Textdaten
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Autor: Anonym
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Titel: Neueste Unruhen zu Wertheim
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 2, S. 310–321
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1791
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
s. a. Reichscammergerichtliches Erkenntniß in Sachen des Stadtamtmanns Städel in Wertheim wider die Fürstlich- und Gräflich-Löwenstein-Wertheimische Regierung und den renitirenden Theil der Burgerschaft in Wertheim
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VI.
Neueste Unruhen zu Wertheim.


Der Geist der Unruhen, der Frankreichs blühende Provinzen verwüstet, beginnt auch in Teutschlands ruhige Pforten einzudringen, und den sprühenden Funken des Mißvergnügens, der hie und da unter der Asche glimmen mag, in lichterlohe Flammen aufzublasen. Schon haben mehrere Reichskreise diesen Unhold gesehen, einige werden noch von seiner mitternächtlichen Erscheinung beunruhigt,| und alle haben die Wirkungen seines vergiftenden Hauches mehr oder weniger empfunden.

 Der Fränkische Kreis ist bisher von seinem verderblichen Einfluß fast ganz verschont geblieben, und hätte, seiner glücklichen Verfassung nach, davon ewig verschont bleiben sollen! Wahrer Genuß der anständigsten Freyheit hätte diesen Kreis von einer Freyheitssucht bewahren sollen, die nur das traurige Loos unterdrückter und entnervter Völker zu seyn pflegt.

 Aber einige Einwohner der Stadt Wertheim haben diese fröhliche Hoffnung vereitelt. Folgende Thatsachen, die wenigen, welche von dem Vorfall bisher bekannt geworden sind, legen hievon die hinlängliche Probe ab.

 Ein Mensch aus der Hefe des Pöbels, der verschiedener Vergehungen wegen berüchtigt und mehrmalen gerichtlich gezüchtigt worden, kam ähnlicher Unordnungen halber in Verdacht und Verhaft. Die Sache wurde förmlich untersucht. Die Acten wurden an eine Juristen-Facultät zum Spruch Rechtens versendet, und der Verdächtige wurde am Ende losgesprochen, vermuthlich, wie| dieses gewöhnlich der Fall zu seyn pflegt, weil das Vergehen nicht vollständig erwiesen, der Verdacht aber mit der Gefängnißstrafe für abgebüßt geachtet worden seyn mag. Nichts ist gewöhnlicher als dergleichen Erkenntnisse, und nichts seltener als die Folgen, welche dasselbe diesesmahl nach sich zog. Denn anstatt sein Schicksal zu seegnen, war der erste Gebrauch, den der Mensch von der wieder erlangten Freyheit machte, der: daß er das Richteramt lästerte, den Richter überall verläumdete, und überhaupt die beleidigte Unschuld spielte. Sein äusserst elendes Ansehen, sein gebeugtes Flehen, seine Thränen erwarben ihm milde Gaben und Mitleiden mancher Menschen. Nun waren alle bekannten Unthaten des Menschen vergessen, und die ungereimtesten Beschuldigungen wider den Stadtrichter wurden gutwillig geglaubt.
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 Das natürlichste wäre gewesen so zu schließen: der günstige Spruch ist aus den Acten geschöpft, diese müssen in Ansehung des Angeschuldigten günstig gelautet haben, und der Stadtrichter, der die Verhöre angeordnet, geführt, und die Acten versendet hat, muß also dem Menschen nicht feind gewesen seyn. Allein unsere Leute räsonnirten also: „In dem Urthel stehet geschrieben,| daß der Inhaftirte des Verhafts zu entlassen sey, folglich war er mit Unrecht inhaftirt, folglich ist er unschuldig, und der Richter, der unschuldige Bürger einstecken, läßt, ist ein eingefleischter etc. etc. etc.“

 Ein Glück wäre es gewesen, wenn es beym Räsonniren geblieben wäre. Allein die Sachen gewannen bald ein ernsteres Ansehen. Man hatte den Zeitpunkt versäumt, ein räudiges Schaaf auszumerzen, und ward bald inne, daß beynahe die ganze Heerde angesteckt worden war. – Alles, was seit enem Menschenalter Absichten verfehlt, Strafe erlitten, Processe verloren; – und alles, was nie etwas verloren und nie etwas zu verlieren hatte, gesellte sich zu den Mißvergnügten. Letztere brachten, vermöge ihrer bekannten Talente, das Steuerruder in ihre derben Hände, und nun ruderte die Gesellschaft geraden Weges auf den Glückshafen zu, den solche Steuermänner nie verfehlen.

 Es ward daher zu Berathungen geschritten, und so fort in der ersten Session beschlossen; daß der Stadtrichter (Regierungsrath Städel) dem man zunächst alle Schuld an den Hals hing, vorerst seines Amtes entsetzt seyn sollte; daß zu diesem Ende| von Stunde an niemand den gedachten Richter für einen landesherrlichen Diener erkennen, ehren und achten, noch seine Richtersprüche befolgen solle. –

 Um der Sache einen Anschein von Billigkeit zu geben, oder vielmehr – um zu mehreren ähnlichen Plebsweisthümern Anlaß zu finden, kam die Versammlung gegen den bereits abgesetzten Richter mit einer Supplik ein, die mit den abentheuerlichsten Beschwerden angefüllt war, und von 5 bis 600 Supplicanten überreicht wurde.

 Man denke hier nur nicht an jene leidigen Bedrückungen, die wohl anderswo statt haben mögen, nicht an neue Auflagen, Imposten, Accisen, Gabellen, Umgelder etc., noch weniger an den ärgerlichen Orientalismus, der Sklavenseelen heischt, und auf die Menschheit mit strafbarer Verachtung herabschauet. Nichts von allem dem findet in der Grafschaft Löwenstein Wertheim statt. Dazu kommt noch, daß dieses Land unter einem vierfachen Condominium stehet, schon seit einem halben Jahrhundert von vier Landesherren gemeinschaftlich beherrscht und von viel und vielerley Potenzen verwaltet wird, die nicht immer parallel wirken, sondern zuweilen in Widerstreit gerathen, und eine gewisse| Friction erregen, welche der bürgerlichen Freyheit nur in den seltensten Fällen nachtheilig seyn kann. Auf einem solchen Boden wird der sonst so stark wuchernde Despotismus nicht leicht gedeihen. Keine Eigenmacht würde hier ungehemmt, keine Gewaltthat ungeahndet, keine gegründete Beschwerde unabgestellt, und keine billige Bitte unerhört bleiben; hier würde die Ungerechtigkeit jederzeit gerechte Widersacher finden: wenn schon nicht immer aus Neigung zum Guten, als vielmehr aus Widerwillen gegen den Bösen, der das Unkraut hier anbauen wollte. –

 Auch war an wirkliche Beschwerden gar nicht zu denken, und eine große Anzahl der vereinigten Brüderschaft mag dieses endlich wohl selbst empfunden haben. Allein die ersten Unbesonnenheiten waren nun einmahl verübt, und der dirigirende Ausschuß fand seinen neuen Beruf viel zu behaglich, als daß er nicht jede Rückkehr zum Amboß, Pantoffelflicken und Schiffziehen etc. tief unter seiner Würde hätte finden sollen.

 Allem Anscheine nach hätte Gellerts gestrenger Herr Amtmann hier einen guten Dienst geleistet, und durch seinen derben Bescheid dem Hader ein Ende gemacht. Allein man glaubte anders zu Werk gehen zu| müssen. Man gewährte zwar den fechtenden Supplicanten nichts, schlug aber auch nichts schlechterdings ab, sondern verhieß, entbot, machte Hoffnung, und gab überhaupt mehr gute Worte aus, als nöthig und nützlich war.

 Der Erfolg bewies dieses nur allzubald: der Trupp zog im Triumph ab, und der an der Spitze brausende Abschaum begab sich geraden Weges in gewisse Weinhäuser, woselbst auf Kosten der Vermögenden gezecht, und dem Muthwillen Zügel und Gebiß abgenommen ward. Nur ein paar Proben von den Thaten dieser Volksführer!

 Ein angesehener Bürger ließ einen grossen Coffer nach einer andern Gegend der Stadt bringen. Die Träger kamen vor einem der erwähnten Conferenzsäle vorbey. Die äussere Form des Coffers mochte ihnen einen wichtigen Inhalt zu verrathen scheinen. Er wurde also angehalten, erbrochen und in Sequestration genommen. Und das aus dem Grunde, weil die Herren wähnten: der Coffer gehöre dem Stadtrichter, der nunmehr seine Habseligkeit flüchten und ihrem hochnothpeinlichen Halsgerichtsurthel entgehen wolle.

 Ein anderer wackerer Bürger sprach von den Folgen, welche dieser Auftritt, besonders| an den höchsten Reichsgerichten, nach sich ziehen könnte. Kaum war dieses geschehen, als es den Demagogen hinterbracht, von diesen der Congregation vorgetragen, und aus dem Mittel derselben dem Manne alles Ernstes bedeutet ward: „daß er derley fortan sich mit Nichten erbrechen solle, widrigenfalls man ihn mit einem unbehaglichen Tractament zu regaliren ohnermanglen werde; und das von Faustrechts wegen.

 Da nach den Grundsätzen dieses primitiven Rechts der Proceß bekanntlich mit der Execution anfängt, und man darin vermittelst derber Fäuste und starker Knüttel am meisten ausrichten kann: so war die Wiederherstellung desselben allerdings zu befürchten. Es war also auf alle Fälle dem gutmüthigen Manne sehr wohl gerathen, für das ihm zugedachte Tractament zu danken, und sich vorerst an einen Ort zu begeben, wo das Faustrecht unter Bürgersleuten nicht gehandhabt werden darf.

 Dergleichen Heldenthaten fielen täglich vor. Eine Unbilde folgte der andern, und eine Ausschweifung zog die andere nach sich. Mit jedem Tage vermehrte sich die Anzahl der Unruhigen; mit jedem Tage wuchs ihr Übermuth und Trotz gegen die Stimme der| Vernunft; und in gleichem Verhältniß stieg die ängstliche Besorgniß der gutgesinnten Bürger, und die Verlegenheit der Regierung.

 Aber als die Sachen in Wertheim auf einer so kritischen Spitze standen, und das Mißtrauen und die allgemeine Noth den höchsten Grad erreicht hatten, zeigte sich die Hülfe der Teutschen Constitution und der Reichsgrundgesetze.

 Der Beamte, den die Wut des Pöbels zum ersten Opfer sich ausersehen hatte, und den eine gewisse Politik endlich auch wohl devovirt haben würde, hatte sich inzwischen von Wertheim entfernt und nach Wetzlar verfügt. Hier stellte er dem kaiserl. Reichs-Kammergericht die Begebenheit im unverkennbaren Lichte der Wahrheit vor; suchte und fand die stracke Justitzpflege, die der Sache angemessen war.

 Der Schaden, welchen die Ausgelassenheit des Pöbels anzurichten drohete, und die daraus entstandene allgemeine Gefahr mußte natürlicherweise den Gebotsbrief beflügeln, der nach gemessener Vorschrift der Reichsgesetze, die Wiederherstellung der Ruhe und des Friedens befiehlt, die Ursache der Unruhen zur rechtlichen Erledigung hinweist und unbedingten Gehorsam heischt| (mandatum sine Clausula.) Das Mandat ward zwar „noch zur Zeit abgeschlagen.“ Aber statt dessen wurde sogleich eine Verordnung (Ordination) erlassen, welche der Ungebühr noch schleuniger als Mandate abhilft und eine äusserst dringende Sache voraussetzt.

 Diese Gattung von Richtersprüchen enthält keinesweges eine abschlägige Antwort, wie der Theil des Publicums, welcher der Rechte unkundig ist, beym Anblick eines Decrets: Noch zur Zeit abgeschlagen, glauben könnte, vielmehr gibt dasselbe gerade das Gegentheil, und ungefähr folgenden Begriff an die Hand:

 Das Gericht habe die Erlassung eines unbedingten Gebotsbriefes gesetzmäßig, den Vorfall aber so dringend und bedenklich gefunden, daß von der einen Seite selbst die mit der Vollziehung eines Mandats verbundenen kleinen Fristen etc. dem gemeinen Besten nachtheilig werden könnten; hingegen von der andern Seite zu vermuthen ist, daß mittlerweile die Fackel der Unruhen erloschen seyn, und die Vernunft obgesiegt haben werde. Dieses wird den Ruhestörern, und denjenigen, die zunächst den Ruhestand zu erhalten haben, in dem Vertrauen eröffnet, daß sie diesen heilsamen Endzweck entweder| schon erreicht haben, oder doch zu erreichen bemühet seyn werden. Nebst dem bedeutenden Anhange: daß wenn das Gericht sich in seiner gerechten Erwartung getäuscht finden sollte, der Gebotsbrief unfehlbar erfolgen, und diejenigen, die durch ihren beharrlichen Ungehorsam die gesetzliche Strenge nothwendig gemacht und gleichsam aufgefordert haben, die unvermeidlichen Folgen derselben sich alsdann selbst beyzumessen haben würden. etc. –

 Dieses ist der Geist der Ordinationen, die zuweilen von dem kais. Reichs-Kammergerichte in das Teutsche Reich ergehen. Am kais. Reichshofrath wird ihre Stelle von den bekannten Rescripten vertreten. Beyde Gattungen von höchstrichterlichen Erkenntnissen sind nicht an den trägen Gang der gewöhnlichen Proceßform gebunden, und überhaupt weniger in den positiven Gesetzen der Staaten, als in den ewigen Vorschriften der Vernunft, gegründet, die jeden Umschweif vermeidet, und immer auf dem nächsten Wege zum Ziel führt; die allgemach ihre rechtmäßige Herrschaft weiter verbreitet, und, endlich noch Themis und Minerva, diese holden Zwillngsschwestern, völlig aussöhnen und auf ewig vereinigen wird.

|  Die Urkunde, die über das höchstrichterliche Erkenntniß in der Kammergerichts-Canzley ausgefertigt worden ist, steht bereits im 2ten Heft des II Bandes dieses Journals S. 190. Weit entfernt sich an den Gothischen Aussenwerken derselben, die ihr dreyhundertjähriges ehrwürdiges Alter an der Stirne tragen, zu stoßen, werden vielmehr Kunstverständige den Felsenpfeiler nicht verkennen, der darin sichtbar ist, und auf welchem das erhabene Gebäude der Teutschen Staatsverfassung, wie die Welt auf den Schultern des Atlas, sicher ruhet.

 Möchten diese, dem Vernehmen nach geendigte Unruhen allen Aufruhr auf ewig beschließen; möchte doch dieser Richterspruch, seiner schlichten Gerechtigkeit und unverkennbaren Heilsamkeit ungeachtet, der letzte in seiner Art seyn!