Textdaten
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Autor: Wilhelm Goldbaum
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Titel: Ein Stück Fächerlitteratur
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 173–174
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Stück Fächerlitteratur.

Von Wilhelm Goldbaum. Mit Illustration von J. R. Wehle.

Ich kenne eine Frau, die leidenschaftlich Autographen sammelt. Da sie mich noch nicht um meinen eigenen werthen Namenszug nebst obligatem geistreichem Zubehör angegangen, so habe ich auch noch nicht Anlaß gehabt, ihr zu sagen, daß mir ihr Sport eine wenig erspießliche Spielerei zu sein dünkt. Und dabei unterscheidet sich ihr Sammeleifer noch sehr vortheilhaft von demjenigen anderer Autographenjägerinnen, denn sie strebt nach einer gewissen Originalität und scharrt nicht alle Papierschnitzel und Briefkouverts zusammen, die ihr etwa irgend ein Redaktionskorb zur Verfügung stellt. Es müssen persönliche Beziehungen sein, welche ihr die Handschrift eines bedeutenden Zeitgenossen, eines Schriftstellers, Künstlers oder Politikers werth machen, und jedes Autograph soll an ein bestimmtes Erlebniß, an eine charakteristische Erinnerung, an eine liebgewordene Oertlichkeit anknüpfen. So hat man die Sache auch in der vormärzlichen Epoche der Stammbücher angesehen, daß es ein eigenthümlicher Zauber sei, hervorragende Zeitgenossen, mit denen man in Berührung kommt, in ihrer Handschrift gleichsam jederzeit gegenwärtig zu haben. Es war dabei ein wenig Sentimentalität, ein wenig Ueberschwang; aber es war doch auch ein hübscher menschlicher Zug dabei, und wenn ich bisweilen in solchen alten, vergilbten Stammbüchern blättere, so ist es mir, als rede aus den verschnörkelten Lettern, aus den vertrockneten Blumen, aus den mysteriösen Zeichnungen der Geist eines längst dahingegangenen Geschlechtes zu mir, das in seiner Empfindsamkeit glücklich, in seinen Verkehrsformen voll naiver Genügsamkeit, in seiner Gegenseitigkeit treu und verläßlich war. Das ist ja längst anders geworden, aber es giebt eben noch altfränkische Frauen die auf dem unmodischen Stammbuch-Standpunkte beharren, nur daß sie, dem Wandel der Zeiten Rechnung tragend, das Stammbuch mit einem moderneren, koketteren, zierlicheren Autographenbehälter vertauschen, nämlich mit dem Fächer. Und zu diesen Frauen - denn das Autograph übt seine Anziehung wesentlich auf das schöne Geschlecht - gehört meine Autographensammlerin.

Der Gedanke, den Fächer als Autographenalbum zu verwenden, ist so modern wie nur irgend möglich; sein Vater ist ein Journalist. Es geschah nach einer der letzten Sitzungen des Berliner Kongresses, daß der Berichterstatter der „Times“ sich um einen hölzernen Riesenfächer bei dem Fürsten Bismarck einstellte und den mächtigen Staatsmann ersuchte, seinen Namenszug auf einen der Fächerstäbe zu zeichnen. Der Reichskanzler that dem kleinen Zeitungsmanne den Gefallen, und seinem Beispiele folgten die Gortschakow, Andrassy, Waddington, Beacousfield und wer sonst noch an dem grünen Tische in der Reichskanzlei gesessen hatte. Von da an war der Fächerautograph sanktionirt, aber weil nicht alle Tage Berliner Kongreß ist, so ist es nicht bei dem politischen Fächer geblieben, die Frauen, welche sich der Idee des Londoner Journalisten bemächtigten, haben die Litteratur, die Kunst für ihre Fächer in Kontribution gesetzt, und der Entstehungszeit nach gewiß mit am nächsten dem berühmten Kongreßfächer steht derjenige, welcher mir zu diesen Betrachtungen den Anstoß bietet; denn die erste Inschrift, die er enthält, ist eine aus Marienbad und vom Juli 1880 datirte Sentenz des Wiener Burgschauspielers Adolf Sonnenthal, lautend: „Ob Nord, ob Süd, es giebt nur eine Kunst, nur eine Empfindung.“

Der berühmte Mime war damals gerade von den Münchener Mustergastspielen gekommen, an denen er im Vereine mit hervorragenden Künstlern aus dem deutschen Norden betheiligt gewesen war, und gleichsam als ein artistisches Bekenntniß schrieb er seine Worte auf einen der etlichen dreißig Stäbe des zierlichen Holzfächers, die von einer Spange zusammengehalten werden, an welcher drei niedliche Schwälblein ihre Schnäbel wetzen.

Selbstverständlich ist nicht Jedermann gehalten, einen tiefsinnigen Spruch seinem Namenszug vorzusetzen, sehr stolz und sehr einsam stehen die Unterschriften Eduard Lasker’s und Hans Makart’s da, die erstere mit dem Datum Helgoland, die letztere sogar ohne Bezeichnung von Ort und Zeit. Aber den Absichten einer richtigen Autographen-Sammlerin entspricht es natürlich besser, daß lauter mehr oder minder geistreiche Dikta, gereimt oder ungereimt, den Fächer zieren, und sofern man schon jetzt von einer Fächerlitteratur sprechen darf, so ist es gerade die interessante Mannigfaltigkeit, wie die einzelnen litterarischen Individualitäten sich in denkbarster Kürze zu eigenthümlichem Ausdrucke zu bringen trachten, welche den Reiz dieser neuesten Litteratur ausmacht. Und es ist nicht etwa unglaubhaft, daß diese knappen Sprüche und Aussprüche ein ziemlich charakteristisches Bild der zeitgenössischen Geistesbewegung in Kunst und Litteratur darbieten können, es ist wie in einer Anthologie, nur daß den Proben der Reiz des Persönlichen anhaftet, welcher gleichsam den Monolog zu einem Dialog erweitert, weil die Besitzerin des Fächers als die angeredete Person oder mindestens als das Auditorium gedacht wird. So bedient sich z. B. der alte Heinrich Laube in seiner zufahrenden Art schlechthin der direkten Rede, indem er schreibt: „Seien Sie glücklich. Das kann Jeder und Jede, man muß es nur ernstlich werden wollen“ und Emil Rittershaus tändelt, von dem Festjubel des Wiener Schriftstellerkongresses höher gestimmt, mit rheinischer Galanterie:

„Drei Schwälblein hält dein Fächer festgebannt -
Wie viele Herzen fesselt deine Hand?“

Von diesem rein persönlichen Verhältnisse wenden sich aber Viele zu allgemeinerer Betrachtung hinweg; der Eine schreibt kondensirte Lebensweisheit, der Andere greift zu parabolischem Ausdrucke, der Dritte sagt von sich selber eine Empfindung aus, die ihn gerade im Augenblicke des Schreibens übermannt. Immer aber stimmt, was da geschrieben steht, zu dem litterarischen Charakter des Schreibers. Der Nibelungentrotz spricht aus dem Verse Wilhelm Jordan’s:

„Folge niemals gutem Rath,
Lieber irre, leide,
Als verdanke deinen Pfad
Gnädigem Bescheide.“

[174] Die weiche, sinnige, halbleidende Physiognomie Leopold Kompert’s glaubt man vor sich zu haben, wenn man liest: „Ich kann nicht überall dabei sein, sagte der liebe Gott – und erschuf die Mutter.“ Heiter, derb, polemisch bemerkt P. K. Rosegger: „Da Herrgott liabt d’ Welt, hat die Priester erschaffen; da Teufel, sein Feind, der geht her und macht Pfaffen.“ Friedrich Bodenstedt steckt ganz in dem fröhlichen Optimismus Mirza Schaffy’s, indem er räth:

„Das Glück, sagt man, sei nur ein Schein,
 Und so ist es;
Bilde dir ein, glücklich zu sein,
 Und du bist es.“

Lyrisch zerfließend wie Nebelspuk im Sonnenschein tönt der Seufzer Hermann Kletke’s:

„Lieb’ empfangen, Liebe geben,
Ach, ist Liebe nicht das Leben?“

Und der stramme Pfälzer August Becker – Jung Friedel mit seinem dichterischen Vagabundennamen – reimt halb diplomatisch, halb selbstbewußt:

„Was er will, das kann der Mann,
Er muß nur wollen, was er kann.“

Damit ist aber der Umfang dessen, was man auf dem schmalen Stabe eines Holzfächers zum Ausdrucke bringen kann, keineswegs erschöpft. Weit hinein in das dämmerige Zwischengebiet zwischen Aesthetik und Philosophie reicht Felix Dahn’s Sentenz: „Wahre Schönheit ist schöne Wahrheit.“ Als hätte er das Diktum auf sich selbst gemünzt, schreibt Georg Brandes in dünner, fast weiblicher Handschrift: „Es giebt in der Kunst des Wortes scheinbare Virtuosen, die eigentlich nur Stimmer sind. Sie stimmen und bestimmen aber bisweilen Geister und Litteraturen.“ Wie wenn sie zu einem oberbayerischen Schuhplattltanz sich umfaßt hätten, so nickt Karl Stieler, der Frühgeschiedene, gemüthlich: „Is gern g’scheg’n“, und gleich hinterher setzt Ludwig Ganghofer fort: „Da Bua soll hinter’m Vatern gehn.“ Sarah Bernhardt stellt sich breit und anspruchsvoll auf einen obersten Stab mit der Vermeldung: „J’aime être la première“, während die arme Ernestine Wegner, übermüthig von der erfrischenden Helgoländer Luft, der Fächerbesitzerin zuschmeichelt: „Hermine, du fängst an gefährlich zu werden dem jüngsten Lieutenant.“ Otto Roquette schreibt nur: „Auf Wiedersehen!“ – L. Büchner citirt: „Knowledge is power.“ – Ernst Wichert fügt sich bescheiden in die Reihe mit dem Spruche: „Eins zum Andern.“ – Moritz Jokai giebt ein unlösbares Räthsel zum Besten. – Wilhelmine von Hillern erzählt in nachlässigen Versen ein gemeinsames Erlebniß aus dem Bade Kreuth. – Ferdinand von Saar endlich verbeugt sich als echter Minnesänger und jauchzt mit still verhaltener Begeisterung:

„Wie lebt in grauen Tagen
Ein unverhofftes Licht -
Im öden Weltgewühle
Ein holdes Angesicht!“

Fächerlitteratur im engen und eigentlichen Sinne des Wortes ist all dies nicht, so wenig als es etwa Fächerlitteratur ist, wenn Johann Strauß, der Walzerkönig, die Eingangstakte seiner „Frühlingsstimmen“ beisteuert oder ein Weiberenthusiast orakelt: „Der Frauen Gnade macht Fünfe grade“. Bis hierher haben wir es eben nur mit Litteratur auf einem Fächer zu thun, von der jedoch Niemand bestreiten wird, daß sie in ihrer Weise ein Spiegelbild ist. Echte Fächerlitteratur liefern aber diejenigen, welche sich verpflichtet glauben, die Thatsache, daß sie auf einem Fächer sich zu äußern haben, durch einen Gedankenspruch über den Fächer selbst zu markiren. Ueber den Fächer und, wie natürlich, über dessen Werth für die Frauen. Auch hier wieder erkennt man sofort in dem kurzen Gelegenheitsworte die allgemeine litterarische Physiognomie des Schreibers. Der Variationen sind viele, das Thema bleibt dasselbe. Da sind zuerst die Idealisten. Friedrich Spielhagen, zur Sommerfrische in Baden-Baden weilend, reimt:

„Wer schrieb’ in Erz und Marmelstein
Nicht gerne seinen Namen ein!
Doch wollen dieses Fächers Falten
Nur meinen Namen treu behalten,
So will ich gern zufrieden sein.“

Diese sehr liebenswürdige Hyperbel, welche den Fächer als eine Art sibyllinisches Buch behandelt, unterscheidet sich wesentlich von dem resignirten Rathe Albert Traeger’s:

„Erkenn’ in jedem sonnenhellen Tag
Des flücht’gen Glücks 1eichten Fächerschlag.“

Noch ahnungsschwerer ist Ernst Scherenberg’s meisterhaftes Gleichniß:

„Flüchtige Stunde – flüchtiges Lied!
Zierliches Tändeln – zürnender Schlag!
Wechselndes Spiel mit dem wechselnden Tag!
Eben entfaltet, schließst du dich zu –
Spiegel des Lebens, Fächer, bist du!“

Und mitten inne zwischen der idealistischen und der realistischen Vorstellung bemerkt Ernst von Wildenbruch:

„Der Frauen Fächer,
Ist Amors Köcher.“

Dann aber kommen die Realisten und diese sind – man kann es nicht anders sagen – äußerst unterhaltend. Julius Stettenheim spottet gutmüthig: „Warum die Fächer wohl dem schwachen Geschlecht gefallen? – Weil sie ihm Wind vormachen.“ Hans Hopfen öffnet nachdenklichen Spruches seine empfängliche Seele:

„Wer’s wie so’n Fächer wüßte zu machen,
Abzukühlen und anzufachen!
Freilich, wenn man’s recht überlegt,
Ist’s Frauenhand, die ihn wie uns bewegt.“

Der alte Ludwig August Frankl in Wien klagt: „Ein Erster, ach, in keinem Fach, zersplittre ich mich in Fächer“. Ludwig Anzengruber ironisirt:

„Ist mancher der Männer im Wissen gleich schwach,
Die Frauen sind doch noch schwächer;
Zersplitt’rung! die Männer betreiben ein Fach,
Die Frauen entfalten die Fächer.“

Ludwig Hevesi erhebt den Fächer ins Historische:

„Der Fächer ist der Marschallstab des Weibes,
Denn unterm Schein des losen Zeitvertreibes
Schlägt spielend er aufs Haupt den Herrn der Welt.
Des Fächers Wink regierte meist die Heere,
Sein Fächeln trieb zur Seeschlacht die Galeere,
Er winkte und man war sofort ein Held,
Cäsar, Armin, der Korse – arme Wichte,
Der Fächer kommandirt die Weltgeschichte.“

Gustav von Moser endlich, der Kavalier und Lebemann, weiß, was er von der geheimen Zauberkraft des Fächers zu halten hat:

„In guter Gesellschaft und in schöner Hand
Ist Fächerspiel kein leerer Tand.“

Nun aber sei es genug der Proben. Sie erschöpfen bei weitem den Reichthum nicht, der in „dieses Fächers Falten“ geborgen ist; doch sie reichen hin, um zu zeigen, daß der Autographen-Sport auch litterarischen Feinschmeckern eine gewisse Befriedigung gewähren kann. Und das ist’s nicht allein. Ein Stück modernster Kulturgeschichte steckt doch auch in dieser Spielerei. Fächer und Frau sind unzertrennliche Dinge; die Verwendung des Fächers zu Autographenzwecken beweist, wie weit der Einfluß unserer Frauen und Jungfrauen auf Litteratur und Kunst reicht, wie groß ihr Interesse für dieselben ist. Ein naiver Dilettantismus kennzeichnete zumeist die alten Stammbücher; der Fächer ist zu vornehm und auch zu indiskret, um Jedermanns Denksprüchlein zu beherbergen. Bequem ist es freilich nicht für die Auserwählten, daß ihnen jeden Augenblick ein Fächer wie eine Pistole entgegengehalten werden kann, zu deren Abwehr ein geistesgegenwärtiges Autograph erforderlich ist; aber so hart, wie es Scheffel gethan, braucht man über diese „neue Plage“ gleichwohl nicht zu urtheilen. Sie ist zu harmlos, um des Ekkehard-Dichters beißendes Epigramm zu verdienen:

„Ward dir der Musen Gunst verliehen,
So brich dir nie den rechten Arm;
Du wirst als rücksichtslos verschrieen
Vom Autographenjägerschwarm.“