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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309

hat die ganze Wollust ein Ende. Die zunehmenden Grade des Rausches sind eben so viel Grade der Abnahme des Vergnügens; und wenn der Rausch am höchsten gestiegen ist, so empfindet man eben so wenig, als ein Todter. Das einzige Mittel wider den Rausch, nämlich der Schlaf und das Erbrechen, ist nicht vermögend, die zu hart angegriffenen Nerven wieder in ihre völlige Stärke u. Ordnung zu bringen; daher spühret man die üblen Wirkungen der Schwächung noch den folgenden Tag nur allzu deutlich. Der Magen ist zugleich verdorben, und in einem verdorbenen Magen hat der Ekel seinen Sitz. Der vom Schlafe erwachte Säufer mag den Wein nicht einmal riechen, so ekelt ihm dafür: allein er merkt zu bald aus seiner Trägheit, Schwäche, Uebligkeit und Unlust, daß seine Nerven einer neuen Triebfeder, oder vielmehr einer neuen Anstrengung, nöthig haben; und bloß die Empfindung aller dieser Beschwerlichkeiten nöthiget ihn, das vorige Mittel wieder zu ergreifen, sich nicht aus Vergnügen, sondern zur Cur, zu betrinken, und so sein Elend immer zu vermehren, indem er immer genöthiget ist, es ein Paar Stunden gleichsam zu betäuben. In einem solchen elenden Zustande befindet sich ein Säufer, in Absicht seiner Vergnügungen. Ich frage einen jeden auf sein Gewissen, ob nicht alle seine Empfindungen mit dem, was ich hier erzählt habe, übereinstimmen? Gesetzt aber, ein Säufer könnte auch eine Zeitlang den Muth und das Vermögen, sich zu vergnügen, erhalten; so werden es ihm die unvermeidlichen Krankheiten, die seine Ausschweifungen begleiten, bald rauben. Von diesen will ich izt reden.

Außer der offenbaren Schwächung des Gehirns, der Nerven und des Magens, welche allen Säufern drohet, haben die berauschenden Getränke auch noch die Eigenschaft, daß sie einen sehr heftigen Trieb der Säfte in unserm Körper wirken. Der kleinste Rausch ist schon vermögend, denselben zu erregen. Man betrachte eine Gesellschaft von Leuten, die sich mit blassen, gleichgültigen, cachektischen Gesichtern rund um einen aufgeputzten Tisch herum setzen. Kaum sind die ersten Gesundheiten ausgetrunken worden; so bekömmt die ganze Gesellschaft ein Ansehen, als ob sie eine angenehme Schminke angelegt hätte. So wie die Zungen beredter werden, so fangen die Augen an, feurig zu werden, so glühen die Wangen von einer hellen Röthe, und so werden die blassen Gesichter der hypochondrischen Jünglinge, der cachektischen Jungfern, der melancholischen Männer und der hysterischen Weiber so lebhaft, als ob man eine Gesellschaft Comödianten sähe, die sich dick geschmikt hat, um auf dem Schauplatze zu erscheinen. Alles dieses sind Wirkungen eines vermehrten Umlaufs der Säfte, und besonders des Geblüts, welches mit großer Gewalt in die kleinsten Gefässe unter der Haut hineingepreßt wird, und durch dieselbe hindurch schimmert. So wie dieses im Gesichte geschiehet, so erfolgt es zu gleicher Zeit bey zunehmendem Rausche in allen übrigen Theilen des Leibes. Wenn ein Säufer auf sich selbst Acht geben will, so wird er befinden, daß bey einem gewissen mittlern Grad der Trunkenheit seine Glieder nach und nach schwer werden, und daß dieser Umstand von einer Empfindung begleitet wird, als wenn inwendig in den Gliedern eine verborgene Kraft wäre, welche sie aufblähete, daß sie strozen müßten. Es ist ein Drängen, welches davon herrühret, daß die Säfte in die kleinsten Gefässe mit Gewalt hineingepreßt werden, und daß die vorhergehenden den nachfolgenden Säften auf ihrer Rückreise nach dem Herzen nicht geschwind genug ausweichen können. Es ist eben die Empfindung, als wenn man sich die Kniebänder zu vest

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Albrecht von Haller: Gedanken vom Saufen, und dessen Schädlichkeit aus: Der physikalische und oekonomische Patriot Oder Bemerkungen und Nachrichten aus der Naturhistorie, der allgemeinen Haushaltungskunst und der Handlungswissenschaft, 3 Teil, 3 Quartal, S. 296–309. Grund, Hamburg 1758, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gedanken_vom_Saufen,_und_dessen_Sch%C3%A4dlichkeit.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)