Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Auf dieser Höhe, in deren Nähe der Reisende, es sey nun in einer Höhle, oder in einer Casucha, welche von den Lavinen fast zerstört ist, übernachtet, ist man der Gefahr sehr ausgesetzt, von Schneestürmen überfallen zu werden, die den Beg dann unkenntlich und lebensgefährlich machen. Viele hölzerne Kreuze am Wege verkünden dem Wanderer die Häufigkeit solcher Unglücksfälle. Aber die Lust an den überstandenen Beschwerden, die Gewißheit, am nächsten Tage den Blick in die grünen Gefilde von Chili tauchen zu können, noch mehr der Gedanke, bald den stillen Ocean zu schauen, alles das läßt keinen traurigen Gedanken mehr aufkommen, und das frugale Mahl in der zug- und rauchvollen Halle, welches aus auf Kohlen halb gebratenem Fleisch und einigen Flaschen Mendoza besteht, wird unter Scherz und Gesang verzehrt. Mit Tagesanbruch wickelt sich jeder aus seiner wollenen Decke, badet Hände und Gesicht im Wildbach, und die Gesellschaft besteigt fröhlich die Maulthiere, um den dritten niedrigern Kordillerenkamm zu passiren, der die Aussicht nach Westen versperrt hält. Voll der Hoffnung, bald wieder in bewohnte Gegenden zu kommen, geht’s rasch eine Schlucht hinab, und dann eine andere hinan, in welcher uns ein klarer Bach mit taufend Sprüngen und kleinen Kaskaden entgegen tanzt. An der schmalen Spitze der Schlucht entspringt das Gewässer auf einer mit schönen und blühenden Alpkräutern geschmückten Matte, und köstliche Gresse wächst in Menge an seinen Ufern, ein Leckerbissen der Maulthiertreiber, die in der Casucha, die dicht bei der Quelle steht und „Auge des Wassers“ heißt, häufig übernachten. Man findet fast immer rastende Caravanen an diesem stillen, freundlichen Plätzchen, deren Daseyn von ferne der aufsteigende Rauch von Feuern verkündigt. Auf der Höhe sieht man hinab in die Thäler Chili’s, und bei heiterm Himmel glitzert von jenseits der stille Ocean. Bei diesem Anblick fühlt man sich so selig wie der Matrose beim ersten Anblick des Landes nach langer Seefahrt. Selbst die Thiere scheinen das nämliche Gefühl zu haben; sie wiehern und stampfen ungeduldig, da der Führer, in der Nähe einer sprudelnden Quelle und auf grüner Matte, Rast zum Frühstück gebietet. Es ist das letzte im Gebirge, und Angesichts der fernen rebenreichen Thäler und fruchtbaren Gründe werden die mitgebrachten Vorräthe an Wein und Speisen nicht länger geschont. Die Cigarren dampfen, die Flasche kreist in die Runde und dabei ertönt ein Lied. Alles fühlt sich vom wunderbaren Anblick der vorliegenden lachenden Gefilde belebt. Nur Einer, eine hagere Gestalt mit langem Barte und von der Kälte gebräuntem Gesichte in seltsamer Tracht, schleicht ernst und theilnahmlos umher, und während das fröhliche Auf! die Caravane bei den Maulthieren sammelt, liest er die glimmenden Stöcke und Kohlen an den Feuern zusammen, löscht sie und bringt sie hinter einen Felsen in sicheres Versteck. Es ist Pedro, der Andenführer, der dem Lootsen gleicht nach dem Sturme, wenn er das Schiff in den Hafen gebracht hat. Der Mann hat nun nichts mehr zu thun und gedenkt verdrossen der Beschwerden des einsamen Rückwegs.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/146&oldid=- (Version vom 7.12.2024)