Ein Vorkämpfer für „Kaiser und Reich“

Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein Vorkämpfer für „Kaiser und Reich“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 245–249
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Vorkämpfer für „Kaiser und Reich“.
Dem hundertjährigen Geburtsfest desselben gewidmet.

„Heute wird die Bastille gestürmt. Kommst Du mit?“ „Freilich!“ – Diese Nachbarnbegrüßung von Fenster zu Fenster über die Leutragasse Jenas hin geschah in Folge — und war zugleich die Erklärung – der ungewöhnlich lebhaften Bewegung, mit welcher ein mit jeder Minute, die dem Glockenschlage der sechsten Abendstunde näher rückte, wachsender Strom von Studenten und [246] „Philistern“ dem Thore eines stattlichen Hauses zusteuerte. – An diesem Abend stand ein Lehrer der Geschichte in seinen Vorträgen über die große französische Revolution vor dem Abschnitt, welcher die Schilderung des Sturms auf die Bastille bringen sollte. Seit Jahren hatte dieselbe eine Anziehungskraft ausgeübt, von welcher nicht blos der Student, sondern auch der gebildete Stadtbürger ergriffen wurde. Wie geräumig auch das Auditorium des Professors war, an einem solchen Abend vermochte es die Menge der Zuströmenden nicht zu fassen; es wird erzählt, daß zur guten Jahreszeit während dieser Stunde sämmtliche Fenster des Saals geöffnet waren, damit die auch den Hof füllende Zuhörerschaft den Worten des als Redner und freisinniger Kämpfer volksbeliebten Mannes lauschen konnte.

Dieser Mann war Heinrich Luden. Die Literatur kennt ihn als „den berühmten Geschichtsschreiber der Deutschen“; Tausende seiner Schüler, die im Verlaufe von nahezu vierzig Jahren seinen Hörsaal gefüllt hatten, verehren in ihm einen unvergeßlichen Lehrer, einen unvergänglichen Leitstern ihrer Bildung und Gesinnung. Auch ich war so glücklich, sein Schüler zu sein und zu denen zu gehören, die er in seiner tagtäglichen Unterhaltungsstunde (von elf bis zwölf Uhr Mittags) gern empfing. Und da ich weiß, daß alle meine Commilitonen von „Luden’s Auditorium“ mit mir nur ein Gefühl der Dankbarkeit gegen ihn belebt, so durfte der zehnte April dieses Jahres nicht vorübergehen, ohne daß wir die hundertjährige Feier des Geburtstages desselben wenigstens in der Erinnerung an ihn gemeinsam begingen.

Wie einfach auch gewöhnlich der Lebensgang eines Gelehrten zu sein pflegt, den jungen Historiker hatte die Zeit dahin gestellt, wo er gründlich selbst empfinden sollte, wie die Geschichte im Sturm gemacht wird. Er war ein sechsundzwanzigjähriger Mann, als er in Göttingen 1806 als Professor der Geschichte nach Jena berufen wurde. Luden’s Lebenslauf bis dahin ist mit drei Worten erzählt: von seinem Geburtsort, dem Pfarrdorf Loxstedt im ehemaligen hannöverischen Herzogthum Bremen, aus hatte er 1796 die Domschule in Bremen, drei Jahre später die Universität Göttingen bezogen, hatte Theologie studirt und schon gepredigt, als er sich für das Geschichtsfach entschied, privatisirte deshalb einige Jahre, war kurze Zeit Hauslehrer bei dem Staatsrath Hufeland in Berlin und begab sich von da wieder nach Göttingen, wo er die Lebensgeschichten von Christian Thomasius und von Hugo Grotius veröffentlichte und wo ihn endlich, auf die Empfehlung Johannes von Müller’s, der Ruf nach Jena traf.

Im Sommer 1806 reiste er mit seinem Gönner Hufeland nach Jena und erlebte hier gleich am ersten Abend das damals von Unzähligen vergeblich ersehnte Glück, dem eben von Karlsbad zurückgekehrten Goethe in einer Abendgesellschaft bei Major von Knebel vorgestellt und von diesem für den nächsten Morgen zu einer Unterredung eingeladen zu werden. Dieselbe dauerte mehrere Stunden und ist von Luden und dessen nachgelassenem Buche „Rückblicke in mein Leben“ wörtlich mitgetheilt, denn sie war nicht nur an sich von hohem Interesse, sondern auch von Bedeutung für das Verhältniß, in welchem der Historiker und Politiker Luden in der Folge zu dem großen Dichter und Minister stand.

Luden hatte, durch Goethe dazu veranlaßt, seine Ansicht über den „Faust“ ausgesprochen und dabei gegen die „hohen Intuitionen“ der Schlegel’schen Erklärung angekämpft, nach welcher der „Faust“ nur „das Bruchstück einer großen, erhabenen ‚göttlichen Tragödie‘ sei, die, in ihrer Vollendung den Geist der ganzen Weltgeschichte darstellend, ein wahres Abbild des Lebens der Menschheit sein werde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassend“, während Luden, nur das Fragment vor Augen, sich an dem erfreute, was des Dichters Wort in seiner wahren Bedeutung ihm sagte.

Obgleich Goethe den jungen Professor zum unumwundenen Aussprechen seiner Ansichten aufgefordert und hinzugefügt hatte: „Vergessen Sie, daß der Dichter des ,Faust‘ mit Ihnen spricht!“ so schien doch Goethe selbst dies nicht vergessen zu haben; denn am Ende der Unterredung zeigte er eine für Luden fühlbare Verstimmung.

Luden miethete vor Allem in Jena eine Wohnung, um in derselben sein bereits in Fässern und Kisten angekommenes Hab und Gut unterzubringen. Dasselbe bestand aus der schönen und werthvollen Ausstattung seiner Frau und seiner Bibliothek. Es war ihm ein wonniges Gefühl, den Sorgen der jungen Hausfrau im Gröbsten vorzuarbeiten, indem er alle Möbeln auspackte und so die freundlichen Räume wohnlich ausstattete. Nur die Betten ließ er in ihren Fässern, und die Wäsche und Kleider und all die Gegenstände, deren Einordnung die Lust der Frau ist, blieben in den Kisten und Koffern. Dagegen prangte seine wohlgewählte Büchersammlung auf den Repositorien; da die Universitätsbibliothek arm an neueren Werken war, so hatte er einen bedeutenden Theil seiner Ersparnisse opfern müssen, um für sein Lehrfach tüchtig gerüstet zu sein; er hatte dies wagen können, weil er in seinem Schreibtisch das fertige Manuskript einer Geschichte von Venedig barg, deren Honorar der Casse wieder aufhelfen mußte. Nur die Einleitung dazu gefiel ihm noch nicht, und er steckte sie zu sich, ehe er den Schlüssel vom Pulte abzog. Nachdem er so Alles zum Einzug vorbereitet hatte, eilte er nach Göttingen zurück, um gegen Mitte October mit Frau und Töchterchen sich in dem neuen Heim niederzulassen und mit dem Wintersemester seine Geschichtsvorträge zu beginnen.

Doch anders lag es im Plane Napoleon’s. Anstatt in das geträumte Paradies des Friedens zu ziehen, zog Luden mit den Seinen dem Kriege entgegen. Einen Begriff davon, wie es damals mit dem Zeitungswesen und der Verbreitung wichtiger Nachrichtens bestellt war, erhält man, wenn man erfährt, daß Luden mit Post von Göttingen bis Lauchstädt, weimarischen Theaterandenkens, gelangen konnte, ohne eine Kunde von der Kriegserklärung Preußens an Frankreich erhalten zu haben. Dort am 13. Oktober angekommen, erlebten sie schon am folgenden Morgen die weltgeschichtliche Ueberraschung, daß der Kanonendonner der Schlachten von Jena und Auerstädt zu ihnen herdröhnte.

Schon am nächsten Tag sahen sie den Krieg in seiner furchtbarsten Gestalt, die Transportzüge Verwundeter, die Schaaren Gefangener und die Truppenmassen der Sieger, die vom brennenden und geplünderten Jena kamen. Luden drang mit Weib und Kind langsam bis Naumburg vor, ließ dort letztere in guter Obhut zurück und kam am 20. spät Abends vor seiner Wohnung an. Heulend trat ihm der Hausbesitzer entgegen. Das Haus, vom Besitzer aus Furcht verlassen, war ausgeplündert und ausgestohlen worden. Zitternden Herzens eilte Luden die Treppe hinauf. Da stand er vor einem entsetzlichen Bilde: Alles, Alles war dahin; die Möbel, der Inhalt der Fässer und Kisten, die zertrümmert umherlagen, alle seine Bücher, und mit dem Schreibpulte auch sein Manuscript – Alles dahin! Er war bettelarm geworden! Schweigend wandte er sich um, und schweigend ging er die Treppe hinab. „Ohne recht zu wissen warum“, lenkte er seine Schritte nach dem Griesbach’schen Hause, und der Zufall hatte ihn gut geführt, denn dieses Haus war, als Quartier des Marschalls Rey, ungeplündert geblieben, und er fand bei den beiden Bewohnern, dem Professor Seidensticker und dem alten Griesbach, Nachtquartier für heute und Ermuthigung für die nächste Zukunft. Mit ihrer Hülfe war seine Wohnung in einigen Tagen wenigstens mit dem allernöthigsten Hausrathe versehen, sodaß er nun Frau und Kind in Naumburg abholen konnte.

„Wie wird sie die Nachricht von dem Verluste ihrer ganzen Ausstattung und all der Dinge, an welchen ein Frauenherz hängt, aufnehmen – wie wird sie den Schmerz verwinden?“ Diese Fragen lagen schwer auf ihm bis zum Wiedersehen seiner Lieben. Dann aber fiel die Last von ihm ab; dann erkannte Luden erst sein höchstes Kleinod: er hatte ein muthiges, hochsinniges Weib, die Noth, die zu Entbehrung und Einfachheit im Leben zwang, kettete die Ehegatten nur um so fester zusammen, und so hinterließ der Krieg ihnen den schwererworbenen Boden eines durch innigste Einigkeit dauernden Glückes.

Luden war vor Allem Patriot. „Von jeher,“ sagt er in der Vorrede zu seinem größten Werke, der „Geschichte des deutschen Volks“, „bin ich der Meinung gewesen, daß Derjenige, den Neigung und Geist zu dem Studium der Geschichte führen, seine Kräfte vor Allem der Geschichte seines Vaterlandes zu widmen habe. Pflicht ist es wohl nicht; aber es scheint mir ein Bedürfniß des menschlichen Herzens; es ist mir so natürlich vorgekommen, daß ich das Gegentheil zu denken nicht vermocht habe. Herodot und Thucydides, Livius und Tacitus haben in gleicher Weise gehandelt; Polybius ist einen andern Weg gegangen, weil er kein Vaterland mehr hatte; und wenn die allgemeinere Bildung [247] der neuern Zeit mehr Weltbürgerlichkeit erzeugt hat, so sind doch die meisten Geschichtsschreiber unter allen Völkern dem alten Gesetze treu geblieben, und die Geschichte fremder Völker ist gewöhnlich nur geschrieben worden mit dem Gedanken an das eigene Vaterland.“

Dieses Bekenntniß kennzeichnet den ganzen Mann. Vaterländischen Geist in der studirenden Jugend zu verbreiten, dabei mit Freisinn und Gerechtigkeit die Ideen des Zeitgeistes zu würdigen, das war ihm ein heiliger Beruf, in welchem er unerschrocken wirkte selbst in der schlimmsten Zeit französischer Tyrannei. Das Vertrauen, mit welchem die leicht begeisterte Jugend sich ihm anschloß, wirkte auch weiter. In jenen Tagen der Unterdrückung (von 1806 bis 1813) hatte das Leben, wie es wohl überall geführt wurde, soweit der französische Druck reichte, einen eigenen Charakter, einen Reiz, welcher Luden noch später mit Wehmuth und Sehnsucht, erfüllte. Die allgemeine Noth führte auch zu allgemeiner Entsagung von Luxus, aber „je geringer und armseliger der sinnliche Genuß war, desto reicher und tiefer war der geistige und sittliche, der sich überall darbot. Alle Menschen waren klüger und besser, als sie früher gewesen, als sie sich später gezeigt haben. Freilich war es nur ein Gedanke, der sie ergriffen hatte: das Vaterland; aber dieser Gedanke schließt alle Ideen ein, die für des Menschen Bestimmung von Bedeutung sind. – – Niemals sind die deutschen Fürsten mehr geliebt worden von ihren Völkern, weil ein Jeder erkannte, daß sie mit ihrem Volke litten. Ich selbst habe einen Bauer helle Thränen vergießen sehen, weil sein Landesherr den Hut in der Hand neben einem Wagen ritt, in welchem Napoleon saß, den Hut auf dem Kopfe.“ So erzählte Luden.

Solche Erinnerungen und solche Bilder allein führen uns in jene Zeit ein, wo sich in Deutschland im Stillen so viel Geist und Muth zum großen Befreiungskampfe rüstete – und der Vordersten einer auf dieser Bahn war Heinrich Luden.

In dieser Zeit (Ostern 1812) vertraute sich ihm ein von der französischen Allgewalt Verfolgter als ein Herr von Gerlach an, wie er sich als Studirender hatte einschreiben lassen; er hatte in Spanien gegen die Franzosen gefochten, war gefangen worden, glücklich entwichen und suchte nun in Jena Verborgenheit; nach kurzer Zeit entdeckte er sich Luden als Herr von Grolmann; es war der spätere General, der bald in einem wichtigen Augenblick mit sicher lenkender, vielleicht rettender Hand in Luden’s Leben eingreifen sollte. Denn als 1813 Alles zu den Waffen griff, fühlte auch der rüstige Professor den Beruf, zum Schwert zu greifen. Der ruhige, besonnene, kriegskundige Grolmann vermochte es, nach hartem Widerstand, Luden zu der Ueberzeugung zu bekehren, daß der Geist sein Schwert sei und bleiben müsse.

Um ein allezeit schlagfertiges Kampfschwert zur Verfügung zu haben, verband sich 1813 Luden mit Bertuch in Weimar zur Herausgabe einer „Zeitschrift für Politik Und Geschichte“, der „Nemesis“, von welcher 1814 bis 1818 zwölf Bände erschienen sind. Für uns ist ein wiederum Goethe betreffender Umstand dabei von besonderem Interesse. Bertuch wünschte, daß Luden mit Goethe über ihre Zeitschrift spreche. Dies geschah. Das ebenfalls von Luden aufbewahrte Gespräch ist ein beide Männer sehr ehrendes. Luden schließt seinen Bericht darüber mit den Worten: „Nur das Eine will ich bemerken, daß ich in dieser Stunde auf das Innigste überzeugt worden bin, daß Diejenigen im ärgsten Irrthum sind, welche Goethe beschuldigen, er habe keine Vaterlandsliebe gehabt, keine deutsche Gesinnung, keinen Glauben an unser Volk, kein Gefühl für Deutschlands Ehre oder Schande, Glück oder Unglück. Sein Schweigen bei den großen Ereignissen und den wirren Verhandlungen dieser Zeit war lediglich eine schmerzliche Resignation, zu welcher er sich in seiner Stellung und bei seiner genauen Kenntniß von den Menschen und Dingen wohl entschließen mußte.“ – Wie den alten Arndt, hätte man auch Luden „das deutsche Gewissen“ nennen können, und darum hat aus seinem Munde dieses Wort besondern Werth.

Zu den Studenten, und besonders zu den Mitgliedern der Burschenschaft stand Luden in dem Verhältniß innigen gegenseitigen Vertrauens. Er veranlaßte unter Anderem die Auf- und Feststellung der „Grundsätze und Beschlüsse der Wartburgfeier“, welche „den studirenden Brüdern auf anderen Hochschulen zur Annahme, dem gesammten Vaterlande zur Würdigung von den Studirenden in Jena vorgelegt“ werden sollten. Sie wurden massenhaft durch Abschriften verbreitet und zeugen noch heute für den ernsten und klaren Sinn der Gründer der Burschenschaft. Geharnischt trat Luden in seiner „Nemesis“, und mit ihm zugleich Oken in seiner „Isis“ gegen die Verleumdungen der deutschen Universitäten und namentlich Jenas durch Kotzebue, Schmalz, Kamptz u. dergl. Gesellen auf, und als Oesterreich seinen Gesandten in Dresden, den Grafen Zichy, insgeheim nach Weimar schickte, damit er von dort sich nach Jena begebe und „persönlich das verschrieene Demagogennest einsehe, um Auskunft darüber zu geben, ob denn wirklich dort ein so rohes, wildes, barbarisches, aufrührerisches Wesen unter den Professoren und Studenten herrsche“, wie die Lästerer es den Höfen vorgemalt hatten – war Luden es, der den Tag dieses Besuches erkundschaftete und den Studenten verrieth. Der weimarische Minister und der österreichische Gesandte staunten nicht wenig, als sie am 16. December 1817 nach Jena kamen und eine solche sittsame Ruhe und Stille auf Markt und Gassen fanden, daß der Bericht nach Wien „die Ordnung, die Disciplin und die trefflichen Gesinnungen, welche unter den Studenten zu Jena stattfände“, nicht genug preisen konnte. Schon am folgenden Tag holte der Student jedoch alles Versäumte nach, indem Blücher’s Geburtstag mit allem möglichen akademischen Ulk und Pomp nachgefeiert wurde. Luden’s „Nemesis“ aber begrüßte dieses frische Treiben mit den Worten: „Die Jugend muß brausen, wie der junge Wein, dann wird sie, wie er, mild und stark zugleich werden. Wer aber elfer Rheinwein und dreizehner deutsche Jugend gut vertragen soll, der muß selbst nicht kraftlos sein.“

Zu Anfang des Jahres 1823 ging Luden als Abgeordneter der Universität zum Landtage nach Weimar. Dies warf abermals einen Schatten auf sein Verhältniß zu Goethe, der für derlei Volksvertretung und deren Kämpfe keine Sympathie hatte. Dennoch wurde er einmal, 1829, als Abgeordneter zu einer Soirée bei Goethe eingeladen. Er ging hin und fand dort die ganze vornehme Welt Weimars nebst den ausgezeichnetsten Fremden versammelt. „Meinen Blick,“ erzählt er, „zog nur der Herr des Festes auf sich. Und Er, der alte Herr, stand da, fest und gerade, in der besten Haltung, den Hut unter dem Arme, mit allen seinen Orden geschmückt, und empfing, immer auf derselben Stelle, die Huldigung aller Gäste mit großer Liebenswürdigkeit. Ich bewunderte und bedauerte ihn. Aber nach etwa anderthalb Stunden hatte ich der Sache genug.“

Im Jahre 1832 hatte Luden auch des Landtags genug, wies jede weitere Wahl zurück und lebte fortan nur seinem doppelten Berufe als Lehrer und Schriftsteller.

Es war noch in der sogenannten „guten alten Zeit“ des Studentenwesens, als ich, im Herbst 1834, zum ersten Male in Luden’s Hörsaal trat. Mein Erstaunen war nicht gering, als ich so manches „alte Haus“ im Schlafrock, die lange Pfeife in der Hand und die Mappe unterm Arm in die Räume wandeln und auf den Bänken sitzen sah, wo ich mit dem Herzpochen der Ehrfurcht und der Erwartung des Augenblicks, in welchem ich den großen berühmten Mann zum ersten Male schauen sollte, bescheiden Platz nahm. Zur Ehre der „Bemoosten“ muß ich jedoch sofort aussprechen, daß von den langen Pfeifen kein Gebrauch gemacht wurde. Der Schlafrock hinderte Keinen, die größte Hochachtung vor dem Lehrer zu hegen. Endlich öffnete sich die Thür, und Luden trat ein und bestieg das Katheder. Der Contrast war zu auffällig. Hier die Schlafrockgesellschaft, und dort der stattliche Mann in Frack und feiner Kleidung, der, die goldene Dose in der Hand, seine Zuhörer in einer Weise begrüßte, als trügen auch sie alle Zeichen des äußeren Anstandes zur Schau.

Nach wenigen Worten aus seinem Munde war jedoch alles Störende der Umgebung verschwunden, Alles lauschte dem herrlichen Klange seiner Sprache, und bald waren Geist und Herz gefesselt von dem wunderbar dahinfließenden Strom der Gedanken und Bilder, mit denen er uns das Leben der Vergangenheit vorführte. Die volle Aufmerksamkeit war unaufhörlich gespannt; keine Ermüdung konnte eintreten; denn auch der erfrischenden Heiterkeit ward ihr Recht vergönnt, und selbst die Aushülfsphrasen, die er so fein stets an bedeutungsvoller Stelle einzuschalten verstand, sein gedehntes, „in jeglicher Weise“ und das ironisch betonte „wenn Sie wollen, meine Herren,“ trugen zur immer frischen Belebung der Vortrages bei. „Wenn mir aber einmal die Vocabeln ausgehen wollen, so öffne ich meine [248] Dose und bereite mir je nach Nothdurft den Genuß einer Prise. Diese einfache Handlung benimmt meinen Zuhörern das peinliche Gefühl, daß ich stecken geblieben, und gestattet mir Zeit zur Sammlung, und so ist uns beiden durch diese Dose geholfen“ – so erklärte er uns den absonderlichen Nutzen derselben einmal in einem der herrlichen, stets so anregenden und oft sogar erhebenden Plauderstündchen der Mittagszeit.

Ja, an diesem Manne war Alles edel und ehrwürdig, ob wir ihn auf dem Lehrstuhl oder auf der Rednerbühne des Landtags, in seinem traulichen Heim vor dem riesigen Arbeitstisch, den einst Griesbach ihm vermacht, im Umgang mit seinen Schülern oder im Umgang mit Gleichwürdigen sahen. Veredelnd war sein Streben immerdar, und so hat er als ein Priester des Wahren, Guten und Schönen und als ein Held im Kampfe für staatsbürgerliche Freiheit und ein Vaterland der Deutschen fest auf seinem Platze gestanden bis zu seinem letzten Augenblick.

Welche Schriften er hinterlassen, welche Stelle er in der Reihe der Geschichtsschreiber und politischen Schriftsteller einnimmt, darüber giebt jedes Conversationslexicon Auskunft. Hier galt es nur, an den Mann zu erinnern, wie ihn unser Herz feiert.

[249] Beklagen aber müssen wir Alle Eines: daß es dem Manne, welcher die schlimmsten und schönsten und abermals die beklagenswerthesten Schicksale des deutschen Volkes mitgetragen hat, die französische Schmachzeit, die Volksbegeisterung der Befreiungskriege, die neue politische Unterdrückung durch den Geist des Absolutismus, dem Manne, welchem die Alles verbitternde Reaction stets mit am nächsten trat – denn so oft eine freie Geistesregung in Deutschland verfolgt wurde, hatte immer Jena, am schwersten darunter zu leiden – kurz, daß es einem Heinrich Luden nicht vergönnt war, auch die Tage der Erlösung aus dem alten Bann, der Erhebung seines geliebten Vaterlandes aus einem geographischen Begriff zu einem großen und mächtigen Reiche zu erleben.

Unsere Zeit vergißt zu leicht das Andenken an jene geistigen Kämpfer und Märtyrer, welche mit dem Muthe der Wahrheit und der Kraft zu den höchsten Opfern der Gegenwart die Wege zum Sieg gebahnt haben. Da ist’s nöthig, daß das jüngere Geschlecht an jene Alten so oft wie möglich erinnert werde. Sollte es zu Jena auf dem Graben nicht auch einen Platz für eine eherne Büste Heinrich Luden’s geben?
Friedrich Hofmann.