Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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da Er Seine Jünger abordnete, bließ Er sie an und spricht zu ihnen: „Nehmet hin den heiligen Geist!“ Der HErr gab Seinen Jüngern den heiligen Geist mit dem Hauche Seines Mundes, − und wozu? Wozu anders, als zur Verbreitung Seiner Friedensbotschaft? Denn die Worte „Nehmet hin den heiligen Geist“ sind ganz unzertrennlich von denen, die an ihnen hangen: „Welchen ihr die Sünden erlaßet, denen sind sie erlaßen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Sündenerlaßen aber heißt Frieden geben, gleich wie Sündenbehalten nichts anders ist als den Unfrieden der eigenen Seele behalten und besiegeln. Zur Ausführung heiliger, göttlicher Geschäfte, des Sündenvergebens und Sündenbehaltens, des Friedenbringens und Verweigerns wird den Aposteln der Geist gegeben und ihr Wort ist drum in diesen Geschäften ein Wort des heiligen Geistes voll Kraft und Wahrheit. Sein Wort des Friedens sollte nicht bloß an die Welt gelangen, wie ein hörbares Bild einer abwesenden Sache, sondern als ein Wort erfüllt mit dem, davon es spricht, als eine Gotteskraft, welche die Welt überwindet und selig macht. Der HErr sah wohl voraus, daß Tausende und Millionen bei der Botschaft des Friedens sich unwürdig achten würden, sie anzunehmen, darum setzte Er Sein heiliges Amt der Seelsorge ein, durch welches Sein Friede in bestimmter Weise allen Einzelnen zugesichert und göttliche Kraft jeder sündenmüden Seele insonderheit gereicht werden sollte. Dem anfangenden Glauben nach, der Predigt nach folgt die Gewalt der Schlüßel, selig zu vergeben. Nicht bloß für die Berufung, für die Erweckung, für die Aufregung und Beunruhigung der sichern Welt sorgte der HErr, sondern auch für die Beruhigung und Beseligung der Erweckten: das Wort des Friedens sollte in die erweckten und erschreckten Seelen in Kraft des Geistes Gottes kommen. − Der HErr sah aber auch voraus, daß viele Tausende, im Allgemeinen gelockt und angezogen von der Herrlichkeit und Schönheit des Evangeliums, kommen und Christo in einem gewissen Maße die Ehre geben, aber auch sich und andere durch fortgesetzte Sünde verführen und durch Wort und Beispiel den Weg des Lebens breit darzustellen suchen würden. Deshalb verlieh Er Seinen Jüngern nicht bloß die Macht, Sünde zu vergeben, sondern auch die Macht, und damit auch die Pflicht, unbußfertigen Sündern die Sünde zu behalten. Hätte Er bloß die Macht verliehen, Sünde zu vergeben, so hätte diese Macht keine göttliche Grenze gehabt, die Diener würden in Noth und Jammer des Gewißens gekommen, ja es würde ihnen unmöglich geworden sein, ihres Amtes zu walten. Wo Vergebung der Sünde ist, muß auch Behaltung der Sünde sein; jene wird nicht geschätzt, wo diese nicht geübt wird; jene gibt keinen wahren Frieden, wenn sie wie ein Strom ohne Unterschied sich über alle, auch über die ergießt, die keines himmlischen Friedens bedürfen und begehren. Wollte der HErr Seinen Frieden an etliche bringen, so mußte Er ihn den Unbußfertigen und verhärteten Sündern verweigern. Darum ists nicht bloß für diese Gerechtigkeit, sondern auch für jene volle Barmherzigkeit, daß Er Seiner Gnade Grenze und Maß sammt der Gnade, die ausgetheilt werden soll, dem heiligen Amte vertraut; ja, es ist die Verweigerung des Friedens auch für diejenigen, welche ihn nicht faßen, sondern nur misbrauchen können, eine Wohlthat. − Mit einer ungeahnten Fülle von herrlichen Gaben, lieblich und schrecklich zugleich, sendet also der HErr Sein heiliges Amt unter die Völker. Die heiligen Boten, versehen mit der doppelten Gabe der Vergebung und Sündenbehaltung, der Absolution und Retention, sollen auf allen Wegen erfunden werden, und Friede den Friedenbegierigen allein, sonst aber keinen, trieft von ihren Worten und segnenden Händen. Zu ihnen nahen sich alle des himmlischen Grußes Würdigen und nehmen aus ihren Worten und Händen die heilige Ostergabe JEsu, den Frieden. Die sich nicht in Seine heilige Ordnung fügen mögen und den Frieden verachten, den die Boten bringen, sind ohne Frieden, denn auch der Friede kommt in der Ordnung Gottes. Der HErr kann außer dieser Ordnung denen Friede geben, welche keinen Diener des Friedens erreichen können; aber Er hat alle Christen, was Seinen Osterfrieden betrifft, an Sein heiliges Apostolat und an die Aeltesten gewiesen, durch welche sich der Baum des Apostolats mit Tausenden von Aesten über alle Welt verbreitet. „Der Friede des HErrn sei mit euch allen!“ so grüßen die Aeltesten die Gemeinden von den Altären des Auferstandenen; so grüßen sie, wenn ihre Hände absolvirend auf den Häuptern der Sünder ruhen, die in Christo JEsu Rettung suchen. Und wohl denen, welche den Gruß
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/205&oldid=- (Version vom 4.9.2016)