Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Quasimodogeniti

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Am Sonntage Quasimodogeniti.

Evang. Joh. 20, 19–31.
19. Am Abend aber desselbigen Sabbaths, da die Jünger versammelt und die Thüren verschloßen waren, aus Furcht vor den Juden, kam JEsus und trat mitten ein und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20. Und als Er das sagte, zeigte Er ihnen die Hände und Seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den HErrn sahen. 21. Da sprach JEsus abermal zu ihnen: Friede sei mit euch! Gleichwie Mich der Vater gesandt hat, so sende Ich euch. 22. Und da Er das sagte, blies Er sie an und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist! 23. Welchen ihr die Sünden erlaßet, denen sind sie erlaßen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. 24. Thomas aber, der Zwölfen einer, der da heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da JEsus kam. 25. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den HErrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei denn, daß ich in Seinen Händen sehe die Nägelmale, und lege meine Finger in die Nägelmale, und lege meine Hand in Seine Seite, will ich es nicht glauben. 26. Und über acht Tage waren abermal Seine Jünger drinnen und Thomas mit ihnen. Kommt JEsus, da die Thüren verschloßen waren,| und tritt mitten ein und spricht: Friede sei mit euch! 27. Darnach spricht Er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und siehe Meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in Meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. 28. Thomas antwortete und sprach zu Ihm: Mein HErr und mein Gott! 29. Spricht JEsus zu ihm: Dieweil du Mich gesehen hast, Thoma, so glaubest du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. 30. Auch viele andere Zeichen that JEsus vor Seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. 31. Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, JEsus sei Christ, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in Seinem Namen.

 NOch ists Ostern, noch redet das Evangelium des Tages von der Auferstehung Christi und von deren Gewisheit und Segen. Ja noch ists österliche Zeit! Gleichwie die Jünger den Ostertag nicht vergeßen konnten und am wiederkehrenden ersten Wochentage sich in Erinnerung aller der Gnade versammelten, welche sie acht Tage zuvor empfangen hatten; so klingt auch in unserm Herzen das Osterhalleluja des vorigen Sonntags noch wieder; unsre Ohren horchen drum gerne auf den Inhalt des Evangeliums, unser Sinnen und Denken geht mit des HErrn Gedanken in Seinem Worte schön zusammen. Des sind wir fröhlich! Laßt uns bei diesem schönen, euch verlesenen Texte niedersitzen, wie zum Mahle, und der HErr speise uns innerlich, indem wir Ihn betrachten!


 Zweierlei Erscheinungen erzählt uns dieß Evangelium: die erste geschah am Ostertage selbst, die zweite aber acht Tage darnach, so daß wir gerade heute das Gedächtniß der letzteren feiern. Beide Male erschien der HErr Seinen Jüngern unerwartet und plötzlich, hinter verschloßenen Thüren und ungeachtet derselben. Beide Male offenbarte Er sich in einer Art, welche uns einen dreifachen Beweis liefern kann, den ersten für die Verklärung, die Sein Leib erfahren, den zweiten dafür, daß der Leib am Kreuz und der Leib der Auferstehung einer und derselbe gewesen, und den dritten für die Gottheit JEsu.

 Daß es ein verklärter Leib war, in welchem der HErr erschien, ergibt sich genugsam aus dem Umstande, daß Er beide Male bei verschloßenen Thüren zu Seinen Jüngern kam, daß Er nicht als ein durch die Thüre hereintretender, sondern als ein plötzlich mitten in der Versammlung stehender erschien. Der Todesleib ist dazu ganz untauglich, er wird durch Thüre, Schloß und Riegel aufgehalten, er kann auch nicht unbemerkt mitten in eine Versammlung treten. Nur der neue Leib der Auferstehung kennt kein Hindernis der Elemente; nur ihn hält nichts auf, zu erscheinen, wo der Geist, der in ihm wohnt, es will. Das bemerken wir einstweilen im heutigen Evangelio und sehnen uns mit allen denen, die im HErrn entschlafen sind, nach der gleichen, herrlichen Vollendung des Leibes, bis sie uns in der Auferstehung zu Theil wird.

 Indes können wir den Beweis für die verklärte Herrlichkeit des Leibes Christi mit wenigen Worten abfertigen, während wir jenem andern, daß der Todesleib am Kreuze und der Leib der Auferstehung einer und derselbe gewesen, eine längere Zeit widmen müßen. Denn der erste leistet nichts, wo der andere nicht geführt ist, − von dem andern nimmt der erste seine volle Glaubwürdigkeit. Daß nun aber wirklich derselbe Leib auferstand, der am Kreuze gehangen war, geht zu unserer seligen Ueberzeugung aus unserm Evangelium deutlich hervor. Zu unsrer seligen Ueberzeugung, sage ich; denn hätte Christus bei Seinen Erscheinungen einen zweiten Leib gehabt, nicht den, welcher am Kreuze gehangen; so würden wir, die wir Ihm aller Dinge ähnlich werden sollen, auch nicht denselben Leib, von welchem die Seele sterbend scheidet, zu erwarten haben, sondern einen zweiten; dann wäre der Tod ein Scheiden der Seele vom ersten Leibe und ein Abschied auf Nimmerwiederkehr; man könnte dann von einer Auferstehung gar nicht mehr reden, sondern nur von einer zweiten Schöpfung des Leibes. Aus dem dritten Artikel müßte dann gerade der Theil ausgeschnitten werden, welcher dem Menschenherzen der freundlichste und heimatlichste ist, und ausgesungen wäre das Triumphlied des Menschen: „Dieser meiner Augen Licht wird Ihn, meinen Heiland, kennen; ich, ich selbst, kein Fremder nicht werd in Seiner Liebe brennen; nur die Schwachheit um und an wird von mir sein abgethan.“ Man sieht wohl, daß es nicht gleichgültig ist, ob derselbe Leib starb und| auferstand, oder ob ein anderer starb, ein anderer aus dem Grabe kam, und wir nehmen deshalb die Beweise unsers Textes desto fröhlicher an. Diese Beweise liegen aber darin, daß der HErr gleich bei der ersten Erscheinung Seine Hände und Seine Seite, nach einem andern Evangelium auch Seine Füße zeigte. An den Händen und Füßen, und an der Seite an und für sich selbst hätten die Jünger schwerlich zu erkennen vermocht, daß ihnen der Leib erschien, welcher am Kreuz erblaßt war; aber diese Hände, diese Füße trugen, obschon sie nun verklärt waren, doch noch die Nägelmaale, diese Seite war noch, wie am Kreuze, eine geöffnete, − und die Nägelmaale, die Seitenwunde mußten allerdings die Jünger kräftig überweisen, daß ihnen JEsus, der Gekreuzigte, Er Selbst und kein anderer in einem neuen Leibe erschien. − Thomas, einer von den Zwölfen, war nicht zugegen, als der HErr Seinen Jüngern zum ersten Male erschien. Sein zu Zweifeln und dunkeln Ahnungen geneigtes Herz verrieth sich alsbald, als er in den Kreiß seiner Mitapostel trat und ihm diese freudenreiche Botschaft der Auferstehung hinterbrachten. Er nahm die Möglichkeit an, die andern Apostel hätten sich durch den Augenschein täuschen laßen, und erklärte darum, erst dann an des HErrn Auferstehung glauben zu wollen, wenn er seine Hand in die geöffnete Seite, seine Finger in die Nägelmaale gelegt hätte. Den Augenbeweis wollte er durch einen Beweis aus dem Gefühl seiner Hände vervollständigt wißen, ehe er sich der Freude der Auferstehung hingäbe. Zu schwer war seine Traurigkeit von ihm empfunden worden, als daß er sich gerne hätte täuschen mögen, um etwa nur desto schmerzlicher enttäuscht zu werden. Da kam denn acht Tage nach der ersten Erscheinung der HErr noch einmal und fügte zum Augenzeugnis das Zeugnis der fühlenden Hände. „Reiche deine Finger her, spricht Er, und siehe Meine Hände; und reiche deine Hand her und lege sie in Meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ So wurden die heiligen Apostel zubereitet zu sicheren, gewißen Zeugen der Auferstehung Christi und mit Beweisen für dieß ihr großes Thema ausgerüstet, welche auch die ungläubigsten Gemüther zufrieden stellen können. Sie wurden durch alle Stufen des Zweifelns und Glaubens zur vollen Zuversicht geführt, auf daß sie andern nicht allein predigen könnten von des HErrn Auferstehung, sondern auch zur gleichen Gewisheit helfen. Sie wurden ermächtigt, aus tiefster Erfahrung zu sprechen: „Das da von Anfang war, das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschauet haben und unsere Hände betastet haben, vom Worte des Lebens, was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch.“ Sie sprachen es dann auch in Beweisung des Geistes und der Kraft und machten ihren Hörern den Bund der letzten Stunde dieser Welt leicht, der in den Worten des HErrn an Thomas ausgesprochen ist: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“
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 Der HErr im Leibe, im verklärten Leibe, Er, kein anderer, erschien den Jüngern, das ist offenbar. Aber auch Seine göttliche Herrlichkeit ist offenbar. Da Ers ist und kein anderer, der auferstand, so ist es gewis, daß Ihn der Tod nicht halten konnte, daß Er Recht behielt in den Worten, welche Er lange vor Seinem Tode gesprochen: „Brechet diesen Tempel und in dreien Tagen will Ich ihn wieder bauen.“ Seine vollkommene Glaubwürdigkeit war durch Seine Auferstehung ans Licht gebracht. So gewis Er todt war und auferstand, so gewis waren nun alle Seine Reden wahr, also auch wahr, was Er unter so vielen − und wie St. Johannes in unserm Evangelium sagt, unter unzähligen Zeichen und Wundern behauptet, was Er vor dem Hohenpriester Caiphas und dem gesammten hohen Rathe beschworen hatte, daß Er nemlich Gottes Sohn war und Gott selbst, Immanuel, Gott und Mensch in Einer Person. Nun waren also die Jünger nicht mehr, wie jene zwei auf dem Wege nach Emmaus heruntergedrückt, Ihn bloß als einen Propheten, groß von Thaten und Worten zu rühmen; aus Seinem Tode und deßen wunderbarem Zusammenhang mit der Auferstehung keimte ihnen nicht bloß die Hoffnung einer künftigen, sondern auch die Gewisheit der bereits gelungenen Erlösung Israels und der ganzen Welt. Nun verstanden sie erst das Wort vom Kreuze: „Es ist vollbracht“, da sie sahen, daß Er nicht bloß dem Tode sich entrungen hatte, sondern in einer Glorie und Majestät wiedergekommen war, die ein lautes Zeugnis davon ablegte, daß Er mit Preis und Ehre gekrönt war, nachdem Er eine kleine Zeit in Schmach und Niedrigkeit gewandelt hatte. Und was die Auferstehung und Ueberwindung des Todes an sich erwies, Seine ewige Kraft und Gottheit, das bewies| auch noch manch andrer, einzelner Umstand unwiderleglich. Ich will der Zeichen schweigen, von denen St. Johannes V. 30. im Vorübergehen spricht, ich will statt vieler Dinge ein einziges erwähnen, nemlich den Beweis von Allwißenheit, welchen der HErr bei Seiner zweiten Erscheinung gegeben hat. Oder war es etwas anderes als Allwißenheit, was Ihm Thomä Zweifel und Reden offenbarte? Was Thomas im Kreiße seiner Mitapostel gesagt, welche Bedingungen des Glaubens er gesetzt, wie er einen Beweis aus der Hände Fühlen gefordert hatte, woher wußte es der HErr? Die Worte: „Reiche deine Finger her und siehe Meine Nägelmaale, und reiche deine Hand her und lege sie in Meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ − sind ganz göttlich, triefen von Allwißenheit und üben auf den einfältigen Leser noch heute denselben Einfluß aus, wie auf den heiligen Thomas, sie ziehen auf die Kniee nieder, sie heben die Hände zur Anbetung auf, sie entführen dem Herzen und den Lippen dieselben Worte, denselben Ausruf: „Mein HErr und mein Gott!“

 Zwar wir haben den HErrn nicht gesehen wie Thomas und können Ihn nicht sehen; wir können nicht Finger und Hände in Nägelmaale und Wunde legen: aber Er ist dennoch bei uns und umgibt uns mit Seiner göttlichmenschlichen Gegenwart, wie uns die Luft umgibt und das treue Zeugnis der heiligen Apostel reinigt die Augen unsers Glaubens, daß wir des unsichtbaren HErrn dennoch gewahr werden, uns an Ihn halten, Sein genießen und sprechen: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Was fehlt uns im Grunde? Das Zeugnis der Sinne ist uns verweigert, das unsre Gewährsmänner, die heiligen Apostel hatten; außerdem haben wir aber auch alles, Hoffnung und Gewisheit der Auferstehung und des ewigen Lebens. Im Vollgenuße aller Seiner Güter sollen wir nur nicht schauen und durch kleines Verzichten auf das Zeugnis unsrer sterblichen Augen uns vorüben und bereiten auf das selige Schauen mit verklärten Augen. Es ist unser Loos nun nicht geringer, als das der ersten Menschen im Paradiese; sie sollten der Erkenntnis Gutes und Böses entbehren, alles andere sollten sie haben; wir erkennen Gutes und Böses, wir sind zum Guten erneut und über ein Kleines soll uns die Seligkeit der Apostel, die des Schauens, auch gegeben werden, und unsre ganze Entsagung besteht in einer kleinen Wartezeit. Da können wir uns in den Staub legen und zufrieden, ja wonnevoll rufen: „In Deine Nägelmaale lege ich meine Finger nicht, nicht meine Hand in Deine Seite, aber Du bist mein HErr und mein Gott!“


 Unter den Beweisen für die göttliche Majestät Christi hätte ich, meine theuern Brüder, eben so gut auch die Früchte der Auferstehung anführen können, welche uns dieß Evangelium benennt. Als der auferstandene HErr unter Seine Jünger trat, da gab Er Friede, Apostolat, Geist und Schlüßelamt. Jede von diesen himmlischen Gaben ist ein Beweis Seiner Gottheit. Er kann nicht geben, was niemand hat als Gott, wenn Er nicht Gott ist. Göttliche, seligmachende Gaben schüttet Er bei Seiner ersten Erscheinung Seinen Jüngern in den Schooß. Von einer jeden unter ihnen könnte man singen und sagen ein ganzes Leben; viel zu kurz für deren Werth ist alles, was wir hier dankend von einer jeden rühmen können.

 „Friede sei mit euch,“ war des HErrn erstes Wort an Seine Jünger nach Seiner Auferstehung, und Seine erste Ostergabe ist also der Friede. Denn ein bloßer Gruß, der ohne Wirkung an den Gegrüßten vorübergegangen wäre, war der Friedensgruß unsers HErrn JEsus nicht; wovon die Worte lauten, das bringen sie mit sich. Er, der Matth. 10, 12. 13. Seinen Jüngern befiehlt, die Einwohner der Häuser zu grüßen, die sie betreten würden, und ihnen verheißt, daß auf die Würdigen der Friede kommen werde, mit dem sie gegrüßt werden, daß Er aber von den Unwürdigen zu den grüßenden Aposteln zurückkehren solle, − der also dem Friedens- und Segensgruße Seiner Knechte eine große Kraft und Wirkung beilegt und beilegen konnte, wird ohne Zweifel Seinem eigenen Friedensgruße nicht mindere Kraft und Wirkung beigefügt haben. Und da Er vor Seinem Leiden schon Joh. 14, 17. Seinen Friedensgruß von den eiteln, ohnmächtigen Friedensgrüßen der Welt unterschieden und gesagt hatte: „Den Frieden laße Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch, nicht gebe Ich euch, wie die Welt gibt;“ so wird Er im Leben der Majestät, deßen Er durch die Auferstehung theilhaftig geworden war, gewis nicht anderer Meinung geworden sein und den Gruß Seiner verklärten Lippen nicht hinter den Gruß| Seiner sterblichen Lippen zurückgesetzt haben. Im Gegentheil, nachdem Er den Tod überwunden hatte, nachdem Er aus des Todes Thoren lebendig wiedergekommen war, nachdem Er die Zeichen Seiner Schmach, Nägelmaale und Wunden, als Siegesmaale, als Triumphzeichen am verklärten Leibe zurückgebracht hatte und gekrönt mit Preis und Ehre unter den Seinigen stand; konnte Er den Jüngern Seinen Friedensgruß mit einer Kraft und einem Nachdruck entbieten, der vor dem Leiden nicht darinnen liegen konnte. Jetzt galt um so mehr das Wort, die Sache − Wort und Sache waren eins und kamen miteinander. Die Jünger waren hinter verschloßenen Thüren versammelt gewesen, denn sie fürchteten sich vor den Juden. Jetzt hören sie aus JEsu Munde, daß nicht bloß die Furcht vor den Juden, sondern jede Furcht ihr Ende habe, daß großer Friede gekommen sei. Da hieß es wieder: „Nicht gebe Ich euch, wie die Welt gibt; euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!“ Da gieng die Furcht von hinnen und der Friede kam im Sinne des HErrn und legte sich ihnen nach seiner Größe und Fülle von Tag zu Tag mehr aus. Friede im Sinne JEsu und Seiner Kirche umfaßt alle sichere, selige Wohlfahrt Leibes und der Seele in Zeit und Ewigkeit und ist gleich einem Baume, der Wurzeln, Stamm, Aeste, Blätter, Blüthen und Früchte hat. Des Friedens Wurzel ist Versöhnung mit Gott, der Stamm ist ein furchtlos, friedenvolles Leben, das sich von der Erde zum Himmel streckt, die Aeste sind der Seelen heilige Bemühungen zum Frieden der Welt, die Blätter, Blüthen, Früchte sind Bilder mannigfachen Gelingens friedenvoller Bemühungen in holdseligen Worten und Werken. Alles das liegt in dem Worte Friede und wird mit ihm gegeben, sonderlich aber Friede Gottes, Friede der Versöhnung, Abwendung des Gerichts und der Verdammnis, ein stilles Bewußtsein göttlicher Gnade im Leben und Sterben, eine unaussprechliche Seligkeit der abgeschiedenen Seele, Anschauen JEsu mit dem Seelenauge und einst auch mit dem Leibesauge, Auferstehung, Vereinigung mit Gottes auserwähltem Volke für ewig: das alles folgt ja aus der Versöhnung mit Gott und aus dem Frieden Gottes, das alles ist Friede und liegt im Worte Friede. Das alles spricht der HErr im Friedensgruß den Jüngern zu, das alles liegt in jedem Friedensgruß, welchen wir, des HErrn Knechte, in den Versammlungen sprechen. Denn unsre Worte und Seine Worte sind eins, dieweil wir nur Seine Worte in Seinem Auftrag sprechen.

 Zum Beweise, daß der HErr nicht allein den Jüngern, sondern auch allen denen, welche durch sie glauben sollten, den Frieden aus Seinem Grabe mitgebracht hatte, − und zum Mittel, den Friedensgruß in alle Welt zu bringen, stiftet Er Sein heiliges apostolisches Amt. „Gleichwie Mich Mein Vater gesandt hat, so sende Ich euch,“ spricht unser HErr JEsus Christus. Er selbst war des Vaters Apostel und Gesandter, wie Er auch einmal in der heiligen Schrift genannt wird, und die Jünger sollten nun Seine Apostel und Gesandte sein. Hinaus zu allen Menschen mußte die Kunde von der Gottesthat, die für alle Menschen geschehen war. Nicht bloß geschehen und im Himmel angenommen sollte sie sein, sondern auch von den Menschen auf Erden war sie anzunehmen; in der gläubigen Annahme sollte das Heil der Menschen liegen, durch den Glauben sollten die erlösten Menschen gerechtfertigt und geheiligt werden, durch den Glauben sollten sie alles himmlische Gut empfangen. Wie sollten sie aber glauben, wenn sie nichts vernahmen von alle dem, was geschehen war, was geglaubt und durch den Glauben erfaßt werden sollte, wenn ihnen nicht gepredigt wurde? So wahr der HErr den Tod überwunden, vom Tod erstanden, Frieden, Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hatte; so gewis mußten auch Boten von Ihm ausgerüstet werden, welche in Seinem Namen dieß Heil verkündigten. Was ist alle Gnade Christi für uns ohne Apostelamt? Wir hätten keinen Theil an ihr ohne die Botenstimmen! Drum ist wie zum Ton, der erschallen soll, die Posaune, so zum Frieden, der gekommen ist, das heilige Amt nöthig, − und mit dem einen muß das andere gegeben werden. Zur ersten Ostergabe des göttlichen Friedens gehört daher die zweite des apostolischen Amtes, und wie für die erste, so müßen wir auch für die zweite danken.

 Wie soll aber die Posaune einen Ton geben ohne Hauch, wie die Saite ohne Berührung des Ton und Leben gebenden Fingers? Wie kann das heilige Amt und die heilige Botschaft des Friedens zusammenkommen, wenn nicht der Geist sie vereinet? Das Amt, welches durch den Friedensgruß den Geist geben soll, muß selbst erst den Geist haben. Darum berichtet auch der Text: „Da Er das sagte,| da Er Seine Jünger abordnete, bließ Er sie an und spricht zu ihnen: „Nehmet hin den heiligen Geist!“ Der HErr gab Seinen Jüngern den heiligen Geist mit dem Hauche Seines Mundes, − und wozu? Wozu anders, als zur Verbreitung Seiner Friedensbotschaft? Denn die Worte „Nehmet hin den heiligen Geist“ sind ganz unzertrennlich von denen, die an ihnen hangen: „Welchen ihr die Sünden erlaßet, denen sind sie erlaßen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Sündenerlaßen aber heißt Frieden geben, gleich wie Sündenbehalten nichts anders ist als den Unfrieden der eigenen Seele behalten und besiegeln. Zur Ausführung heiliger, göttlicher Geschäfte, des Sündenvergebens und Sündenbehaltens, des Friedenbringens und Verweigerns wird den Aposteln der Geist gegeben und ihr Wort ist drum in diesen Geschäften ein Wort des heiligen Geistes voll Kraft und Wahrheit. Sein Wort des Friedens sollte nicht bloß an die Welt gelangen, wie ein hörbares Bild einer abwesenden Sache, sondern als ein Wort erfüllt mit dem, davon es spricht, als eine Gotteskraft, welche die Welt überwindet und selig macht. Der HErr sah wohl voraus, daß Tausende und Millionen bei der Botschaft des Friedens sich unwürdig achten würden, sie anzunehmen, darum setzte Er Sein heiliges Amt der Seelsorge ein, durch welches Sein Friede in bestimmter Weise allen Einzelnen zugesichert und göttliche Kraft jeder sündenmüden Seele insonderheit gereicht werden sollte. Dem anfangenden Glauben nach, der Predigt nach folgt die Gewalt der Schlüßel, selig zu vergeben. Nicht bloß für die Berufung, für die Erweckung, für die Aufregung und Beunruhigung der sichern Welt sorgte der HErr, sondern auch für die Beruhigung und Beseligung der Erweckten: das Wort des Friedens sollte in die erweckten und erschreckten Seelen in Kraft des Geistes Gottes kommen. − Der HErr sah aber auch voraus, daß viele Tausende, im Allgemeinen gelockt und angezogen von der Herrlichkeit und Schönheit des Evangeliums, kommen und Christo in einem gewissen Maße die Ehre geben, aber auch sich und andere durch fortgesetzte Sünde verführen und durch Wort und Beispiel den Weg des Lebens breit darzustellen suchen würden. Deshalb verlieh Er Seinen Jüngern nicht bloß die Macht, Sünde zu vergeben, sondern auch die Macht, und damit auch die Pflicht, unbußfertigen Sündern die Sünde zu behalten. Hätte Er bloß die Macht verliehen, Sünde zu vergeben, so hätte diese Macht keine göttliche Grenze gehabt, die Diener würden in Noth und Jammer des Gewißens gekommen, ja es würde ihnen unmöglich geworden sein, ihres Amtes zu walten. Wo Vergebung der Sünde ist, muß auch Behaltung der Sünde sein; jene wird nicht geschätzt, wo diese nicht geübt wird; jene gibt keinen wahren Frieden, wenn sie wie ein Strom ohne Unterschied sich über alle, auch über die ergießt, die keines himmlischen Friedens bedürfen und begehren. Wollte der HErr Seinen Frieden an etliche bringen, so mußte Er ihn den Unbußfertigen und verhärteten Sündern verweigern. Darum ists nicht bloß für diese Gerechtigkeit, sondern auch für jene volle Barmherzigkeit, daß Er Seiner Gnade Grenze und Maß sammt der Gnade, die ausgetheilt werden soll, dem heiligen Amte vertraut; ja, es ist die Verweigerung des Friedens auch für diejenigen, welche ihn nicht faßen, sondern nur misbrauchen können, eine Wohlthat. − Mit einer ungeahnten Fülle von herrlichen Gaben, lieblich und schrecklich zugleich, sendet also der HErr Sein heiliges Amt unter die Völker. Die heiligen Boten, versehen mit der doppelten Gabe der Vergebung und Sündenbehaltung, der Absolution und Retention, sollen auf allen Wegen erfunden werden, und Friede den Friedenbegierigen allein, sonst aber keinen, trieft von ihren Worten und segnenden Händen. Zu ihnen nahen sich alle des himmlischen Grußes Würdigen und nehmen aus ihren Worten und Händen die heilige Ostergabe JEsu, den Frieden. Die sich nicht in Seine heilige Ordnung fügen mögen und den Frieden verachten, den die Boten bringen, sind ohne Frieden, denn auch der Friede kommt in der Ordnung Gottes. Der HErr kann außer dieser Ordnung denen Friede geben, welche keinen Diener des Friedens erreichen können; aber Er hat alle Christen, was Seinen Osterfrieden betrifft, an Sein heiliges Apostolat und an die Aeltesten gewiesen, durch welche sich der Baum des Apostolats mit Tausenden von Aesten über alle Welt verbreitet. „Der Friede des HErrn sei mit euch allen!“ so grüßen die Aeltesten die Gemeinden von den Altären des Auferstandenen; so grüßen sie, wenn ihre Hände absolvirend auf den Häuptern der Sünder ruhen, die in Christo JEsu Rettung suchen. Und wohl denen, welche den Gruß| annehmen und glauben, daß er des Geistes Wort ist und seine Kraft in sich hat: bei denen wirds österlicher, hoffnungsreicher Friede, denen wird gegeben, zu erfahren, daß der HErr, was Er am Abend des Ostertages gesagt hat, auch uns fernen Christen am Ende der Tage gesagt hat, daß Er von Mund zu Mund bis auf uns herunter Seinen Osterfrieden sprechen und verbreiten wollte.

 Wenn in der alten Zeit heilige Bischöfe mit den übrigen Aeltesten an den Altären standen, um mit diesen und den Gemeinden das heilige Mahl zu feiern; da kehrten sie sich zu dem ihnen zunächst stehenden Aeltesten und gaben ihm den Friedensgruß und Friedenskuss; dann gieng beides Gruß und Kuss von einem Aeltesten zum andern und von diesem auf die Glieder der Gemeinde. Der Friede war das Erbe aller, die zu Christo kamen, und wer den Friedensgruß empfieng, war berechtigt zu allem und empfieng alles. In dem Bilde einer solchen Abendmahlsgemeinde sehen wir Christum und Seine Kirche. Er an der Spitze der Kirche aller Zeiten − Sein Gruß an die Jünger und von diesen an alle Gläubigen aller Zeiten. Christus, der Erzhirt, speiset durch Sein Amt Seine Kirche mit Frieden. Er sendet auch euch Seinen Gruß; nehmet ihn − grüßet mit ihm wieder − grüßet euch also, bis Er kommt − machet euch des Grußes würdig − und wenn Er wieder kommt, der große König des österlichen Friedens, dann grüße Ihn Selbst die heilige Gemeinde mit ihren Aeltesten und spreche Ihm das „Friede sei mit Dir“ in dem Sinn, in welchem es Ihm gesprochen werden kann.


 Zwar weiß ich wohl, daß manche unter euch diese meine Worte ungern vernehmen und fälschlich deuten werden; aber meine Worte sind auch ihnen zum Frieden gemeint, nicht zur Knechtschaft und Untertretung. Wir sind alle zur Auferstehung der Gerechten berufen, aber der Weg heißt Friede, der Friede kommt im Worte, das Wort kommt durch das heilige Amt der Aeltesten. Wer eines will, muß auch das andere wollen. Wer eins verachtet, verachtet Den, der alles und eines gegeben hat, und wird keiner Seiner österlichen Gaben theilhaftig. Gepriesen sei der HErr, der am Ostertage Seinen Jüngern die ordentlichen Gnaden und Geistesgaben Seines Amtes verliehen und sie zu guten Seelsorgern und Beichtvätern der Welt ausgerüstet und geweiht hat. Gepriesen sei Er, der hernachmal an Pfingsten ihnen außerordentliche Gnaden und Gaben schenkte, damit sie durch dieselben den ordentlichen Gaben Bahn machten! Gelobet sei Er dafür, daß uns, nachdem der Strom der außerordentlichen Gaben und Pfingstkräfte abgenommen hat und klein geworden ist, doch der volle Strom der ordentlichen Amtsgnaden und Gaben, welcher am Abend des Ostertages durch Seinen Hauch und Sein Wort entsprungen, übrig geblieben ist, daß Friede und Absolution noch Macht und Kraft des ewigen Lebens bei sich tragen und Sein heiliges Amt, die theure Ostergabe, annoch blüht und die Verheißung eines immerwährenden Blühens und Früchtetragens bis ans Ende hat! −

 Ich Aeltester dieser Gemeinde grüße euch hiemit, am Schluß des Osterfestes mit dem österlichen Gruße des Friedens! „Der Friede sei mit euch!“ Möge mein Friede von euer keinem zu mir zurückkehren und dennoch ewig bei mir bleiben! Amen.




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