Lima (Meyer’s Universum)

CCCLVI. Passau in Bayern Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band (1841) von Joseph Meyer
CCCLVII. Lima
CCCLVIII. Weideneck in Oesterreich
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

LIMA

[81]
CCCLVII. Lima.




Weit weg aus den Bergen der Heimath und ihren Thälern wandern wir unter einen fremden Himmel. An ihm leuchten nicht die alten, trauten Sternbilder; Sonne und Mond aber begleiten uns als liebe Bekannte, und der Herr bleibt uns gegenwärtig in den Zeichen seiner Güte. Auch auf jenem Naphtaboden, aus dem vor Myriaden Jahren die jugendliche Erdkraft die Mauern der Anden emporgetrieben, finden wir das Spiel der Verwandlungen wieder, mittelst welchen das Geschlecht von Stufe zu Stufe näher rückt einem Ziele – einem Ziele, so fern und so hehr, daß nicht einmal unser Geist, der Firsternweiten ermessende, den Raum ahnen, geschweige dessen Größe sich vorstellen kann. Auch dort, in der neuen Welt, ist Verpuppen und Schmetterlingsleben der Völker schon gewesen, und in den abgeworfenen Hüllen findet der beseligende Glaube an der Menschheit ewigen Verjüngung Bestätigung. Ach! daß es noch Blinde gibt, die unvermögend sind, in jedem Vergehen das schönere Werden, in jeglichem Sterben die Wiedergeburt zu erkennen!

Und das Erkennen ist doch so leicht. Jedes Blatt der Weltgeschichte gibt uns Zeugniß, daß, wie die liebende Mutter Natur in ihren Armen den Einzelnen schlaftrunken von einem Daseyn in das andere hinüber trägt, sie auch so mit der Vielheit der Einzelnen thut – mit den Völkern. Der Stamm der Inca’s ist vergangen von Peru’s Erde; aber an der Stelle des Baums, der grobe Früchte trug, prangt ein anderer, und sein Blüthentreiben verkündigt das edlere Gewächs. Der tiefe Kelch rechter christlicher Erkenntniß ist zwar noch unerschlossen dort, aber unter ihm setzt die junge Freiheit Frucht an, – eine gute Frucht.

Aber die Reise! Die Maulthiere stampfen – fort, den Mantelsack auf! die Fahrt ist lang. – Schwer gerüstet, in Begleitung einiger Peons, Bauern der Pampas, traben wir über den Plaza Major durch das Südthor von Buenos-Ayres; bald ist die Stadt entschwunden und die Wüste der Pampas nimmt uns auf. Der Weg durch diese unermeßlichen, sandigen Ebenen und über das Gebirge nach Valparaiso wird nämlich von allen Europäern der viel längern, langweiligern Seefahrt um das Kap Horn vorgezogen; – folglich ist auch unsere Wahl gerechtfertigt. In Valparaiso ist man gewiß, fast täglich Schiffgelegenheit nach Lima vorzufinden.

[82] Die Pampas sind die Steppen von Amerika, wie jene in Südrußland die von Europa. Aber sie sind mit diesen eben so wenig zu vergleichen, wie mit den Savannen und Prairie’s am Missouri und Mississippi, oder den Llano’s am Orinoco und am Magdalenenstrom. Diese sind mit wogenden Kräutern des uppigsten Bodens, mit Schlingpflanzen und herrlichem Graswuchse bedeckt; auf den Pampas hingegen erblickt man nichts als krüppelhafte Gesträuche und Gruppen salziger Pflanzen, und dazwischen Sandhügel, mit denen der unaufhörliche Windzug auf diesen Ebenen sein Spiel treibt. Die meiste Aehnlichkeit haben die Pampas mit den Salzsteppen am Aralsee in Asien oder in der Heimath der wandernden Mongolen, der Cobi. Wir müssen und schon auf Mühseligkeiten und Beschwerden bei einem solchen 200 Meilen weiten Ritt durch eine dünn bevölkerte Oede gefaßt machen; aber sie werden uns doch nur klein erscheinen, Angesichts der Gefahren und Anstrengungen, die unserer beim Uebergang über die Anden warten. Schon in der Entfernung von 30 Meilen entdeckt das Auge über dem trüben Horizont der Ebenen die drohenden zackigen Firnen jener Bergriesen, welche jeden Morgen und jeden Abend, je näher, je herrlicher, im Sonnenroth glänzen. Während des Sommers sind die Maulthierpfade über das Gebirge außerordentlich belebt. In Karavanen vereinigt, übersteigt man in 4 Tagen die dreifache Kette. Es bleibt zwar eine Reise der Gefahr und der Anstrengung; aber es ist auch eine Reise der Lust. Jeder versorgt sich mit Lebensmitteln reichlich; nur auf den Zinnen ist das Klima rauh, und für jede schwierige Stelle folgt unmittelbarer Lohn durch die Aussicht in die majestätische Bergwelt. Keine Stunde vergeht, daß nicht Haufen von Arriero’s (Maulthiertreiber) begegnen, die von dem Ziele kommen, das man zu erreichen strebt. Dörfer und Gasthöfe sind in den Anden unbekannte Dinge. Grotten und die Casucha’s, kleine steinerne Häuser ohne Thüren und Fenster, die in der Entfernung von 3–4 Stunden dem Saumpfade entlang stehen, um dem Reisenden vor schlechtem Wetter oder vor den Lavinen eine Zufluchtsstätte zu gewähren, dienen zu Nachtlagern; die Grotten vorzugsweise, und die meisten haben als Rastorte besondere Namen. – In Schluchten und tiefen Bergspalten hin geht’s zum Col der ersten steilen Kette. Oben ragen zur Seite theils rauchende, theils erloschene Vulkane – zunächst das höchste Horn der Kette in dieser Gegend, 600 Fuß höher als der Pik von Teneriffa, unerklimmbar und noch unerstiegen. Es stößt Rauch aus und ist der Erzeuger der Erdbeben, welche die Gegend so oft verwüsteten. Wenn der Vollmond über diesen Vulkan schwebt, so wird seine Vorderseite auf mehr als sechzig Stunden in der Pampasebene sichtbar, während er den verirrten Seefahrern, die von Fels zu Fels den Hafen von Valparaiso suchen, in noch größerer Entfernung als Leuchtthurm dient. Er hüllt sein Haupt in ewigen Schnee. Aus der Nähe seines Gipfels kann der Reisende auf die Höhe schließen, in welcher er sich befindet.

Auf dem Col wird gerastet, und jeder genießt nach seiner Weise den schönen Anblick, der sich vor ihm ausbreitet. Taufende von phantastischen und bizarren Berggestalten im Prachtgewande der Gletscher, [83] oder eingehüllt in Schnee, glänzen in den Sonnenstrahlen wie Diamanten. Der Schatten der Vulkancolosse fällt weithin zwischen die beiden Gebirgsrücken hinein, die sich nur zu trennen scheinen, um die Bergbilder in ihrer ganzen Herrlichkeit bewundern zu lassen. Zwischen ihnen ziehen schwarze, tiefe Schluchten und Spalten fort, in welche selbst der Indianer fast niemals kömmt, und aus denen kein anderes Geräusch heraufdringt, als der schreckende Donner der Lavinen, oder das Mäckern der Gemsen, deren Heerden man manchmal auf den grünen Matten der tiefern Gehänge weiden sieht. – Vom Col wendet sich der Beg rechts in’s Thal, zuerst einer hohen, großen Hütte von rothen Backsteinen mit einem kleinen Thurme zu, – der Casucha, welche zum ersten Nachtlager dient. Eine große Unbequemlichkeit in diesen unwirthlichen Häusern ist der Rauch, der keinen andern Abzug hat, als durch die Thüröffnung, und doch kann man in dieser Höhe das Feuer nicht entbehren, denn die Nächte sind oft mitten im Sommer so kalt, daß das Wasser in den Gefäßen friert.

Am frühen Morgen brechen wir auf. Das Kreuz des Südens, der Polarstern der südlichen Hemisphäre, glitzert im Dunkelblau des reinen Himmels über unserm Haupte. Dieser zweite Tag im Gebirge ist der schlimmste. Es geht Schluchten auf, Schluchten ab, im Zickzack, bald an Abgründen hin, bald auf einer Ladera (Staffelpfad) senkrechten Wänden hinan. An solchen gefährlichen Strecken zieht die ganze Caravane, eine hinter der andern, ganz langsam vorwärts, Jeder nur auf die eigene Sicherheit bedacht, ohne einen Rückblick auf den Nachbar zu wagen, in tiefer, schauerlicher Stille. Man könnte die Herzschläge in den schwer-athmenden Wanderern zählen. Nach einigen Stunden wird der gefährlichste Punkt des Wegs erreicht; nämlich eine finstere Schlucht, von häufigen Abgründen unterbrochen. Drei Stunden lang klettert man in derselben aufwärts. Sie führt zum Col des zweiten Andenzugs, dessen Rücken die beiden Republiken, Chili und den argentinischen Staatenverein, scheidet. Zwei rohe Steinsäulen am Wege, mit den Wappen der Freistaaten, bezeichnen die Grenze.

Auf dieser Höhe hat man gemeiniglich die Wolken unter seinen Füßen. Von der Sonne beschienen breiten sie sich über die Erde wie ein rosenrother Schleier aus. Man steht auf dem starren Joch des Gebirgs über dem Dunstmeer, wie Schiffbrüchige auf einer Klippe. Es kommt einem vor, als wenn man abgeschnitten wäre vom Verkehr mit der Erde und hingewiesen auf die Regionen des Himmels. Die jenseitigen Gehänge der Cordilleren ist jedoch minder steil, und man sieht weit seltener jene spitzigen, Wachtthürmen ähnlichen Felsen, auf denen der riesige Condor zu ganzen Tagen unbeweglich sitzt und wie ein furchtbarer Berggeist auf die erhabene Scenerie zu seinen Füßen herabschaut. Weite Eismassen hängen als Gletscher tief in Schluchten und Thäler herein, und aus ihrem Bauche strömen wilde Gewässer hervor, welche sich theils als Staubbäche über die nächsten oft mehre 1000 Fuß hohen Felswände stürzen, theils durch Bergspalten und Schluchten sich wühlen, um nach kurzem Laufe, voller Stürze und Sprünge, den stillen Ocean zu erreichen.

[84] Auf dieser Höhe, in deren Nähe der Reisende, es sey nun in einer Höhle, oder in einer Casucha, welche von den Lavinen fast zerstört ist, übernachtet, ist man der Gefahr sehr ausgesetzt, von Schneestürmen überfallen zu werden, die den Beg dann unkenntlich und lebensgefährlich machen. Viele hölzerne Kreuze am Wege verkünden dem Wanderer die Häufigkeit solcher Unglücksfälle. Aber die Lust an den überstandenen Beschwerden, die Gewißheit, am nächsten Tage den Blick in die grünen Gefilde von Chili tauchen zu können, noch mehr der Gedanke, bald den stillen Ocean zu schauen, alles das läßt keinen traurigen Gedanken mehr aufkommen, und das frugale Mahl in der zug- und rauchvollen Halle, welches aus auf Kohlen halb gebratenem Fleisch und einigen Flaschen Mendoza besteht, wird unter Scherz und Gesang verzehrt. Mit Tagesanbruch wickelt sich jeder aus seiner wollenen Decke, badet Hände und Gesicht im Wildbach, und die Gesellschaft besteigt fröhlich die Maulthiere, um den dritten niedrigern Kordillerenkamm zu passiren, der die Aussicht nach Westen versperrt hält. Voll der Hoffnung, bald wieder in bewohnte Gegenden zu kommen, geht’s rasch eine Schlucht hinab, und dann eine andere hinan, in welcher uns ein klarer Bach mit taufend Sprüngen und kleinen Kaskaden entgegen tanzt. An der schmalen Spitze der Schlucht entspringt das Gewässer auf einer mit schönen und blühenden Alpkräutern geschmückten Matte, und köstliche Gresse wächst in Menge an seinen Ufern, ein Leckerbissen der Maulthiertreiber, die in der Casucha, die dicht bei der Quelle steht und „Auge des Wassers“ heißt, häufig übernachten. Man findet fast immer rastende Caravanen an diesem stillen, freundlichen Plätzchen, deren Daseyn von ferne der aufsteigende Rauch von Feuern verkündigt. Auf der Höhe sieht man hinab in die Thäler Chili’s, und bei heiterm Himmel glitzert von jenseits der stille Ocean. Bei diesem Anblick fühlt man sich so selig wie der Matrose beim ersten Anblick des Landes nach langer Seefahrt. Selbst die Thiere scheinen das nämliche Gefühl zu haben; sie wiehern und stampfen ungeduldig, da der Führer, in der Nähe einer sprudelnden Quelle und auf grüner Matte, Rast zum Frühstück gebietet. Es ist das letzte im Gebirge, und Angesichts der fernen rebenreichen Thäler und fruchtbaren Gründe werden die mitgebrachten Vorräthe an Wein und Speisen nicht länger geschont. Die Cigarren dampfen, die Flasche kreist in die Runde und dabei ertönt ein Lied. Alles fühlt sich vom wunderbaren Anblick der vorliegenden lachenden Gefilde belebt. Nur Einer, eine hagere Gestalt mit langem Barte und von der Kälte gebräuntem Gesichte in seltsamer Tracht, schleicht ernst und theilnahmlos umher, und während das fröhliche Auf! die Caravane bei den Maulthieren sammelt, liest er die glimmenden Stöcke und Kohlen an den Feuern zusammen, löscht sie und bringt sie hinter einen Felsen in sicheres Versteck. Es ist Pedro, der Andenführer, der dem Lootsen gleicht nach dem Sturme, wenn er das Schiff in den Hafen gebracht hat. Der Mann hat nun nichts mehr zu thun und gedenkt verdrossen der Beschwerden des einsamen Rückwegs.

[85] Schon am nächsten Tage ruhen wir in der Hauptstadt Chili’s, in dem schönen Valparaiso, von den Beschwerlichkeiten des Andenübergangs aus. Nach kurzer Rast schiffen wir uns auf einer Brigg ein, welche nach Callao unter Segel geht.

Günstiger Südwind bringt uns am achten Tage in’s Angesicht der nackten und unfruchtbaren Küsten Peru’s, und in der Ferne ragt wieder die blaue zackige Kette der Anden, deren Gipfel sich in die Wolken verlieren. Der Zugang des Hafens von Callao, des besten der ganzen amerikanischen Westküste, ist enge und wird durch die starken Werke der Festung Boquerone vertheidigt. 300 Feuerschlünde sind nach dem Eingang und seewärts gerichtet, und machen eine feindliche Annäherung ohne Verrath geradezu unmöglich.

Callao, die Hafenstadt, liegt in viertelstündiger Entfernung von der Veste. Sie ist klein, aber sehr belebt durch Schiffsvolk aller Nationen. Von Callao geht eine Diligence nach dem 4 Stunden fernen Lima täglich ab; gewöhnlich aber miethet man Maulthiere und reitet dahin. Die ganze Landstrecke, welche die beiden Städte trennt, besteht aus Flugsand und ist mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Regen und Gewitter sind in dieser Gegend unerlebte Dinge. Erst in der Nähe der Hauptstadt verwandelt sich durch künstliche Bewässerung die Oede in die lachendste, üppigste Fruchtbarkeit, und das breite Thal des Rimak zeigt die Fülle der tropischen Pflanzenwelt.

Lima, die reichste Stadt in ganz Südamerika, liegt in diesem Thale, und seine vergoldeten Zinnen glitzern zwischen Hainen von Palmen und fruchtbeladenen Mango’s. Die nächste Umgebung von Lima ist reizend; sie gleicht einem Paradiese.

Unmittelbar vor der Stadt breitet sich der öffentliche Park aus, die neue Alameda, dessen schattige Alleen und Gänge die Einwohner der Hauptstadt an jedem heitern Nachmittag versammeln. Man promenirt hier zu Pferde; Fußgänger sind weniger häufig; zartgestaltete junge Damen sitzen, wie Männer, reitlings zu Roß, silberne und goldene Sporen glänzen an den niedlichen Füßchen, und die Cigarre dampft zwischen rosigen Lippen, hinter denen die schönsten Zähne sich zeigen. Die Gewohnheit der Damen, zu rauchen, ist hier noch herrschender, als in Mexiko. Sie ist allgemein und geht von der Sklavin bis zur Herzogin durch alle Stände. – Eine häßliche, kreisrunde, hohe Mauer von an der Sonne gedörrten Backsteinen, welche so dick ist, daß man mit Wagen auf ihrer Krone fahren könnte, scheidet die Stadt von ihrem Gartenkranze, und gewaltige Bastionen, aus deren Casematten die Feuerschlünde, zweifach über einander gethürmt, drohend niederschauen, umgeben und schirmen jede der sieben Pforten Lima’s. Durch das lange, finstere Gewölbe des Thors de Maravillas ziehen wir ein in die Metropole der Republik. Bald bemerken wir indessen, daß Lima seine großen Tage gelebt hat. Noch steckt zwar colossaler Reichthum in seinen Mauern; aber der alte Glanz, in dem es ehedem bei unermeßlichem Handel und als die Gold- und Silberbergwerke mit geringer Mühe unglaublich große Ausbeute lieferten, strahlte, ist erbleicht. [86] Zeiten, wie jene Tage, wo die Grubenbesitzer dem Vicekönige, Herzog de la Plata, zu Ehren, als er seinen Einzug hielt, die Straßen mit massiven Silberplatten belegten, kehren nie wieder. Die Straßen sind gerade, regelmäßig, ziemlich breit; Paläste aber sieht man wenig. Manche sind auch von Canälen durchschnitten, die man aus dem Flusse dahin leitete. Der glänzend weiße Anstrich aller Gebäude blendet und wirft bei Sonnenschein die Strahlen unerträglich grell zurück. Die Bauart ist ganz spanisch; man glaubt das Conterfei von Granada oder Sevilla zu sehen. Jedes größere Haus hat einen weiten Hofraum mit Gallerien oder Arkaden (den Patio), und an ihn schließen sich schön angelegte und sorgfältig unterhaltene Gärten. Die meisten Wohnungen sind nur einstöckig. Häufige Erderschütterungen machen diese Bauweise rathsam. Die einzelnen Prachtgebäude – die Paläste, Kirchen etc. etc. – tragen in ihren Rissen und Spalten die Spuren der Ozillationen zur Schau, welchen sie preisgegeben sind; noch mehr aber die Festungswerke und Einfassungsmauern, welche an vielen Stellen in Ruinen liegen. Je einfacher die Wohnhäuser dem Aeußern nach sind, um so größer ist oft ihre Pracht im Innern. Daneben fehlt indeß auch der spanische Schmutz nicht. Schon auf den Straßen wird der Ekel rege, wenn man die Dienstboten, hier Sklaven, am Canal oder Brunnen Fische waschen, Geflügel rupfen, die Eingeweide mitten auf die Straße werfen sieht, wo sie an der Sonnenhitze faulen und bestialischen Gestank verbreiten. Die Republik hat da nichts vor der Monarchie voraus. Die Straßenreinigung ist den Bussarden überlassen, die den Dienst schlecht genug verrichten.

Der schönste Platz in Lima ist der Plaza-Mayor, mit einem herrlichen Wasserbecken aus Bronze, über dem sich eine Denksäule aus gleichem Metall erhebt. Die Metropolitankirche nimmt die ganze eine Seite desselben ein; der Nationalpalast (früher der des Vicekönigs) die andere gegenüber. An Markttagen versammelt sich hier die ländliche Bevölkerung aus einem weiten Umkreise. Man sieht in ihren seltsamen malerischen Trachten höchst anziehende Gruppen, die, als Staffage des Platzes, mit den hohen Tempeln und Palästen neben den niedern, einstöckigen Häusern und den himmelhohen Bergen im Hintergrunde, ein Gemälde von großer Wirkung zusammensetzen. Wenn dann das Angelusglöckchen des Domthurms läutet, und augenblicklich das Sprachgetöse verstummt, der Menschenknäuel der Tausende, wie vom Schlage getroffen, zur Erde auf die Kniee sinkt, und ein Gebetmurmeln wie letztes, leises Donnerrollen gehört wird, – so hat man ein Bild von Dem, was der Glaube im Mittelalter wirkte. Selbst der Reiter steigt von seinem Pferde und die vornehme Dame aus ihrem Wagen, wenn das Glöckchen ruft, und die Soldateska wirft sich so ehrerbietig nieder, als der Bauer und der Bergmann. Ist das Gebet vorüber, so schlägt Jeder sein Kreuz, erhebt sich, die Wagen setzen ihre Fahrt fort, die Soldaten marschiren, die Reiter sprengen davon, tausend Stimmen schreien durch einander, Alles ist in Bewegung und der Contrast des Geschehenen steht vor der Seele wie ein gewesener Traum. – Schlaf, Sinnengenuß [87] und Andachtsübung füllen hier in ewigem Wechsel bei den meisten Menschen das Leben aus; Arbeit ist Sache des gemeinen Mannes, zumeist der Sklaven. Doch zeigt sich, seitdem die Freiheit an die Stelle des spanischen Jochs getreten ist, ein allmähliches Emancipiren der schlummernden geistigen Kräfte und ein Reihen derselben, welches dem Culturfreunde Bürge ist, daß auch da bald ein intellektuelles Leben an die Stelle treten wird, welche das sinnliche und das kirchliche bisher allein eingenommen haben. Der erwachende Sinn für Literatur hat seit zwei Jahrzehnten zur Gründung zweier Vereine Anlaß gegeben, welche das gesellige Vergnügen mit wissenschaftlichen Bestrebungen verknüpfen, und während Lima in seiner großen Zeit eine einzige Buchhandlung ernährte, deren Geschäft in der Anschaffung von Gebet- und Schulbüchern ausschließlich bestand, bestehen jetzt deren fünf, und die besten englischen und französischen Journale haben einen, wenn auch erst kleinen, Lesekreis gefunden. So bilden sich allmählich feste, bleibende Culturpunkte, von welchen das Licht höherer Gesittung ausstrahlen wird in die dunkeln Räume. Die Saat ist gestreut, und die Freiheit bürgt der jungen Pflanze allmähliche Entwicklung. Das ist der Unterschied zwischen einst und jetzt; denn die alte Monarchie fürchtete in jedem geistigen Emancipationsstreben das politische, und vernichtete daher unablässig jeden Trieb und jedes Keimen.

Man wirft dem Leben in Lima eine große Ueppigkeit vor, und Mancher nennt es die lüderlichste Stadt in ganz Amerika. Wir stellen es dahin, und verzichten, wie immer, darauf, einen Schleier zu lüften, der in jeder großen Stadt, der überall, wo Menschen in Menge zusammen wohnen, des Schmutzes genug verbirgt. Mögen wir auch nicht in jedem Weibe eine Heilige erkennen, so soll uns doch der Gedanke an das Gegentheil das herrliche Bild nicht besudeln, das die äußere Erscheinung der Limaer Damenwelt jeden Fremden vor das Auge rückt. Die Vorstadt San Lorenzo und deren Brücke sammelt an heitern Abenden Alles, was Lima an Schönheit aus den bessern Ständen aufzuweisen hat. Ein malerisches und originelleres Kostüm gibt es nicht, als die Tracht der hiesigen Damen. Deren Gewand – das Sayo y Manto – besteht aus einem Unterkleide von Atlas, oder seidengefüttertem Thibet, das sich zierlich um Busen, Leib und Hüfte schmiegt und anständig deckt, ohne die Formen zu verhüllen. Ein langes, vorn offenes Oberkleid, das ein Gürtel um die Taille eng zusammen faltet, reicht bis zur Ferse hinab. Es ist dunkelfarbig, aber mit Spitzen, Gold- und Silberstickereien reich verziert: manchmal selbst überaus prächtig, mit Perlen und kostbaren Steinen. Ueber dasselbe ist ein Mäntelchen von Atlas oder dickem Gaze gestülpt, das in zahllose Fältchen gelegt ist, den Kopf wie eine Kaputze vermummt und nur eine tutenförmige Oeffnung läßt, aus dessen Tiefe das blitzende Auge seine Strahlen schießt. Der Damen Gang ist durchaus edel und vom schönsten Schwunge. Nirgends sieht man schlankere, schönere weibliche Gestalten und liebreizendere Formen. Ihr Leben aber ist sehr einförmig; Gebet und Beichte, Toilette und Promenade, Karten [88] und Schach, Circus und Stiergefechte, Gesang und Guitarre füllen die Zeit bis zum Abend aus, der sich zwischen Theater (das schlecht genug ist) und der Langeweile in den Tertulia’s (den Kränzchengesellschaften) theilt. Ihre Theilnahme für höhere, allgemeine Interessen ist noch schlummernd, und wissenschaftliche Bildung ist von der weiblichen Erziehung in Lima gänzlich ausgeschlossen.

Die „Lions“ in Lima sind vorzüglich die Kirchen, welche, zumeist Werke aus dem 17ten Jahrhundert, eben so geschmacklos gebaut als sie reich sind. In vielen sieht man die Wände buchstäblich mit Gold- und Silberplatten überkleidet, und die Verschwendung der edeln Metalle an Altären, Chorstühlen, Heiligenstatuen, Candelabern, Kelchen und Monstranzhäuschen übersteigt alle Vorstellung und allen Glauben. Ganz eigenthümlich und recht sinnig ist der Gebrauch, Singvögel in die Kirche zu stiften, welche, in silbernen, zuweilen selbst in goldnen Käfigen an den Säulen des Hochaltars hängen und ihren Gesang mit dem der Gemeinde mischen oder mit den feierlichen Tönen der Orgel. Klöster gibt’s über 60 in Lima, und außerordentlich reiche. Das der „Empfängniß Mariä“ ist der Inbegriff von Pracht. Man zählt im Ganzen 3000 Mönche, Nonnen und Weltpriester in der Hauptstadt Peru’s, und sie sollen ein Einkommen von 2 Millionen Piaster jährlich zu verzehren haben. Ist diese Angabe auch übertrieben, so zeigt doch schon das luxuriöse Leben der meisten Ordensmänner und Würdenträger der Kirche, daß ihnen die Mittel, auf Erden froh zu seyn, nicht karg zugemessen sind. Eine besondere Regel ist die „des guten Todes,“ mit dem Privilegium, den Sterbenden die letzten Tröstungen der Kirche zu reichen. Sie reiten auf Maulthieren und man sieht sie mit dem Küster häufig in Galopp durch die Straßen jagen. Reich dotirte Wohlthätigkeitsanstalten nehmen der Armuth alle zeitliche Sorge. Es gibt Hospitäler, die Millionen besitzen; daß des heiligen Andreas verpflegt durchschnittlich 400 Kranke. Um so übler ist es hingegen mit den öffentlichen Aemtern bestellt. Das alte Erbtheil aus der Zeit der Monarchie: der Begriff, „das Amt sey um der Person willen da,“ ist noch stark. Die Untreue der Verwaltungsbeamten wie die Bestechlichkeit der Richter ist sprüchwörtlich. Kein Wunder! Ein Volk erkämpft nicht zugleich mit der Freiheit sich den Ernst der Tugend und die sittlichen Begriffe vom Staat; solche reifen nicht mit, sondern als Frucht der Freiheit, und lange Zeit bedarf’s, ehe sie keimen, blühen und zeitigen.

Lima ist die älteste Stadt in Südamerika; sie wurde von Pizarro im 3ten Jahrzehnt des 16ten Jahrhunderts gegründet, der sie zum Sitz seines Vicekönigreichs erkohr. Die Silberminen in den nahen Gebirgen, um Cusco etc. etc., welche für Rechnung Limaer Einwohner betrieben wurden, schütteten sehr frühzeitig große Reichthümer aus, und die Stadt ward binnen hundert Jahren zur schönsten in ganz Südamerika. In manchen Jahren warfen den Limaer Grubeneignern die Bergwerke fünf bis sechs Millionen Piaster ab, und man hat die hier zusammengeflossene gesammte Ausbeute innerhalb 310 Jahren auf die enorme Summe von 1200 Millionen [89] Piaster geschätzt. Aus dieser Quelle häuften sich bei einzelnen Familien jene colossalen Vermögen an, welche selbst in unserer Zeit noch Erstaunen erwecken könnten, obschon in dieser, wie in keiner frühern, die Beispiele von Ansammlung großer Besitzthümer so häufig sind. Luxus führte die Geldfülle aus den Händen der Wenigen durch tausend Canäle der übrigen Bevölkerung zu und eine allgemeine Wohlhabenheit, größer, als vielleicht irgendwo, gestaltete sich unter diesen eigenthümlichen Verhältnissen. Lima’s Glück war groß; aber eine fürchterliche Plage zerstörte es oft gerade dann, wenn es am allerglänzendsten leuchtete. Lima steht nämlich auf dem Rande einer Vulkan-Zone und ist deshalb häufigen Erschütterungen ausgesetzt. Am 9. Juli 1586 verwandelte ein Erdbeben die ganze Stadt in einen Schutthaufen und begrub zwei Drittel ihrer Bevölkerung unter den Trümmern. Die Erinnerung an diese Catastrophe wird noch jetzt durch einen Bußtag gefeiert. 1609 war ein anderes, das ein Drittel der Stadt zertrümmerte; zum zweitenmale aber wurde ganz Lima zum Schutthaufen 1630 am 27. Nov. An 12,000 Menschen wurden erschlagen und ebenfalls ein Bußtag feiert das Andenken daran. Aehnliche, doch in ihren Folgen minder schreckliche Heimsuchungen erfuhr es 1655 und 1678. Eine der entsetzlichsten war das Erdbeben vom 20. October 1687. Die Ufer des Meeres bliesen sich auf, erhoben sich 20 Fuß hoch und das Meer stürzte an zwei Meilen weit zurück. Als dann das Ufer wieder einsank, da wälzte sich die Meerfluth ihrem alten Bette zu mit so ungeheuerer Wucht, daß sie ganz Callao verschlang und alle Schiffe im Hafen; ja das Meer drang bis Lima herauf, des Wassers und des unterirdischen Feuers Schrecken stritten um die Herrschaft über die unglückliche Stadt. Ueber die Hälfte derselben wurde zerstört. Die Jahre 1699, 1716, 1725, 1732, 1734, 1745 brachten mehr oder weniger heftige Catastrophen gleicher Art. Ihnen folgte die schreckliche von 1746. In weniger als drei Minuten lagen drei Viertel der Häuser in Ruinen, und unter ihnen waren 19,000 Menschen begraben. Lange nachher durften keine Häuser anders als von Holz und einstöckig erbauet werden, damit die Verluste an Menschenleben gemindert wurden, welche aus dem Einstürzen steinerner und mehrstöckiger Hauser so leicht erfolgten. Um des nämlichen Zwecks willen mußten die früher sehr engen Straßen sämmtlich bis auf wenigstens 25 Fuß erweitert werden. Besondere königliche Lizenzen gehörten dazu, Paläste und größere Wohnhäuser aufzuführen, und erst in neuerer Zeit wurde es nachgelassen, die gewöhnlichen Häuser statt von Holz von ungebrannten Backsteinen zu errichten, da deren Mauern die häufigen, wellenförmigen Erdbewegungen nicht minder gut ausdauern, als hölzerne und sie weit weniger leicht einstürzen, als solche von Quadern und gebrannten Ziegeln. Selbst die Umfassungsmauern der Hauptstadt und die Bastionen sind aus solchen an der Sonne gedörrten Thonwürfeln aufgerichtet. Seit 1746 hat zwar Lima keinen jener zerstörenden Unfälle wieder erlebt; desto häufiger aber sind schwächere Erschütterungen, und es vergeht selten ein Jahr, wo nicht einmal der Ruf: El tremblor! El tremblor! tausendmal fürchterlicher [90] als nächtlicher Feuerruf, die ganze Bevölkerung in Allarm bringt und aus den Thoren jagt. – Lima hat jetzt etwa 60,000 Einwohner, war aber vor 100 Jahren fast noch einmal so volkreich. – Auch der Handel war früher viel größer. Die Hauptgeschäfte ruhen in den Händen englischer und französischer Häuser, welche den Markt mit allen europäischen Fabrikaten für Kleidung und Luxus versehen und dagegen jährlich etwa 3 Millionen Piaster Silber und Gold, den Ertrag der Bergwerke, und einige Fabrikate und Produkte der Gegend zum Betrag von etwa einer halben Million Piaster nach Europa versenden.