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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

verlähmt, seine Wangen entstellt sind, wie alle Glieder seines Leibes als dürres Laub beben, wie er zusammengeschrumft, dürr, und platt, wie ein Portrait, mit kurzem Athem fortschleicht, und wie die Füße den Sünder nicht tragen wollen. So sieht ein versoffener Mensch aus, der in der Völlerey verlebt ist, und dem sie endlich seinen Rest gegeben hat. So sieht er seinen Leib wie ein Gewand verschleissen; so sieht der sich eintrocknen, der sich zuvor allzugut einfeuchtete; so erbärmlich ist das Ende dessen, dessen Anfang zu wollüstig war. Verdorrete Schenckel auf wassersüchtigen Beinen, dicke glänzende Bäuche, wie Trommeln gespannt, unter den Leitern der Rippen an der asthmatischen Brust, und ein hippokratisches Gesicht oben auf der Spize einer lebendigen Leiche, aus dem eine agonisirende Seele hervorblickt; dies ist das wohlgemästete porcus de grege Epicuri[1], wie es Horaz nennet, wenn es zur Erkenntniß seines Lasters durch das Gefühl seiner Wirkungen, und zur Verabscheuung desselben durch die Vorhersehung des erschrecklichen Endes gelanget ist. Kein Anblick ist erbärmlicher, und kein Beispiel rührender, als einen solchen Elenden zu sehen, der in seinen Wollüsten verdirbt; wie die Reue ihn brennt, wie die verscherzte Gesundheit ihn dauret, wie ihn das Andenken der Jugend martert, wie ihn die Annäherung des Todes bewegt, wie ihm die genossene Lust so abgeschmackt, und das Gefühl ihrer Folgen so bitter ist! Es ist den Leuten, die vom Schlage gerührt werden, eigen, daß sie Thränen vergießen, und eine Art der Weichherzigkeit empfinden, die alles übertrifft, was die Natur Bewegliches hervorbringen kann. Eben so etwas findet man bey den Säufern, die zu ihrem Ende eilen; vielleicht weil ihr Zustand in den meisten Fällen mit den vom Schlage gerührten Personen ihrem überein kommt. Sie sind bis zur Ohnmacht erweicht, und bewegt; ihr Elend ist ihnen allzuschmerzlich, nach einer solchen Fülle von Vergnügen; sie weinen bitterlich; es ist ein Aechzen, ein Heulen, ein Schlucksen, kurz, es ist der Jammer eines Menschen, der sich selbst umbringen muß, da er im höchsten Grade der Wollust Himmel und Welt zu vergessen gedachte. Ich schildere dieses Schreckenbild nach der Natur. Ich habe viele Säufer so sterben gesehen; ich verabscheue ihren Anblick mehr in ihrer Buße, als in ihrer Sünde; man muß kein Herz besitzen, das sich bewußt ist, wie süß die Wollüste und wie mächtig sie sind, wenn man nicht Mitleiden und Erbarmen mit einem solchen Opfer derselben haben sollte.

Endlich macht der Tod des Elendes ein Ende, und ich weiß nicht, ob ich ihn das dritte Unglück, oder das erste neue Glück des Säufers nennen soll. Nach einem solchen elenden Leben, als ein vollendeter Säufer führen muß, ist der Tod wol schwerlich ein Uebel mehr. Inzwischen ist es eine Sache von der Natur, das Leben zu lieben, und es ist, überhaupt betrachtet, ein Unglück, es frühzeitig zu verlieren. Ich rechne die unheilbaren Krankheiten der Säufer mit zu ihrem frühen Tode: denn sie sind ein wahres Sterben. Diesen langsamen Tod leidet der Säufer oft so frühzeitig, daß er zugleich mit seinem Leben die süße Hoffnung auf noch ein Hundert Oxhöfte aufopfern, und sich mit dem traurigen Abschiede quälen muß:


– Neque harum quas colis arborum
Te, proetes invisas cupressos,
Ulla brevem dominum sequetur.
Absumet haeres caecuba dignior,
Servata centum clavibus; et mero

  1. „Schwein aus der Herde Epikurs“, Episteln 1, 4, 16
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/11&oldid=- (Version vom 31.7.2018)