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CCCLVII. Lima.




Weit weg aus den Bergen der Heimath und ihren Thälern wandern wir unter einen fremden Himmel. An ihm leuchten nicht die alten, trauten Sternbilder; Sonne und Mond aber begleiten uns als liebe Bekannte, und der Herr bleibt uns gegenwärtig in den Zeichen seiner Güte. Auch auf jenem Naphtaboden, aus dem vor Myriaden Jahren die jugendliche Erdkraft die Mauern der Anden emporgetrieben, finden wir das Spiel der Verwandlungen wieder, mittelst welchen das Geschlecht von Stufe zu Stufe näher rückt einem Ziele – einem Ziele, so fern und so hehr, daß nicht einmal unser Geist, der Firsternweiten ermessende, den Raum ahnen, geschweige dessen Größe sich vorstellen kann. Auch dort, in der neuen Welt, ist Verpuppen und Schmetterlingsleben der Völker schon gewesen, und in den abgeworfenen Hüllen findet der beseligende Glaube an der Menschheit ewigen Verjüngung Bestätigung. Ach! daß es noch Blinde gibt, die unvermögend sind, in jedem Vergehen das schönere Werden, in jeglichem Sterben die Wiedergeburt zu erkennen!

Und das Erkennen ist doch so leicht. Jedes Blatt der Weltgeschichte gibt uns Zeugniß, daß, wie die liebende Mutter Natur in ihren Armen den Einzelnen schlaftrunken von einem Daseyn in das andere hinüber trägt, sie auch so mit der Vielheit der Einzelnen thut – mit den Völkern. Der Stamm der Inca’s ist vergangen von Peru’s Erde; aber an der Stelle des Baums, der grobe Früchte trug, prangt ein anderer, und sein Blüthentreiben verkündigt das edlere Gewächs. Der tiefe Kelch rechter christlicher Erkenntniß ist zwar noch unerschlossen dort, aber unter ihm setzt die junge Freiheit Frucht an, – eine gute Frucht.

Aber die Reise! Die Maulthiere stampfen – fort, den Mantelsack auf! die Fahrt ist lang. – Schwer gerüstet, in Begleitung einiger Peons, Bauern der Pampas, traben wir über den Plaza Major durch das Südthor von Buenos-Ayres; bald ist die Stadt entschwunden und die Wüste der Pampas nimmt uns auf. Der Weg durch diese unermeßlichen, sandigen Ebenen und über das Gebirge nach Valparaiso wird nämlich von allen Europäern der viel längern, langweiligern Seefahrt um das Kap Horn vorgezogen; – folglich ist auch unsere Wahl gerechtfertigt. In Valparaiso ist man gewiß, fast täglich Schiffgelegenheit nach Lima vorzufinden.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/143&oldid=- (Version vom 7.12.2024)