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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

findet man sie durchgängig in dreyen Hauptabsichten schädlich. Einmal darinn, daß sie uns zu den Vergnügungen unfähig machen; zum andern, daß sie den Körper zu schweren Krankheiten disponiren; und drittens, daß sie unser Leben verkürzen.

Ich weiß nicht, wie süß eine Vergnügung seyn müßte, wenn man sie nicht auch nur gegen eine einzige von diesen Gefahren sollte fahren lassen können. Eine Lust, die unfähig macht, sich zu vergnügen, kann für keinen Menschen, der nur einige Minuten Zukunft vorher sehen kann, reizend seyn. Will man sich unbereut vergnügen; so muß es auf eine solche Art geschehen, daß immer noch ein neues Vergnügen Platz finden kann. Wenn man aber durch seine Vergnügungen das Vermögen, sich zu vergnügen, verliehret; so ist man den Motten ähnlich, die sich verbrennen, indem sie sich am Lichte ergötzen.

Ein Vergnügen, das die Gesundheit augenscheinlich schwächt, und unsern Körper zu langwierigen und höchstbeschwerlichen Krankheiten geneigt macht, ist einer bittern Frucht ähnlich, die mit Honig überzogen ist. So angenehm der erste Geschmack davon ist, so verhaßt ist der, so darauf folget. Nimmermehr wird ein Mensch, der den Gebrauch seiner gesunden Vernunft noch besitzt, den Entschluß fassen können, einer Lust nachzuhängen, die ihm das beste Gut dieses Lebens, die Gesundheit, raubet. Die bloße Vorhersehung des nachfolgenden Elendes ist zu bitter, als daß sie die Süßigkeit der Lust nicht beym Genusse schon vergällen sollte.

Und endlich, was sind das wol für Vergnügungen, die uns sogar unser Leben verkürzen! Worinn sind sie von den Todesarten der Missethäter unterschieden, als daß sie ein jeder frey wählet, oder daß niemand sie vorhersehen will. Ein Säufer, der an der Wassersucht stirbt, leidet einen weit grausamern Tod, als tausend Missethäter, die in einem fatalen Augenblicke von der Gesundheit zum Tode übergehen, und ohne Krankheit sterben. Ein vollendeter Säufer leidet den Tod mehrentheils in der besten Blüthe seiner Jahre, nachdem er in seiner Lust früh angefangen hat, oder nachdem seine Natur vermögend ist, den Gewaltthätigkeiten, die er ihr täglich anthut, länger oder weniger zu widerstehen. Die langwierigen Krankheiten, welche diesen Tod ankündigen, sind gleichsam die Anstalten und Vorbereitungen zur Hinrichtung: denn von nun an ist der versoffene Elende nicht mehr vermögend, die Augen aus der Zukunft hinweg zu drehen; nun verläßt ihn der Leichtsinn, da er zu trinken aufhören muß; und nun schwebt vor seinen Augen, wo er sie hinwendet, das Schwerdt, was ihn aufopfern soll, und der Machtspruch, der ihn verdammt:

Raro antecedentem scelestum
Deseruit pede poena claudo. Hor.
[1]

So viel Sittenlehre, und mehr nicht! Ich habe mir nicht vorgesetzt, Ermahnungen zu schreiben, um die Säufer von dem Wege ihres Verderbens abzuleiten; sondern sie bloß von dem dreyfachen Verderben, in das sie sich stürzen, zu überzeugen. Denn ich traue allen Trunkenbolden zu, daß sie denn und wenn einmal wieder nüchtern werden; und ich traue einem jeden nüchternen Menschen zu, daß er eine Ausschweifung verdammen werde, die ihm die Vergnügungen verekelt, die ihm seine Gesundheit raubet, und die ihn vor der Zeit in die Arme eines abscheulichen Todes liefert. Ich will die Beweise dieser dreyfachen Gefahr so führen, daß sie jeden Säufer überzeugen können, der seine Empfindungen damit vergleichen wird.

Die berauschenden Getränke wirken mit einer besondern Lebhaftigkeit in die empfindlichsten

  1. Selten ließ die Strafe lahmen Fußes von dem vorausschreitenden Verbrecher ab.
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)