gutturalen Media verwandt worden (s. Fest. p. 363. Terentius Scaurus GL VII 15, 9ff. Marius Victor. ibid. VI 12, 22ff. Diomedes ibid. I 423, 20ff. die Duenosinschrift. CIL I 195. Ritschl PLME p. 111. Corssen Ausspr.² I 8. Seelmann Ausspr. des Lat. 342ff.). Ja, in den Compendien der Namen Gaius und Gnaeus hat es diese Bedeutung niemals eingebüsst (Quint. I 7, 28. Terent. Maurus GL VI 351, 893ff. Ritschl PLME p. 111. Mommsen CIL I p. 611f.). Andererseits aber kam der Buchstabe schon seit den Zeiten der Decemvirn ausser Gebrauch, wenn er auch nie ganz verschwand (Quintil. I 4, 9. Velius Longus GL VII 53. Terentius Scaurus ibid. VII 14f. Terent. Maurus ibid. VI 349, 797ff. Pompeius ibid. V 110, 6ff. Donat. ibid. IV 368, 7ff. Diomedes ibid. I 424, 29ff. Audacis exc. ibid. VII 326, 19ff. Corssen Ausspr.² I 9. Seelmann a. a. O. 341f.), und wurde ebenfalls durch ersetzt. Offenbar war also, wie ähnliche Erscheinungen ja auch im Etruskischen und Umbrischen zu constatieren sind, der Unterschied zwischen gutturaler Tenuis und [1623] Media eine Zeit lang dem lateinischen Sprachgefühl entschwunden, und zwar hatte sich erstere ganz oder annähernd zur Media erweicht. Als, wohl infolge der häufiger werdenden Berührungen mit den Griechen, der Sinn für Lautunterscheidung und genauere Lautbezeichnung sich wieder zu schärfen begann, fingen die Römer an, die gutturale Tenuis wieder von der Media in der Schrift zu scheiden, doch so, dass sie nun für die Tenuis beibehielten, dagegen für die Media einen neuen Buchstaben daraus differenzierten, dem sie im Alphabet die durch Aufgabe des z vacant gewordene siebente Stelle anwiesen. Nach der Tradition sollte Sp. Carvilius, ein Freigelassener des Sp. Carvilius Ruga, der um 231 v. Chr. zuerst eine Schreibschule in Rom errichtete, den Buchstaben ‚hinzuerfunden‘ haben (Plut. quaest. Rom. 54. 59. Mommsen Unterital. Dial. 33. Corssen Ausspr.² I 8ff. Seelmann a. a. O. 342f. Jordan Krit. Beitr. zur Gesch. der lat. Spr. 154ff.; über die Abfassungszeit von Ritschl PLME XXXVII 8 vgl. jetzt Wölfflin Sitzungsber. Akad. Münch. 1892, 188ff.).

Den labiodentalen Spiranten f haben die Römer im 6. Jhdt. v. Chr. wie auch die Veneter und in den ältesten Inschriften auch die Etrusker durch die Buchstabenverbindung ausgedrückt (Helbig-Dümmler a. a. O. Bücheler Rh. Mus. XLII 319f. Pauli a. O. III 99ff.). Die Duenosinschrift bietet anstatt derselben bereits die Vereinfachung ; indem man zu dieser überging, sah man sich veranlasst, für den labialen Reibelaut v eine andere Bezeichnung zu wählen: man griff zu , dem Zeichen des dem v lautlich naheliegenden Vocals.

Die griechischen Aspiraten θ, φ, χ hat das lateinische Alphabet aufgegeben; sie finden nur als Zahlzeichen Verwendung (Mommsen Unterital. Dial. 33f. Ritschl Rh. Mus. XXIV 28ff. = opusc. IV 722ff.). Als gegen die Zeit des Cimbernkrieges die gebildeten Römer das Bedürfnis verspürten, die Aspiration in griechischen Lehnwörtern und Namen wieder zu bezeichnen, schrieben sie th, ph, ch, wie auch rh (Mommsen Unterital. Dial. 33; CIL I p. 600 col. 3. 4; Gesch. des röm. Münzwesens 471f. 478f. Ritschl mon. epigr. tria 26 = opusc. IV 146f.; Rh. Mus. IX 17. 464; PLME p. 121. 124. Corssen Ausspr.² I 11. Schmitz Beitr. z. lat. Sprach- u. Litteraturkunde 122ff. Seelmann a. a. O. 252ff. 255ff.). Über die seit Septimius Severus einreissende und von 350 bis zum 6. Jhdt. die allgemeine Norm bildende Wiedergabe des φ durch f s. Mommsen Hermes XIV 65ff.

Den Zischlaut hat das Lateinische aufgegeben, während , jünger , in häufigem, festgeregeltem Gebrauch geblieben ist. Das fünfstrichige m ( bezw. ) ist später nur in dem Compendium für den Vornamen Manius beibehalten worden (s. Ritschl PLME p. 111); die ältesten Denkmäler, die Praenestiner Spange und die Duenosinschrift, verwenden es noch durchweg. Als ein charakteristisches Merkmal des lateinischen (und faliskischen) Alphabets im Gegensatz [1624] zu den anderen italischen Alphabeten hatte man bis in die neueste Zeit die consequente Bevorzugung der Buchstabenform angesehen (s. Kirchhoff Griech. Alph.4 133); indes die Duenosinschrift, die ich unbedingt für lateinisch halte, bietet . Ebenso ist die Meinung, die rechtsläufige Richtung der Schrift sei eine specifische Eigentümlichkeit des Lateinischen, durch die neuerdings gefundenen ältesten Denkmäler dieser Mundart widerlegt worden.

Während in älterer Zeit auch consonantische Zwillings- und Dauerlaute (s. Seelmann a. a. O. 109ff.) nur durch einen einfachen Buchstaben bezeichnet wurden, führte der Überlieferung zufolge Ennius nach dem Vorbild des Griechischen die doppelte Schreibung der Consonanten in den lateinischen Schriftgebrauch ein (Fest. p. 293). Der inschriftliche Befund gereicht dieser Tradition im wesentlichen zur Bestätigung: denn auf den vorennianischen Inschriften findet sich die Consonantendoppelung nicht, seit den letzten Lebensjahren des Dichters aber bis zur Gracchenzeit halten sich beide Schreibweisen die Wage, von da bis zum iugurthinischen Krieg überwiegt die Doppelung, die sodann zur Regel wird (vgl. Ritschl tit. Mumm. IVf. = opusc. IV 87ff.; mon. epigr. tria 10. 32 = opusc. IV 125; tit. Aletrin. IV–VI = opusc. IV 166f.; Rh. Mus. IX 12. 13). Nach Velius Longus GL VII 79–80, Marius Victorinus ibid. VI 8, 1–5 und Isidor. orig. I 26 wurde die Consonantengemination auch durch den über den einfachen Consonanten gesetzten Sicilicus  ͗ [WS 4] vertreten. Indes in Inschriften findet sich diese Schreibweise nur selten angewandt (vgl. Hübner Hermes IV 1869, 413ff.; Ex. scripturae LXXVI); vielleicht war sie häufiger in der Bücherschrift.

Wie durch Ennius Einfluss die doppelte Schreibung der Consonanten in Gebrauch kam, so ist zeitweilig auch die doppelte Schreibung der Vocale zur Bezeichnung der Vocallänge verwandt worden. Der Tragiker Accius nämlich trat nach Velius Longus GL VII 55 für diese Schreibweise ein, und dementsprechend findet sie sich nicht selten in Inschriften von der Gracchenzeit bis zum Anfang des 3. mithridatischen Krieges, und zwar für die Vocale ā ē ū (s. Ritschl mon. epigr. tria 22 = opusc. IV 142ff.; Rh. Mus. XIV 298 = opusc. IV 354ff.). Zur allgemeinen Geltung gelangte sie keineswegs, zumal sich Lucilius dagegen erklärte (Terentius Scaurus GL VII 18f. Ritschl Rh. Mus. XIV 301f.). Seit Ciceros und Caesars Zeit findet sich auch eine doppelte Schreibung des i zur Bezeichnung des intervocalischen Halbvocals (Quintil. I 4, 14. Marius Victorinus GL VI 27, 9f. Priscian. I 14H. Caesellius [Cassiod.] GL VII 206. Terent Maurus ibid. VI 344. 640. Cledonius ibid. V 29, 6–8. Pompeius ibid. V 105, 37. 115, 9. Ritschl Rh. Mus. XVIII 144f. Schmitz de i gemin. et i longa 1–10. 12 = Beiträge 70ff.). Ausserdem aber findet sich seit der sullanischen Zeit sowohl ī als auch der intervocalische oder anlautende Halbvocal und endlich auch ii durch ein längeres, die übrigen Buchstaben überragendes I bezeichnet (Ritschl Rh. Mus. VIII 494. XIV 299f. 312f. 378f.; PLME 124. Mommsen [1625] Rh. Mus. X 141f. Schmitz Beitr. 70ff. Weissbrodt Philol. XLIII 1884, 444ff. J. Christiansen De apicibus et i longa inscriptionum latinarum, Diss. Kiliae 1889).

Nicht lange danach, etwa seit Ciceros Consulat, tritt uns eine neue Bezeichnung der Vocallänge auf den Inschriften entgegen, nämlich durch einen über den Vocal gesetzten Apex: (s. Quintil. I 7, 2. I 4, 10. Velius Longus GL VII 56. Ter. Scaurus ibid. 18. Ritschl Rh. Mus. X 110. XIV 318. 384ff.; PLME p. 123. Weil u. Benloew théorie générale de l’accentuation latine 298ff. Schmitz Beitr. an verschied. Stellen. Weissbrodt spec. gramm., Cobl. 1869; quaest. gramm. II, Braunsberg 1872. Hübner Ex. script. LXXXVI. J. Christiansen a. a. O.). Sie erstreckt sich in der republicanischen Zeit auf A E EI O V, später auch auf AE, ja sogar auf I. Am häufigsten und correctesten gehandhabt zeigen sie die Schriftdenkmäler der Zeit von Augustus bis Claudius; später wurde der Apex vielfach mangelhaft oder falsch verwandt.

In der augusteischen Zeit treten Bestrebungen hervor nach genauerer, gesonderter Bezeichnung von bisher durch denselben Buchstaben wiedergegebenen Lauten. So wollte Verrius Flaccus für das schwachtönende auslautende m das Zeichen (ein halbes ) einführen (s. Velius Longus GL VII 80, 17ff.). Kaiser Claudius sodann wollte 1) das consonantische u, um es vom vocalischen zu unterscheiden, durch , ein auf den Kopf gestelltes Digamma, ausdrücken (s. Priscian I 20. Gell. XIV 5, 2. Diomedes GL I 422, 21f. Donat. ibid. IV 367, 18f. Bücheler de Ti. Claudio Caesare grammatico, 1856, 3–6); 2) für bs und ps das Antisigma, , schreiben (Priscian. I 42. Isidor orig. I 20, 11. Bücheler a. a. O. 8–13); 3) für den Mittellaut zwischen u und i das Zeichen verwenden (Velius Longus GL VII 75f. Bücheler a. a. O. 13–20). Als Censor, im J. 47, befahl er die Einführung dieser orthographischen Neuerungen, die sich daher vom Ende dieses Jahres an auf den öffentlichen Inschriften sowie auf privaten pietätsvoller kaiserlicher Freigelassener angewandt finden und auch in Büchern gebraucht worden sind (Tac. ann. XI 14. Suet. Claud. 41). Doch giebt es für den Gebrauch des keinen sicheren Beleg; und findet sich auf Inschriften nur zur Bezeichnung von griechischem υ. Nach dem Tode des Kaisers erlöschen diese Neuerungen wieder.

Von den ebenerwähnten entgegengesetzten, vergeblichen Bemühungen des C. Licinius Calvus, das , und des Nigidius Figulus, und aus dem Alphabet zu verbannen, berichtet Marius Victorinus GL VI 9, 1f. Demnach zählte das lateinische Alphabet, wie es die späteren Grammatiker, z. B. Priscian, vorfanden, 23 Buchstaben.

Die Namen der Buchstaben haben die Römer nicht von den Griechen angenommen, sondern sie haben eigene erfunden unter Befolgung des Princips, den Buchstabennamen dem Laut jedes Buchstabens vollkommen oder möglichst ähnlich zu bilden. Rein durchgeführt ist dasselbe für die Vocale; bei den Halbvocalen f l m n r s wurde [1626] der matteste Vocal e vorgeschlagen, bei den Muten meistens ein e nachgeschlagen, nur bei k und ebenso bei h ein a, bei q ein u, da ihm schon ein dem halbvocalischen ähnlicher Nachklang eigen war. Die Benennung ix für x ist wohl eine Umgestaltung der griechischen ξῖ (s. Lucilius bei Velius Longus GL VII 47. 63f. Ter. Scaur. ibid. 19. Priscian. I 8. Prob. anal. gramm. Eichenf. et Endl. 231. Pompei. GL V 101. Isidor. orig. I 4, 18. Sergius in Donat. GL IV 476f. Ter. Maur. ibd. V 111ff.).

k) Das faliskische Alphabet ist uns aus einer Anzahl von in den letzten Decennien zu Cività Castellana, Santa Maria di Falleri, Carbognano und Corchiano entdeckten Inschriften, eine nur wenig verschiedene Abart desselben, das capenatisch-faliskische, aus den Aufschriften einiger kleiner, aus Capena stammender Gefässe bekannt geworden (Garrucci Annali dell’ Inst. 1860, 211–280; Sylloge p. 200ff. Mommsen Monatsber. Akad. Berlin 1860, 451ff. Detlefsen Bull. dell’ Inst. 1861, 198ff. Dressel ebd. 1881, 151ff. Jordan Hermes XVI 510ff. Lignana Röm. Mitt. II 199ff. Zwetajeff inscript. Italiae mediae dialect. 1884 und Inscript. Italiae inferior. dialect. 1886. Deecke Die Falisker 128ff.). Nach Deecke zählt das echt faliskische Alphabet 20 Buchstaben, von denen freilich θ und besonders χ nur schwach oder zweifelhaft belegt sind (s. Pauli a. O. III 106f.). Aufgegeben ist das b, das wie im Etruskischen und Altumbrischen durch p mitvertreten wird; das ist durch ersetzt, ebenso das . Das lateinische kennt das Faliskische nicht. Das v wird wie im Lateinischen, und wohl durch dessen Einfluss, durch mitvertreten, das φ fehlt. Eine specifische Besonderheit des faliskischen Alphabets ist das = f, das Kirchhoff Griech. Alph.4 128. 134, gewiss mit Recht, für eine Differenzierung aus ansieht, während Deecke a. a. O. 221 und noch entschiedener Pauli a. O. III 104f. es aus = entstanden sein lassen. Auf den capenatischen Inschriften ist auch das vorhanden, sowie der Zischlaut (s. Pauli a. a. O. 107. 157). Von eigentümlichen Buchstabenformen ist noch = a zu erwähnen, während = r ist; ferner etwa oder = z, oder = t. Doppelte Schreibung von Consonanten kennt das Faliskische nicht. Die Schrift ist linksläufig.

l) Das messapische Alphabet. Von den Ureinwohnern der calabrischen Halbinsel, die wir als Messapier zu bezeichnen pflegen (s. Mommsen Unterital. Dial. 46f.), sind bislang etwa 160, mit Ausnahme von drei längeren nur aus Eigennamen bestehende Inschriften bekannt geworden, deren ältere in einem eigentümlichen, voreuclidischen Alphabet geschrieben sind. Ergänzt wird unsere Kenntniss desselben durch ein angeblich bei Vaste gefundenes Alphabet, das uns leider nur in der recht unzuverlässigen Abschrift des Luigi Cepolla erhalten ist. Schon Mommsen hat darin vermutungsweise, Pauli mit Bestimmtheit das messapische erkannt, während Kirchhoff es für ‚das tarentinische Muster‘ des [1627] messapischen Alphabets erklärte (s. Mommsen a. a. O. 49, 6. Kirchhoff a. a. O. 156f. Pauli a. a. O. 163ff.). Eine für die Beurteilung der Beschaffenheit und der Herkunft des letzteren wichtige Frage ist die, wie das Zeichen , selten , aufzufassen sei. Mommsen zweifelt a. a. O. 38, ob es ξ oder χ bedeute, giebt es aber in den Umschriften durch ξ wieder, und dieser schliesslichen Entscheidung ist Kirchhoff gefolgt. Deecke Rh. Mus. XXXVI 576 deutet es als χ, indem er zugleich darauf hinweist, dass ξ einmal durch khs umschrieben ist. Dagegen hat Pauli a. a. O. 162f. überzeugend bewiesen, dass es vielmehr einen mit verwandten, harten s-Laut bezeichnet. Im Alphabet Cepollas ist dann nur in zu ändern, was für steht (vgl. Mommsen a. a. O. Pauli a. a. O. 164). Man bemerke hier, dass das Messapische also auch besitzt. Das u, dessen es entbehrt, wird durch o vertreten; ist = h. Den Schluss des Alphabets von Vaste will Kirchhoff so herstellen: , Pauli dagegen so: . Völlige Gewissheit dürfte sich schwer erreichen lassen, obwohl in den meisten Beziehungen sich Paulis Vorschlag sicher mehr empfiehlt. Noch ist hervorzuheben, dass das Messapische die doppelte Schreibung von Consonanten in ausgedehntem Masse verwendet. In den späteren Inschriften gewahren wir das Eindringen der vulgärgriechischen Schrift; auch nehmen verschiedene Buchstaben lateinische Form an.

Dass die Italer ihr Alphabet, bezw. ihre Alphabete, nicht unmittelbar von den Phoinikiern, sondern durch Vermittlung der Griechen erhielten, ergiebt sich daraus, dass sich in ihnen neben den phoinikischen auch die in Griechenland hinzuerfundenen Buchstaben υ ξ φ χ vorfinden. Damit steht denn auch die Sage in Einklang, die Etrusker hätten von Demaratos die Buchstabenschrift gelernt (Tac. ann. XI 14), demselben, an dessen Namen sich auch die Verpflanzung griechischer Malerei und Plastik nach Etrurien knüpft (Plin. n. h. XXXV 43). Nähere Aufklärung über die Beziehungen der italischen Alphabete untereinander sowie über ihre Herkunft haben uns Mommsens ‚auf diesem Gebiet grundlegende‘ Untersuchungen in den Unterital. Dial. 3ff. und in den Mitteil. der antiq. Gesellsch. in Zürich VII (1853) 199ff. gebracht; ergänzt und weitergeführt hat dieselben Kirchhoff in seinen epochemachenden Studien zur Gesch. des griech. Alphabets4 1887. Auch C. Pauli hat wertvolle Beiträge zur Beantwortung der hier in Rede stehenden Fragen geliefert in seinen oben oft citierten Altitalischen Forschungen Bd. I und III; nur gilt dies mehr von Einzelergebnissen seiner Untersuchungen als von den durch letztere gewonnenen Gesamtanschauungen über die Geschichte und Herkunft der italischen Alphabete, in denen problematische Vermutungen und bewiesene Wahrheiten zu wenig auseinandergehalten werden.

Das Quellenmaterial für diese Forschungen [1628] erhielt einen sehr wichtigen Zuwachs durch die Auffindung einiger im wesentlichen gleichlautenden griechischen Alphabete auf etruskischen Gefässen, bezw. in etruskischen Gräbern. Das eine wurde zugleich mit einem etruskischen Syllabar auf dem sog. galassischen Gefäss in einem etruskischen Grabe bei Caere gefunden; ein zweites, schon länger bekannt, nur bis O erhalten, steht mitten unter etruskischen Inschriften auf der Wand eines Grabes bei Colle unweit Siena; zwei andere sind auf einem etruskischen Thongefäss eingekratzt, das unlängst aus einem Grabe bei Formello, in der Nähe von Veii, zu Tage kam (Mommsen Unterital. Dial. 8 Taf. I 12. Bull. dell’ Inst. 1882, 91ff. Kirchhoff a. a. O. 135). Das in diesen vier Exemplaren erhaltene Alphabet ist von Mommsen als das griechische Mutteralphabet des etruskischen und der mit diesem verwandten italischen Alphabete bestimmt worden, und Kirchhoff (a. a. O. 135) hat dann weiter darin das chalkidische erkannt, das er vorher bereits in anderem Zusammenhang als dasjenige griechische Alphabet erwiesen hatte, aus dem sowohl das etruskische und die ihm nächstverwandten Alphabete (oben d e f g h) als auch das lateinische und faliskische abgeleitet worden sind (a. a. O. 132. 134). Während diese Ergebnisse fest stehen, dürfte dagegen die Ableitung nicht, wie Kirchhoff a. a. O. 134 will, zu zwei verschiedenen Zeiten oder wenigstens in zwei verschiedenen Strömen erfolgt sein. Denn die Annahme, auf die diese Behauptung sich stützt, dass nämlich die oben unter d e f g h beschriebenen Alphabete einer- und die zwei unter i und k besprochenen andererseits zwei, durch die Bezeichnung des f-Lauts scharf geschiedene Gruppen bildeten, ist insoweit hinfällig geworden, als für die ältesten etruskischen sowohl wie lateinischen Sprachdenkmäler jetzt die gleiche Wiedergabe des labiodentalen Spiranten durch erwiesen ist. Mit grosser Wahrscheinlichkeit darf man dieselbe auch für das älteste Faliskisch voraussetzen. Die Ableitung des italischen Archetypus aller dieser Alphabete aus dem chalkidischen fand zu einer Zeit statt, als die Richtung der chalkidischen Schrift im wesentlichen linksläufig war. Der ursprünglich einheitliche Strom teilte sich dann in zwei Äste: während das etruskische und mit diesem die zu einer Zeit, wo dasselbe noch die Medien besass, wohl aus ihm abgeleiteten Alphabete der Umbrer und Osker die Gruppe zu , einer Differenzierung des , vereinfachten, zogen die Lateiner und Falisker die Vereinfachung durch das andere Element der Gruppe vor und gaben nun also das f, jene durch , diese durch wieder. Was die Richtung der Schrift betrifft, so verharrten Etrusker, Umbrer, Osker, Falisker bei der von den Chalkidiern überkommenen, dagegen gingen die Lateiner später, vielleicht nach der Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. und wohl infolge ihrer immer lebhafter werdenden Berührungen mit der griechischen Kultur, zu der Rechtsläufigkeit über.

Das sabellische Alphabet hatte Mommsen (Unterital. Dial. 332) für demjenigen sehr nahestehend [1629] erklärt, welches als das hypothetische Alphabet der Umbrer-Samniten vor ihrer Trennung angesehen werden könnte; die nordetruskischen, richtiger norditalischen Alphabete hatte er zunächst (Züricher Mitt. VII 221) in acht Spielarten eingeteilt, um sie nachher (a. a. O. 224) in drei Varietäten zusammenzuordnen. Dagegen hatte Pauli im ersten Bande seiner altitalischen Forschungen, indem er die Bezeichnung ‚nordetruskische Alphabete‘ auf das von Lugano und das von Trient beschränkte, die Zusammengehörigkeit des venetischen, des von Sondrio und des sabellischen behauptet, und als Mutteralphabet dieser drei ‚adriatischen‘ Alphabete, wie er sie nannte, nicht das chalkidische, sondern ein denen der ozolischen Lokrer, Lakonen, Arkader, Eleer verwandtes angenommen. Der Ausgangspunkt derselben sollte Adria gewesen sein, so wie Caere andererseits der für die vom chalkidischen abgeleiteten italischen Alphabete. Diesen Behauptungen hatte Deecke in der Hauptsache beigepflichtet, nur dass er, abgesehen von einigen anderen Modificationen, als das Mutteralphabet auch der adriatischen Alphabete das chalkidische zu betrachten fortfuhr (Göttinger gel. Anz. 1886, 60ff.). Dagegen hat Pauli selbst im dritten Band seiner altitalischen Forschungen seine früheren Aufstellungen einer einschneidenden Revision unterzogen: und er erklärt nunmehr jene drei Alphabete für unverwandt ebensowohl untereinander als mit sämtlichen übrigen italischen Alphabeten. Das von Sondrio ist er geneigt, wegen des Fehlens der Aspiraten φ und χ – das ja freilich auch ganz andere Gründe haben kann – aus einer mit dem theraeisch-melischen verwandten Quelle herzuleiten (218f. 231); das sabellische soll aus einem Alphabet der ersten Gruppe Kirchhoffs und zwar wegen des = b aus dem korinthisch-korkyraeischen stammen (225f.); das venetische, meint er, sei am ehesten dem eleischen Alphabet zu vergleichen (229f.). Indes diese Behauptungen sind zu ungenügend begründet, um irgendwie auf gesicherte Geltung Anspruch erheben zu können.

Was endlich das messapische Alphabet anlangt, so hatte Kirchhoff a. a. O. 156 es mit grosser Bestimmtheit für einen Abkömmling des tarentinischen erklärt, Deecke dagegen (Rh. Mus. XXXVI 576ff.) es auf eines der Alphabete von Kirchhoffs erster Gruppe zurückführen zu müssen geglaubt. Und darin hatte Pauli ihm früher beigestimmt (a. O. I 66). Jetzt dagegen (a. O. III 162ff.), nachdem er dem messapischen , das er mit Deecke ehemals für χ genommen, vielmehr den Laut eines harten s vindiciert hat, glaubt derselbe Gelehrte das Mutteralphabet des messapischen in Kirchhoffs zweiter Gruppe suchen zu müssen, und zwar bezeichnet er als dieses speciell das der ozolischen, bezw. epizephyrischen Lokrer.

Nachträge und Berichtigungen

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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S. 1612ff. zum Art. Alphabet:

Lateinisches Alphabet: Die Bezeichnung alphabetum ist erst in spätrömischer Zeit, bei christlichen Schriftstellern (Tertull., Hieron.) nachweisbar, doch vgl. auch Iuvenal. sat. 14, 209 hoc discunt omnes ante alpha et beta puellae. Die Benennung des Alphabets als abecedarium ist für das Altertum nicht beglaubigt, dagegen finden sich in spätrömischen Schriftstellen (Augustin., Fulgentius, Gloss.) die Bezeichnungen abecedarius (discipulus), abecedaria (ars) und abecedarii psalmi (s. o. Bd. I S. 27).

Alphabete finden sich vollständig oder stückweise nicht selten inschriftlich, insbesondere unter den Wandkritzeleien von Pompeii, CIL IV p. 164–166 (nr. 2514–2549c) mit Nachträgen p. 224, aber auch sonst, so auf Ziegeln mit dem Schreibgriffel (stilus) eingeritzt CIL III (Suppl.) 8077, 10. 11453. 11469, als Wandinschrift 11291b, auf Tongefäßen mit dem Schreibgriffel eingeritzt CIL XIII 10008, 7. 10016, 12. 10017. 67–69; auf einem Spielstein eingeätzt CIL XIII 10035, 19. Auf einer Steinplatte ist ein Teil des Alphabets zu lesen CIL III (Suppl.) 1436834. CIL III (Suppl.) 11186 ist eine im Heiligtum des Iuppiter Dolichenus zu Carnuntum gefundene Marmortafel mit schöner Schrift, welche das (jetzt nicht mehr vollständige) A. von A bis Z enthält mit dem Zusatz ex visu. Demnach stellt die Tafel mit dem Abc eine Weihung dar, zu welcher der Stifter oder die Stifterin durch Erscheinung des Gottes veranlaßt war; ebd. p. 2281 wird eine Marmortafel zu Neapel verglichen, wo einem griechischen A. der Zusatz κελεύσαν(τος) τοῦ θεοῦ angehängt ist. Vgl. noch CIL VIII 3317.

Auf frühchristlichen Fundstücken haben die Anfangsbuchstaben des A. sinnbildliche Bedeutung, wie auf einem zu Karthago gefundenen Glasgefäß, sodann auf einem Marmortäfelchen, welches bei den Ausgrabungen der Reste des römischen Amphitheaters zu Metz zu Tage gefördert wurde und einem spätrömisch-altchristlichen Einbau entstammt, s. Keune Lothr. Jahrb. 1902, XIV 384. Letzteres zeigt (zwischen den Kreuzbalken eines umgestalteten Christuszeichens) die Buchstaben A bis E, wie übrigens auch die Wandinschriften von Pompeii CIL IV 2527–2530 und die auf einem Tongefäß der Saalburg eingeritzte Inschrift, CIL XIII 10017, 69, nur diese fünf ersten Buchstaben des A. bieten (CIL IV 2514–2518 bieten das vollständige alte lateinische A. von 21 Buchstaben A–X, vgl. Bücheler Rh. Mus. XII 1857, 246f. und o. Bd. I S. 1621 am Ende. Cic. nat. deor. II 37, 93. Quintil. I 4, 9. Suet. Aug. 88). Vgl. noch die in den Bewurf der Katakomben von St. Christina zu Bolsena-Volsinii in Etrurien eingeritzte altchristliche Inschrift CIL XIII 2887.

Alphabetische Anordnung war nicht bloß [86] für kirchliche Gesänge (o. Bd. I S. 27) beliebt, sondern auch in Sammlungen, welche Unterrichtszwecken dienten, so z. B. in den für den Schulgebrauch gekürzten metrischen Fabeln; vgl. auch den Art. Akrostichis o. Bd. I S. 1200ff. (bes. S. 1202f. 1206), außerdem z. B. die Abhandlung per litterarum ordinem bei Plin. n. h. XXXVII 138ff.

Angeführt seien noch die Versus cuiusdam Scoti de alphabeto bei Baehrens Poet. lat. min. V 375–378 (je drei Hexameter über jeden der 23 Buchstaben des lateinischen A.; vgl. Teuffel-Kroll Geschichte d. röm. Literatur6 § 500, 4) und eines Ungenannten Kunstvers, der sämtliche 23 Buchstaben enthält, bei Baehrens a. a. O. III 169.

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Band R (1980) S. 22
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Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: XIII
  2. Ergänze: für a
    Carl Pauli: Altitalische Forschungen. Band 3, Leipzig 1891, S. 81f. IA
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