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Zeiten, wie jene Tage, wo die Grubenbesitzer dem Vicekönige, Herzog de la Plata, zu Ehren, als er seinen Einzug hielt, die Straßen mit massiven Silberplatten belegten, kehren nie wieder. Die Straßen sind gerade, regelmäßig, ziemlich breit; Paläste aber sieht man wenig. Manche sind auch von Canälen durchschnitten, die man aus dem Flusse dahin leitete. Der glänzend weiße Anstrich aller Gebäude blendet und wirft bei Sonnenschein die Strahlen unerträglich grell zurück. Die Bauart ist ganz spanisch; man glaubt das Conterfei von Granada oder Sevilla zu sehen. Jedes größere Haus hat einen weiten Hofraum mit Gallerien oder Arkaden (den Patio), und an ihn schließen sich schön angelegte und sorgfältig unterhaltene Gärten. Die meisten Wohnungen sind nur einstöckig. Häufige Erderschütterungen machen diese Bauweise rathsam. Die einzelnen Prachtgebäude – die Paläste, Kirchen etc. etc. – tragen in ihren Rissen und Spalten die Spuren der Ozillationen zur Schau, welchen sie preisgegeben sind; noch mehr aber die Festungswerke und Einfassungsmauern, welche an vielen Stellen in Ruinen liegen. Je einfacher die Wohnhäuser dem Aeußern nach sind, um so größer ist oft ihre Pracht im Innern. Daneben fehlt indeß auch der spanische Schmutz nicht. Schon auf den Straßen wird der Ekel rege, wenn man die Dienstboten, hier Sklaven, am Canal oder Brunnen Fische waschen, Geflügel rupfen, die Eingeweide mitten auf die Straße werfen sieht, wo sie an der Sonnenhitze faulen und bestialischen Gestank verbreiten. Die Republik hat da nichts vor der Monarchie voraus. Die Straßenreinigung ist den Bussarden überlassen, die den Dienst schlecht genug verrichten.

Der schönste Platz in Lima ist der Plaza-Mayor, mit einem herrlichen Wasserbecken aus Bronze, über dem sich eine Denksäule aus gleichem Metall erhebt. Die Metropolitankirche nimmt die ganze eine Seite desselben ein; der Nationalpalast (früher der des Vicekönigs) die andere gegenüber. An Markttagen versammelt sich hier die ländliche Bevölkerung aus einem weiten Umkreise. Man sieht in ihren seltsamen malerischen Trachten höchst anziehende Gruppen, die, als Staffage des Platzes, mit den hohen Tempeln und Palästen neben den niedern, einstöckigen Häusern und den himmelhohen Bergen im Hintergrunde, ein Gemälde von großer Wirkung zusammensetzen. Wenn dann das Angelusglöckchen des Domthurms läutet, und augenblicklich das Sprachgetöse verstummt, der Menschenknäuel der Tausende, wie vom Schlage getroffen, zur Erde auf die Kniee sinkt, und ein Gebetmurmeln wie letztes, leises Donnerrollen gehört wird, – so hat man ein Bild von Dem, was der Glaube im Mittelalter wirkte. Selbst der Reiter steigt von seinem Pferde und die vornehme Dame aus ihrem Wagen, wenn das Glöckchen ruft, und die Soldateska wirft sich so ehrerbietig nieder, als der Bauer und der Bergmann. Ist das Gebet vorüber, so schlägt Jeder sein Kreuz, erhebt sich, die Wagen setzen ihre Fahrt fort, die Soldaten marschiren, die Reiter sprengen davon, tausend Stimmen schreien durch einander, Alles ist in Bewegung und der Contrast des Geschehenen steht vor der Seele wie ein gewesener Traum. – Schlaf, Sinnengenuß

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/148&oldid=- (Version vom 7.12.2024)