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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auferstand, oder ob ein anderer starb, ein anderer aus dem Grabe kam, und wir nehmen deshalb die Beweise unsers Textes desto fröhlicher an. Diese Beweise liegen aber darin, daß der HErr gleich bei der ersten Erscheinung Seine Hände und Seine Seite, nach einem andern Evangelium auch Seine Füße zeigte. An den Händen und Füßen, und an der Seite an und für sich selbst hätten die Jünger schwerlich zu erkennen vermocht, daß ihnen der Leib erschien, welcher am Kreuz erblaßt war; aber diese Hände, diese Füße trugen, obschon sie nun verklärt waren, doch noch die Nägelmaale, diese Seite war noch, wie am Kreuze, eine geöffnete, − und die Nägelmaale, die Seitenwunde mußten allerdings die Jünger kräftig überweisen, daß ihnen JEsus, der Gekreuzigte, Er Selbst und kein anderer in einem neuen Leibe erschien. − Thomas, einer von den Zwölfen, war nicht zugegen, als der HErr Seinen Jüngern zum ersten Male erschien. Sein zu Zweifeln und dunkeln Ahnungen geneigtes Herz verrieth sich alsbald, als er in den Kreiß seiner Mitapostel trat und ihm diese freudenreiche Botschaft der Auferstehung hinterbrachten. Er nahm die Möglichkeit an, die andern Apostel hätten sich durch den Augenschein täuschen laßen, und erklärte darum, erst dann an des HErrn Auferstehung glauben zu wollen, wenn er seine Hand in die geöffnete Seite, seine Finger in die Nägelmaale gelegt hätte. Den Augenbeweis wollte er durch einen Beweis aus dem Gefühl seiner Hände vervollständigt wißen, ehe er sich der Freude der Auferstehung hingäbe. Zu schwer war seine Traurigkeit von ihm empfunden worden, als daß er sich gerne hätte täuschen mögen, um etwa nur desto schmerzlicher enttäuscht zu werden. Da kam denn acht Tage nach der ersten Erscheinung der HErr noch einmal und fügte zum Augenzeugnis das Zeugnis der fühlenden Hände. „Reiche deine Finger her, spricht Er, und siehe Meine Hände; und reiche deine Hand her und lege sie in Meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ So wurden die heiligen Apostel zubereitet zu sicheren, gewißen Zeugen der Auferstehung Christi und mit Beweisen für dieß ihr großes Thema ausgerüstet, welche auch die ungläubigsten Gemüther zufrieden stellen können. Sie wurden durch alle Stufen des Zweifelns und Glaubens zur vollen Zuversicht geführt, auf daß sie andern nicht allein predigen könnten von des HErrn Auferstehung, sondern auch zur gleichen Gewisheit helfen. Sie wurden ermächtigt, aus tiefster Erfahrung zu sprechen: „Das da von Anfang war, das wir gehöret haben, das wir gesehen haben mit unsern Augen, das wir beschauet haben und unsere Hände betastet haben, vom Worte des Lebens, was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch.“ Sie sprachen es dann auch in Beweisung des Geistes und der Kraft und machten ihren Hörern den Bund der letzten Stunde dieser Welt leicht, der in den Worten des HErrn an Thomas ausgesprochen ist: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“

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 Der HErr im Leibe, im verklärten Leibe, Er, kein anderer, erschien den Jüngern, das ist offenbar. Aber auch Seine göttliche Herrlichkeit ist offenbar. Da Ers ist und kein anderer, der auferstand, so ist es gewis, daß Ihn der Tod nicht halten konnte, daß Er Recht behielt in den Worten, welche Er lange vor Seinem Tode gesprochen: „Brechet diesen Tempel und in dreien Tagen will Ich ihn wieder bauen.“ Seine vollkommene Glaubwürdigkeit war durch Seine Auferstehung ans Licht gebracht. So gewis Er todt war und auferstand, so gewis waren nun alle Seine Reden wahr, also auch wahr, was Er unter so vielen − und wie St. Johannes in unserm Evangelium sagt, unter unzähligen Zeichen und Wundern behauptet, was Er vor dem Hohenpriester Caiphas und dem gesammten hohen Rathe beschworen hatte, daß Er nemlich Gottes Sohn war und Gott selbst, Immanuel, Gott und Mensch in Einer Person. Nun waren also die Jünger nicht mehr, wie jene zwei auf dem Wege nach Emmaus heruntergedrückt, Ihn bloß als einen Propheten, groß von Thaten und Worten zu rühmen; aus Seinem Tode und deßen wunderbarem Zusammenhang mit der Auferstehung keimte ihnen nicht bloß die Hoffnung einer künftigen, sondern auch die Gewisheit der bereits gelungenen Erlösung Israels und der ganzen Welt. Nun verstanden sie erst das Wort vom Kreuze: „Es ist vollbracht“, da sie sahen, daß Er nicht bloß dem Tode sich entrungen hatte, sondern in einer Glorie und Majestät wiedergekommen war, die ein lautes Zeugnis davon ablegte, daß Er mit Preis und Ehre gekrönt war, nachdem Er eine kleine Zeit in Schmach und Niedrigkeit gewandelt hatte. Und was die Auferstehung und Ueberwindung des Todes an sich erwies, Seine ewige Kraft und Gottheit, das bewies

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/202&oldid=- (Version vom 28.8.2016)