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und Andachtsübung füllen hier in ewigem Wechsel bei den meisten Menschen das Leben aus; Arbeit ist Sache des gemeinen Mannes, zumeist der Sklaven. Doch zeigt sich, seitdem die Freiheit an die Stelle des spanischen Jochs getreten ist, ein allmähliches Emancipiren der schlummernden geistigen Kräfte und ein Reihen derselben, welches dem Culturfreunde Bürge ist, daß auch da bald ein intellektuelles Leben an die Stelle treten wird, welche das sinnliche und das kirchliche bisher allein eingenommen haben. Der erwachende Sinn für Literatur hat seit zwei Jahrzehnten zur Gründung zweier Vereine Anlaß gegeben, welche das gesellige Vergnügen mit wissenschaftlichen Bestrebungen verknüpfen, und während Lima in seiner großen Zeit eine einzige Buchhandlung ernährte, deren Geschäft in der Anschaffung von Gebet- und Schulbüchern ausschließlich bestand, bestehen jetzt deren fünf, und die besten englischen und französischen Journale haben einen, wenn auch erst kleinen, Lesekreis gefunden. So bilden sich allmählich feste, bleibende Culturpunkte, von welchen das Licht höherer Gesittung ausstrahlen wird in die dunkeln Räume. Die Saat ist gestreut, und die Freiheit bürgt der jungen Pflanze allmähliche Entwicklung. Das ist der Unterschied zwischen einst und jetzt; denn die alte Monarchie fürchtete in jedem geistigen Emancipationsstreben das politische, und vernichtete daher unablässig jeden Trieb und jedes Keimen.

Man wirft dem Leben in Lima eine große Ueppigkeit vor, und Mancher nennt es die lüderlichste Stadt in ganz Amerika. Wir stellen es dahin, und verzichten, wie immer, darauf, einen Schleier zu lüften, der in jeder großen Stadt, der überall, wo Menschen in Menge zusammen wohnen, des Schmutzes genug verbirgt. Mögen wir auch nicht in jedem Weibe eine Heilige erkennen, so soll uns doch der Gedanke an das Gegentheil das herrliche Bild nicht besudeln, das die äußere Erscheinung der Limaer Damenwelt jeden Fremden vor das Auge rückt. Die Vorstadt San Lorenzo und deren Brücke sammelt an heitern Abenden Alles, was Lima an Schönheit aus den bessern Ständen aufzuweisen hat. Ein malerisches und originelleres Kostüm gibt es nicht, als die Tracht der hiesigen Damen. Deren Gewand – das Sayo y Manto – besteht aus einem Unterkleide von Atlas, oder seidengefüttertem Thibet, das sich zierlich um Busen, Leib und Hüfte schmiegt und anständig deckt, ohne die Formen zu verhüllen. Ein langes, vorn offenes Oberkleid, das ein Gürtel um die Taille eng zusammen faltet, reicht bis zur Ferse hinab. Es ist dunkelfarbig, aber mit Spitzen, Gold- und Silberstickereien reich verziert: manchmal selbst überaus prächtig, mit Perlen und kostbaren Steinen. Ueber dasselbe ist ein Mäntelchen von Atlas oder dickem Gaze gestülpt, das in zahllose Fältchen gelegt ist, den Kopf wie eine Kaputze vermummt und nur eine tutenförmige Oeffnung läßt, aus dessen Tiefe das blitzende Auge seine Strahlen schießt. Der Damen Gang ist durchaus edel und vom schönsten Schwunge. Nirgends sieht man schlankere, schönere weibliche Gestalten und liebreizendere Formen. Ihr Leben aber ist sehr einförmig; Gebet und Beichte, Toilette und Promenade, Karten

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/149&oldid=- (Version vom 7.12.2024)