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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)
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Am zweiten Ostertage.

Evang. Luc. 24, 13–35.
13. Und siehe, zween aus ihnen giengen an demselbigen Tage in einen Flecken, der war von Jerusalem sechzig Feldweges weit, deß Namen heißt Emmaus. 14. Und sie redeten mit einander von allen diesen Geschichten. 15. Und es geschahe, da sie so redeten und befragten sich mit einander, nahte JEsus zu ihnen und wandelte mit ihnen. 16. Aber ihre Augen wurden gehalten, daß sie Ihn nicht kannten. 17. Er aber sprach zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr zwischen euch handelt unterwegen und seid traurig? 18. Da antwortete einer, mit Namen Kleophas, und sprach zu Ihm: Bist Du allein unter den Fremdlingen zu Jerusalem, der nicht wiße, was in diesen Tagen drinnen geschehen ist? 19. Und Er sprach zu ihnen: Welches? Sie aber sprachen zu Ihm: Das von JEsu von Nazareth, welcher war ein Prophet, mächtig von Thaten und Worten, vor Gott und allem Volk. 20. Wie Ihn unsere Hohenpriester und Obersten überantwortet haben zum Verdammnis des Todes und gekreuzigt. 21. Wir aber hofften, Er sollte Israel erlösen. Und über das alles ist heute der dritte Tag, daß solches geschehen ist. 22. Auch haben uns erschreckt etliche Weiber der Unsern, die sind frühe bei dem Grabe gewesen, 23. Haben Seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben ein Gesicht der Engel gesehen, welche sagen, Er lebe. 24. Und etliche unter uns giengen hin zum Grabe und fanden es also, wie die Weiber sagten, aber Ihn fanden sie nicht. 25. Und Er sprach zu ihnen: O ihr Thoren und trägen Herzens, zu glauben allem dem, das die Propheten geredet haben. 26. Mußte nicht Christus solches leiden und zu Seiner Herrlichkeit eingehen? 27. Und fieng an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von Ihm gesagt waren. 28. Und sie kamen nahe zum Flecken, da sie hingiengen, und Er stellete Sich, als wollte Er fürder gehen. 29. Und sie nöthigten Ihn und sprachen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget. Und Er gieng hinein bei ihnen zu bleiben. 30. Und es geschah, da Er mit ihnen zu Tische saß, nahm Er das Brot, dankte, brach es und gab es ihnen. 31. Da wurden ihre Augen geöffnet und erkannten Ihn. Und Er verschwand vor ihnen. 32. Und sie sprachen unter einander: Brannte nicht unser Herz in uns, da Er mit uns redete auf dem Wege, als Er uns die Schrift öffnete? 33. Und sie stunden auf zu derselbigen Stunde, kehrten wieder gen Jerusalem, und fanden die Eilfe versammelt und die bei ihnen waren. 34. Welche sprachen: Der HErr ist wahrhaftig auferstanden und Simoni erschienen. 35. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war, und wie Er von ihnen erkannt wäre an dem, da Er das Brot brach.

 DAs gestrige Evangelium berichtete uns von der Art und Weise, wie der gnädige Gott den Frauen die Botschaft von der Auferstehung JEsu Christi nahe brachte. Das heutige Evangelium zeigt uns, wie Er dieselbe Botschaft den Männern, den Jüngern nahe gebracht hat. Dort wie hier geschieht nichts plötzlich,| sondern von Schritt zu Schritt vorbereitet wird der volle Mittag der himmlischen Offenbarung. Dort geschieht die Vorbereitung durch Engel, hier durch den auferstandenen HErrn Selbst in verhüllter Gestalt. Es ließe sich viel darüber sagen, wie der HErr die eine Botschaft Männern und Frauen in so lieblich verschiedener Weise in die Seele gelegt hat; jedoch wollen wir uns enthalten und bei dem eigentlichen Inhalt des heutigen Evangeliums verbleiben. Zuerst wollen wir im allgemeinen vom Glück und Unglück der Christen reden und dann ins Einzelne gehen und einige besondere Stücke zeigen, welche der HErr in diesem Texte offenbart. Es helfe uns dazu Er Selbst, der Auferstandene, der seit dem Tage Seiner Auferstehung und Auffahrt mitten unter den Seinigen, mitten unter den Gemeinden hilfreich wandelt und Licht und Feuer in ihre Herzen gibt.
 Der Christen Glück ist, daß ich es kurz sage, JEsum Christum klar zu erkennen; ihr Unglück ist es, wenn sie irgend an Ihm irre werden und ihr Auge getrübt wird für Seinen schönen Glanz. Daß ich mit diesem Satze nicht von der Wahrheit abirre, beweist die Textgeschichte. So lange der HErr bei den Seinigen war, mit ihnen wandelte, und sie Seine Wunder sahen, Seine Lehre und Liebe erkannten, waren sie glücklich. Es fehlte ihnen nichts für Leib und Seele. Aber als Er ihnen nun in der Gründonnerstagsnacht entrißen wurde und ihr Glaube nicht vermochte, sich an Seinen Voraussagungen fest zu halten, als die mit Seinem Leiden und Sterben eintretende und beginnende Erfüllung Seiner Voraussagungen, weit entfernt, daß sie ihnen als Erfüllung erschienen wäre, ihr Herz und ihre Hoffnung gestärkt hätte, sie vielmehr an allem irre machte, an dem Lebensberufe Christi und an ihrem eigenen: da war kein Glück mehr bei ihnen zu finden. Zwar bleibt Ihm ihr Herz auch dann noch zugethan, das erkennen wir ja aus den Aeußerungen der Jünger V. 19. Sie erkennen Ihn auch dann als einen Propheten mächtig von That und Worten vor Gott und allem Volk. Es war ihnen also doch immerhin noch manches von ihrem Glauben und Leben mit Christo übrig geblieben. Allein die Hoffnung, daß Er Israel erlösen würde, war doch dahin, und damit das Herrlichste und Größte, was sie erfaßt und geglaubt hatten, die Lieblingshoffnung, welche sie seit drei Jahren gehegt, an deren Fehlschlagen sie je länger, je weniger einen Zweifel zugelaßen hatten. Dadurch waren sie unglücklich geworden, und der HErr findet sie bei Seiner Begegnung so traurig V. 17. An der Art und Weise, wie sie ihr Glück verloren hatten, können wir sofort erkennen, wie sie es alleine wieder finden konnten. Sollten sie wieder glücklich und fröhlich werden, wie zuvor, so müßen sie JEsum wieder finden, Ihn wieder sehen, wieder hören, wieder mit Ihm wandeln, Ihn wieder als Den erkennen, der Er ihnen drei Jahre lang gewesen war. Achtet der Textgeschichte, meine Brüder, ob dieß nicht wirklich der Weg war, auf dem sie wieder glücklich und fröhlich wurden. Schon als der HErr ihnen in verhüllter Gestalt nahte, als Er nur anfieng, von Sich Selbst mit ihnen zu reden, begann es in ihnen anders zu werden; es war dennoch ein wohlbekannter Ton, der ihr Ohr traf, und eine Stimme vernahmen sie, welche ganz anders klang, als mans im Kreiße der Jünger seit drei Tagen gewohnt war. Zwar war der vermeinte Fremdling nicht, wie die zwei Wanderer nach Emmaus meinten, der einzige, welcher die Geschichte von dem JEsus von Nazareth nicht wußte, aber er war der einzige, der eine freudige, hoffnungsvolle Ansicht von ihr hatte, der, was geschehen war, gerade so ansah, wie sie es von ihrem lieben HErrn Selbst vor Seinem Leiden vernommen hatten. Da dringen denn Seine Worte ganz wunderbar in ihre Seelen hinein: es wird licht in ihnen, Friede, Freude und fröhliches Wesen kommt wieder, ihre Herzen werden erwärmt und beginnen in neuem Leben zu brennen, − die Zukunft wird wieder die alte, wie sie vor dem Gründonnerstag gewesen, muthig und lustig geht es nun wieder vorwärts und hinein in ihr liebes lichtes Reich. Und als es nun erst gelang, den wunderbaren Prediger bei der Herberge in Emmaus zu halten, als Er sich − offenbar gerne und mit Freuden − halten ließ, mit ihnen ins Haus gieng, Sich mit ihnen zu Tische setzte, als Er aufstand und ihnen hausväterlich das Brot brach, wie früher, und nun die Schuppen von ihren Augen fielen, die wohlbekannte segnende Gebärde und die durchbohrten Hände in ihre geöffneten Augen leuchteten, als der durch Christi Predigt wieder aufgerichtete Glaube zum Schauen verklärt ward;| wie war da der dreitägige Nebel mit einem Male niedergeschlagen! Die Sonne, die uns lachet, stand glänzend am Himmel und ihre gequälten Herzen wurden durch die reiche Offenbarung göttlicher Gnade und Erbarmung erquickt, wie das Land, wenn der Morgennebel, aufgelöst in Thau, herunterfällt. − Kaum ist der HErr erkannt, so verschwindet Er wieder, sie haben Ihn wieder nicht; aber Sein Verschwinden reißt sie nun nicht mehr aus der Freude, in welche sie Seine Erscheinung versetzt hat: Er ist ja nicht todt, Er lebt, und zwar wie ganz anders als zuvor! Da ist kein Leid, keine Thräne, kein Geschrei, keine Klage mehr, sondern Majestät, göttliches Wesen, eine Herrlichkeit, als des eingeborenen Sohnes vom Vater! Die Jünger reifen schnell zu der wahren Größe der Gläubigen heran, Ihn nicht zu sehen, und dennoch Ihn um sich her und überall zu wißen, sich Seiner all Tritt und Schritt im dunkelsten Thal zu freuen. Der HErr ist so anders, als sie gedacht, − das sehen und selbst völlig anderen Herzens werden, eilt schnell hintereinander her. Zuvor hatten sie sich trauernd von den andern Jüngern abgesondert, jetzt haben sie keine Ruhe, es treibt sie mit eilenden Füßen zurück zur Gemeinschaft. Zurück geht es zur verlaßenen Todes- und Jammerstadt Jerusalem, die nun auch ein ganz anderes Licht bestrahlt. Der Weg flieht unter ihren Füßen, und als sie hineinkommen zu den theuern Brüdern, ihren Mitjüngern, da gibt es ein gegenseitiges, freudenvolles Verkündigen, − und zum ersten Male erschallt der selige Ostergruß, der seitdem ein Eigentum der heiligen Kirche geblieben ist. „Der HErr ist auferstanden! Der HErr ist wahrhaftig auferstanden!“ erschallt es hin und her, und es ist nun nicht bloß alles wieder gut, sondern nun ist alles viel schöner, als zuvor: der HErr hat Recht behalten, alle Seine Worte sind Wahrheit. Zwar ist der Tempel Seines Leibes am Charfreitag gebrochen, aber er ist auch wieder gebaut am dritten Tage, um ewiglich zu bleiben! Die Lebensaufgabe JEsu ist erfüllt, die der Jünger wird nun unzweifelig auch erfüllt: es ist alles Licht und Freude. − Wenn die zusammenkommen, die da eins sind in Christo, dem Auferstandenen, da wirds schön: es gehen die Herzen und Lippen auf, Seelen und Augen verklären sich, und man steht unter den Pforten des Himmels, wo alle Seligen sich in JEsu ewig freuen und ihr Wort und Lied und ihr Zuruf ohne Ende von Ihm singt und sagt.
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 Aus dem Gesagten ist es nun doch wohl offenbar, daß die Jünger glücklich waren, wenn sie ihren HErrn sahen und erkannten, unglücklich aber, wenn ihnen − nicht Sein Angesicht, denn das sahen sie auf dem glücklichen Heimweg und in der seligen Zeit nach Christi Himmelfahrt auch nicht, − aber Seine Erkenntnis entzogen war. Laßt uns das nach Gebühr betonen. Es ist hier nicht die Rede von irgend einer Erkenntnis, die JEsus gibt, denn nicht jede Erkenntnis, welche JEsus gibt, macht froh und glücklich, sondern von der Erkenntnis Seiner allerhöchsten Person und Ihres Gangs von dem Stande der Erniedrigung zur Erhöhung. Alles, was wir an seligmachender Lehre haben und wißen, läuft in der Lehre von der Person des HErrn zusammen, wie die Lichtstrahlen des Tages in der Sonne zusammen laufen. Christus ist der seligmachende Mittelpunkt aller Erkenntnis. Wenn der Mensch sich und sein Leben und Wesen erkennt, ist er nicht bloß nicht glücklich, sondern er kann im Gegentheil sehr unglücklich sein. Wenn er von dem Wesen Gottes und von Seinen Eigenschaften vernimmt, macht ihn auch das nicht glücklich; der himmelweite, unendliche Abstand zwischen der sündigen Creatur und Gott kann nur seinen Jammer und seine Zerschlagenheit vermehren. Und wenn ihm nun gleich von Vergebung der Sünde und Erlösung gepredigt würde, es würde doch nicht fahen, die schreckenvolle Kluft zwischen Gott und dem Sünder nicht ausfüllen, wenn nicht zugleich von einem Erlöser gerade, wie unser HErr ist, von einem Immanuel, welcher durchs Leiden des Todes zur ewigen Macht und Ehre gelangt, gepredigt werden könnte. Nur die Person des HErrn JEsus, der da ist Gott und Mensch, erniedrigt und erhöht, kann uns unser Heil und die Vergebung unsrer Sünden verbürgen. Darum sagt Er Selbst: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich, Vater, und den Du gesandt hast, JEsum Christum, erkennen.“ Und zwar handelt es sich, um das zum Ueberfluß zu versichern, nicht von der Erkenntnis eines abwesenden Christus, denn Er ist ja kein abwesender, auch wenn Er nicht gesehen, sondern nur gepredigt wird. Er ist so wenig abwesend als damals, da Er selbst den emmauntischen Jüngern auf dem Wege predigte, ohne von ihnen erkannt zu werden. Und weil Er nicht abwesend ist, wenn man von Ihm predigt, weil im Gegentheil das eine gewisse Wahrheit ist, daß Ihn hört, wer Seine Diener hört, so kann auch das| Wort von Ihm, dem Anwesenden, nicht bloß ein leeres Wort sein, gemacht und tüchtig, im Geiste der Hörenden mancherlei Gedanken zu erzeugen, wie das durch andere menschliche Reden geschieht. Es ist vielmehr eine lebendige Kraft im Worte, welche eine lebendige Erkenntnis erzeugt und das Herz brennen macht und mit himmlischer Freude erfüllt. Was ist es doch, meine Freunde, was uns die Schriften des heiligen Apostels Johannes so außerordentlich anziehend macht, wodurch sie sich, wenn wir sie hören oder lesen, unsrer Seelen so gewaltig bemeistern? Es ist wahr, es ist in ihnen der Ton einer Einfalt und Liebe, die nicht von dannen, sondern vom Himmel sind; aber woher diese Einfalt, diese Liebe? Es ist nicht die Einfalt des Kindes, sondern die eines Seraphs, und die Liebe ist nicht Liebe von der Art, wie sie die Welt hat und gibt, sondern Liebe, wie sie um den ewigen Thron des gebenedeiten Gottessohnes blüht. Es ist die Einfalt des seligsten Besitzes, welche in der Einfalt der Rede wiederscheint, und die Liebe zu dem Einen, an deßen Brust der liebende Jünger im Abendmahl gelegen, ist es, welche die Sprache der Liebe erzeugte. Einfältige Liebe zu dem Einen JEsus, welcher ist wahrhaftiger Mensch, aber auch wahrhaftiger Gott und das ewige Leben, das ist es, was aus Johannis Munde redet und die Geister zwingt, die Geister der Menschen, welche ja alle nur in die Welt kommen, um zu Johannis geliebtem HErrn zu gelangen und zu der Brust, wo er gelegen ist. Und was ist es, wovon St. Paulus an vielen Stellen seiner Briefe flammt und blitzt? Es ist nichts anders, als die Liebe zum Sohne des Vaters, zum Menschensohne, − die helle Erkenntnis der allerheiligsten Person des HErrn macht ihn so alles Lebens und aller Kräfte voll. Und noch, noch jetzt, meine Freunde: was ists heute noch, worin der lauterste und erhabendste Christencharakter besteht? Ist es nicht die volle Erkenntnis und Anbetung der göttlichmenschlichen Person des HErrn? Der feiernde Wandel vor dem Erkannten und Seinem Angesichte? Nicht die Beugung des Sünders, welche jeder Christ als beständiges Eigentum besitzt, − nicht die Freude der Rechtfertigung, welche zuweilen, seltener, öfter, das Herz der Gläubigen durchgeht, sondern die volle, unbeschränkte Hingabe der Seele an die Person JEsu Christi, das persönliche Nahen und Verbundensein der Seele und ihres ewigen Bräutigams, der Seelen anbetende, immer zunehmende Aufopferung an Ihn, in welcher alle niedrigeren Stufen geistlichen Lebens zusammengefaßt und vereint sind: das ist das herrlichste Christenwesen und Leben. − Zwar schauen wir hier nicht Sein Angesicht und in des Sohnes Angesicht das offene Herz des Vaters; Seiner Hände heiliges Aufheben zum Segnen und Brechen des Brotes, der Ausdruck Seines Auges, die Pracht Seines verklärten Leibes wird von uns nicht geschaut. Das ist uns noch aufgehoben, das wird uns alles werden, wenn wir nun bald zu den Tischen Seiner ewigen Freude gerufen werden. Indes gibt es doch auch für uns eine Erkenntnis des Sohnes Gottes, die hinreicht, brennende Herzen zu schaffen, und eine persönliche Verbindung mit Ihm, die über allen Zweifel erhaben und zur vollsten Gewisheit geworden ist, − die, wenn auch, gleich dem Monde, nicht allzeit eines Maßes von Glanz und Licht, doch schon der Anbruch des ewigen Tages ist und ein Beweis, daß der HErr auferstanden ist, gesiegt hat, auf Erden, wie im Himmel ist, und mit den Seinigen ein verborgenes Leben der Freuden lebt. − Wenn Jünger, die jetzt leben, das erfahren, dann sind sie auch reich genug zum Ostergruß, dann wird ihr Leben hier dem Leben der ersten Jünger gleich, da sie vierzig Tage lang mit einander von der Freude Seiner Auferstehung lebten und ihr ganzes Herz von dem Gedanken erfüllt: „Der Bräutigam ist nicht mehr genommen, Er ist auferstanden, Er ist unser auf ewig.“

 Ein wenig inne halten laßt uns, geliebte Brüder, ehe wir weiter gehen. Nicht eine völlig andere Gedankenreihe wollen wir jetzt beginnen, wir bleiben vor Seinem Angesichte, wir reden auch ferner nur von Ihm. Aber ins Einzelne solls gehen, und von dem allgemeinen Eindruck solls zum Bemerken kommen, und die einzelnen Bemerkungen sollen zu nichts anderem dienen, als Sein heiliges Gedächtnis und das Lied von Seiner Auferstehung in uns desto beständiger und dauernder zu machen. Ich will euch meine einfachen Gedanken sagen und prüfende Christenseelen unter euch mögen entscheiden, ob ich recht, ob falsch rede.

 Was ich zuerst an unserm HErrn JEsus Christus sehe, ist Liebe, lautere, heilige Hirtenliebe. Seine Größe ist so unaussprechlich, und doch naht Er| Sich den Seinen so freundlich und lieblich. Seine Reden, die Er an die Jünger gerichtet hat, sind, wenn man sich lebhaft in deren Lage versetzt, wie sie von dem Herzenskündiger zu erwarten sind, sie dringen durch Mark und Bein, und doch sind sie so ganz zum Heile Seiner Zuhörer gesprochen, daß sie vor allem den Eindruck unaussprechlicher, herablaßender Liebe machen. Auch ist die Art und Weise, wie Er den beiden Wanderern Licht und Trost in die Seele gießt, man möchte sagen, so zart und so voll Rücksicht auf die ganze äußere und innere Lage derselben, daß man sie nicht bloß mit der Sorgfalt eines Hirten, sondern mit der einer frommen und weisen Mutter vergleichen könnte. Wie ein Fremdling und wie von Ferne naht Er den Traurigen, bescheidentlich erkundigt Er sich nach ihrem Leid, mächtig antwortet Er, mit den Worten strömt Er Geist und Leben in die Seelen, Er wird mit ihnen vertraut und auch sie mit Ihm, endlich segnet Er ihnen das Mahl und läßt Sich erkennen. Wie geht die himmlische Weisheit Christi, diese Lehrerin über alle Lehrer, in heiliger Berechnung stufenweise aufwärts und führt ihre Jünger behende zum volleren Lichte des Evangeliums! Wie leutselig spielt sie mit den Menschenkindern und führt also erbarmungsvoll Männer wie die Jugend zum ewigen Leben an! So ist immer und auch jetzt noch die Weise des HErrn. So naht Er dem Menschen zuerst in der heiligen Taufe; Er naht ihm in diesem, Seinem Sakramente persönlich, ehe noch der unmündige Säugling das persönliche Nahen seines Gottes zu faßen vermag. Dann naht Er in heiliger Lehre und legt ihm darin alle die Güte und Treue aus, die Er ihm in seiner Taufe bewiesen. Hat der Schüler im Unterrichte seines HErrn Treue und Gnade erkannt, brennt ihm sein Herz vor Lieb und Andacht, dann bricht Er ihm das Brot des Abendmahles. Und ist die Spanne Zeit vorüber, dann bricht Er dem erlösten Sünder vor den erstaunten, wonnetrunkenen Augen das Brot der Ewigkeit. Achten wir Seines Thuns und überlaßen wir uns Seiner Führung: es ist nie einer zu Schanden worden, der sich zum Hirten und Bischof Seiner Seelen bekehrt hat und dem Lamme nachgefolgt ist, wie es vorangieng.
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 Einen lieblichen Fortschritt und Stufengang finden wir im Benehmen JEsu, und eben ein solcher zeigt sich in dem Inhalt Seiner zu den emmauntischen Jüngern gesprochenen Worte. Erst zeigt Er ihnen die Notwendigkeit Seiner Leiden, dann zeigt Er ihnen die Nothwendigkeit, durch Leiden und Sterben zur Auferstehung hindurchzudringen, dann zeigt Er ihnen − und Seine nachfolgende Offenbarung unter dem Brotbrechen gab der Lehre Seiner Lippen den vollen Nachdruck, − Er zeigte ihnen, wie die Auferstehung selbst schon ein Eintritt ist in die ewige Herrlichkeit. Das alles sagte Er ihnen unter Beziehung auf die Weißagung des alten Testamentes, Er legte ihnen alle Schriften aus, die von Ihm gesagt waren und beweist ihnen also, daß nur ihre Thorheit und ihr träges Herz die Schuld davon getragen, daß sie in ein solches Trauern versunken waren? daß munterer Glaube an Gottes schon früher ausgelegte Verheißungen ihnen über alle Anfechtung der letzten Tage hätte weghelfen können. Wer diesem Gespräche Christi beigewohnt hätte! Es ist eine thörichte Rede und unnütz, sie zu sagen, aber gewis, das Leben dürften wir wohl darum geben, wenn es uns einen solchen Emmausgang erkaufen könnte. „Er legte alle Schriften aus, die von Ihm gesagt waren.“ Das mag geklungen haben! Welch eine Schriftauslegung wird das gewesen sein! Als die Jünger die Reden JEsu von der Notwendigkeit Seiner Leiden hörten, fiel ihnen wohl wieder ein, was sie in den Tagen Seines Fleisches über denselben Gegenstand von Ihm vernommen hatten: alle entschlafenen Erinnerungen erwachten wieder, ihr voriges Leben kam wieder zu Werth und Achtung. Als sie von der Auferstehung hörten und daß sie nothwendig gewesen, wenn Er zur Herrlichkeit eingehen sollte, wie werden sie da an die Botschaft der Frauen gedacht haben, und wie wird ihr Glaube an die Auferstehung in ihnen so schnell herangewachsen sein! Und als sie vernahmen und merkten, daß die Auferstehung bereits der Eingang in die Herrlichkeit war, welch eine Freude wird sie überwallt haben! Also war ihr geliebter HErr und Meister bereits in der Herrlichkeit! Da wird sich in ihnen das Verlangen, Ihn zu sehen, wie Ihn die Weiber am Morgen gesehen, geregt haben, vielleicht durchzuckten sie auch Ahnungen in Betreff Deßen, der da redete. Ewig unvergeßliche Stunden durchlebten die Jünger, Stunden, deren Andenken auch der heilige Geist werth geachtet hat, es der Gemeine im geschriebenen Worte für immer zu bewahren. Die Schrift, der Zusammenhang des Reiches Gottes mußte damals klar vor ihrem Geiste stehen, und in diesem lautern,| lichten Strom der göttlichen Gnadenordnung werden sie sich wohl wie im Himmel befunden haben. Wir haben nur ein stilles sehnendes Nachsehen in jene längst vergangenen Stunden hinein: eine Enthüllung der Herrlichkeit Christi, wie sie damals den Jüngern vergönnt war, wird uns nicht zu Theil. Aber es wird eine Zeit kommen, in der wir Ersatz und Entschädigung für all unsern Mangel, für alle Entbehrung und Stillung unsers sehnlichen Verlangens finden werden: obschon diese Zeit langsam zu nahen scheint, wenn sie erscheinen wird, werden wir erkennen, warum sie verzog; wir werden sprechen: „Dein Verweilen ist ein Eilen.“ Dann werden auch wir Ihn erkennen, wie Er ist, und wir werden sein, wie Er ist, auch unser Leib wird ähnlich sein Seinem verklärten Leibe. − Von diesem verklärten Leibe noch einiges zu reden erlaubet mir. Es wird sich in diesen Bemerkungen unsre eigene herrliche Zukunft spiegeln und unser Herz wird sich desto mehr freuen, ihr von Tage zu Tage näher zu kommen.

 Sehet noch einmal in unsern Text! Der auferstandene Christus naht Sich den Jüngern − und wie? Ich sagte in verhüllter Gestalt; aber wo waren die Hüllen? Um Seinen Leib her nicht. Es ist im Texte keine Spur davon, daß der HErr eine andere Gestalt angenommen oder die Gestalt Seines verklärten Leibes verhüllt hätte. Ums Auge der Jünger waren die Hüllen; ihre Augen wurden gehalten, daß sie Ihn nicht erkannten, sagt der Text. Und als sie Sein gewahr wurden, heißt es: „ihre Augen wurden aufgethan.“ Also war Er unsichtbar, wenn die Augen gehalten wurden, und sichtbar, wenn sie aufgethan wurden. Seinen Jüngern wurden die Augen aufgethan, darum sahen sie endlich nicht bloß einen Pilgrim, sondern den wohlbekannten HErrn; die Ihn aber zuvor nicht erkannt und geglaubt hatten, sahen in Ihm nie den HErrn, sondern einen, der an ihnen vorüber gieng, an sie keinen Auftrag auszurichten und bei ihnen kein Geschäft zu vollziehen hatte. Es liegt an den Augen: etliche sehen, die andern sind blind, nicht jedes Auge ist verläßig, bei Seinen Jüngern aber fehlt jeden Falls nur ein Kleines, so schauen sie Ihn und sind durch Sein Schauen genesen für immer und ewig. Sie wandeln hier, wie die Jünger von Emmaus, da sie von Jerusalem ausgiengen. Es gilt ihnen der Bund: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Sie sind damit zufrieden um so mehr, als sie Seine Rede vernehmen und ihr Herz immer brennender wird von Lieb und Licht zu Ihm. Dann kommt einmal schnell ein Stündlein, das zieht vom Auge die Blindheit, wie einen Vorhang, das Auge erstarrt und wird todt vor dem Angesicht und Urtheil eines menschlichen, noch sterblichen Betrachters, aber in der That ist es im Tode genesen von allem Dunkel und sieht dann allezeit und überall die göttlich menschliche Person des HErrn JEsus, und zwar ohne ferner zu erblinden, wie St. Pauli leibliches Auge erblindete, als er den HErrn bei Damascus sah.

 Als der HErr mit Seinen Jüngern wanderte und Sich vor ihnen offenbarte, war Er berührbar, berührte, hob, segnete auch selbst die Speise, brach sie und gab sie ihnen; Er wars, der am Kreuz gehangen, Er wars in leiblicher Gegenwart und man erkannte Ihn; aber Er verschwand auch wieder von ihnen, und schnell wechselte mit dem Anwesen die Abwesenheit. Also Er war im Raume, aber der Raum hielt Ihn nicht und Sein Leib war nicht mehr von demselben abhängig. Er kam, weißt du von wannen? Er gieng, weißt du wohin? Er war da, weißt du wie? Sein Leib, indem Er erschien, war nicht bloß auf einige Zeit angenommen, es war der Leib der Ewigkeit, ein wahrhaftiger Leib, − und doch so gar nicht mehr den Bedingungen dieses unsers sterblichen Lebens unterthan, sichtbar, unsichtbar, anwesend, abwesend, wie der HErr es wollte. Was für eine wunderbare Sache ist es also um den Leib der Ewigkeit, nicht bloß um Christi ewigen Leib, sondern auch um den unsrigen! Zwar wird die Verbindung, in welcher die Menschheit JEsu mit Seiner Gottheit steht, einen Unterschied zwischen Ihm und uns bewirken, der noch viel augenfälliger sein wird, als der Unterschied, der zwischen dem Leben Christi und unserm Leben im Todesleibe gewesen ist. Da Seine Menschheit durch die ewige Ehe, in welche sie mit der Gottheit getreten ist, aller Herrlichkeit Gottes theilhaft geworden ist, so ist der HErr leiblich und sichtbar überall, wo es Ihm gefällt, also zu sein oder zu erscheinen; ja, es ist Grund vorhanden, gerade zu sagen, der Gottmensch Christus kann überall sein und ist überall. Und in dem Betracht, was sind wir da gegen JEsum? Dennoch aber trägt Er einen Leib, wie der unsrige sein wird, ewig an Sich, gleichwie Er hier einen Todesleib gehabt| hat, welcher dem unsern ähnlich war, − und wir können, wenn wir den richtigen Unterschied machen, von dem Leibe JEsu, wie ihn Seine Jünger sahen, ganz wohl Schlüße auf unsern dereinstigen Leib machen. Auch unser Leib wird ein wahrhaftiger sein und kein Scheinkörper: wir werden in ihm wandeln und handeln sicherlich nicht weniger leiblich als hier. Denn der rechte, von Gott gewollte Leib ist nicht der Leib unsers Falles und Todes, sondern der ewige, und sein Thun wird das rechte leibliche Thun sein. Auch unser Leib wird in dem Raume sein, wie Christi Leib nach der Auferstehung; aber, wenn schon unser Leib nicht so unabhängig vom Raume sein wird, wie der Leib des HErrn, so werden wir doch in einer ganz andern Weise wie bisher des Raumes Meister sein, und unser Kommen, Bleiben, Gehen wird nach der Aehnlichkeit des auferstandenen Leibes JEsu geschehen. Jetzt faßen wir das nicht, und so manches Licht uns aus solchen Betrachtungen kommt, es bleibt uns doch auch noch vieles dunkel; unsre Erkenntnis ist wie eine lichte Wolke, die, obschon sie voll Lichtes ist, dennoch schattet. Dennoch aber wißen wir damit genug, um uns der Auferstehung Christi und unsrer eigenen kommenden Auferstehung zu freuen und alle unsre Sehnsucht, allen unsern Fleiß dahin zu kehren, daß wir die Auferstehung der Gerechten nicht versäumen, sondern viel lieber unser ganzes Leben für ein „Entgegenkommen“ zur Auferstehung erkennen dürfen. Erreichen wir sie, dann werden wir nicht bloß alles im Lichte sehen, was uns hier vom Zustand verklärter Leiber dunkel bleiben muß, sondern wir werden es im Licht erfahren, an uns selbst erfahren, werden sein und leben und wandeln wie unser HErr und mit Ihm. Dann wird es zwar keine Emmausgänge mehr geben, aber seligere Gänge, aus und ein zu den Thoren Seiner hochberühmten Stadt. Wer kann hier seinen Mund aufthun und erzählen? Zwar die Schrift schweigt nicht, ihre Worte vom Leben in der Ewigkeit sind reich und herrlich. Aber wer will die Weißagung auslegen, ehe sie erfüllt ist? Wer das Land der ewigen Zukunft schildern oder rühmen, als wäre es bereits unser? Genug, daß wir dorthin gehen, daß wir den Hafen durch des HErrn Hilfe ohne Schiffbruch erreichen werden, daß unsre Stadt und unsre Wohnung schon bereitet ist − und daß der Tag immer näher kommt, wo es allgemeine Ostern werden und der HErr in Millionen Gliedern Seines Leibes wieder auferstehen wird! Das stehe uns fest, das versiegle uns der Geist des HErrn, wenn wir nun sterben werden, und wenn uns aller Boden unter den Füßen weicht, dann sei uns das gewis, daß wir auferstehen werden, wie unser HErr, und daß wir bis zum Tage der Auferstehung gleich dem Schächer der Seele nach in Seinem Paradiese wohnen werden. Zu solchem Glauben, welcher den Tod überwindet, helfe uns der Fürst des Lebens nach Seiner Gnade! Amen.




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