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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

die würdig sind, daß man ihnen dichte; denn es ist kein Charakter verächtlicher, niedriger und abgeschmackter, als der Charakter eines Dichters in den Augen eines Menschen, der weder Geschmack noch Dichtkunst kennet; und in der That ist auch ein freyer Dichter der schädlichste Mensch für diesen gewiß! großen Theil seiner Leser. Ich will daher insbesondere allen denen, die gern trinken, und die allgemeinen Sprüche der lyrischen Dichter zu ihrer Rechtfertigung gebrauchen, eine Anleitung geben, wie sie sich vor den Fallstricken, die ihnen gelegt werden, in Acht nehmen können. Wenn sie Geschmack an der Dichtkunst besitzen; so rathe ich ihnen, auch ihren Zweck und die Absichten der Dichter kennen zu lernen, ehe sie sie lesen, und sich vor ihren diätetischen Regeln zu hüten. Wenn sie keinen Geschmack besitzen; so müssen sie keinen Dichter würdigen, ihn zu lesen, weil sie kein Dichter würdiget, ihnen zu schreiben. Auf die Art, wie ein Mensch ohne Geschmack einen Dichter lieset, buchstabiret er ihn nur; und so, wie ein Dichter schreibt, macht er für einen Leser ohne Geschmack bloß hieroglyphische Zeichen.

Ich habe nunmehr den Schaden einer gewissen Art der Wollust erwiesen, welche schon viele Millionen Menschen unglücklich gemacht und frühzeitig getödtet hat, und welche diese Wuth noch täglich unter den Sterblichen fortsetzet. Es ist mir nicht möglich, viel zu moralisiren, sonst hätte ich hier nunmehr die beste Gelegenheit dazu. Allein, ich will es nicht thun. Ich will bloß noch ein paar Worte mit meinen Säufern reden, und sie müssen mir nur ein paar Minuten nüchtern zuhören. Alles Unglück, was ich hier auf die Häupter der Säufer gebracht habe, ist wahr. Vernunft und Erfahrung beweisen es. Ich habe nichts in meinen Beweisen erschlichen, nichts in meinen Warnungen übertrieben. Die Sache ist wahrhaftig so, wie ich gesagt habe. Der Ekel des Säufers an allen Vergnügungen offenbahret sich an den Berauschten und an denen, die den Rausch eben ausgeschlafen haben. Die entsetzlichsten Krankheiten sind wirkliche Folgen des Säufers, und der elende langsame Tod, den ich beschrieben habe, der ist es warlich! der ist das Ende des Säufers. Mich erschreckt dieses Bild, und ich verfluche den Wohlschmack, der mich, oder einen, den ich liebe, in so viel Unglück, Noth und Gefahr stürzen würde. Vielleicht würden manche Säufer eben so denken, wenn sie ihre Gefahr so überzeugend kenneten, als ich sie kenne. Ich bedaure diese Leute, so wie ich mit allen ein wahres Mitleiden habe, die ihren Wollüsten trauen, und sich durch sie umbringen. Ich schreibe ihnen daher diese Warnungen auf, ohne Vorurtheil, ohne Beruf, ohne Amtseifer, und ohne an ihnen weder zum Ritter, noch zum Mißionair werden zu wollen. Es kann sich zutragen, daß meine Vorstellung der Gefahr manchen zur Besserung seines Wandels beweget; und obgleich dieses eben keine hohe Tugend seyn wird, aus Furcht der bösen Folgen ein geliebtes Laster zu meiden, so wird es doch eine gesunde Tugend für die Säufer seyn.

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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)