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Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
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Gründonnerstag »
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Am Palmensonntage.

Phil. 2, 5–11.
5. Ein jeglicher sei gesinnet, wie JEsus Christus auch war, 6. Welcher, ob Er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt Er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein; 7. Sondern äußerte sich selbst, und nahm Knechts-Gestalt an, und ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Geberden als ein Mensch erfunden. 8. Er erniedrigte sich selbst, und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9. Darum hat Ihn auch Gott erhöhet, und hat Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist: 10. Daß in dem Namen JEsu sich beugen sollen alle derer Kniee, die im Himmel und auf Erden, und unter der Erde sind; 11. Und alle Zungen bekennen sollen, daß JEsus Christus der HErr sei zur Ehre Gottes des Vaters.

 HEute, meine lieben Brüder, acht Tage vor Ostern, sechs vor dem großen Freitag, reitet der HErr, wie das Evangelium erzählt, von dem Oelberg abwärts, ins Thal Kidron, und jenseits des Thales| wieder aufwärts, von einer Höhe durch ein tiefes Thal wieder in die Höhe, vom Oelberg herunter, hinüber wo die Berge Zion liegen und nordwestlich von Jerusalem der kleine Hügel Golgatha, der berühmter geworden ist, als die höchsten Bergesspitzen der ganzen Welt. Warum sage ich das, meine Lieben? Wie kommt mir’s, dies heutige Evangelium so geographisch anzusehen? Darauf könnte ich antworten: Weil die geographische Betrachtung der Geschichte so schön entspricht. Von einer Höhe der Anerkennung, des Hosianna’s, des Psalmengesangs, zum mörderischen Geschrei der Juden am Charfreitagsmorgen, führt den HErrn Sein Lebensweg hinab, hinab zum Kreuz, hinab zum Tode und Grabe. Von da an aber geht es wieder wie aus tiefen Thalen aufwärts, zum Auferstehungsmorgen, zum Preis der Engel, zum Hallelujah der Himmel über die vollbrachte und gelungene Erlösung, über die Niederlage unseres Erb- und Erzfeindes, des Todes. Da geht es doch offenbar von einer Höhe zu der andern, obschon durch grausige tiefe Thale. Da stehen wir also heute auf des Oelbergs Höhe, von dem es abwärts geht zu Leidenstiefen, und unsere Seele freut sich, da drüben hinter acht Tagen das Ende aller Noth unseres HErrn, die Glorie der Auferstehung zu sehen. Der gehen wir durch die Betrachtung der Erlösungsleiden entgegen. Doch, meine lieben Brüder, ist damit die Deutung meiner geographischen Evangelienbetrachtung noch nicht am Ende, die heutige Epistel leitet uns noch zu einer andern an. So wie der letzte Adventsonntag, der Sonntag vor Weihnachten eine überaus liebliche, dem kommenden Feste entsprechende Epistel hat, jene gepriesene vom Frieden, der höher ist, als alle Vernunft; so geht auch der heutige epistolische Text dem Ostertage sehr entsprechend voran, majestätisch und groß wie nur irgend eine Epistel sein kann, bei lichter, klarer, tiefer Einfalt. Ihr erinnert euch, daß wir am vorigen Donnerstage das Fest der Empfängnis Christi, wenn auch nicht nach Würden, doch so gefeiert haben, wie es uns unter den gegenwärtigen Umständen möglich war. Bei diesem Gedanken der Menschwerdung und Empfängnis, der höher ist, als der Oelberg, steht der Anfang unserer Epistel, so weit sie nemlich von unserm HErrn redet, stille. Ha, was für eine Höhe, Himmelshöhe ist es, auf der wir durch Betrachtung des apostolischen Wortes, wie es im 6. Vers zu lesen ist, stehen! Von dieser Höhe führt uns aber der Text hinab bis zur tiefsten Erniedrigung unsers HErrn. Also welch eine Tiefe, was für ein jähes, grausiges Thal hinab! Himmelshöhe, Todestiefe! Aber sie führt auch wieder hinauf, diese große Epistel; sie zeigt uns die Erhöhung JEsu und die Anbetung, welche Ihm von allen Creaturen im Himmel, auf Erden und unter der Erden zu Theil werden muß. Was für eine Höhe, zu der kein menschlicher Fuß, ja kaum der menschliche Gedanke emporklimmt! Himmelshöhe, Erniedrigung bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze; Erhöhung bis zum Throne Gottes, bis zum Stuhle, an deßen Boden alles feiernd und andächtig auf dem Angesicht liegt und ruft JEsus, JEsus! Von diesem Textesinhalt kann man doch wirklich die Geschichte des heutigen Evangeliums und der nächsten acht Tage als Vorbild nehmen, da findet die geographische Betrachtung, wie ich sie oben nannte, eine gewaltige, große Anwendung. So stimmen uns die beiden heutigen Texte vortrefflich zusammen, und wir können nun desto lieber zur Betrachtung unserer Epistel selber gehen, die doch recht passionsmäßig und zugleich recht sonntäglich und österlich ist.

 Unser Text, meine lieben Brüder, hat einen Eingang im fünften Verse. Dann erzählt er vom sechsten bis zum achten Verse die Geschichte der Erniedrigung des HErrn, und lehrt uns dieselbe recht betrachten. Endlich kommt vom neunten bis zum eilften Verse die feiernde Erzählung und Betrachtung der Erhöhung unsers HErrn. Einfältige Anordnung so großer, herrlicher Gedanken! Erlaubt mir nun, meine Freunde, den Eingang des Apostels zum Schluß meiner Predigt zu nehmen, und euch zuvor die beiden Haupttheile des Textes vorzutragen, das ist, euch die Belehrung über Erniedrigung und Erhöhung zu geben, welche der Apostel seinen Philippern gibt. Der HErr aber und Sein guter Geist erleuchte und regiere meinen Geist, daß ich nichts anderes sage als mein Text, und mein Vortrag heut und allezeit sei eine menschliche Parallellinie, die treu und ehrerbietig neben der göttlichen Parallellinie des apostolischen Wortes herläuft.

 Wenn in der Kirche die Lehre von der Erniedrigung des HErrn abgehandelt wird, so ist es selbstverständlich, daß ein Zustand der Hoheit vorausgesetzt wird, da man zwar niedrig sein kann, ohne jemals hoch| gewesen zu sein, eine Erniedrigung aber ohne vorausgehenden Zustand der Hoheit nicht zu denken ist. Nun könnte man bei unsrem HErrn den Zustand der Hoheit auf eine doppelte Weise verstehen, ihn entweder vor die Menschwerdung setzen, oder ihn mit der Menschwerdung zusammen treffen laßen. Nimmt man an, daß das erstere der Fall sei, so kann man, ja muß man auf den Gedanken kommen, daß in der Menschwerdung selbst eine Erniedrigung Gottes liege; dann wäre aber Gott ewiglich erniedrigt, weil ja in Christo JEsu die Menschheit für ewige Zeiten mit der Gottheit vereinigt ist. Im anderen Falle, wo man die Hoheit, die man sich zu denken hat, der Zeit nach mit der Menschwerdung selbst zusammen treffen läßt, entsteht die Frage, zu welcher Zeit man sich den Anfang der Erniedrigung eintretend denken müße. Läßt man diese mit der mühseligen Geburt des HErrn beginnen, so würde man die Zeit, da die zweite Person der Gottheit mit der noch ungeborenen Frucht des Mutterleibes Marien vereinigt war, als die Zeit der Hoheit denken müßen, während man doch auch aus dieser ganzen Zeit keine Spur aufzeigen kann, aus welcher die Glorie und Majestät des Hochgelobten erkannt werden könnte. Man müßte daher den Zustand der Hoheit dermaßen mit dem Beginne der Erniedrigung zusammen fallen laßen, daß der HErr in dem Augenblick, in welchem Er die Menschheit an sich nahm, auch die Erniedrigung begonnen hätte, und es würde aus dem Zustande der göttlichen Hoheit nur ein Augenblick und sofort nur Macht und Recht des Menschgewordenen werden, in göttlicher Gestalt zu erscheinen. Alles, was in dem sechsten Verse steht, die göttliche Gestalt, die Gottesgleichheit würde in den ersten Augenblick der Empfängnis Christi zu versetzen und anzunehmen sein, daß in dem Augenblick, da sich die ewige Gottheit der zweiten Person mit der Menschheit vereinigte, auch die Entäußerung und die Erniedrigung begonnen habe. Es läßt sich nicht leugnen, daß beide Annahmen ihre Schwierigkeiten haben. Aber auch das ist nicht zu verkennen, daß die zweite Annahme am Ende doch eher dem Texte zu entsprechen scheint, der vor uns aufgeschlagen liegt, als die erste. Der, von welchem gesagt wird, er habe sich erniedrigt, trägt doch bereits nicht blos den Namen der Würde, den Namen Christus, sondern schon den Namen JEsus, also den Menschennamen, so daß die Person, die sich erniedrigen soll, keine andere ist, als JEsus, der menschgewordene Gottessohn. Wenn man auch sagen wollte, daß es auch andere Stellen gebe, in denen göttliches von der menschlichen Natur ausgesagt werde, so wie menschliches von der göttlichen; so wird man für solche Stellen doch immer die Menschwerdung und die Vereinigung für beide Naturen voraussetzen müßen. Und ob man auch dies bestreiten und behaupten wollte, es würden hie und da einmal von der menschlichen Natur Christi Dinge ausgesagt, die vor der Menschwerdung geschehen seien; so würde doch immer der Ausdruck: „Er achtete die Gottgleichheit nicht für einen Raub“ dagegen stehen. Von der zweiten Person Gottes sagt man nicht, sie ist Gott gleich; sie ist ja Gott selbst, so kann keine Vergleichung stattfinden. Wohl aber kann man von dem Menschgewordenen in Seiner Hoheit und Herrlichkeit sagen: Er ist Gott gleich. Möge uns daher in dieser großen und wunderbaren Sache das Licht umgeben wie Dunkel, und wir vor großer Klarheit uns nicht alles und jedes zurecht legen können, so werden wir vielleicht doch den sicheren Weg betreten, wenn wir sagen: Der, welcher erniedrigt und erhöht wird, ist nicht Gott, sondern der Gottmensch. –
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 Wenn wir übrigens sagen, unser Text handle zum Theil von der Erniedrigung Christi, so ist das Wort „Erniedrigung“ selbst in einer allgemeineren Weise gebraucht, als eben im Texte; denn der Apostel führt unsre Gedanken in seinen Worten gewissermaßen einen Stufengang. Auf der letzten Stufe, im achten Verse finden wir die Rede von der Erniedrigung, während in den beiden vorausgehenden Versen noch keine Rede davon ist. Im sechsten Verse wird uns Jesus Christus gezeigt, wie Er sich in göttlicher Gestalt befindet; zugleich aber auch, wie in der Tiefe Seines Geistes eine Demuth regiert, die wir nicht haben können, weil wir nicht Gottmenschen, nicht Christus sind; die wir aber doch anbetend merken und verehren können. Aus dieser Demuth Seines einzigen Wesens ohne Gleichen, denn es ist ja sonst niemand, der Gott und Mensch wäre in Einer Person, geht alles, was der siebente und achte Vers erzählt, wie das Waßer aus dem Quell hervor, und wir können uns daher desto mehr freuen, des HErrn großes Thun aus Seinem Herzen entspringen zu sehen. Der HErr war in göttlicher Gestalt, die göttliche Gestalt aber war eine Folge der Vereinigung Seiner Menschheit mit der Gottheit. Da Gott die Menschheit an Sich genommen hat, und eine Vereinigung| mit ihr gestiftet, die innig und ewig ist, so kann es ja nicht anders sein, es muß die Menschheit, die der Gottheit im Schooße sitzt, von den Kräften dieser überströmt werden, durchleuchtet und umleuchtet, wenn nicht eine besondere Absicht Gottes eintritt, diese Folge der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit aufzuheben oder zu verhindern. Die göttliche Gestalt folgt aus der göttlichen Vereinigung. Diese göttliche Gestalt ist in unsrem Textesverse noch durch einen andern Ausdruck erläutert, nemlich durch den Ausdruck: „Gott gleich sein“. Aus diesen Worten zeigt sich, daß die göttliche Gestalt der großen Majestät entsprechen müße, welche sich in der Gottgleichheit ausdrückt. Was für eine Gestalt und Erscheinung ziemt wohl dem Immanuel, der Gotte gleich ist! Wenn wir uns alles denken, was wir in der Geschichte von der Verklärung Christi, oder in der Offenbarung St. Johannis von der göttlichen Gestalt lesen, und alle Züge Seiner Majestät versuchen würden zusammen zu stellen, so würden wir doch nicht zu dem gelangen, was in unserm Texte „göttliche Gestalt und Gottgleichheit“ heißt. Unser Blick, unsre Einsicht, unsre Kraft bleibt weit hinter der Aufgabe zurück, die wir uns stellen würden; dennoch aber bleibt das eine gewiße Sache, daß unter Gottesgestalt und Gottesgleichheit etwas unaussprechlich Hohes und Großes zu verstehen ist. Wir können es kaum ahnen, der HErr aber Selbst erforschte, erkannte und kannte Seine Herrlichkeit. Dennoch aber hielt er sie nicht für einen Raub. Dieser Ausdruck ist es, meine lieben Brüder, welchen ich meinte, als ich euch oben sagte, der sechste Vers unsres Textes laße uns die einzige Demuth JEsu Christi erkennen. Was soll nemlich das heißen: „Er achtete es nicht für einen Raub Gott gleich sein,“ oder: „Er achtete die Gottgleichheit für keinen Raub“? Der siebente Vers erläutert hier den sechsten, indem er das Gegentheil von dem angibt, was der Apostel im sechsten Verse mit dem Ausdruck bezeichnet: „für einen Raub achten“. Der siebente Vers sagt: „sondern er entäußerte sich selbst“. Hätte also der HErr Seine Gottgleichheit für einen Raub geachtet, so würde Er sich derselben nicht entäußert haben, die göttliche Gestalt würde nicht weggenommen worden sein, sie wäre vielmehr dageblieben, und der HErr hätte Sich gleich von Anfang an den Menschen in Seiner Glorie gezeigt. Wenn ein römischer Feldherr einen ausgezeichneten Sieg errungen hatte, so wurde ihm die Erlaubnis gegeben, triumphirend in die Hauptstadt der Welt einzuziehen, und bei dieser Gelegenheit trug man alsdann die Beute oder den Raub, der dem Feinde abgenommen war, vor dem Sieger her und hinein in die fröhliche bewundernde Stadt Rom. So hätte ja der HErr Christus, wenn Er die göttliche Gestalt und Gottgleichheit für einen Raub geachtet hätte, für eine Beute, die Seine Menschheit gewonnen hätte, auch in diese Welt herein prangen können in aller Seiner Herrlichkeit; aber das geschieht nicht, denn die göttliche Gestalt und Gottgleichheit ist kein Raub, sondern ein seliger und unaussprechlicher Besitz der mit der Gottheit in ewiger Herrlichkeit, aber auch in ewiger Demuth verbundenen Menschheit. Die fleckenlos reine Menschheit JEsu ist durch die Verbindung mit der Gottheit in ein Loos und eine Herrlichkeit eingetreten, welche sie selbst von Ewigkeit zu Ewigkeit preisen und besingen, und als ein freies Geschenk der ewigen Gottheit ansehen wird. Es ist hievon nicht viel zu reden; hie ist irren leicht, richtig reden schwer; was ich aber meine, das versteht ihr: Der HErr hat in demüthiger Wahrhaftigkeit und wahrhafter Demuth die Pracht Seiner göttlichen Gestalt und Gottesgleichheit nicht Schau getragen, wie man eine Beute Schau trägt. – Was aber hat Er gethan? Und hier kommen wir nun zu der zweiten Stufe des Stufenganges, von dem wir oben sprachen. Was hat Er gethan? „Er entäußerte Sich Selbst und nahm Knechtsgestalt an, und ward wie ein andrer Mensch erfunden“, oder, wie es noch näher an den Worten des Textes heißt: „Er entleerte Sich selbst, indem er eines Knechtes Gestalt annahm, in der Menschen Aehnlichkeit erschien.“ Wenn uns der Ausdruck „Gottesgestalt, Gottgleichheit“ auf ein Gebiet führt, wo uns der sichere Tritt unmöglich wird, so geschieht uns ein Gleiches mit dem Ausdruck: „Er entleerte sich, er entäußerte sich.“ Weil wir nicht wißen, was alles zur göttlichen Gestalt und Gottesgleichheit gehört, so wißen wir auch nicht, was alles Er ausleerte, und es geht uns hier wie sonst oft in der heiligen Schrift, daß wir mit dem allgemeinen Verständnis eines Wortes uns begnügen müßen, deßen Tiefe und Reichtum sich unserm Verständnis entzieht. Das merken wir aber, daß der HErr die göttliche Gestalt und äußerlich erscheinende Gottesgleichheit ablegt, von Sich thut und dagegen an die Stelle der Gestalt des ewigen HErrn| die Gestalt eines Knechtes und die gewöhnliche Erscheinung andrer Menschen an Sich nimmt. Nicht das ist die Meinung, daß Ihm die göttliche Gestalt und Gottesgleichheit genommen worden wäre, daß Er sie unfreiwillig hätte laßen müßen; mit nichten! Es ist Sein eigener freier Entschluß, die Ihm gebührende Herrlichkeit und Gottesgleichheit abzulegen. Zuweilen in Seinem wundervollen Leben tritt irgend eine That hervor, die auch über das Maß der Macht hinausgeht, welche dem unbefleckten Menschen JEsus Christus gebührt. Da greift Er nach der niedergelegten Gottesherrlichkeit und zeigt Seine Macht über Tod und Leben, und läßt einen Strahl Seiner Majestät auf uns fallen, damit wir sie desto leichter und lieber glauben. Im Allgemeinen aber und für gewöhnlich sehen wir in der Erscheinung des HErrn keine Gottesgestalt, sondern in der That Knechtsgestalt, Art und Weise gewöhnlicher Menschen. Mag man da auch das Wort „Knechtsgestalt“ blos als Gegensatz von „göttlicher Gestalt“ nehmen, und gleichbedeutend mit dem Ausdruck: „Er ward wie ein anderer Mensch“; mag der Mensch und seine Gestalt im Vergleiche mit der Gottesgestalt rein wie ein Sklave und wie Sklavengestalt erscheinen; mag Mensch und Sklave hier ganz gleichbedeutend sein, so kann doch die demüthige Entäußerung des Menschgewordenen kaum irgendwie stärker bezeichnet sein, als durch die Ausdrücke: „Knechtsgestalt, Sklavengestalt, Aehnlichkeit andrer Menschen“. Was uns also der sechste Vers im Herzen JEsu Christi gezeigt hat, das zeigt uns der siebente in Seiner irdischen Erscheinung, so wie sie von Kindesbeinen an in Seinem täglichen Leben hervor trat. Damit aber sind wir im Stufengang der Demuth JEsu Christi erst auf der zweiten Stufe angekommen. Der achte Vers des Textes führt uns zu der dritten. „An Gebärden als ein Mensch erfunden“, fährt der Apostel weiter fort, „erniedrigte Er sich selbst, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.“ Er verhielt Sich in Seinem ganzen Wandel wie ein Mensch, wie ein purer Mensch, der auf Gottesgleichheit und Gottesgestalt keinen Anspruch zu machen hätte. Er, der HErr unendlichen Lebens, hätte daran einen vollkommenen Beweis Seiner wunderbaren Demuth und Lust am Kleinen und Geringen gegeben, auch wenn Er nun nicht weiter gegangen wäre. Sah man doch für gewöhnlich Seine Herrlichkeit gar nicht, die Herrlichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater; war doch die Entleerung und Entäußerung bereits so vollständig, daß nicht bloß das Auge der Menschen, sondern auch der listige Blick der alten Schlange gar nicht im Stande war, heraus zu finden, daß dieser JEsus von Nazareth Gottes Sohn und Gott, der Erbe der ewigen Herrlichkeit war. Aber diese Entäußerung bis zur Knechtsgestalt ist ja weiter nichts, als die Vorstufe zur Erniedrigung. Die Entäußerung ist noch keine Erniedrigung, sondern sie bereitet den HErrn zur Erniedrigung vor. Die Erniedrigung aber besteht im Gehorsam bis zum Tode, bis zum Kreuzestode. Nicht die Menschwerdung, nicht die Entäußerung, aber der Tod ist eine Erniedrigung, und der Tod am Kreuz eine doppelte. Der Tod ist eine Erniedrigung für denjenigen, der nie eine Sünde begangen hat, denn er ist der Sünden Sold; und der Tod am Kreuz ist eine doppelte Erniedrigung, denn er ist der Tod des Verbrechers, des bösen Sklaven, der, wenn auch sündig von Natur, doch nicht nöthig gehabt hätte, sich in Verbrechen hinein zu begeben, die des Kreuzestodes würdig sind. Wenn nun unser HErr, der Reine, der Heilige daran nicht genug hat, daß Er Sich aller Seiner Gottesherrlichkeit entäußert, Knechtsgestalt, aller Menschen Aehnlichkeit und Verhalten an Sich nimmt, sondern auch die Strafen der Sünder und der Verbrecher auf Sich nimmt, und statt aller Lobgesänge der himmlischen Geister auf Seine fleckenlose Reinheit und Heiligkeit das Blut- und Todesurtheil Pilati erwählt; so ist das in Wahrheit eine Erniedrigung, auch wenn sie aus dem Gehorsam gegen den himmlischen Vater und aus der treuesten Meinung hervor geht, den allerhöchsten Willen zu erfüllen. Denn wenn gleich der HErr den Tod und das Kreuz durch Sein Sterben adelt und ehrt, so wird Er doch nicht durch Tod und Kreuz geehrt, sondern eine Schmach wird Ihm angethan, die keinem angethan werden kann, weil kein andrer ist, wer Er ist, und wie Er ist. Da stehen wir nun am Ende des Stufenganges JEsu. Er geht immer weiter abwärts, vom Entschluß des sechsten Verses zur Entäußerung, und von der Entäußerung zur Erniedrigung, zur schmachvollen Erduldung unsrer Pein, zur stellvertretenden Büßung unserer Strafe. Wir haben also den HErrn herab begleitet von der Höhe des Oelbergs bis zum Kidron-Bette im Thal, und damit uns der volle Eindruck werde von dem| Niedergang unsrer Sonne, so erinnern wir uns, daß von dem Entschluß des Erlösers bis zur tiefsten Tiefe der Erniedrigung von Ihm und an Ihm alles geschehen ist für uns, zum Besten der Menschheit und anstatt der Menschheit. Wenn wir den Gang JEsu, namentlich den letzten zum Tod, zum Tode am Kreuze betrachten, die Aufgabe erwägen, die Er in dieser Woche Sich gestellt hat; so werden wir ergriffen und es regt sich der Hosiannagesang in uns, und die ganze Seele schreit: HErr hilf, o HErr, laß wohl gelingen. Wenn wir aber nicht betrachten und unser Geist nicht hingerißen ist von der Größe und Schwierigkeit der Aufgabe, wenn wir uns besinnen, daß alles schon gewonnen ist, daß geholfen ist dem ewigen Helfer, dann brennt, dann braust in uns kein Hosianna, sondern ein österliches Lied, eine Flamme, ein Feuer, welches durch den nun folgenden Theil des Textes genährt, reif und mächtig werden kann, die Schranken zu durchglühen und in feuriger Brunst zum Himmel aufzuschlagen.

 „Darum hat Ihn auch Gott erhöhet“, sagt der Apostel; wenige Worte sind das, aber umfaßend und inhaltsschwer. Ist der HErr erniedrigt bis zum Tode, bis zum Grabe, ja bis zum Paradiese der abgeschiedenen Seelen, in welchem ja auch Seine, vom Leibe losgelöste Seele bei aller unauflöslichen Verbindung mit der Gottheit, doch drei Tage lang war, so wird Er doch nun auch wieder erhöhet; von Stufe zu Stufe geht nun Sein Gang wieder aufwärts, und es folgt eine unendliche Zeit der Glorie und der ewigen Herrlichkeit. Er bricht, nachdem Er am frühen Ostertage Seinen Leib wieder angenommen hat, als der Stärkere dem Starken in Seinen Pallast ein, hält Seine gewaltige Höllenfahrt und überweist die Welt derer, die ewig verloren sind, durch Seine glorreiche Erscheinung von dem unwiderbringlichen Irrtum ihres verlorenen Lebens. Das ist die erste Stufe Seiner Erhöhung. Er erzeigt Sich den Seinen auf Erden im neuerweckten, aber verklärten Todesleibe, und die vierzig Tage nach Seiner Auferstehung mit alle dem himmlischen, wonnevollen Leben, das Er in Gesellschaft der Seinen führte, deuten auf die zweite Stufe Seiner Erhöhung. Am vierzigsten Tage aber nach Seiner Auferstehung fährt Er auf gen Himmel, ja über alle Himmel, bis zum Lichte, wohin niemand außer Ihm kommen kann, und setzt Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe. Das ist die dritte Stufe. Da nimmt Er das Reich ein, das Ihm der Vater gegeben hat, tritt in’s Regiment der Welt und führt die Zügel aller Dinge in Seiner menschlichen durchbohrten Hand. Das alles und eben darin was für eine große, von uns nie erkannte, kaum geahnte Fülle eines ewigen, göttlichen Lebens liegt in den Worten: „Er hat Ihn erhöhet“. Schwindelnde Höhe und Tiefe, wenn wir vom Gehorsam bis zum Kreuzestode aufwärts schauen, bis zur ewigen Herrlichkeit des HErrn; niederwärts vom Throne bis zu den tiefen Todesqualen. Da drückt man gerne das Auge zu, und betet an in tiefer Stille den Vater, der den Sohn erhöhet hat und Seinen Sohn, der also erhöhet worden ist. Wie klein ist dagegen die Bergeshöhe und Thälertiefe bei Jerusalem, ein kleines Merkmal unaussprechlich großer Dinge. –

 Unser Text redet jedoch nicht bloß von Erhöhung, sondern auch von einer Anerkennung des erhöhten Christus, von der man am Palmensonntag bei allen Psalmen und Hosiannarufen doch nichts ahnte. „Er hat Ihm einen Namen gegeben, den Namen über alle Namen, daß in dem Namen JEsu sich beugen sollen alle Kniee, derer die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind, und alle Zunge bekennen soll, daß JEsus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters“. In Folge der Erhöhung also ist dem HErrn JEsus Christus gegeben ein Name über alle Namen, die knieebeugende Verehrung aller Creaturen, so wie das übereinstimmende Bekenntnis aller Zungen, daß Sein ist die Herrschaft, das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit. Fragst du mich, was für ein Name der sei, der über alle Namen ist, so weiß ich dir entweder denselben nicht zu nennen, sondern verweise dich auf jene Stelle der Offenbarung, nach welcher der höchste Name nur Ihm selbst, dem HErrn, bekannt ist; oder ich sage dir einfach, daß Name und Würde gleich ist, und daß daher der Ausdruck: „Gott hat Ihm einen Namen gegeben über alle Namen“, nichts anderes bedeute, als: es sei Ihm eine Würde, eine Majestät, ein Ruhm, eine Ehre beigelegt worden, die sich mit keinem andern Namen verbindet. Was die Seraphim von der allerheiligsten Dreieinigkeit singen: „Alle Land, alle Land sind Seiner Ehren voll“, das liegt in dem Ausdruck: Name über jeden Namen.| Eine Stelle der heiligen Schrift sagt: „HErr wie Dein Name, so ist Dein Ruhm.“ Weiß ich nun nicht, welch höheren Namen der HErr ererbt hat, als den Namen JEsus, kann ich den Laut, den Klang nicht sagen, so weiß ich doch, daß des Namens Ruhm über alle Namen gehen soll. Als der HErr am Stamme des Kreuzes hieng, schrieb der bekannteste und doch verworfenste aller Landpfleger die Ueberschrift: „JEsus Nazarenus, König der Juden“; da sollte gekreuzigt, weggethan, in Vergeßenheit gebracht, qetödtet und erstorben sein, beides, die Würde eines Judenkönigs und der Name „JEsus von Nazareth, der ein König der Juden“ nach Gottes, der Engel, Seinem eigenen und aller Heiligen Urtheil war. Und als der HErr im Grabe lag, und die Juden mit Pilato wegen der nöthigen Wache verhandelten, da schien Er bereits keinen Namen mehr zu haben, sondern die Hohenpriester sagten zu Pilato Matth. 27, 63: „HErr wir haben bedacht, daß dieser Verführer sprach, da er noch lebte: Ich will in drei Tagen auferstehen“. Da ist Er schon halb verschollen, da scheints den Hohenpriestern wie aus tiefer Erinnerung empor zu dämmern, was Er einmal gesagt hat, da wird Er gar nicht mit Namen genannt, sondern man sagt blos „jener Verführer“. Aber wartet nur ein wenig, es wird sich ändern. „Als die Verführer, und doch wahrhaftig“, so sind die Apostel des Lammes erfunden, geschweige das Lamm Selbst. Er steht auf von den Todten und fährt auf über alle Himmel, und Sein Name wird der bekannteste in allen Reichen der Welt, vom Himmel bis zur Hölle. Unter den himmlischen Schaaren ist Lied und Lobgesang, und Summa alles Wißens, alles Singens und Sagens der Name: JEsus, JEsus! Auf Erden im Gnadenreiche ist Dank und Preis, Heil, Hilfe und Erlösung zusammengefaßt in den einen Namen: JEsus, JEsus! Und bei den Verlornen und Verdammten ist Inbegriff und Summa aller Angst und Pein und Schrecken der Name: JEsus, JEsus! Und ist in allen Reichen der Welt, bei dem HErrn Zebaoth und Seinen Heerschaaren kein Name wie der Name: JEsus, JEsus! –
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 Aber nicht bloß der bekannteste unter allen Namen ist der Name „JEsus“; der Vater hat ihn nicht bloß in die Welt ausbreiten laßen, daß man ihn überall kenne, ehre und preise, sondern Er hat eine andere größere Absicht dabei gehabt. Nicht bloß das Lied der Engel, der Trost der Erde und der Schrecken der Hölle soll dieser Name sein, sondern es sollen sich alle Kniee beugen derer die im Himmel, auf Erden und unter der Erden sind, in diesem großen Namen, und es soll die Erinnerung an Den, der ihn trägt, ja die jedesmalige Nennung desselben, Anbetung wecken. Oder meinst du etwa, daß der Name des HErrn eine Kniebeugung erwecken solle, wie man etwa auch vor manchem Fürsten das Knie beugt, zur willigen Ehrerbietung und Ehrenbezeigung? Werden die höllischen Geister willig sein ihre Kniee vor dem HErrn JEsus zu beugen? Und ragt nicht schon eine Kniebeugung der himmlischen Geister, der Engel und Erzengel und Thronen über das Maß der bloßen Ehrerbietung hinaus? Kann denn von etwas anderem die Rede sein, als von Anbetung bei dem Menschen, der selbst Gott ist, und aus den Thaten einer solchen Arbeit und solcher Leiden empor gedrungen ist bis zu dem Lichte, in welchem Gott wohnt? Mich däucht, es ist ein Rest von Unglaube oder eine Anfechtung des Teufels, bei dieser Kniebeugung an etwas anderes zu denken, als an Anbetung, und diese herrliche Stelle, die uns nicht bloß zur Anweisung, sondern auch zum Troste gegeben ist, anders zu verstehen, als von der göttlichen Ehre, welche dem Menschensohne von wegen Seiner ewigen Verbindung mit Gott dem Sohne gebührt. Wenn aber auch von etwas anderem die Rede sein könnte, wenn möglicherweise unsre Textesstelle anders gefaßt werden dürfte; so treten doch andre Stellen auf und helfen der unsrigen zum Sieg, wie z. B. jene berühmte Stelle Offenb. Joh. 5, in der wir sehen, wie die Aeltesten des menschlichen Geschlechtes und die vier Thiere niederfallen vor das Lamm mit Harfen und güldenen Schaalen voll Rauchwerks, welches sind die Gebete der Heiligen, und dem Lamme ein anbetendes Lied darbringen, in welches alle Creaturen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde und im Meere sind, im Chor von Millionen Stimmen einfallen und „Ja“ und „Amen“ singen. Streich aus, wenn du kannst, dies herrliche Kapitel, und versage, wenn du willst, die göttliche Ehre und Kniebeugung dem Lamme, das erwürget ist und auf dem Throne des Vaters sitzt! Wie lange wirds dauern, so mußt du, was du nicht willst, was auch die höllischen Geister| müßen, was aller Seligen und Gläubigen größte Lust und seligster Gottesdienst ist. Es ist des Vaters großer Ernst und unwidersprechlicher Wille, daß Alles die Kniee beugen soll, vor Christo JEsu, auch Hannas und Kaiphas und die Schergen, die in den tiefen Leidenstagen JEsu einstmals spottweise ihre Kniee vor ihm beugten! – Indem ich dies redete, meine lieben Brüder, habe ich unvermerkt schon den Uebergang gemacht von der anbetenden Kniebeugung zu dem Bekenntnis der Herrschaft JEsu, welche Ihm der Vater gegeben hat. Nicht bloß soll jedes Knie sich beugen, sondern auch jede Zunge bekennen, daß HErr ist JEsus Christus, zur Ehre Gottes des Vaters. Es wird also eine Zeit kommen, wo der Befehl des HErrn, des Vaters, in Erfüllung geht und zu Seiner Ehre die Herrschaft Seines Eingebornen, des Menschensohnes, von allen Zungen bekannt wird. So wenig irgend wer sich durch eigenen Willen der Nothwendigkeit des Todes oder der Auferstehung entziehen kann, ebenso wenig kann sich irgend jemand dem Bekenntnis der Herrschaft JEsu entziehen. Zu diesem Bekenntnis kommt es noch bei einem jeden; und wenn auch von Ewigkeit zu Ewigkeit Himmel und Hölle und damit eine ungeheure Verschiedenheit des Urtheils bestehen wird, so wird doch ohne Zweifel in dem Einen am Ende und in Ewigkeit nur Eine Stimme werden und sein, daß man JEsus anbeten müße und Seine ewige Herrschaft anerkennen. Wenn man damit zufrieden sein könnte, daß diese ewige Eintracht hergestellt werden wird, so könnte man sich alle Mühe der Missionen, des Hirten- und Predigtamtes sparen, denn dahin kommt es, ohnehin. Das verlangt die Ehre Gottes des Vaters. Der will in Christo JEsu den Satan und alle seine Rotten überwinden. Er hat Sein Wort darauf gegeben, den Lauf Himmels und der Erde und ihrer Geschichte dazu eingerichtet, Seine Wahrhaftigkeit und Seine Treue, Seine Größe, Gerechtigkeit und Güte wird ohne das nicht erkannt; Seine Ehre kann nicht aufgerichtet werden, wenn die Herrschaft JEsu nicht allgemein erkannt wird; Seine Ehre steht und fällt mit der Ehre Seines eingebornen Sohnes, und darum müßen, müßen, müßen endlich alle Zungen bekennen, daß JEsus Christus der HErr sei, – sie müßen es bekennen willig oder unwillig, zu ihrer Seligkeit oder zur Verdammnis und zu ihrer ewigen Schande. O welche Blicke könnte man von dieser Höhe und Herrlichkeit JEsu in die finstre Nacht Seines Leidenstages thun, auf diese Juden, diese Hohenpriester, diese Pharisäer, diese Schriftgelehrten, die nicht bekennen wollten frei, daß Er ein HErr von allen HErren sei! Was könnte da die Phantasie für Bilder malen, das Bekenntnis des Hannas und des Kaiphas, die Kniebeugung Pilati u. dgl.! Aber laßet nur das alles mit einander sein, keine Phantasie reicht an die Wirklichkeit. Die Erfahrung, wenn sie kommen wird, wird alles überbieten, was man denken kann. Denn wie die Sonne aufgeht in ihrer Herrlichkeit und vor ihrem Lichte nichts verborgen bleibt, so wird auch die Glorie, die Kniebeugung, das Bekenntnis JEsu zu allen Creaturen und bis in die untersten Winkel der Hölle dringen, und Scenen wird es da geben, Vorgänge werden sich ereignen am Ende und in der Ewigkeit, Umstände und Verhältnisse der Kniebeugung und des Bekenntnisses JEsu werden da an’s Licht treten, für deren Bezeichnung kein Mensch auf Erden Licht und Wort besitzt.
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 Laßt mich davon schweigen, und dafür auf ein Wörtchen hinweisen, auf ein kleines, das aber dennoch die Erniedrigung und Erhöhung verbindet, wie etwa die Brücke, die über den Kidron gieng, unten im Thal den Oelberg mit den Bergen Zion verbindet. Dies kleine Wörtchen, das ich meine, steht am Anfang des neunten Verses, und heißt „darum“. Darum hat Ihn auch Gott erhöhet, darum hat Er Ihm den Namen über alle Namen gegeben. Worauf geht dies „darum“? Worin wurzelt die Erhöhung? Warum hat Ihm Gott den großen Namen gegeben? Darum, daß Er Sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, darum, daß Er Sich erniedrigt hat, darum, daß Er für uns gelitten, gestritten, geblutet hat und gestorben ist. Darum soll Er nun in die Länge leben, und des HErrn Vornehmen durch Seine Hand fortgehen, darum ist Er ein König der ewigen Herrlichkeit, darum gibt Ihm der HErr auch den Stuhl Seines Vaters David, darum legt Er Ihm auch Seinen Vater David zu Füßen, und läßt den Vater kniebeugen vor dem Sohn und auch Ihn bekennen, daß HErr sei JEsus Christus, zur Ehre des ewigen Vaters. So ist es. In den tiefen Thalen sind der hohen Berge Gründe und Wurzeln, auf denen die freien Gipfel ruhen, aus denen sie wachsen. Ehre darum den Thalen, Ehre den Todesleiden JEsu, Ehre Seinem unbegreiflichen Sterben,| Ehre der ganzen Geschichte, die wir in dieser Woche feiern, der Geschichte der Geschichten, dem Todesgang des HErrn. –

 Und hier, meine lieben Brüder, kehren wir um, zum Anfang unseres Textes und machen mit ihm den Schluß, wie ich euch angekündigt habe. Seht noch einmal in die unabsehbaren schwarzen Tiefen Seiner Leiden. Hebet noch einmal den schweren, müden Blick auf bis zu dem undurchdringlichen Lichte Seines ewigen Aufenthalts. So hinab und so hinauf gieng JEsus, so hinab, auf daß Er so hinauf gienge! Und nach dieser Wiederholung der Hauptsachen unseres Textes höret und nehmet zu Herzen das Eingangswort des heiligen Apostels: „Ein jeglicher unter euch sei gesinnet, wie JEsus Christus auch war“. Wie war Er gesinnet? Das deutet dir der vierte Vers des Textcapitels, in welchem es heißt: „Ein jeglicher sehe nicht auf das seine, sondern auf das, das des andern ist“. Der HErr sah nicht auf das Seine, nicht auf die göttliche Gestalt, nicht auf die Gottesgleichheit, sondern Er sah auf das, was der andern war und ist: auf unsre Erlösung, auf unsre Seligkeit. Deshalb entäußerte Er Sich, nahm Knechtsgestalt an und erniedrigte Sich bis zum Tod am Kreuze. Und weil Er nun nicht auf das Seine sah, sondern rein auf das Unsere, und Sich um unsertwillen bis zum Kreuzestod erniedrigte, so hat Er mit dem Unsrigen auch das Seine gefunden, und hat Sich und damit auch unsre Natur gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Nach-thun und nach-leiden, meine lieben Brüder, können wir dem HErrn JEsu Christo nicht; einen Erfolg haben wie Er oder nur in kleinem Maße ähnlich dem Seinen, können wir auch nicht. Er erwirbt ein vollgiltiges Verdienst für das Bedürfnis aller Sünder, wir hingegen leben allein aus Seinen Wunden und auch aller Gnadenlohn, den Gott nach Seinem freien Willen uns und unsersgleichen Arbeitern im Weinberg zuertheilen möchte, ist doch nur des Schweißes und Blutes JEsu Christi. Aber gesinnet sein sollen wir wie JEsus Christus; den Eigennutz, die Selbstsucht sollen wir ausziehen, und suchen was des Andern ist; uns verleugnen, klein, schwach, gering werden und sterben können im Dienste der Brüder, und damit ihnen unsre Hände unterbreiten und sie auf unsern Schultern empor steigen laßen zu ihrer Beßerung und ihrem Heile. – Da meine Freunde, habt ihr die rechte Passionsfeier, die Nachfolge JEsu, die Art und Weise, wie wir armen Sünder hinter dem großen Kreuzträger hergehen sollen auf dem Kreuzweg des Lebens, und unser kleines Kreuzlein Seinem großen Kreuze nachtragen. Wahrlich, meine Brüder, nachdem wir erkannt haben, zu welchen Höhen die tiefen Leiden JEsu führten; so kann uns ein Muth, ja eine Sehnsucht erwachsen, dem großen Herzog Aller, die da lieb haben, nachzuwandeln und das Andenken Seiner tiefen Selbstverleugnung gleicherweise durch Verleugnung zu feiern. Weil wir einen Heiland haben, der in dieser Welt für uns gelebt hat und gestorben ist für uns, und ewig lebt und für uns bittet, so können wir nichts beßeres thun, als auch zum Segen Anderer leben, leiden, sterben und hier und dort für sie beten. Als die Leidensgefährten Davids sich zu ihm sammelten, riefen sie ihm zu: „Dein sind wir, o David, und mit dir halten wir’s, du Sohn Isai! Friede, Friede sei mit dir, Friede sei mit deinen Helfern, denn Gott hilft dir“! Laßt uns Leidensgefährten JEsu werden, und Ihm auch also zurufen. Laßt uns zu Ihm sagen: „Ich will mich mit Dir schlagen an’s Kreuz, und dem absagen, was meinem Fleisch gelüst: was Deine Augen haßen, das will ich fliehn und laßen, so viel mir immer möglich ist“[WS 1].

 So laßt uns Seine werden und es mit Ihm halten. Alles was wir von Ihm lesen und hören werden in dieser Woche, reize uns zu Seiner Nachfolge in der Selbstverleugnung und demüthigen Aufopferung für andre. „Wie Er hatte geliebt die Seinen, so liebte Er sie bis an’s Ende“, steht von Ihm geschrieben. Wohlan, das sei auch unser Sinn. In dieser Woche sterbe der Haß, der Neid, der Groll, der Streit, und es triumphiere die Liebe, die Liebe zu den Brüdern, auch zu den Feinden. Wer in dieser Woche bei dem Andenken an JEsu unaussprechliche Freundes- und Feindesliebe noch zaudern kann mit der Buße, mit der Umkehr zu seinen Brüdern, mit der Liebe zu ihnen, der hat nicht verstanden, nicht gelernt, wozu man dem HErrn heute Hosianna gesungen, und was für eine Woche ER heute begonnen hat. Alle unsre Leidenschaften sollen schweigen und sterben, und unser alter Adam sich verbluten unter Buß- und Reuethränen des neuen Menschen am Kreuze JEsu. – Ja, HErr JEsu, das wirke in uns die Kraft Deines| Todes, auf daß wir auch tüchtig und würdig werden, Dir nachzufolgen und Deine Herrlichkeit zu schauen, Dein österliches Angesicht, Deine strahlenden Wundenmaale, und zu hören den Gruß Deiner ewigen Kirchengemeinschaft, wenn Du sprechen wirst zu uns, wie Du gesagt hast zu den Deinen am Ostertage:
Der Friede sei mit euch!
Amen.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. O Welt, sieh’ hier dein Leben etc. Vers 15. Paul Gerhardt.
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Gründonnerstag »
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