Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Es war Abend. Lustig fuhren wir mit dem Dampfschiffe Passau entgegen; denn Flöten, ein paar Guitarren, ein guter Tenorist und glockenreine Frauenstimmen waren auf dem Boote und thaten nicht spröde. Die aufsteigenden Dünste umhüllten mehr und mehr die Reize des prächtigen Stromes und die Nacht färbte den Schleier tiefer. Allmählich schmolzen die Gegenstände an den Ufern in dunkeln Massen zusammen. Die ganze Gesellschaft war auf dem Verdeck und um die Sänger versammelt. Alles war Ohr. Da trat über der waldigen Höhe der Mond hervor und beleuchtete eine Scene, die kein Van der Neer schöner gesehen und gemalt hat. Der breite Strom war wie ein See, auf dem Millionen silberner Wellen zitterten. Jenseits desselben traten die Konturen der Dreistadt am lichten Himmel wie Zacken sarazenischer Mauern hervor, und der ganze Hintergrund schien eine fortgesetzte Festung zu seyn, aus der die wunderbaren alten Kirchkuppeln und spitzige Glockenthürme wie Minarets hervorschauten. Auf dem Dunsthorizont des bleichen Mondspiegels aber schatteten die unheimlichen Gestalten der Gebäude des alten Kastells. So wie der Mond heraufstieg, warf das Wasser des Stroms einen magischen Reflex auf die Höhen, und ein ossianischer Duft legte sich über das geisterhafte Bild, aus welchem dann und wann die Lichter der nahen Stadt magisch schimmerten.
Aber auch bei Tage kann sich Passau’s Landschaftsbild kühn neben die gepriesensten der Erde stellen. – Wenn man es mit dem von Coblenz vergleicht, so thut man ihm offenbar Unrecht. Es ist weit schöner, und die Donau-Königin trägt über die des Rheins den Preis davon ohne Kampf.
Passau besteht aus drei Städten. Das eigentliche Passau nimmt die Landzunge zwischen der Donau und dem Inn ein, wo die Römer einst ihre Zwingburg, die Castra Batava hingebaut. Es bildet die Mittelgruppe unsers schönen Stahlstiche. Rechts lagert die Innstadt, das alte Bojodurum, an den Ufern des grünlich-wogenden Inns hin, und links an der Donau nördlichem Ufer, zwischen diesem und der felsumgürteten Ilz, die Ilzstadt. Brücken knüpfen die drei Städte zusammen. Zu beiden Seiten aber prangen auf den Höhen, auf dem Mariahilfberge, am rechten Innufer, die berühmte Wallfahrtskirche mit dem wunderthätigen Muttergottesbilde, und dann links, auf dem Georgenberge, die Festung Oberhaus – der stumme Zeuge der blutigen Intoleranz des Mittelalters. Dort ist der grauenvolle Judenkeller, wo mit Vorwissen eines christlichen Bischofs einst die Juden, welche die Ilzstadt bewohnten, eingesperrt, und da sie sich nicht einander auffressen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/139&oldid=- (Version vom 7.12.2024)