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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wie war da der dreitägige Nebel mit einem Male niedergeschlagen! Die Sonne, die uns lachet, stand glänzend am Himmel und ihre gequälten Herzen wurden durch die reiche Offenbarung göttlicher Gnade und Erbarmung erquickt, wie das Land, wenn der Morgennebel, aufgelöst in Thau, herunterfällt. − Kaum ist der HErr erkannt, so verschwindet Er wieder, sie haben Ihn wieder nicht; aber Sein Verschwinden reißt sie nun nicht mehr aus der Freude, in welche sie Seine Erscheinung versetzt hat: Er ist ja nicht todt, Er lebt, und zwar wie ganz anders als zuvor! Da ist kein Leid, keine Thräne, kein Geschrei, keine Klage mehr, sondern Majestät, göttliches Wesen, eine Herrlichkeit, als des eingeborenen Sohnes vom Vater! Die Jünger reifen schnell zu der wahren Größe der Gläubigen heran, Ihn nicht zu sehen, und dennoch Ihn um sich her und überall zu wißen, sich Seiner all Tritt und Schritt im dunkelsten Thal zu freuen. Der HErr ist so anders, als sie gedacht, − das sehen und selbst völlig anderen Herzens werden, eilt schnell hintereinander her. Zuvor hatten sie sich trauernd von den andern Jüngern abgesondert, jetzt haben sie keine Ruhe, es treibt sie mit eilenden Füßen zurück zur Gemeinschaft. Zurück geht es zur verlaßenen Todes- und Jammerstadt Jerusalem, die nun auch ein ganz anderes Licht bestrahlt. Der Weg flieht unter ihren Füßen, und als sie hineinkommen zu den theuern Brüdern, ihren Mitjüngern, da gibt es ein gegenseitiges, freudenvolles Verkündigen, − und zum ersten Male erschallt der selige Ostergruß, der seitdem ein Eigentum der heiligen Kirche geblieben ist. „Der HErr ist auferstanden! Der HErr ist wahrhaftig auferstanden!“ erschallt es hin und her, und es ist nun nicht bloß alles wieder gut, sondern nun ist alles viel schöner, als zuvor: der HErr hat Recht behalten, alle Seine Worte sind Wahrheit. Zwar ist der Tempel Seines Leibes am Charfreitag gebrochen, aber er ist auch wieder gebaut am dritten Tage, um ewiglich zu bleiben! Die Lebensaufgabe JEsu ist erfüllt, die der Jünger wird nun unzweifelig auch erfüllt: es ist alles Licht und Freude. − Wenn die zusammenkommen, die da eins sind in Christo, dem Auferstandenen, da wirds schön: es gehen die Herzen und Lippen auf, Seelen und Augen verklären sich, und man steht unter den Pforten des Himmels, wo alle Seligen sich in JEsu ewig freuen und ihr Wort und Lied und ihr Zuruf ohne Ende von Ihm singt und sagt.

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 Aus dem Gesagten ist es nun doch wohl offenbar, daß die Jünger glücklich waren, wenn sie ihren HErrn sahen und erkannten, unglücklich aber, wenn ihnen − nicht Sein Angesicht, denn das sahen sie auf dem glücklichen Heimweg und in der seligen Zeit nach Christi Himmelfahrt auch nicht, − aber Seine Erkenntnis entzogen war. Laßt uns das nach Gebühr betonen. Es ist hier nicht die Rede von irgend einer Erkenntnis, die JEsus gibt, denn nicht jede Erkenntnis, welche JEsus gibt, macht froh und glücklich, sondern von der Erkenntnis Seiner allerhöchsten Person und Ihres Gangs von dem Stande der Erniedrigung zur Erhöhung. Alles, was wir an seligmachender Lehre haben und wißen, läuft in der Lehre von der Person des HErrn zusammen, wie die Lichtstrahlen des Tages in der Sonne zusammen laufen. Christus ist der seligmachende Mittelpunkt aller Erkenntnis. Wenn der Mensch sich und sein Leben und Wesen erkennt, ist er nicht bloß nicht glücklich, sondern er kann im Gegentheil sehr unglücklich sein. Wenn er von dem Wesen Gottes und von Seinen Eigenschaften vernimmt, macht ihn auch das nicht glücklich; der himmelweite, unendliche Abstand zwischen der sündigen Creatur und Gott kann nur seinen Jammer und seine Zerschlagenheit vermehren. Und wenn ihm nun gleich von Vergebung der Sünde und Erlösung gepredigt würde, es würde doch nicht fahen, die schreckenvolle Kluft zwischen Gott und dem Sünder nicht ausfüllen, wenn nicht zugleich von einem Erlöser gerade, wie unser HErr ist, von einem Immanuel, welcher durchs Leiden des Todes zur ewigen Macht und Ehre gelangt, gepredigt werden könnte. Nur die Person des HErrn JEsus, der da ist Gott und Mensch, erniedrigt und erhöht, kann uns unser Heil und die Vergebung unsrer Sünden verbürgen. Darum sagt Er Selbst: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich, Vater, und den Du gesandt hast, JEsum Christum, erkennen.“ Und zwar handelt es sich, um das zum Ueberfluß zu versichern, nicht von der Erkenntnis eines abwesenden Christus, denn Er ist ja kein abwesender, auch wenn Er nicht gesehen, sondern nur gepredigt wird. Er ist so wenig abwesend als damals, da Er selbst den emmauntischen Jüngern auf dem Wege predigte, ohne von ihnen erkannt zu werden. Und weil Er nicht abwesend ist, wenn man von Ihm predigt, weil im Gegentheil das eine gewisse Wahrheit ist, daß Ihn hört, wer Seine Diener hört, so kann auch das

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/196&oldid=- (Version vom 28.8.2016)