Seite:Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit.pdf/10

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

leicht erachten, daß bey solchen Umständen der Magen eine sehr schlechte Verdauungskraft besitzen müsse, und so, wie die Verdauung ist, so sind auch die Nahrungssäfte beschaffen, welche sie dem Geblüte zusendet. Ein roher, übelverdaueter Nahrungssaft erzeugt rohe üble Säfte. Und da diese nicht die gehörigen Eigenschaften besitzen, welche von Seiten der flüßigen Theile unsers Körpers zu einem freyen und leichten Umlaufe derselben erfodert werden; so tragen sie desto mehr zur Stockung in den kleinsten Gefäßen bey, je mehr die Kraft dieser vesten Theile durch die öftere Trunkenheit schon ohnedem geschwächt ist. So verbindet sich alles bey einem Säufer zur Wassersucht, und so verliehrt er so manche unschuldige Vergnügungen, die ihm der Genuß angenehmer Speisen gewähren könnte, um eine einzige zu erhalten, mit welcher er Verderben und Tod verschlinget.

Ich habe oben erwiesen, daß das Gehirn und das ganze System der Nerven bey Säufern geschwächt, und der Einfluß der Lebensgeister sehr unordentlich ist. Von dieser Seite wirkt die Trunkenheit gerade auf das Herz der Säufer; da hingegen die andern Wirkungen der Völlerey, um mit der Fechtschule zu reden, nur Saustiche sind. Im Nervensystem liegt die ganze Kraft unsers Lebens verborgen: denn es ist das Mittel, welches die denkenden Wesen mit den Maschinen vereiniget. Wer sein Gehirn und seine Nerven schwächt, wer den Umlauf der Lebensgeister in denselben stöhret, der hasset seine Seele, und jagt seine Lebenskräfte von sich. Grausame Thorheit! die die Menschheit vernichtet, die Leib und Seele verdirbt! Verdammt müsse die Ausschweifung seyn, der wir solche Opfer bringen müssen. Ich will von den Krankheiten der Seele hier nichts mehr sagen, da ich schon oben davon geredet habe, wo ich zeigte, wie uns die Trunkenheit zu den Vergnügungen untüchtig mache. Allein, es ist hier noch übrig, zu zeigen, wie der öftere Rausch auch die Lebenskräfte verzehre.

Die wundervolle Mechanik des Nervengebäudes ist die große Triebfeder des ganzen Mechanismus thierischer Körper. So bald die Nerven geschwächt, und die Lebensgeister unordentlich bewegt werden, rühret gleichsam ein Schlag das Herz, und durchrennt ein Schrecken den ganzen Zusammenhang unserer Maschinen. Kein Fäsergen ist so klein und unsichtbar, das nicht davon leiden sollte, wenn die Seele der thierischen Bewegungen, das Gehirn, angegriffen wird. Die Schwäche, die es leidet, lähmet den kleinsten inwendigsten Nerven, der sich in einen entlegenen Muskel hineinschleicht, und Leben und Empfindung in ihn ergießet. Was ist es also wol Wunder, wenn unser ganzer Leib hinfällig und elend wird, wenn seine Kräfte wie ein Dampf verrauchen, wenn sein Fleisch an den Gebeinen vertrocknet, und das Mark in den Röhren verwelkt, so bald wir die Werkstatt des Lebens und der Kräfte mit solcher Wuth verwüsten, als die berauschenden Dünste in dem Gehirne ausüben, wo sie in kurzen Minuten das ganze Gemählde der Vorstellungen auslöschen, der Seele die Aussicht in die Welt mit einem Schleyer verdecken, den Sinnen die Neugier rauben, und den Quell der Kräfte verstopfen, der sich in alle Theile ergießt, die zum Leben bestimmt sind. Was ist es Wunder, wenn man einen bestätigten Säufer wie ein mit Haut umgebenes Todtengerippe einhergehen sieht, wie seine Augen zurückgewichen, seine Lippen erblaßt, seine Zunge

Empfohlene Zitierweise:
Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)