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oder eingehüllt in Schnee, glänzen in den Sonnenstrahlen wie Diamanten. Der Schatten der Vulkancolosse fällt weithin zwischen die beiden Gebirgsrücken hinein, die sich nur zu trennen scheinen, um die Bergbilder in ihrer ganzen Herrlichkeit bewundern zu lassen. Zwischen ihnen ziehen schwarze, tiefe Schluchten und Spalten fort, in welche selbst der Indianer fast niemals kömmt, und aus denen kein anderes Geräusch heraufdringt, als der schreckende Donner der Lavinen, oder das Mäckern der Gemsen, deren Heerden man manchmal auf den grünen Matten der tiefern Gehänge weiden sieht. – Vom Col wendet sich der Beg rechts in’s Thal, zuerst einer hohen, großen Hütte von rothen Backsteinen mit einem kleinen Thurme zu, – der Casucha, welche zum ersten Nachtlager dient. Eine große Unbequemlichkeit in diesen unwirthlichen Häusern ist der Rauch, der keinen andern Abzug hat, als durch die Thüröffnung, und doch kann man in dieser Höhe das Feuer nicht entbehren, denn die Nächte sind oft mitten im Sommer so kalt, daß das Wasser in den Gefäßen friert.

Am frühen Morgen brechen wir auf. Das Kreuz des Südens, der Polarstern der südlichen Hemisphäre, glitzert im Dunkelblau des reinen Himmels über unserm Haupte. Dieser zweite Tag im Gebirge ist der schlimmste. Es geht Schluchten auf, Schluchten ab, im Zickzack, bald an Abgründen hin, bald auf einer Ladera (Staffelpfad) senkrechten Wänden hinan. An solchen gefährlichen Strecken zieht die ganze Caravane, eine hinter der andern, ganz langsam vorwärts, Jeder nur auf die eigene Sicherheit bedacht, ohne einen Rückblick auf den Nachbar zu wagen, in tiefer, schauerlicher Stille. Man könnte die Herzschläge in den schwer-athmenden Wanderern zählen. Nach einigen Stunden wird der gefährlichste Punkt des Wegs erreicht; nämlich eine finstere Schlucht, von häufigen Abgründen unterbrochen. Drei Stunden lang klettert man in derselben aufwärts. Sie führt zum Col des zweiten Andenzugs, dessen Rücken die beiden Republiken, Chili und den argentinischen Staatenverein, scheidet. Zwei rohe Steinsäulen am Wege, mit den Wappen der Freistaaten, bezeichnen die Grenze.

Auf dieser Höhe hat man gemeiniglich die Wolken unter seinen Füßen. Von der Sonne beschienen breiten sie sich über die Erde wie ein rosenrother Schleier aus. Man steht auf dem starren Joch des Gebirgs über dem Dunstmeer, wie Schiffbrüchige auf einer Klippe. Es kommt einem vor, als wenn man abgeschnitten wäre vom Verkehr mit der Erde und hingewiesen auf die Regionen des Himmels. Die jenseitigen Gehänge der Cordilleren ist jedoch minder steil, und man sieht weit seltener jene spitzigen, Wachtthürmen ähnlichen Felsen, auf denen der riesige Condor zu ganzen Tagen unbeweglich sitzt und wie ein furchtbarer Berggeist auf die erhabene Scenerie zu seinen Füßen herabschaut. Weite Eismassen hängen als Gletscher tief in Schluchten und Thäler herein, und aus ihrem Bauche strömen wilde Gewässer hervor, welche sich theils als Staubbäche über die nächsten oft mehre 1000 Fuß hohen Felswände stürzen, theils durch Bergspalten und Schluchten sich wühlen, um nach kurzem Laufe, voller Stürze und Sprünge, den stillen Ocean zu erreichen.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/145&oldid=- (Version vom 7.12.2024)