Passau in Bayern
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Es war Abend. Lustig fuhren wir mit dem Dampfschiffe Passau entgegen; denn Flöten, ein paar Guitarren, ein guter Tenorist und glockenreine Frauenstimmen waren auf dem Boote und thaten nicht spröde. Die aufsteigenden Dünste umhüllten mehr und mehr die Reize des prächtigen Stromes und die Nacht färbte den Schleier tiefer. Allmählich schmolzen die Gegenstände an den Ufern in dunkeln Massen zusammen. Die ganze Gesellschaft war auf dem Verdeck und um die Sänger versammelt. Alles war Ohr. Da trat über der waldigen Höhe der Mond hervor und beleuchtete eine Scene, die kein Van der Neer schöner gesehen und gemalt hat. Der breite Strom war wie ein See, auf dem Millionen silberner Wellen zitterten. Jenseits desselben traten die Konturen der Dreistadt am lichten Himmel wie Zacken sarazenischer Mauern hervor, und der ganze Hintergrund schien eine fortgesetzte Festung zu seyn, aus der die wunderbaren alten Kirchkuppeln und spitzige Glockenthürme wie Minarets hervorschauten. Auf dem Dunsthorizont des bleichen Mondspiegels aber schatteten die unheimlichen Gestalten der Gebäude des alten Kastells. So wie der Mond heraufstieg, warf das Wasser des Stroms einen magischen Reflex auf die Höhen, und ein ossianischer Duft legte sich über das geisterhafte Bild, aus welchem dann und wann die Lichter der nahen Stadt magisch schimmerten.
Aber auch bei Tage kann sich Passau’s Landschaftsbild kühn neben die gepriesensten der Erde stellen. – Wenn man es mit dem von Coblenz vergleicht, so thut man ihm offenbar Unrecht. Es ist weit schöner, und die Donau-Königin trägt über die des Rheins den Preis davon ohne Kampf.
Passau besteht aus drei Städten. Das eigentliche Passau nimmt die Landzunge zwischen der Donau und dem Inn ein, wo die Römer einst ihre Zwingburg, die Castra Batava hingebaut. Es bildet die Mittelgruppe unsers schönen Stahlstiche. Rechts lagert die Innstadt, das alte Bojodurum, an den Ufern des grünlich-wogenden Inns hin, und links an der Donau nördlichem Ufer, zwischen diesem und der felsumgürteten Ilz, die Ilzstadt. Brücken knüpfen die drei Städte zusammen. Zu beiden Seiten aber prangen auf den Höhen, auf dem Mariahilfberge, am rechten Innufer, die berühmte Wallfahrtskirche mit dem wunderthätigen Muttergottesbilde, und dann links, auf dem Georgenberge, die Festung Oberhaus – der stumme Zeuge der blutigen Intoleranz des Mittelalters. Dort ist der grauenvolle Judenkeller, wo mit Vorwissen eines christlichen Bischofs einst die Juden, welche die Ilzstadt bewohnten, eingesperrt, und da sie sich nicht einander auffressen [80] wollten wie die Ratten, – sämmtlich zu Tode gehungert wurden; dort ist der Kerker, in welchem die Widertäufer die entsetzlichsten Martern erduldeten – und dort seufzten seit vielen Jahren deutsche Ehrenmänner mit geschornem Haupte. Die Allerbarmerin im Kirchlein drüben hört die Seufzer der Unglücklichen unter diesen grauen Dächern freilich niemals; aber ich kenne Einen, der Jeden gezählt hat. –
Passau ist im Innern heiter und reinlich; zwar nicht groß (es hat nur etwa 10,000 Einwohner), aber für seine Größe gut gebaut; ja Hauptstraßen und Märkte sind ausgezeichnet schön. Schade, daß die einst so berühmte Domkirche nach den Verwüstungen, welche die Flammen 1665 in derselben verrichteten, im allerschlechtesten Zopfgeschmack wieder restaurirt worden ist und nur noch durch ihre Masse imponirt. Auf dem Domplatz steht die Bildsäule des seligen Königs Max. Sie ist von kaltem Erz; aber warme Liebe hat sie aufgerichtet. Segnend streckt sie die Hand aus über das Land hin, die Hand, welche Bayerns Volke die Binde des Aberglaubens von den blöden Augen, die Schellen der Dummheit von den Füßen nahm.
Max war ein guter Katholik, und noch mehr – er war ein guter Christ. Gute Katholiken sind auch die Passauer, die ihm das Bild gesetzt, und frohe, rüstige, fleißige Bürger obendrein; daß sie aber Max die Säule aufrichteten, damit haben sie sich und ihren Sinn am meisten geehrt. Max ist nicht mehr; – aber Mönche und Jesuiten sehe ich wieder. Den Gedankenblitz, welcher mich in diesem Augenblick durchzuckt hat, mag ich nicht in Worte setzen; aber wohl darf ich den Zweifel aussprechen, – daß nimmermehr so furchtbare Stürme dahergefahren sind über den Erdtheil, daß nimmermehr der Herr zu Gericht gesessen hat in solcher Herrlichkeit über Lug und Trug und Frechheit und Uebermuth darum, daß, während der Donner seines Urtheils noch nachhallt in den Ohren der lebenden Zeugen, ein dunkles Reich sich wieder aufrichte, in dem jede Kraft ein Mißklang ist, jedes selbstständige, freimüthige Urtheil eine Anmaßung, jedes überwiegende Talent eine gefährliche Gewalt, jede Idee, welche nicht gewissen Zwecken dient, eine Plage, Humanität eine Schwärmerei, cosmopolitische Gesinnung Demagogie, Erhebung und Begeisterung eine Narrheit, die zum Noviziat des Toll- oder Zuchthauses berechtigt. Ehrenwerth ist das Streben, jenes ruhige, behagliche Wohlbefinden der Massen wieder herzustellen, welches lange Zeiten des Kriegs zerstörten bis zum untersten Grunde; aber höher als das materielle Wohl der Völker steht das geistige, das sittliche, das vernünftige, und dieses zu fördern, ist die größere Aufgabe, welche durch Begünstigung des Jesuitenthums, einer lauen Gleichgültigkeit, theilnahmloser Unbekümmerniß und systematischer Ertödtung alles selbstständigen Willens nicht gelöst wird. Ich denke, ein starkes Volk müsse sich aus rüstigen, gewandten, vielversuchten Männern, mit Adel der Gesinnung, Kraft und Selbstgefühl begabt, zusammensetzen – nur ein solches sey des deutschen Namens werth und nur ein solches den Stürmen künftiger Zeiten gewachsen.