Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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Niedergang unsrer Sonne, so erinnern wir uns, daß von dem Entschluß des Erlösers bis zur tiefsten Tiefe der Erniedrigung von Ihm und an Ihm alles geschehen ist für uns, zum Besten der Menschheit und anstatt der Menschheit. Wenn wir den Gang JEsu, namentlich den letzten zum Tod, zum Tode am Kreuze betrachten, die Aufgabe erwägen, die Er in dieser Woche Sich gestellt hat; so werden wir ergriffen und es regt sich der Hosiannagesang in uns, und die ganze Seele schreit: HErr hilf, o HErr, laß wohl gelingen. Wenn wir aber nicht betrachten und unser Geist nicht hingerißen ist von der Größe und Schwierigkeit der Aufgabe, wenn wir uns besinnen, daß alles schon gewonnen ist, daß geholfen ist dem ewigen Helfer, dann brennt, dann braust in uns kein Hosianna, sondern ein österliches Lied, eine Flamme, ein Feuer, welches durch den nun folgenden Theil des Textes genährt, reif und mächtig werden kann, die Schranken zu durchglühen und in feuriger Brunst zum Himmel aufzuschlagen.
„Darum hat Ihn auch Gott erhöhet“, sagt der Apostel; wenige Worte sind das, aber umfaßend und inhaltsschwer. Ist der HErr erniedrigt bis zum Tode, bis zum Grabe, ja bis zum Paradiese der abgeschiedenen Seelen, in welchem ja auch Seine, vom Leibe losgelöste Seele bei aller unauflöslichen Verbindung mit der Gottheit, doch drei Tage lang war, so wird Er doch nun auch wieder erhöhet; von Stufe zu Stufe geht nun Sein Gang wieder aufwärts, und es folgt eine unendliche Zeit der Glorie und der ewigen Herrlichkeit. Er bricht, nachdem Er am frühen Ostertage Seinen Leib wieder angenommen hat, als der Stärkere dem Starken in Seinen Pallast ein, hält Seine gewaltige Höllenfahrt und überweist die Welt derer, die ewig verloren sind, durch Seine glorreiche Erscheinung von dem unwiderbringlichen Irrtum ihres verlorenen Lebens. Das ist die erste Stufe Seiner Erhöhung. Er erzeigt Sich den Seinen auf Erden im neuerweckten, aber verklärten Todesleibe, und die vierzig Tage nach Seiner Auferstehung mit alle dem himmlischen, wonnevollen Leben, das Er in Gesellschaft der Seinen führte, deuten auf die zweite Stufe Seiner Erhöhung. Am vierzigsten Tage aber nach Seiner Auferstehung fährt Er auf gen Himmel, ja über alle Himmel, bis zum Lichte, wohin niemand außer Ihm kommen kann, und setzt Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe. Das ist die dritte Stufe. Da nimmt Er das Reich ein, das Ihm der Vater gegeben hat, tritt in’s Regiment der Welt und führt die Zügel aller Dinge in Seiner menschlichen durchbohrten Hand. Das alles und eben darin was für eine große, von uns nie erkannte, kaum geahnte Fülle eines ewigen, göttlichen Lebens liegt in den Worten: „Er hat Ihn erhöhet“. Schwindelnde Höhe und Tiefe, wenn wir vom Gehorsam bis zum Kreuzestode aufwärts schauen, bis zur ewigen Herrlichkeit des HErrn; niederwärts vom Throne bis zu den tiefen Todesqualen. Da drückt man gerne das Auge zu, und betet an in tiefer Stille den Vater, der den Sohn erhöhet hat und Seinen Sohn, der also erhöhet worden ist. Wie klein ist dagegen die Bergeshöhe und Thälertiefe bei Jerusalem, ein kleines Merkmal unaussprechlich großer Dinge. –
Unser Text redet jedoch nicht bloß von Erhöhung, sondern auch von einer Anerkennung des erhöhten Christus, von der man am Palmensonntag bei allen Psalmen und Hosiannarufen doch nichts ahnte. „Er hat Ihm einen Namen gegeben, den Namen über alle Namen, daß in dem Namen JEsu sich beugen sollen alle Kniee, derer die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind, und alle Zunge bekennen soll, daß JEsus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters“. In Folge der Erhöhung also ist dem HErrn JEsus Christus gegeben ein Name über alle Namen, die knieebeugende Verehrung aller Creaturen, so wie das übereinstimmende Bekenntnis aller Zungen, daß Sein ist die Herrschaft, das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit. Fragst du mich, was für ein Name der sei, der über alle Namen ist, so weiß ich dir entweder denselben nicht zu nennen, sondern verweise dich auf jene Stelle der Offenbarung, nach welcher der höchste Name nur Ihm selbst, dem HErrn, bekannt ist; oder ich sage dir einfach, daß Name und Würde gleich ist, und daß daher der Ausdruck: „Gott hat Ihm einen Namen gegeben über alle Namen“, nichts anderes bedeute, als: es sei Ihm eine Würde, eine Majestät, ein Ruhm, eine Ehre beigelegt worden, die sich mit keinem andern Namen verbindet. Was die Seraphim von der allerheiligsten Dreieinigkeit singen: „Alle Land, alle Land sind Seiner Ehren voll“, das liegt in dem Ausdruck: Name über jeden Namen.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/226&oldid=- (Version vom 1.8.2018)