Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit
Oft kürzt die Wollust uns die kaum gefühlten Tage,
Um deren Rosenbett ein naher Donner blitzt.
Unsere Väter, die schon Tacitus als durstige Leute gekannt hat, werden uns von den Dichtern oft als Muster angepriesen, denen wir folgen sollten, wenn wir vergnügte Leute seyn wollten.
Ihr Freunde, zecht, wie unsre Väter zechten;
Sie waren alt und klug genung;
Und manchen Zwist, bey dem wir Söhne rechten,
Ersäuften sie im Reihentrunk![1]
Ich bin eben nicht geneigt, die Vergnügungen zu tadeln; sondern ich glaube vielmehr, daß der wahre Genuß des Lebens darinn bestehe, sich zu vergnügen. Es ist eine elende Weltweisheit, der Freude den Krieg anzukündigen, und den süßen Empfindungen der Lust den Eingang in unser Herz zu verschließen. Ein Sittenlehrer, der Traurigkeit und Schwermuth prediget, wird sich bey Leuten, die den Gebrauch ihrer Vernunft besitzen, [297] nimmermehr Beyfall erwerben; und wenn er sich ja einigen erwirbt: so werden die, so ihm folgen, entweder eben solche Heuchler, oder eben solche unglückliche Wahnsinnige seyn, als er selbst ist. Man betrachte die mannichfaltigen Geschlechter der Thiere, und die Eintheilung ihres Lebens. Fast alle ihre Handlungen sind Vergnügungen: denn die Lust ist die allgemeine Triebfeder derselben. Sie essen, trinken, schlafen, pflanzen sich fort, und springen oder fliegen, laufen und hüpfen, schwimmen und kriechen umher, alles, nachdem ihnen die Lust dazu ankömmt. Nun sind wir freylich zwar Menschen; allein, hören wir um deswillen wol auf, Thiere zu seyn? Nein, keinesweges. Einerley Triebfedern, einerley Lüste, setzen Menschen und Thiere in Bewegung. Daß wir aber unsere Handlungen nach höhern Absichten einrichten; daß wir die Zwecke derselben öfter einsehen, als die Thiere; daß wir durch Mäßigung unsere Triebe adeln, u.s w. das sind Wirkungen der Vernunft, die unsre Natur zwar vollkommener machen, aber nicht umschaffen. Wenn es mir erlaubt ist, eine Vergleichung anzustellen, die ihre Einschränkungen leidet; so verhalten sich die Handlungen der Menschen, als solcher, zu den thierischen, wie sich die Früchte eines edlen Pfropfreises, das auf einen wilden Stamm geimpft worden ist, zu den Früchten verhalten, welche der wilde Pfropfstamm, sich selbst gelassen, getrieben haben würde. Es wachsen sowol diese, als jene, nach einerley und eben denselben Gesetzen der Natur. In ihrem Ursprunge ist kein wesentlicher Unterschied: allein das Pfropfreis besitzt die Kraft, den rohen Nahrungssaft, der ihm aus dem Stamme zugeführet wird, zu veredlen, und eine vollkommnere Art Früchte hervor zu bringen. Die Vernunft ist gleichsam das Pfropfreis, das unsern Handlungen einen gewissen Adel giebt, welchen sie ohne dasselbe nicht erhalten haben würden. Die thierischen Triebe hingegen, oder, wenn man lieber will, die Sinnlichkeit, oder die natürlichen Neigungen, sind allezeit der erste Stoff u. die ersten Triebfedern unsrer Handlungen. Wenn aber dem also ist, wenn wir unmöglich Menschen seyn können, ohne zugleich Thiere zu seyn, wenn unsre menschlichen Handlungen durch die Vernunft nur modificirt, durch die allgemeinen thierischen Triebfedern aber ursprünglich hervorgebracht werden, und wenn endlich das allgemeine Gesetz der thierischen Handlungen darinn besteht, daß sie nach Maßgebung unsrer sinnlichen oder thierischen Vergnügungen bestimmt und gebildet werden; so kann kein Mensch die Vergnügungen entbehren, und so wäre es eine thörigte Bemühung wider die Natur, unsre Handlungen ihren Triebfedern entgegen zu setzen, und ihnen einen andern Ursprung geben zu wollen, als der unsrer Natur gemäß ist. Um deswillen kann ich mir nimmermehr einbilden, daß es mit der Vernunft oder mit der Aufrichtigkeit derer seine völlige Richtigkeit habe, die sich einbilden, man müsse, um tugendhaft zu leben, die Gesetze der Natur vernichten; man müsse keine seiner Handlungen um deswillen verrichten, weil uns ein Vergnügen dazu anreizet; man müsse sie für sündlich und unedel halten, weil uns ein Trieb der Lust dazu anspornet, und man müsse sie nie um deswillen ausführen, weil sie ein Theil unsrer Vergnügungen sind, weil sie unsre Neigungen sättigen, und weil sie unsrer Sinnlichkeit schmeicheln.
Diese Sprache könnte verdächtig scheinen, wenn ich mir vorgesetzt hätte, eine gewisse Art der Wollust des menschlichen Geschlechts zu erheben, oder einer angenehmen Thorheit das Wort zu reden, die wider die Sittlichkeit streitet. Allein, da ich mir vorgesetzt habe, die Menschen in Absicht einer [298] gewissen Art der Wollust zu tadeln, die unter ihnen nur allzu gemein ist; so muß mein Tadel dadurch desto mehr Kraft und Nachdruck erhalten, wenn man sieht, daß ich kein trauriger Heuchler, kein Feind der Lust, kein Verfolger derer bin, die es für ihre Pflicht halten, sich in der Welt zu vergnügen. Man zeige mir eine Art der Lust, sie mag einen Namen führen, welchen sie will; man überführe mich, daß sie kein bloßer Schatten eines Vergnügens sey, wodurch wir uns eine Menge von Elend und Unglück zuziehen, daß sie der Menschlichkeit nicht zur Schande gereiche, und daß sie nicht von den Gesetzen der Natur abweiche: so will ich der erste seyn, der sie anpreiset; so will ich der erste seyn, der sie zur Vermehrung seiner eigenen Glückseligkeit wählet; so will ich den schwermüthigen Tadlern Trotz bieten, die mich zur Maschine machen wollen, damit ich mein Leben verliehre, um in ihren Augen tugendhaft zu scheinen. Nein! ich bin nicht so leichtgläubig, einen Heuchler oder einen wahnwitzigen Grillenfänger in den Krieg wider die Natur zu begleiten. Ein jeder Freund edler Lüste sey mein Bruder! Ich mag ohne Vergnügungen nicht leben; ich mag nicht sterben, ohne gelebt zu haben; und ich würde nicht gelebt haben, wenn ich nicht vergnügt gewesen wäre.
Nach dieser Erklärung wird man mir aber einmal erlauben, daß ich eine Art der Wollust tadle, die das Verderben meines Geschlechts mit sich führet; daß ich mein Geschlecht vor einem süßen Gifte warne, das sie mit großen Zügen in sich hinein schlingen; und daß ich die Gefahr beweise, die man so gern widerlegt sähe. Ich habe diesem Laster in der Ueberschrift meines Blattes den häßlichsten Namen gegeben, der ihm gebühret. Es ist das Saufen, was ich tadeln will; und ich bilde mir ein, es auf eine solche Weise zu tadeln, daß viele Liebhaber dieser Ausschweifung dadurch davon abgeschreckt werden können. Damit ich aber meine Leute nicht verfehle, so muß ich zuerst erklären, wen ich eigentlich mit dem Namen der Säufer meyne.
Es muß ein sehr niederträchtiger gemeiner Mensch seyn, der von sich selbst sagen soll, daß er saufe. Da es nun diese Art von Leuten eben nicht ist, gegen die ich mich gern auflehne; so muß ich sagen, daß ich auch andern gar angesehenen und ehrbaren Leuten den Krieg ankündige, die wegen ihres Standes, Amtes und Ansehens genöthiget sind, ihre Laster mit gelindern Namen zu belegen; von denen ich mich aber nicht irre machen lasse. Ich kenne einen ansehnlichen Gelehrten, der ein starker Säufer ist; aber der seinen Freunden nichts mehr bekennet, als daß er wol ein Glas Wein möge. Ich kenne einen Prälaten, der mir gesagt hat, er pflege sich zuweilen eines guten Liqueurs zu bedienen. Ich kenne eine Dame, die zu sagen pflegt, sie nehme oft etwas für die Uebligkeit. Ein gewisser vornehmer Kaufmann sagte mir einstmals, er wäre ein Liebhaber von einem Schlückgen; ein General, er trinke wol zuweilen ein wenig über den Durst. Ein einziger Schneider hat mir einst gestanden, er versündige sich zuweilen durch den Trunk; und ein Karrenschieber, er sey dem Soffe ergeben. Alle diese Herren und Meister setze ich hiermit in eine einzige Classe; und sie sind, einer wie der andre, itzt meine Gegner. Alle die Leute, die wol ein Glas Wein mögen; alle, die sich zuweilen eines guten Liqueurs bedienen; alle, die oft etwas für die Uebligkeit nehmen; alle, die zuweilen ein wenig über den Durst trinken; alle, die sich zuweilen durch den Trunk versündigen; und alle, die dem Soffe ergeben sind: sie sind allzumal Sünder; ich nenne sie alle, mit ihrer Erlaubniß, Säufer: und mit dieser trefflichen Gesellschaft will ich itzt ein Wort reden.
Wenn man die Wirkungen aller berauschenden Getränke gegen einander hält und vergleichet, so [299] findet man sie durchgängig in dreyen Hauptabsichten schädlich. Einmal darinn, daß sie uns zu den Vergnügungen unfähig machen; zum andern, daß sie den Körper zu schweren Krankheiten disponiren; und drittens, daß sie unser Leben verkürzen.
Ich weiß nicht, wie süß eine Vergnügung seyn müßte, wenn man sie nicht auch nur gegen eine einzige von diesen Gefahren sollte fahren lassen können. Eine Lust, die unfähig macht, sich zu vergnügen, kann für keinen Menschen, der nur einige Minuten Zukunft vorher sehen kann, reizend seyn. Will man sich unbereut vergnügen; so muß es auf eine solche Art geschehen, daß immer noch ein neues Vergnügen Platz finden kann. Wenn man aber durch seine Vergnügungen das Vermögen, sich zu vergnügen, verliehret; so ist man den Motten ähnlich, die sich verbrennen, indem sie sich am Lichte ergötzen.
Ein Vergnügen, das die Gesundheit augenscheinlich schwächt, und unsern Körper zu langwierigen und höchstbeschwerlichen Krankheiten geneigt macht, ist einer bittern Frucht ähnlich, die mit Honig überzogen ist. So angenehm der erste Geschmack davon ist, so verhaßt ist der, so darauf folget. Nimmermehr wird ein Mensch, der den Gebrauch seiner gesunden Vernunft noch besitzt, den Entschluß fassen können, einer Lust nachzuhängen, die ihm das beste Gut dieses Lebens, die Gesundheit, raubet. Die bloße Vorhersehung des nachfolgenden Elendes ist zu bitter, als daß sie die Süßigkeit der Lust nicht beym Genusse schon vergällen sollte.
Und endlich, was sind das wol für Vergnügungen, die uns sogar unser Leben verkürzen! Worinn sind sie von den Todesarten der Missethäter unterschieden, als daß sie ein jeder frey wählet, oder daß niemand sie vorhersehen will. Ein Säufer, der an der Wassersucht stirbt, leidet einen weit grausamern Tod, als tausend Missethäter, die in einem fatalen Augenblicke von der Gesundheit zum Tode übergehen, und ohne Krankheit sterben. Ein vollendeter Säufer leidet den Tod mehrentheils in der besten Blüthe seiner Jahre, nachdem er in seiner Lust früh angefangen hat, oder nachdem seine Natur vermögend ist, den Gewaltthätigkeiten, die er ihr täglich anthut, länger oder weniger zu widerstehen. Die langwierigen Krankheiten, welche diesen Tod ankündigen, sind gleichsam die Anstalten und Vorbereitungen zur Hinrichtung: denn von nun an ist der versoffene Elende nicht mehr vermögend, die Augen aus der Zukunft hinweg zu drehen; nun verläßt ihn der Leichtsinn, da er zu trinken aufhören muß; und nun schwebt vor seinen Augen, wo er sie hinwendet, das Schwerdt, was ihn aufopfern soll, und der Machtspruch, der ihn verdammt:
Raro antecedentem scelestum
Deseruit pede poena claudo. Hor.[2]
So viel Sittenlehre, und mehr nicht! Ich habe mir nicht vorgesetzt, Ermahnungen zu schreiben, um die Säufer von dem Wege ihres Verderbens abzuleiten; sondern sie bloß von dem dreyfachen Verderben, in das sie sich stürzen, zu überzeugen. Denn ich traue allen Trunkenbolden zu, daß sie denn und wenn einmal wieder nüchtern werden; und ich traue einem jeden nüchternen Menschen zu, daß er eine Ausschweifung verdammen werde, die ihm die Vergnügungen verekelt, die ihm seine Gesundheit raubet, und die ihn vor der Zeit in die Arme eines abscheulichen Todes liefert. Ich will die Beweise dieser dreyfachen Gefahr so führen, daß sie jeden Säufer überzeugen können, der seine Empfindungen damit vergleichen wird.
Die berauschenden Getränke wirken mit einer besondern Lebhaftigkeit in die empfindlichsten [300] Werkzeuge unserer Sinne. Der geringste Grad der Trunkenheit erhöhet alle unsere Empfindungen, und macht gleichsam die Nerven scharfsinnig. Man sieht in diesem Zustande alle Gegenstände in einem lebhaftern Lichte, man höret schlauer, der Geschmack wird gefälliger, alle Nerven regen sich und lauren auf neue Eindrücke, die Einbildungskraft wird lebhafter und wärmer, der Witz wird muthwillig, die Leidenschaften wachen auf, der Leichtsinn umflattert die Vernunft, die Gravität des Charakters beginnet den steifen Nacken zu biegen; die wichtige Zunge des ehrwürdigen Prälaten wird geschmeidig, und findet Geschmack daran, lustige Kleinigkeiten zu lallen; der zaghafte Mund des bescheidenen Gelehrten wird beredter, und fängt an, von seiner Weisheit überzufließen; der wilde Soldat nimmt die Gefälligkeit des Stutzers an sich, und der geschwätzige feige Stutzer bekömmt einen Anfall von Tapferkeit, daß er die Kinder mit seinem parisischen Degen zu fürchten macht. In diesem Zustande würde es Zeit seyn, zu trinken aufzuhören; in diesem Zustande, da jedermann anfängt, mehr zu begehren. Setzt man aber hier der Lust noch nicht ihre Gränzen, so empfindet man sehr bald die unangenehmen Wirkungen einer allzuheftigen und unordentlichen Bewegung der Lebensgeister im Gehirne und in den Nerven. Beyde gerathen in eine Art der Betäubung, die Empfindungen werden stumpf, die Augen verwandeln sich in ein Paar Multiplicationsgläser, das Gehör verliehrt seine Schärfe, der Geschmack der Speisen wird einerley, und nähert sich, wie bey denen, die den Schnupfen haben, dem Strohgeschmacke; man trinkt nicht mehr, um den Wein zu schmecken, sondern um ihn zu verschlingen; eine Schwierigkeit der Glieder macht den Leib zu allen Bewegungen untüchtig, der Witz und die Einbildungskraft entschlafen, die Lüste werden ohnmächtig, die Menschen gehen ins Geschlecht der Thiere über, die Zungen stehen still, der Muth fällt, die Quelle der Weisheit versieget, und eine Art fallender Sucht begräbt die thierische Seele in einen schändlichen Schlaf.
Dies ist die Rolle eines Betrunkenen, welcher aber von einem Säufer darinn unterschieden ist, daß dieser sein Schauspiel alle Tage aufführet, und eben hierinn liegt der Grund seines Verderbens. Es erhellet aus der ganzen Rolle, die er spielet, wie heftig seine Lebensgeister dadurch beunruhiget, wie lebhaft seine Nerven dadurch gereizt, und wie sehr sein Gehirn mitgenommen wird. Ein Rausch ist eine Art von Nervenkrankheiten, welche ein Säufer täglich von neuem erreget; und was kann wol hieraus anders erfolgen, als daß die Werkzeuge unserer Empfindungen dadurch in kurzer Zeit geschwächt und gänzlich untüchtig gemacht werden. Nun sind aber die Werkzeuge unserer Empfindungen zugleich die Werkzeuge unserer Vergnügungen; und wir würden ohne dieselben, ich meyne ohne das Gehirn, die Nerven und die Lebensgeister, eben so gleichgültige Maschinen seyn, als die Bäume. Folglich vernichten wir durch die Völlerey unser eigenes Vermögen, uns zu vergnügen. Dieses geht so weit, daß viele Saufhelden nicht allein in kurzer Zeit den Gebrauch ihrer äußerlichen Sinne verliehren, daß sich ihr Gesicht schwächt, ihr Gehör verliehret, und alle ihre Empfindungen unzuverläßig werden; sondern daß auch ihre innerlichen Sinne einen gar merklichen Verfall leiden, und sie in eine Albernheit verfallen, welche sie zu dem Genusse aller Ergetzungen dieses Lebens untüchtig macht. Hierzu kömmt noch, daß ihnen ihre Ausschweifung selbst das Vergnügen am Trunke vergället, welches sie doch dadurch einzig und allein recht zu genießen suchen. So bald der erste Grad des Rausches dahin ist, so bald [301] hat die ganze Wollust ein Ende. Die zunehmenden Grade des Rausches sind eben so viel Grade der Abnahme des Vergnügens; und wenn der Rausch am höchsten gestiegen ist, so empfindet man eben so wenig, als ein Todter. Das einzige Mittel wider den Rausch, nämlich der Schlaf und das Erbrechen, ist nicht vermögend, die zu hart angegriffenen Nerven wieder in ihre völlige Stärke u. Ordnung zu bringen; daher spühret man die üblen Wirkungen der Schwächung noch den folgenden Tag nur allzu deutlich. Der Magen ist zugleich verdorben, und in einem verdorbenen Magen hat der Ekel seinen Sitz. Der vom Schlafe erwachte Säufer mag den Wein nicht einmal riechen, so ekelt ihm dafür: allein er merkt zu bald aus seiner Trägheit, Schwäche, Uebligkeit und Unlust, daß seine Nerven einer neuen Triebfeder, oder vielmehr einer neuen Anstrengung, nöthig haben; und bloß die Empfindung aller dieser Beschwerlichkeiten nöthiget ihn, das vorige Mittel wieder zu ergreifen, sich nicht aus Vergnügen, sondern zur Cur, zu betrinken, und so sein Elend immer zu vermehren, indem er immer genöthiget ist, es ein Paar Stunden gleichsam zu betäuben. In einem solchen elenden Zustande befindet sich ein Säufer, in Absicht seiner Vergnügungen. Ich frage einen jeden auf sein Gewissen, ob nicht alle seine Empfindungen mit dem, was ich hier erzählt habe, übereinstimmen? Gesetzt aber, ein Säufer könnte auch eine Zeitlang den Muth und das Vermögen, sich zu vergnügen, erhalten; so werden es ihm die unvermeidlichen Krankheiten, die seine Ausschweifungen begleiten, bald rauben. Von diesen will ich izt reden.
Außer der offenbaren Schwächung des Gehirns, der Nerven und des Magens, welche allen Säufern drohet, haben die berauschenden Getränke auch noch die Eigenschaft, daß sie einen sehr heftigen Trieb der Säfte in unserm Körper wirken. Der kleinste Rausch ist schon vermögend, denselben zu erregen. Man betrachte eine Gesellschaft von Leuten, die sich mit blassen, gleichgültigen, cachektischen Gesichtern rund um einen aufgeputzten Tisch herum setzen. Kaum sind die ersten Gesundheiten ausgetrunken worden; so bekömmt die ganze Gesellschaft ein Ansehen, als ob sie eine angenehme Schminke angelegt hätte. So wie die Zungen beredter werden, so fangen die Augen an, feurig zu werden, so glühen die Wangen von einer hellen Röthe, und so werden die blassen Gesichter der hypochondrischen Jünglinge, der cachektischen Jungfern, der melancholischen Männer und der hysterischen Weiber so lebhaft, als ob man eine Gesellschaft Comödianten sähe, die sich dick geschmikt hat, um auf dem Schauplatze zu erscheinen. Alles dieses sind Wirkungen eines vermehrten Umlaufs der Säfte, und besonders des Geblüts, welches mit großer Gewalt in die kleinsten Gefässe unter der Haut hineingepreßt wird, und durch dieselbe hindurch schimmert. So wie dieses im Gesichte geschiehet, so erfolgt es zu gleicher Zeit bey zunehmendem Rausche in allen übrigen Theilen des Leibes. Wenn ein Säufer auf sich selbst Acht geben will, so wird er befinden, daß bey einem gewissen mittlern Grad der Trunkenheit seine Glieder nach und nach schwer werden, und daß dieser Umstand von einer Empfindung begleitet wird, als wenn inwendig in den Gliedern eine verborgene Kraft wäre, welche sie aufblähete, daß sie strozen müßten. Es ist ein Drängen, welches davon herrühret, daß die Säfte in die kleinsten Gefässe mit Gewalt hineingepreßt werden, und daß die vorhergehenden den nachfolgenden Säften auf ihrer Rückreise nach dem Herzen nicht geschwind genug ausweichen können. Es ist eben die Empfindung, als wenn man sich die Kniebänder zu vest [302] umleget, wovon die untersten Füsse ausgedehnt und gespannt werden, und sowol die Empfindlichkeit als Beweglichkeit verliehren. Auf dieser Erfahrung beruhet das gewöhnlichste Unglück, was die Säufer, in Absicht ihrer Gesundheit, zu befürchten haben.
Es ist unwidersprechlich, daß durch dieses heftige Drängen der umlaufenden Säfte die kleinen Gefässe sehr stark ausgedehnt werden müssen. Je größer der Grad der Trunkenheit ist, desto mehr werden diese Gefässe über ihre Macht ausgedehnt; und ob sie gleich nach geendigtem Rausche sich wieder zusammen ziehen, so leidet doch durch die allzu oft wiederholte Ausdehnung diese ihre Lebenskraft nach und nach immer mehr Abgang, so wie ein elastischer Körper durch allzu heftige Spannungen seine Kraft, sich wieder zusammen zu ziehen, verliehret. Sobald dieses den kleinen Gefässen wiederfähret, so werden sie außer Stand gesetzt, die in sie hineinströmenden Säfte weiter fortzutreiben; denn ihre zusammenziehende Kraft ist es allein, die dieses bewerkstelligen kann. Solchergestalt fangen die Säfte an, in den kleinsten Gefässen erst langsamer umzulaufen, und nachher zu stocken. Wird nun, durch die Fortsetzung der Ausschweifungen im Trinken, dem Blute dennoch beständig ein stärkerer Trieb gegeben; so werden von dieser Gewalt die kleinsten Gefässe, welche schon ohnmächtig sind, immer mehr ausgedehnt, ohne, daß sie vermögend seyn sollten, sich wieder zusammen zu ziehen. Die Säfte häufen sich also in denselben an, und dehnen sie aus, wie gepichte Schläuche, die voll Wasser gegossen werden. Geschiehet dieses in den Füssen, so entsteht daraus eine wässerigte Geschwulst, welche man den ersten Grad der Wassersucht nennet. Geschiehet es im Gehirn, so erfolgen Lähmungen, Schlafsucht, cataleptische Zufälle, Albernheit und Unsinn. Wenn endlich die Ausschweifungen nie aufhören, so werden die kleinen Gefässe endlich so weit ausgedehnet, daß sie gar zerreißen, und die Säfte sich in alle Zwischenräume außer ihren Gefässen ergiessen, die sie offen finden. Hieraus entsteht, wenn dieses in den Gliedern erfolgt, die zwote und unheilbare Art der Wassersucht; und wenn es im Gehirne geschiehet, der völlige ganze oder halbe Schlagfluß. Es erfolget bey einem Säufer bald dieses, bald jenes; es erfolget bey einem bald früher, bald später, nachdem sein Temperament, seine Leibesbeschaffenheit, seine übrige Lebensart, und das ganze System seiner Ausschweifungen verschieden ist: aber so viel ist gewiß, daß Alle solches Elend zu fürchten haben. Ich habe auch hier die Erfahrung auf meiner Seite. Wie viele Säufer verfallen nicht in ihren besten Jahren in solche Arten von Krankheiten, als ich hier beschrieben habe? Wie viele gehen nicht mit geschwollenen Füssen umher? Wie viele werden nicht mitten in der Trunkenheit an ihren Gliedern, oder an der Zunge gelähmt? Es giebt eine eigene Krankheit, die man die Sprachlosigkeit der Säufer nennet. Wie viele verfallen nicht in eine Schlafsucht, aus der sie entweder nie, oder doch gleichsam mit Hinterlassung ihrer Seele wieder erwachen, indem sie beym Erwachen ganz ohne Verstand liegen, und wenn sie sich gleich wieder erholen, doch eine solche Zerrüttung des Gehirns übrig behalten, daß sie als alberne Leute der Kinder Spott und die Verachtung des Pöbels sind. Wie viele Säufer haben nicht schon auf ihren Todtenbetten mit großer Betrübniß die Auflösung der Aufgabe gesucht, wie sie zur Wassersucht, wie sie zu so vielem Wasser gekommen sind, da sie doch in ihrem Leben nichts als Wein getrunken haben. Allein es ist ihr verdienter Lohn, an einer Krankheit zu sterben, worinn sie der Durst quälet, und worinn sie, nach der Regel des Horaz, der doch selbst nicht gern dürstete, ihren Durst nicht einmal stillen dürfen.[3]
Crescit indulgens sibi dirus hydrops:
Nec sitim pellit, nisi caussa morbi
Fugerit venis, & aquosus albo
Corpore languor.
Es ist gewiß, daß die Wassersucht unendlich oft von hitzigen Getränken, und daß sie dagegen nur sehr selten von vielem Wassertrinken entsteht.
[303]
Gleim.
Erstaunt, entzückt, uns selber unbewußt,
Bemächtiget sich die Gewalt der Sinnen
Ach! allzu bald der Tugend unsrer Brust.
Du, der du sagst: Ich will den Sieg gewinnen!
O! laß doch nie das süße Gift der Lust,
Laß es doch nie nach deinem Herzen rinnen![4]
Vaßmann[5], der das Reich der Todten aufgeboten, erlebte den Verdruß, daß ihn die Zeitungsschreiber beschuldigten, er übernähme sich öfters im Weine. Er vertheidigte sich, wie billig, und nennte diese Beschuldigung eine gottlose Verläumdung, weil er nie vom Weine, sondern bloß vom Branntweine ein Liebhaber gewesen wäre. Ich finde nichts an dieser Vertheidigung auszusetzen, und wollte wol selbst Bürge dafür seyn, daß sich die Zeitungsschreiber geirret hätten. Indessen ist es mir unangenehm, wenn ich die Säufer auf ihren Krankenbetten mit der Vorsicht murren, und eben solche Entschuldigungen zu ihrer Rechtfertigung vorbringen höre. Ein ehrbarer Mann, der das Branntweintrinken für pöbelhaft hält, kann sich nicht genug wundern, wie er von dem guten Weine, den er zu trinken gewohnt gewesen, die Wassersucht bekommen sollte. Ein Weingelehrter pocht mit seinem Arzte, und beweiset, daß er vom Trunke die Wassersucht nicht habe bekommen können, weil er jederzeit die besten Sorten getrunken, und das schlechte Zeug auf die Erde gegossen habe. Ein Krambambulist kann nicht begreifen, wie gute Liqueurs einen Körper verderben könnten; und ein Schuster sagt: Sollte mir das Bisgen franscher Branntwein so viel Unglück haben verursachen können, da ich doch nie starke Liqueures getrunken habe? Alles dieses sind vaßmannische Ausflüchte. Aus der Entstehungsart der Wassersucht vom Saufen, die ich neulich beschrieben habe, erhellet, daß sie ohne Unterschied von allen berauschenden Getränken hervorgebracht werden könne, weil sie die Säfte in eine heftige Gährung, Wallung und innerliche Bewegung setzen, wodurch sie vermögend gemacht werden, in die Wände der Gefäße zu wirken, und sie über ihre Macht auszudehnen. Ich kann also keinem Säufer Pardon geben, und wenn er sich auch gleich, wie der Handwerksbursch, nur im Biere zu betrinken pflegt. Es kommt hierbey weder auf die Güte, noch auf die schlechte Art der Getränke, an; es ist genug, wenn sie den Säften einen übermäßigen Trieb geben, und es ist einerley, ob sie dieses, wie die Liqueurs, in kleiner, oder, wie das Bier, in sehr großer Dosi thun. Indessen lehrt die gesunde Vernunft, daß die Gesundheit desto mehr und geschwinder leide, wenn man Getränke, die in kleiner Dosi schon berauschen,
[304] übermäßig trinkt, als andre; weil im ersten Falle der Grad des Rausches größer ist, als im letztern. Man könnte hier einige Unterscheidungen machen, die aber das Wesentliche der Wirkungen nicht verändern; und die Wahrheit zu gestehen, so ist es nicht einmal dienlich, durch solche Spitzfindigkeiten einem Säufer zu Ausflüchten behülflich zu seyn. Ich rede hier bloß von denjenigen Wirkungen, die ich im ersten Stücke dieser Abhandlung angeführt habe, hauptsächlich von der Wassersucht. Es giebt aber auch noch eine große Reihe anderer Krankheiten, die aus der Völlerey entspringen, und wobey auf die Beschaffenheit der berauschenden Getränke mehr ankömmt. So giebt es eine Art Biere, die die Harnstränge verursachen; es giebt Weine, die den Magen versäuren oder schwächen; es giebt andre, welche die Entwickelung der gichtischen Materie befördern. Der Branntwein macht die Fäsergen des Magens steif, und zieht sie zusammen, er coaguliret die Säfte, und versäuret den Magen. Der Most verdirbt die Verdauungskräfte, u. s. w. Diese Verschiedenheit der Wirkungen ist gewiß: allein ich würde eine sehr weitläuftige Abhandlung schreiben müssen, wenn ich die Schädlichkeit aller Arten berauschender Getränke insbesondere untersuchen wollte. Ich bleibe hier bloß bey solchen Wirkungen bestehen, die eine jede Art der Völlerey nach sich zieht, sie mag herrühren, von welcher Art von Getränken sie will. Ein Säufer kann sich darauf verlassen, daß alle besondere Wirkungen gewisser Arten von Getränken gewiß und wahrhaftig lauter Krankheiten, lauter beschwerliche, und oft unheilbare Uebel, sind, womit er seine Ausschweifungen der Natur bezahlen muß.
Unter die allgemeinen Wirkungen berauschender Getränke gehören auch diejenigen Krankheiten, welche schnell und unmittelbar von der heftigen Wallung des Geblüts entstehen, und das sind die Blutflüsse. Der Trieb des Geblüts, welcher, wie ich oben erwiesen habe, alle Gefässe über ihre Macht ausdehnet, ist sehr leicht geschickt, eine kleine Blutader entweder zu weit auszudehnen, oder zu zersprengen; und hiervon entsteht eine Ergießung des Geblüts, welche um desto gefährlicher ist, je schwerer man das in Wallung gesetzte Geblüt wieder besänftigen kann. Wie oft geschiehet es nicht, daß ein Säufer in der Trunkenheit Blut hustet, und ein Lungengeschwür zur Beute davon trägt. Wie oft erfolgt nicht ein unmäßiges Nasenbluten, Blutharn, und der ungestüme Ausfluß der güldenen Ader, nach der Trunkenheit. Wie viel unglückliche Blutflüsse haben nicht Frauenzimmer betroffen, die sich dem Saufen ergeben haben! Um dieser Ursache willen sollte ein Säufer, besonders wenn er wegen der Vollblütigkeit zu dergleichen Krankheiten geneigt ist, die hitzigen Getränke ärger als Gift scheuen: denn die Gefahr ist unvermeidlich, und der Tod begleitet die Gefahr.
Das Verderben des Magens gehöret auch mit unter die allgemeinen Wirkungen des Saufens. Verschiedene Getränke wirken dasselbe zwar auf verschiedene Weise: allein was ist hieran gelegen, wenn doch ein- für allemal die Wirkung allgemein ist? Die Uebligkeit und das Erbrechen sind beständige Gefährten einer großen Trunkenheit; und der Mangel des Appetits und Ekel vor den Speisen begleitet sie in den folgenden Tagen. Man findet Säufer, die kaum so viel Speise vertragen können, als das kleinste Kind, und die sich fast von lauter flüßigen Speisen ernähren müssen. Man kann [305] leicht erachten, daß bey solchen Umständen der Magen eine sehr schlechte Verdauungskraft besitzen müsse, und so, wie die Verdauung ist, so sind auch die Nahrungssäfte beschaffen, welche sie dem Geblüte zusendet. Ein roher, übelverdaueter Nahrungssaft erzeugt rohe üble Säfte. Und da diese nicht die gehörigen Eigenschaften besitzen, welche von Seiten der flüßigen Theile unsers Körpers zu einem freyen und leichten Umlaufe derselben erfodert werden; so tragen sie desto mehr zur Stockung in den kleinsten Gefäßen bey, je mehr die Kraft dieser vesten Theile durch die öftere Trunkenheit schon ohnedem geschwächt ist. So verbindet sich alles bey einem Säufer zur Wassersucht, und so verliehrt er so manche unschuldige Vergnügungen, die ihm der Genuß angenehmer Speisen gewähren könnte, um eine einzige zu erhalten, mit welcher er Verderben und Tod verschlinget.
Ich habe oben erwiesen, daß das Gehirn und das ganze System der Nerven bey Säufern geschwächt, und der Einfluß der Lebensgeister sehr unordentlich ist. Von dieser Seite wirkt die Trunkenheit gerade auf das Herz der Säufer; da hingegen die andern Wirkungen der Völlerey, um mit der Fechtschule zu reden, nur Saustiche sind. Im Nervensystem liegt die ganze Kraft unsers Lebens verborgen: denn es ist das Mittel, welches die denkenden Wesen mit den Maschinen vereiniget. Wer sein Gehirn und seine Nerven schwächt, wer den Umlauf der Lebensgeister in denselben stöhret, der hasset seine Seele, und jagt seine Lebenskräfte von sich. Grausame Thorheit! die die Menschheit vernichtet, die Leib und Seele verdirbt! Verdammt müsse die Ausschweifung seyn, der wir solche Opfer bringen müssen. Ich will von den Krankheiten der Seele hier nichts mehr sagen, da ich schon oben davon geredet habe, wo ich zeigte, wie uns die Trunkenheit zu den Vergnügungen untüchtig mache. Allein, es ist hier noch übrig, zu zeigen, wie der öftere Rausch auch die Lebenskräfte verzehre.
Die wundervolle Mechanik des Nervengebäudes ist die große Triebfeder des ganzen Mechanismus thierischer Körper. So bald die Nerven geschwächt, und die Lebensgeister unordentlich bewegt werden, rühret gleichsam ein Schlag das Herz, und durchrennt ein Schrecken den ganzen Zusammenhang unserer Maschinen. Kein Fäsergen ist so klein und unsichtbar, das nicht davon leiden sollte, wenn die Seele der thierischen Bewegungen, das Gehirn, angegriffen wird. Die Schwäche, die es leidet, lähmet den kleinsten inwendigsten Nerven, der sich in einen entlegenen Muskel hineinschleicht, und Leben und Empfindung in ihn ergießet. Was ist es also wol Wunder, wenn unser ganzer Leib hinfällig und elend wird, wenn seine Kräfte wie ein Dampf verrauchen, wenn sein Fleisch an den Gebeinen vertrocknet, und das Mark in den Röhren verwelkt, so bald wir die Werkstatt des Lebens und der Kräfte mit solcher Wuth verwüsten, als die berauschenden Dünste in dem Gehirne ausüben, wo sie in kurzen Minuten das ganze Gemählde der Vorstellungen auslöschen, der Seele die Aussicht in die Welt mit einem Schleyer verdecken, den Sinnen die Neugier rauben, und den Quell der Kräfte verstopfen, der sich in alle Theile ergießt, die zum Leben bestimmt sind. Was ist es Wunder, wenn man einen bestätigten Säufer wie ein mit Haut umgebenes Todtengerippe einhergehen sieht, wie seine Augen zurückgewichen, seine Lippen erblaßt, seine Zunge [306] verlähmt, seine Wangen entstellt sind, wie alle Glieder seines Leibes als dürres Laub beben, wie er zusammengeschrumft, dürr, und platt, wie ein Portrait, mit kurzem Athem fortschleicht, und wie die Füße den Sünder nicht tragen wollen. So sieht ein versoffener Mensch aus, der in der Völlerey verlebt ist, und dem sie endlich seinen Rest gegeben hat. So sieht er seinen Leib wie ein Gewand verschleissen; so sieht der sich eintrocknen, der sich zuvor allzugut einfeuchtete; so erbärmlich ist das Ende dessen, dessen Anfang zu wollüstig war. Verdorrete Schenckel auf wassersüchtigen Beinen, dicke glänzende Bäuche, wie Trommeln gespannt, unter den Leitern der Rippen an der asthmatischen Brust, und ein hippokratisches Gesicht oben auf der Spize einer lebendigen Leiche, aus dem eine agonisirende Seele hervorblickt; dies ist das wohlgemästete porcus de grege Epicuri[6], wie es Horaz nennet, wenn es zur Erkenntniß seines Lasters durch das Gefühl seiner Wirkungen, und zur Verabscheuung desselben durch die Vorhersehung des erschrecklichen Endes gelanget ist. Kein Anblick ist erbärmlicher, und kein Beispiel rührender, als einen solchen Elenden zu sehen, der in seinen Wollüsten verdirbt; wie die Reue ihn brennt, wie die verscherzte Gesundheit ihn dauret, wie ihn das Andenken der Jugend martert, wie ihn die Annäherung des Todes bewegt, wie ihm die genossene Lust so abgeschmackt, und das Gefühl ihrer Folgen so bitter ist! Es ist den Leuten, die vom Schlage gerührt werden, eigen, daß sie Thränen vergießen, und eine Art der Weichherzigkeit empfinden, die alles übertrifft, was die Natur Bewegliches hervorbringen kann. Eben so etwas findet man bey den Säufern, die zu ihrem Ende eilen; vielleicht weil ihr Zustand in den meisten Fällen mit den vom Schlage gerührten Personen ihrem überein kommt. Sie sind bis zur Ohnmacht erweicht, und bewegt; ihr Elend ist ihnen allzuschmerzlich, nach einer solchen Fülle von Vergnügen; sie weinen bitterlich; es ist ein Aechzen, ein Heulen, ein Schlucksen, kurz, es ist der Jammer eines Menschen, der sich selbst umbringen muß, da er im höchsten Grade der Wollust Himmel und Welt zu vergessen gedachte. Ich schildere dieses Schreckenbild nach der Natur. Ich habe viele Säufer so sterben gesehen; ich verabscheue ihren Anblick mehr in ihrer Buße, als in ihrer Sünde; man muß kein Herz besitzen, das sich bewußt ist, wie süß die Wollüste und wie mächtig sie sind, wenn man nicht Mitleiden und Erbarmen mit einem solchen Opfer derselben haben sollte.
Endlich macht der Tod des Elendes ein Ende, und ich weiß nicht, ob ich ihn das dritte Unglück, oder das erste neue Glück des Säufers nennen soll. Nach einem solchen elenden Leben, als ein vollendeter Säufer führen muß, ist der Tod wol schwerlich ein Uebel mehr. Inzwischen ist es eine Sache von der Natur, das Leben zu lieben, und es ist, überhaupt betrachtet, ein Unglück, es frühzeitig zu verlieren. Ich rechne die unheilbaren Krankheiten der Säufer mit zu ihrem frühen Tode: denn sie sind ein wahres Sterben. Diesen langsamen Tod leidet der Säufer oft so frühzeitig, daß er zugleich mit seinem Leben die süße Hoffnung auf noch ein Hundert Oxhöfte aufopfern, und sich mit dem traurigen Abschiede quälen muß:
– Neque harum quas colis arborum
Te, proetes invisas cupressos,
Ulla brevem dominum sequetur.
Absumet haeres caecuba dignior,
Servata centum clavibus; et mero
Tinget pavimentum superbum
Pontificum potiore coenis.[7]
Oft streitet noch in ihm die Liebe zum Leben mit dem Durste nach Weine, und er bleibt unentschlossen, ob er sich mehr über den Verlust des einen oder des andern betrüben soll. In dieser Unruhe, in diesem Schmachten verzehren sich die Lebenskräfte nach und nach, und man bemerkt oft bey den Sterbenden selbst noch die Spuren des grossen Verlangens, zu trinken. So stark kann sich eine Leidenschaft unsrer Herzen bemeistern, wenn wir nicht die Klugheit besitzen, sie in ihrer Geburt zu ersticken, und ihrem ungestümen Ausbruche hinlängliche Dämme entgegen zu setzen. Wie mancher würde, vermöge seiner guten Leibesbeschaffenheit, vermöge seiner starken Natur, und vermittelst einer ordentlichen Lebensart, wobey es ihm an keinen vernünftigen Vergnügungen hätte fehlen dürfen, sein ruhiges, gesundes und angenehmes Leben zum höchsten Gipfel des menschlichen Alters haben bringen, und es durch einen sanften Tod ohne Reue und Elend haben beschließen können, der es, um seiner unbeschränkten Neigung willen zum Trunke, in Jammer und Noth und in der Blüte des Alters beschließen muß.
Ich kann bey dieser Gelegenheit nicht umhin, eine Anmerkung zu machen, die sich für unsre Zeiten schickt, da sich unsre scharfsinnigsten Dichter um die Wette bemühen, die Liebe und den Wein, diese beyden großen Stifter so vieles menschlichen Elendes, in den besten Liedern zu erheben, und selbst die Ausschweifungen in diesen beyden Leidenschaften ihren Lesern aufs schönste anzupreisen. Ich müsse wenig Vernunft und Geschmack besitzen, wenn ich die Dichter deßhalben tadeln wollte. Das einzige, was man ihnen dabey zur Last legen könnte, wäre dieses, daß sie ihre Leser für klüger halten, als sie sind; welches der Herr von Hagedorn nicht that, der sich vielmehr die Mühe gab, sie in seinem Gedichte an die heutigen Enkratiten zurecht zu weisen, und ihnen zu sagen, daß es mit den Lockungen der Dichter so strenge nicht gemeynt sey:
Zu altdeutsch trinken, taumelnd küssen,
Ist höchstens nur der der Wenden Lust.
Wie Kluge zu genießen wissen,
Das bleibt dem Pöbel unbewußt;
Dem Pöbel, der in Gift verkehret,
Was andern Leuten Wollust bringt,
Und der die Gläser wirklich leeret,
Wovon der Dichter doch nur singt.[8]
Ich wünschte, um aller Leser willen, die den Zweck der Dichtkunst nicht verstehen, daß diese Zeilen auf den Titeln aller Oden und Lieder auf den Wein mit Schwabacher Schrift gedruckt stünden: denn es ist so viel gewiß, daß diese Lieder wenigstens die Leichtsinnigkeit solcher Leser sehr vermehren, die ohnedem zum Trunke geneigt sind, und die gewöhnliche Dürftigkeit und Enthaltsamkeit der Dichter nicht kennen. Man wird mir dieses leicht glauben, wenn ich es durch eine unleugbare Erfahrung von einem solchen Mißverstande beweisen kann. Diese Erfahrung ist folgende.
Es giebt überall mitten in unsern aufgeklärten Zeiten gutherzige Leute, welche die Lieder auf die Liebe und den Wein für sündlich und für den sichersten Beweis der großen Verderbniß unsrer Zeiten und Sitten halten. Man würde sich sehr irren, wenn man glauben wollte, daß dieses nur einfältige und nichts bedeutende Leute wären. Nein, man findet diese Urtheile oft in dem Munde eines sehr großen Mannes, der alles besitzt, was einen Geist groß machen kann, außer dem Geschmacke. Nun ist es aber gewiß und ausgemacht, daß allenfalls der eifrigste [308] Christ und frömmste Mann einen Band Oden und Lieder auf eine eingebildete Doris und auf den Wein schreiben könnte, ohne sich damit im geringsten zu versündigen.[9] Er würde sich z. E. geschickt finden, in der lyrischen Dichtkunst vortrefflich zu werden. Er könnte sich, als ein Christ und frommer Mann, alle Tage, ohne den geringsten Nachtheil seines guten Charakters, entschließen, diese seine Gabe zur Vollkommenheit zu bringen. Er würde hierzu diejenigen Gegenstände erwählen, die sich zur lyrischen Dichtkunst am besten schicken. Er würde finden, daß dieses die süßen Wollüste der Leidenschaften wären, und er würde also dieselben zu Gegenständen seiner Dichtkunst machen, ohne deshalb die Maximen, die er Lehrte, oder die Empfindungen, die er ausdrückte, für gültig, und gerecht, und für löblich und nachahmungswürdig zu halten. Kurz, er würde, wie der Uebersetzer einer Schrift, auf eine mechanische Weise Sätze vortragen, welchen er Zeit Lebens, ausser in Gedichten, seinen Beyfall nicht geben würde, bloß um seine Stärke in der lyrischen Dichtkunst zu zeigen. So ist es. Ein epicuräischer Dichter muß nicht als ein Sittenlehrer gelesen werden. Wie sich ein Moralist grämen würde, wenn die Leser seine Predigten und Ermahnungen bloß als prosaische Gedichte läsen, die keinen andern Zweck hätten, als die schöne Art zu denken und zu schreiben ihres Verfassers der Welt vor Augen zu legen; so wehe muß es einem Dichter thun, wenn man seine üppigen Lieder für Sittenlehren hält, und sie in der Absicht lieset, um sie zu vollziehen. Gleichwol ist dieses der Fehler der meisten Leser; und selbst die, so die Lieder des Dichters für sündlich halten, müssen glauben, daß sie derselbe für Sitten- und Lebensregeln gehalten wissen wolle. Beyde sind nur darin verschieden, daß die Letztern, welche die Dichter verketzern, ihre für Sittenlehren gehaltenen Sätze verwerfen; die ersten aber, welche sie zu ihrer Richtschnur nehmen, sie billigen. Im Grunde begehen beyde einerley Fehler. Sie verfehlen den Zweck der Dichtkunst, und lesen Gedichte wie Predigten.
Die Dichter mögen zusehen, wie sie sich mit denen vergleichen können, die ihre Lieder verdammen. Ich begnüge mich hier bloß damit, sie mit den Lesern in ein gutes Verständniß zu setzen, die ihre Gedichte wie Freyers Sittenbüchlein[10] lesen. Diesen will ich rathen, daß sie keiner Sittenlehre eines lyrischen Dichters trauen, wenn sie nicht finden, daß sie in Prosa eben so leicht Beyfall erhalten würde. Die Prose muß der Probierstein der poetischen Moral seyn. Man übersetze die Stelle des Horaz[11]:
Laetus in praesens animus quod ultra est
Oderit curare;
in eine prosaische Sittenlehre: Man soll sich der gegenwärtigen Güter erfreuen, und um das Zukünftige unbesorgt seyn; so wird man leicht bemerken, daß das letztere eine poetische Freyheit ohne Klugheit seyn würde. Um bey meinem Beyspiele zu bleiben, so würde ein Säufer durch eben diese Sittenlehre, wenn er sie prosaisch verstünde, einen Freybrief zu allen seinen Ausschweifungen erhalten haben. Er würde des Guten genießen; er würde seine Fässer von Weine leeren, und unbesorgt seyn, ob sie in kurzer Zeit seinen Bauch mit Wasser anfüllen würden; er würde sich glücklich schätzen, zu trinken, und wenig darum bekümmert seyn, zu sterben; er würde unsinnig leben, um keine Zeit übrig zu behalten, vernünftig zu werden. Es wäre gut, daß die Dichter ein Privilegium erhalten könnten, nur von denen gelesen zu werden, [309] die würdig sind, daß man ihnen dichte; denn es ist kein Charakter verächtlicher, niedriger und abgeschmackter, als der Charakter eines Dichters in den Augen eines Menschen, der weder Geschmack noch Dichtkunst kennet; und in der That ist auch ein freyer Dichter der schädlichste Mensch für diesen gewiß! großen Theil seiner Leser. Ich will daher insbesondere allen denen, die gern trinken, und die allgemeinen Sprüche der lyrischen Dichter zu ihrer Rechtfertigung gebrauchen, eine Anleitung geben, wie sie sich vor den Fallstricken, die ihnen gelegt werden, in Acht nehmen können. Wenn sie Geschmack an der Dichtkunst besitzen; so rathe ich ihnen, auch ihren Zweck und die Absichten der Dichter kennen zu lernen, ehe sie sie lesen, und sich vor ihren diätetischen Regeln zu hüten. Wenn sie keinen Geschmack besitzen; so müssen sie keinen Dichter würdigen, ihn zu lesen, weil sie kein Dichter würdiget, ihnen zu schreiben. Auf die Art, wie ein Mensch ohne Geschmack einen Dichter lieset, buchstabiret er ihn nur; und so, wie ein Dichter schreibt, macht er für einen Leser ohne Geschmack bloß hieroglyphische Zeichen.
Ich habe nunmehr den Schaden einer gewissen Art der Wollust erwiesen, welche schon viele Millionen Menschen unglücklich gemacht und frühzeitig getödtet hat, und welche diese Wuth noch täglich unter den Sterblichen fortsetzet. Es ist mir nicht möglich, viel zu moralisiren, sonst hätte ich hier nunmehr die beste Gelegenheit dazu. Allein, ich will es nicht thun. Ich will bloß noch ein paar Worte mit meinen Säufern reden, und sie müssen mir nur ein paar Minuten nüchtern zuhören. Alles Unglück, was ich hier auf die Häupter der Säufer gebracht habe, ist wahr. Vernunft und Erfahrung beweisen es. Ich habe nichts in meinen Beweisen erschlichen, nichts in meinen Warnungen übertrieben. Die Sache ist wahrhaftig so, wie ich gesagt habe. Der Ekel des Säufers an allen Vergnügungen offenbahret sich an den Berauschten und an denen, die den Rausch eben ausgeschlafen haben. Die entsetzlichsten Krankheiten sind wirkliche Folgen des Säufers, und der elende langsame Tod, den ich beschrieben habe, der ist es warlich! der ist das Ende des Säufers. Mich erschreckt dieses Bild, und ich verfluche den Wohlschmack, der mich, oder einen, den ich liebe, in so viel Unglück, Noth und Gefahr stürzen würde. Vielleicht würden manche Säufer eben so denken, wenn sie ihre Gefahr so überzeugend kenneten, als ich sie kenne. Ich bedaure diese Leute, so wie ich mit allen ein wahres Mitleiden habe, die ihren Wollüsten trauen, und sich durch sie umbringen. Ich schreibe ihnen daher diese Warnungen auf, ohne Vorurtheil, ohne Beruf, ohne Amtseifer, und ohne an ihnen weder zum Ritter, noch zum Mißionair werden zu wollen. Es kann sich zutragen, daß meine Vorstellung der Gefahr manchen zur Besserung seines Wandels beweget; und obgleich dieses eben keine hohe Tugend seyn wird, aus Furcht der bösen Folgen ein geliebtes Laster zu meiden, so wird es doch eine gesunde Tugend für die Säufer seyn.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Friedrich von Hagedorn: Das Gesellschaftliche, Sämmtliche Werke, Band 4, Wien 1791 Google
- ↑ Selten ließ die Strafe lahmen Fußes von dem vorausschreitenden Verbrecher ab.
- ↑
Wuchernd wächst die Wassersucht und der Durst steigt,
Gibst du nach und tilgst nicht der Krankheit Keime
Aus den Adern gänzlich, des fahlen Leibes
Wäßrige Schlaffheit
Hor. Od. II, 2, v. 13–16 nach Philipp von Zesen: Sämtliche Werke. Band XIV. S. 655 Google - ↑ Belinde. Ein Sonnet, in: Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Sämmtliche Werke 1. Band, S. 69 Google
- ↑ David Faßmann. Herausgeber der moralischen Wochenschrift Gespräche in dem Reiche derer Todten.
- ↑ „Schwein aus der Herde Epikurs“, Episteln 1, 4, 16
- ↑ Oden des Horaz. Übersetzt von Friedrich Ludwig von Solms-Wildenfels. 2. Buch. Ode XIV. S. 91. 1757 Google
- ↑ Friedrich von Hagedorn: An die heutigen Enacriten. Sämmtliche poetische Werke. Band 1. 1775 Google
- ↑ Hagedorn’s Doris und der Wein. Google
- ↑ Hieronymus Freyer im VD 18 unter der Nummer 10800727
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Froh des Nahen meide dein Geist den Kummer
Ueber fernes Schicksal, und mildre bittern
Schmerz durch sanftes Lächeln. Kein Erdenloos ist
Vollkommen glücklich.
Horaz: Werke. Band 4. Übersetzt von Christian Friedrich Preiß. Leipzig 1809 Google