Die Gartenlaube (1878)/Heft 17
Gabriele schloß die Thür hinter sich und trat ein. Sie war im einfachen weißen Morgenkleide, aber weder diese Einfachheit, noch das graue, trübe Licht des Herbsttages vermochten es, den Liebreiz ihrer Erscheinung zu beeinträchtigen. Das gestrige Fest hatte bei ihr auch nicht die geringste Spur hinterlassen; ihre elastische Jugend kannte noch keine Müdigkeit und Abspannung. Das Gesicht war so blüthenfrisch wie immer, und jetzt lag noch die leise Röthe der Erregung darauf, denn es war für das junge Mädchen kein Geheimniß mehr, was in dieser Unterredung zur Sprache kommen sollte. Es war, als fiele mit der hellen, leichten Gestalt ein Sonnenstrahl in das düstere Gemach; es schien auf einmal lichter darin zu werden.
Auch der Freiherr mußte einen ähnlichen Eindruck empfangen haben. Er stand auf und ging der Eintretenden einige Schritte entgegen. Der Ausdruck seiner Züge milderte sich bei ihrem Anblicke, und seine Stimme klang wohl noch ernst, aber nicht mehr streng, als er sagte:
„Ich habe verschiedene Fragen an Dich zu richten, Gabriele. Ich gab Dir schon gestern Andeutungen darüber und erwarte die volle, uneingeschränkte Wahrheit von Dir zu hören.“
Er bot ihr einen Sessel und nahm ihr gegenüber Platz. Die Haltung der jungen Dame zeigte weit mehr Zuversicht als Bangigkeit. Es war ihr freilich gestern Abend klar geworden, daß sie diesmal ihren Willen nicht mit bloßem Trotz und einigen Thränen durchsetzen werde, wie es der Mutter gegenüber stets geschah; dennoch war sie entschlossen, ihre Liebe offen zu bekennen und sich in der Vertheidigung derselben höchst energisch und heldenhaft zu zeigen. Der Freiherr zweifelte ja mit derselben beleidigenden Consequenz wie Georg an ihrer Charakterfestigkeit, und seltsamer Weise gewährte es ihr eine viel größere Genugthuung, den Vormund davon zu überzeugen, als den Geliebten. Vorläufig stand das Romantische der Situation für sie im Vordergrunde und überwog jede Besorgniß vor der kommenden Katastrophe.
„Meine Frage betrifft den Assessor Winterfeld,“ begann der Freiherr. „Du hast ihn in der Schweiz kennen gelernt, wie ich von Deiner Mutter höre. Er kam öfter in Euer Haus, und Du hast vermuthlich viel und zwanglos mit ihm verkehrt.“
„Ja,“ sagte Gabriele, etwas enttäuscht. Die Sache ließ sich vorläufig weder romantisch noch dramatisch an; der Vormund sprach im ruhigsten Tone.
„Hast Du ihn seit Deinem Aufenthalte in R. öfter gesehen und gesprochen?“
„Nur zweimal; das erste Mal, als er der Mama und mir einen Besuch machte, und dann bei dem gestrigen Feste.“
„Sonst niemals?“
„Nein.“
Ein tiefer, erleichternder Athemzug hob die Brust des Freiherrn. „Der junge Mann widmet Dir offenbar eine Aufmerksamkeit, die über die gewöhnliche Galanterie hinausgeht,“ fuhr er fort. „Und Du scheinst das nicht allein zu dulden, sondern ihn sogar zu ermuthigen.“
Gabriele schwieg.
„Ich erwarte Antwort, Gabriele.“
Sie hob das Auge empor: es sprach nicht die mindeste Furcht daraus, wohl aber ein entschiedener Trotz. „Und wenn das nun der Fall wäre?“ fragte sie.
„So wäre es die höchste Zeit, dieser Kinderthorheit ein Ende zu machen,“ entgegnete Raven scharf. „Du wirst Dir doch wohl selber sagen, daß sie unter keinen Umständen eine ernste Wendung nehmen darf.“
Die junge Dame warf sehr beleidigt, aber zugleich sehr entschlossen das blonde Köpfchen zurück. Jetzt war die Entscheidung da; jetzt galt es, sich heroisch zu zeigen und dem Vormunde Respect einzuflößen; er hatte ja noch gar keine Ahnung von dem Ernst der Sache und behandelte sie wie eine flüchtige Tändelei.
„Es ist keine Kinderthorheit,“ versetzte sie mit der größten Bestimmtheit. „Georg Winterfeld liebt mich.“
Das Auge des Freiherrn flammte auf; er erhob sich heftig und kreuzte dann die Arme, wie um sich zur Ruhe zu zwingen, aber seine Stimme klang dumpf und drohend, als er fragte:
„Hat er Dir das schon gestanden? Vielleicht gestern beim Tanze?“
„Er hat mir schon in der Schweiz gesagt, daß er mich liebe,“ erklärte Gabriele.
Raven lachte laut auf; es war ein kurzes, herbes Lachen. „Dachte ich es doch!“ sagte er mit bitterem Sarkasmus. „Also einen förmlichen Roman habt Ihr Beide mit einander gespielt, und das unter den Augen Deiner Mutter, ohne daß sie eine Ahnung davon hatte. Freilich, das sieht ihr ähnlich. Ich bin nicht so leicht zu täuschen – wenn Ihr das beabsichtigtet, so mußtet Ihr Eure Blicke besser hüten; sie sprachen gar zu beredt am gestrigen Abend. Ich halte Deiner Jugend und Unerfahrenheit viel zu Gute, Gabriele; es ist leicht, einem siebenzehnjährigen Mädchen mit einigen Gefühlsphrasen den Kopf zu verrücken,
[272] aber diese romantische Spielerei ist denn doch zu gefährlich, als daß ich sie Dir länger gestatten könnte. Ich werde den Herrn Assessor Winterfeld an die Schranken erinnern, die ihn von der Baroneß Harder und der Nichte seines Chefs trennen, und zwar in einer Weise, daß er sie nicht zum zweiten Mal vergessen soll. Du wirst ihn von jetzt an weder sehen noch sprechen; ich verbiete Dir das hiermit ein für alle Mal.“
Er strebte vergebens, den sarkastischen Ton festzuhalten, die furchtbare Gereiztheit, die sich dahinter barg, brach doch bisweilen durch. Gabriele freilich entging das; sie vernahm nur den schonungslosen Spott in seinen Worten. Sie hatte sich auf Vorwürfe, auf Zornausbrüche des Vormundes gefaßt gemacht, denn sie wußte, wie sehr eine solche Verbindung seinem Stolze widerstrebte, und statt dessen behandelte er sie und Georg wie ein paar Kinder, die wegen einer begangenen Unart mit gebührender Strenge bestraft werden. Er sprach in der verächtlichsten Weise von Spielerei, von Gefühlsphrasen und wollte mit einem einfachen Verbote das Lebensglück zweier Menschen vernichten. Das war zuviel; die junge Dame erhob sich gleichfalls – in vollster Entrüstung.
„Das kannst Du nicht, Onkel Arno,“ sagte sie heftig. „Georg hat Rechte auf mich, die er unter allen Umständen behaupten wird. Er hat mein Wort und die Zusage meiner Hand – ich bin seine Braut.“
Sie hatte das Geständniß ohne Zögern ausgesprochen und erwartete nun den kommenden Sturm, aber vergebens. Raven erwiderte kein Wort; auf seinem Gesichte lag eine fahle Blässe, und seine Hand umfaßte mit krampfhaftem Drucke die Eichenlehne des Stuhles, neben welchem er stand, während er einen seltsamen Blick auf Gabriele heftete. Sie schwieg betroffen; es war nicht eigentlich Furcht, was sie empfand, aber ein geheimes, unerklärliches Bangen, das unter jenem Blicke aufwachte, und das sie vergebens zu bekämpfen suchte. Es war wie die dunkle Ahnung eines kommenden Unheils.
Nach einer minutenlangen Pause nahm der Freiherr wieder das Wort. „Das geht allerdings weiter, als ich je geahnt habe. Und Du hast für gut befunden, mir und Deiner Mutter ein Geheimniß daraus zu machen?“
„Wir fürchteten, daß man uns trennen würde, wenn man unsere Liebe entdeckte,“ sagte Gabriele leise.
„So! Und was glaubst Du denn, was jetzt geschehen wird?“
„Ich weiß es nicht, aber ich bin entschlossen, Georg um jeden Preis anzugehören, denn ich liebe ihn.“
Das Wort schien endlich den bisher zurückgehaltenen Sturm zu entfesseln; mit einer wilden Bewegung stieß Raven den Stuhl zur Seite und trat dicht vor das junge Mädchen hin.
„Und das wagst Du mir zu sagen?“ brach er los. „Du wagst es, ohne mein Wissen und Willen Dein Jawort zu geben, wo Du weißt, daß ich mein entschiedenes Nein dagegen setzen werde, und trotzest mir ganz offen? Du bauest auf die Güte und Nachsicht, die ich Dir stets gezeigt habe? Sie ist zu Ende mit dem heutigen Tage. Fordere mich nicht heraus, Gabriele – Du könntest es bitter bereuen. Ich habe Mittel, den Trotz eines eigensinnigen Kindes zu brechen, und ich werde sie schonungslos gebrauchen, gegen Dich und ihn. Winterfeld soll mir Rede stehen über den sogenannten Liebesroman, mit dem er Dich hinter dem Rücken der Deinigen bethörte, um Dir ein Versprechen abzulocken, das null und nichtig ist, denn Du hast noch nicht über Dich zu verfügen. Er rechnet auf die Hand der vermeintlichen Erbin, um durch sie zu Reichthum und Einfluß zu gelangen – er könnte sich täuschen. Ich allein habe über Deine Zukunft zu beschließen, die ganz in meinen Händen liegt. Von mir hängt Deine künftige Lebensstellung ab, und wenn ich sie glänzend gestalte, so erwarte ich auch unbedingten Gehorsam dafür. Von einer solchen Verbindung kann nie und unter keinen Umständen die Rede sein. Ich versage meine Einwilligung, und Du hast Dich meinem Willen zu beugen.“
Gabriele war einen Schritt zurückgewichen vor diesem Zornesausbruch, aber sie hielt ihm nichtsdestoweniger Stand. Das „Kind“ war doch nicht so unselbstständig und unfähig zu jedem Kampfe, wie Raven voraussetzte; es ließ sich weder durch seine herrischen Worte, noch durch seine Drohblicke einschüchtern und antwortete mit einer ganz ungewohnten Energie:
„Du hast keine anderen Rechte über mich, als die des Vormundes, und die sind zu Ende mit meiner Mündigkeit. Meine Zukunft und Lebensstellung ist Georg’s Sache; ich nehme sie aus seinen Händen, wie sie auch ausfallen mögen. Er hat nicht daran gedacht, irgend eine Berechnung an seine Liebe zu knüpfen; Georg ist –“
Der Freiherr stampfte wüthend mit dem Fuße.
„Georg und immer nur Georg! Ich verbiete Dir, diesen Winterfeld in meiner Gegenwart so zu nennen. Du wirst niemals seine Gattin, nie, sage ich Dir – wenigstens nicht, so lange ich lebe.“
Das junge Mädchen richtete sich mit blitzenden Augen empor, mehr empört als erschreckt durch diese maßlose Heftigkeit.
„Onkel Arno, Du bist grenzenlos ungerecht, Du –“ sie verstummte urplötzlich, ihr Auge haftete an dem seinigen, und der heiße, verzehrende Strahl darin traf sie wie mit versengender Gluth. Das war nicht Haß und Zorn, was in diesem Blicke loderte; das war ein qualvolles Weh, ein wilder, bis zur Raserei gesteigerter Schmerz – Gabriele preßte beide Hände gegen die Brust, in der alles Blut auf einmal nach dem Herzen drängte; ihr war zu Muthe, als stockten ihr Athem und Besinnung, und dann schlug es wie ein Blitz in ihre Seele und blendend und betäubend zuckte die Wahrheit auf; sie wurde todtenbleich und griff nach der Lehne des Sessels, als wolle sie eine Stütze suchen.
Diese Bewegung gab dem Freiherrn einigermaßen die Fassung zurück. Er sah ihr Erbleichen und mußte es wohl der Furcht vor seiner Heftigkeit zuschreiben. Der an so strenge Selbstbeherrschung gewöhnte Mann hatte sich, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, über alle Schranken hinwegreißen lassen; er fühlte das und versuchte mit Aufbietung aller Willenskraft seine Aufregung niederzukämpfen. Während der nächsten Minuten herrschte ein banges, tiefes Schweigen, das auf Beide mit gleicher Schwere lastete, und doch wagte Keiner, es zu brechen. Raven war an das Fester getreten und blickte, die heiße Stirn gegen die Scheibe gedrückt, in die Nebellandschaft hinaus. Gabriele stand noch regungslos an ihrem Platze.
„Ich habe Dich erschreckt mit meiner Heftigkeit,“ sagte der Freiherr endlich, ohne sich umzuwenden. „Solche Dinge wollen ruhig besprochen sein, und dazu sind wir Beide jetzt nicht in der Stimmung. Morgen – vielleicht später – verlaß mich, Gabriele!“
Sie gehorchte und schritt wortlos mit gesenktem Haupte nach der Thür, da aber hielt sie inne. Wie gestern, mitten im Tanze, fühlte sie den Blick, der wieder auf ihr ruhte, ohne ihn zu sehen, und wie damals folgte sie der geheimnißvollen Macht, die sie zwang, diesem Blicke zu begegnen. In der That hatte sich Raven umgewendet und folgte ihr mit den Augen.
„Noch eins,“ sagte er; er beherrschte seine Stimme wieder völlig, aber sie war klanglos. „Kein Wort, keine Zeile an ihn! Ich werde mit ihm sprechen.“
Gabriele verließ das Gemach und kehrte in die Zimmer ihrer Mutter zurück. Die Baronin, welche gewohnt war, sehr lange zu schlafen, war soeben erst mit ihrer Morgentoilette fertig geworden. Beim Eintritt in das gemeinschaftliche Frühstückszimmer vermißte sie ihre Tochter, die sich gewöhnlich schon dort befand, und wollte eben deswegen eine Frage an den Diener richten, als die junge Baroneß selbst eintrat.
„Aber Kind, wo bleibst Du nur?“ rief ihr die Mutter entgegen. „Ich will doch nicht hoffen, daß Du es versucht hast, bei diesem Wetter in’s Freie zu gehen? Du würdest Dich zu Tode erkälten in dem leichten Morgenanzuge – und wie siehst Du denn aus? Ganz bleich und verstört! Ist irgend etwas vorgefallen?“
„Nein, Mama,“ sagte das junge Mädchen mit halb erstickter Stimme.
Die Baronin sah sie besorgt an. „Du bist sicher unwohl. Da warst gestern Abend noch so erhitzt vom Tanze, als wir durch den kalten Corridor gingen. Nimm ein wenig heißen Thee! Das wird Dir gut thun.“
Gabriele lehnte die dargebotene Tasse ab. „Ich danke, Mama; ich möchte lieber auf mein Zimmer gehen und noch etwas zu ruhen versuchen.“
„Aber der Onkel ist es gewohnt, Dich am Frühstückstische zu sehen.“
[273] „Sage ihm, daß ich nicht wohl bin; er wird mich heut nicht vermissen. Ich kann nicht bleiben.“
Damit ging sie. Die Baronin blieb sehr befremdet zurück; sie war diese seltsame Verschlossenheit bei ihrer Tochter so wenig gewohnt, wie die Blässe auf deren blühendem Gesicht. Gleich darauf kam auch noch der Diener des Freiherrn mit der Meldung, Excellenz ließen sich entschuldigen und würden heut nicht zum Frühstück erscheinen. Frau von Harder schüttelte den Kopf, aber eine besondere Combinationsgabe war ihre Sache nicht, und überdies wußte sie nichts von der Unterredung, die im Zimmer ihres Schwagers stattgefunden hatte; es fiel ihr daher auch nicht ein, irgend einen Zusammenhang zu suchen. Sie ließ die Sache vorläufig auf sich beruhen und nahm etwas verstimmt ihren Platz am Frühstückstische allein ein. –
In der Kanzlei wartete man vergebens aus das Erscheinen des Chefs. Er pflegte sonst stets in den Morgenstunden zu kommen, heut aber blieb er in seinem Arbeitszimmer und ließ das Nothwendigste durch den Hofrath Moser erledigen. Der Hofrath, der einige dringliche Sachen vorzulegen hatte, kam mit wichtiger Miene zurück und verkündete, daß „Excellenz äußerst ungnädig seien“. In der That hatte der Freiherr mit großer Ungeduld und augenscheinlicher Zerstreutheit die Berichte angehört, mit einer bei ihm ganz ungewohnten Hast die nöthigen Weisungen gegeben und den Hofrath so schnell wie möglich entlassen. Dieser, der sich stets den Anschein gab, mehr zu wissen als Andere, sprach von wichtigen Regierungsdepeschen, die wahrscheinlich eingetroffen seien, die Beamten steckten die Köpfe zusammen und ergingen sich in allerlei Vermuthungen.
Bald darauf wurde Assessor Winterfeld zum Gouverneur gerufen. Das war nichts Auffallendes, denn er hatte am heutigen Vormittage Vortrag zu halten, und daß der Ruf früher als zur bestimmten Stunde erfolgte, erklärte sich durch anderweitige dringende Beschäftigung des Freiherrn. Der junge Mann betrat daher ganz ahnungslos und nur seinen Vortrag im Kopfe das Arbeitszimmer, ordnete seine Papiere und wartete auf das Zeichen zum Beginnen.
„Lassen Sie das!“ sagte Raven. „Der Vortrag fällt heute aus. Ich habe von anderen Dingen mit Ihnen zu reden.“
Georg blickte erstaunt auf; er gewahrte erst jetzt die völlig veränderte Haltung seines Chefs. Die vornehme Ruhe, mit welcher dieser sonst seine Beamten empfing, war heute einer eisigen Kälte gewichen. Er stand an den Schreibtisch gelehnt und maß den vor ihm Stehenden von oben bis unten, als sähe er ihn zum ersten Male. Es war ein finsteres Forschen, das jeden einzelnen Zug zu prüfen und bis in’s Innerste zu dringen schien, aber es sprach eine unverhüllte Feindseligkeit daraus, wie überhaupt aus seiner ganzen Haltung.
Georg sah das mit einem einzigen Blicke, und es erklärte die Bedeutung der Worte, die ihm im ersten Augenblicke räthselhaft geblieben waren. Er begriff sofort, daß die „Ungnade Seiner Excellenz“ ihm allein galt, und errieth auch den Grund davon. Die längst erwartete Katastrophe war hereingebrochen, und der junge Mann machte sich bereit, ihr mit ruhiger Entschlossenheit die Stirn zu bieten.
„Ich habe heute Morgen eine Unterredung mit meinem Mündel, der Baroneß Harder, gehabt, in der Ihr Name genannt wurde,“ begann der Freiherr. „Es bedarf keiner Erklärung Ihrerseits; ich weiß bereits, was geschehen ist, und möchte Sie zur Rede stellen über die Art, wie Sie die junge Dame verleiteten, die Aufrichtigkeit und Rücksicht, die sie den Ihrigen schuldet, in so unverzeihlicher Weise zu verletzen.“
Georg senkte das Auge, sein peinliches Ehrgefühl empfand den Vorwurf als nur zu sehr begründet.
„Ich habe vielleicht Unrecht gethan, bis heute zu schweigen,“ erwiderte er. „Meine einzige Entschuldigung dafür liegt in meiner Stellung, die es mir noch nicht gestattete, mit einer offenen Werbung hervorzutreten.“
„Wirklich! Ich sollte meinen, was Ihnen die Werbung nicht gestattete, mußte Ihnen auch die Erklärung verbieten.“
„Wenn sie beabsichtigt gewesen wäre, gewiß, Excellenz! Aber das war nicht der Fall. Ein unbewachter Augenblick entriß mir das Geständniß. Erst als es gehört und angenommen war, trat die Ueberlegung in den Vordergrund, und da mußte ich mir sagen, daß ich noch nichts geltend machen konnte, was mich zu der entscheidenden Bitte an die Frau Baronin berechtigte.“
„Es ist gut, daß Sie sich das selbst sagen,“ bemerkte der Freiherr mit vernichtendem Hohne. „Ich wäre sonst in die Nothwendigkeit versetzt worden, es Ihnen klar zu machen. Wenn Fräulein von Harder Ihnen Versprechungen gegeben hat, so ist das selbstverständlich ohne jede Bedeutung, da es ohne mein und der Mutter Vorwissen geschah, und es wäre einfach lächerlich, wenn Sie irgend eine Hoffnung daran knüpfen wollten. Romanideen gehören in das Gebiet des Romans. Ich bedaure es, daß meine Nichte solchen Ueberspanntheiten zugänglich gewesen ist, aber Sie werden mir hoffentlich nicht zumuthen, in Wirklichkeit mit denselben zu rechnen.“
Das Gesicht des jungen Mannes begann sich zu röthen bei dem verächtlichen Tone, und die aufsteigende Erregung verrieth sich in seiner Stimme, als er erwiderte:
„Ich weiß nicht, ob eine ernste, reine Neigung, die sich nie auch nur eines unwürdigen Gedankens bewußt war und ihren Gegenstand stets heilig und hoch gehalten hat, nur Spott und Hohn verdient. Ich habe bisher ein Geheimniß daraus gemacht und auch Fräulein von Harder veranlaßt, dies zu thun, weil ich wußte, daß es der Zeit und der Arbeit meinerseits bedurfte, um die Hindernisse wegzuräumen, die mir entgegenstehen, weil ich voraussah, daß man Alles aufbieten werde, um uns zu trennen. Das ist meine einzige Schuld; sie mag Tadel und Vorwurf verdienen – wer die Liebe kennt, wird sie nicht allzu hart verdammen. Ich war aber nicht darauf gefaßt, unsere beiderseitige Neigung als eine bloße Romanidee verurtheilt zu sehen.“
„Und wofür wollen Sie denn sonst, daß ich sie nehmen soll?“ fragte Raven in ironischem Tone. „Ich dächte, Sie hätten allen Grund, mir dankbar zu sein, wenn ich die Sache in dieser Weise auffasse, denn das allein läßt eine mildere Beurtheilung zu. Wüßte ich, daß Sie und Gabriele im vollen Ernste an eine Verbindung denken, so –“ er vollendete nicht; sein Blick ergänzte die Worte in unheilvollem Sinne.
„Würden Excellenz es vorgezogen haben, wenn wir uns geliebt hätten, ohne an eine Verbindung für das Leben zu denken?“ fragte Georg ruhig.
„Herr Assessor Winterfeld, Sie vergessen sich,“ brauste der Freiherr auf. „Nicht auf meine Nichte, auf Sie allein fällt die Schuld dieses heimlichen Einverständnisses. Das junge Mädchen war noch nicht im Stande, dessen Tragweite zu ermessen und die trennenden Schranken zu erwägen. Sie aber konnten es, und von Ihnen fordere ich Rechenschaft. Sie sind einer meiner jüngsten Beamten, ohne Namen und Rang, ohne Vermögen und Aussichten; mit welchem Rechte wagen Sie es, nach der Hand der Baroneß Harder zu trachten, die an glänzende Verhältnisse gewöhnt und zu Umgebungen und Lebenskreisen berechtigt ist, die weitab von den Ihrigen liegen?“
„Mit demselben Rechte, das Freiherr von Raven geltend machte, als er unter ganz ähnlichen Verhältnissen um die Tochter des Ministers warb, die später seine Gemahlin wurde,“ erwiderte Georg mit Festigkeit, „mit dem Rechte der Zukunft.“
Raven biß sich auf die Lippen. „Sie scheinen eine Laufbahn, wie die meinige, auch für die Ihrige als selbstverständlich vorauszusetzen. Es ist doch gewagt von Ihnen, sich so ohne Weiteres mit mir in eine Reihe zu stellen. Uebrigens trifft der Vergleich von damals nicht zu. Ich gehörte längst zu dem intimen Kreise des Ministers, ehe ich sein Sohn wurde; ich wußte, daß er meine Werbung begünstigte, und hatte mir sein Jawort gesichert, ehe ich das seiner Tochter forderte. Das ist der einzige ehrenvolle Weg bei solchen Dingen. Merken Sie sich das, Herr Assessor!“
„Excellenz haben jedenfalls concreter und überlegter gehandelt, als ich es gethan habe, aber – ich liebte Gabriele.“
Das Auge des Freiherrn sprühte in wilder Gereiztheit auf den Verwegenen nieder, der es wagte, ihn daran zu erinnern, daß seine eigene Vermählung nur das Werk der Berechnung gewesen war.
„Ich ersuche Sie, in meiner Gegenwart nur von der Baroneß Harder zu sprechen,“ sagte er in dem schroffsten Tone, der ihm zu Gebote stand. „Was übrigens die Selbstlosigkeit Ihrer Liebe betrifft – sollte es Ihnen so ganz unbekannt geblieben sein, daß meine Nichte allgemein als meine Erbin angesehen wird?“
„Nein! Aber ich setze voraus, daß etwaige Bestimmungen [274] in dieser Hinsicht zurückgenommen werden, sobald die junge Baroneß ohne Einwilligung ihres Vormundes eine Verbindung eingeht.“
„Die Voraussetzung ist sehr richtig. Und Sie besitzen wirklich Egoismus genug, einem Wesen, das Sie zu lieben behaupten, Alles zu rauben, was Geburt und Verwandtschaft ihm verheißen, um es an Ihrer Seite einem Leben preiszugeben, das nur eine fortgesetzte Kette von Entsagungen wäre? Eine sehr aufopfernde Liebe in der That! Zum Glücke ist Gabriele Harder nicht geschaffen, eine solche Entsagungsidylle zu verwirklichen und ich werde dafür sorgen, daß sie nicht das Opfer einer Jugendthorheit wird, die sie bald genug mit der bittersten Reue bezahlen würde.“
Georg schwieg. Das war der wunde Punkt in seinem Innern. Er hatte es ja oft genug selbst empfunden, was der Freiherr aussprach. Gabriele war am wenigsten für eine „Entsagungsidylle“ geschaffen.
„Kommen wir zu Ende!“ sagte Raven, sich mit einer gebieterischen Bewegung emporrichtend. „Ich gestehe meiner Nichte unter keinen Umständen das Recht zu, ohne meine Einwilligung über ihre Zukunft zu entscheiden, und verweigere jedes Eingehen auf Wünsche und Hoffnungen, die für mich nicht existiren. Sie wissen, daß das Recht des Vormundes so unbeschränkt ist, wie das des Vaters, und werden sich demgemäß fügen. Ich erwarte von Ihrer Ehre, daß Sie nicht versuchen hinter meinem Rücken ein Einverständniß fortzusetzen, das ganz geeignet ist, den Ruf der jungen Dame zu schädigen wie es schon ihr Verhältniß zu den Ihrigen getrübt hat. Sie werden mir Ihr Wort darauf geben, nicht etwa heimlich eine Annäherung zu versuchen, die ich offen verbiete.“
„Wenn es mir erlaubt ist, Baroneß Harder noch einmal zu sehen und zu sprechen, sei es auch in Gegenwart der Frau Baronin.“
„Nein!“
„So kann ich das geforderte Versprechen nicht geben.“
„Besinnen Sie sich, wem Sie trotzen, Herr Assessor!“ mahnte der Freiherr; es lag eine unzweideutige Drohung in den Worten.
Das schöne, klare Auge des jungen Mannes begegnete furchtlos dem seines Chefs, und doch hätte die düstere Gluth, die sich darin malte, ihn schrecken sollen. Die beiden Männer maßen sich wie zwei Gegner, die vor dem Kampfe ihre Kräfte prüfen. Die Haltung des Jüngeren war entschlossen, aber ruhig, die des Aelteren verrieth eine furchtbare Bewegung.
Ich trotze nur einem harten und ungerechten Spruch,“ sagte Georg, die letzten Worte wieder aufnehmend. „Excellenz haben die Macht, die Trennung über uns zu verhängen, und wir fügen uns einer Nothwendigkeit, gegen die wir Beide waffenlos sind. Daß Sie uns aber eine Unterredung versagen, die vielleicht auf Jahre hinaus die letzte ist, das – ich wiederhole es – ist hart und ungerecht. Ich weiß nicht, in welcher Weise auf Fräulein von Harder eingewirkt wird, in welcher Weise man ihr mein gezwungenes Fernbleiben darstellt; ich muß ihr wenigstens sagen, daß ich mein Recht auf ihre Hand unter allen Umständen behaupte und Alles daran setzen werde, diese Hand einst zu verdienen – und das werde ich mündlich oder schriftlich versuchen, mit oder ohne den Willen Euer Excellenz.“
Er verbeugte sich und ging, ohne das übliche Zeichen der Entlassung abzuwarten. Raven warf sich in einen Sessel. Die Unterredung hatte einen ganz anderen Verlauf genommen, als er erwartete. Er hatte bisher nur amtlich mit Winterfeld verkehrt und ihn wohl für talentvoll und tüchtig in seinem Berufe gehalten, ihm jedoch nie eine hervorragende Bedeutung beigelegt; die Verschiedenheit der Stellung schloß da jedes nähere Interesse aus. Heute zum ersten Male stand nicht der Untergebene dem Vorgesetzten sondern der Mann dem Manne gegenüber, und heute entdeckte der Freiherr, daß sich hinter dieser ruhigen Bescheidenheit und dieser klaren, sanften Stirn eine Energie barg, die der seinigen nichts nachgab. Er war gewohnt, mit der bloßen Macht seiner Persönlichkeit jeden Widerstand zu brechen; hier rief er vergebens diese Macht und die ganze Ueberlegenheit seiner Stellung zu Hülfe; es gelang ihm nicht, den Gegner herabzusetzen oder einzuschüchtern; er mußte ihn in mehr als einer Hinsicht als ebenbürtig anerkennen. Gabriele hatte ihre Liebe keinem Unwürdigen geschenkt, und daß sie es nicht gethan, das eben wühlte in dem Inneren des Mannes, der in dumpfem Brüten in seinem Sessel lag. Er hätte viel darum gegeben, wenn es ihm möglich gewesen wäre, diese Neigung wirklich als eine Kinderthorheit zu verurtheilen und die Beiden mit Fug und Recht aus einander zu reißen. Jetzt blieb ihm nur der armselige Vorwand der Standes- und Vermögensunterschiede, und er selbst hatte einst gezeigt, wie leicht diese Schranken zu durchbrechen sind, sobald ein energischer Wille sich dagegen auflehnt, wenn ihn auch freilich ganz andere Beweggründe leiteten.
Das schönste und heiligste Vorrecht der Jugend, eine glühende, ideale Leidenschaft, die nicht nach Schranken und Möglichkeiten fragt, hatte Arno Raven nie gelernt und nie geltend gemacht. Er hatte den Traum von Liebe und Glück nicht träumen wollen, als er dazu berechtigt war – seine ehrgeizigen Pläne ließen ihm keine Zeit dazu. Jetzt, im Herbste seines Lebens, schwebte der Traum herab, goldig und verklärend; er umgab ihn mit schmeichelndem, trügerischem Schimmer und nahm seine beste Kraft gefangen, bis er jäh daraus erwachte. Die Jugend folgte der Jugend, und der alternde Mann stand allein auf der Höhe seiner Erfolge und seiner Macht, mit der öden Einsamkeit um sich her. Vielleicht hätte er in dieser Stunde Macht und Erfolge hingegeben, um noch einmal wieder jung zu sein.
Wie man bereits aus den Zeitungen ersehen hat, ist der Amerikaner Bayard Taylor neuerdings zum Botschafter der Vereinigten Staaten beim deutschen Kaiserhofe ernannt worden. Die Nachricht hat in den Kreisen der liberalen Politiker, überhaupt der Gebildeten Deutschlands, eine ganz besondere Freude und Befriedigung erregt, da der Ernannte bei uns längst als einer der bedeutendsten und interessantesten Repräsentanten der seit längerer Zeit an hervorragenden Geistern durchaus nicht mehr armen Literatur der nordamerikanischen Union gekannt und geschätzt ist. Nicht nur als Publicist und schriftstellernder Tourist, sondern auch als Dichter und Romanschriftsteller, als Uebersetzer und öffentlicher Vorleser hat sich Taylor auf beiden Seiten des atlantischen Oceans einen höchst geachteten Namen verschafft. Aber neben der Auszeichnung im Dienste der Musen schwang er sich auch in gesellschaftlicher Hinsicht von mehr untergeordneter Lage aus zu einer vollkommen gesicherten und unabhängigen Stellung auf, während er bereits früher auch als Staatsmann und Diplomat sich die vollste Anerkennung seiner Regierung und seines Vaterlandes gewonnen hat. Als daher der jetzige Präsident Hayes Herrn Bayard Taylor, ohne daß dieser sich darum beworben hatte, bei dem Bundessenat in Washington für den wichtigen Berliner Gesandtschaftsposten in Vorschlag brachte, fand dieser Schritt, eine gewiß seltene Erscheinung, in der ganzen amerikanischen Presse den einmütigsten Beifall, sodaß bei dieser wunderbaren Harmonie der verschiedensten Parteiorgane selbst die genannte, den Amtsernennungen des Herrn Hayes sonst nicht sehr freundlich gesinnte gesetzgebende Staatsvertretung sich veranlaßt sah, am 4. März dieses Jahres einstimmig und ohne die geringste Opposition die Wahl zu bestätigen. Der greise Lieblingsdichter Amerikas, William Cullen Bryant, ließ sich in seinem stets die Sache der Freiheit und der gesunden Reform vertheidigenden Organe „Die „New-Yorker Abendpost“ also vernehmen:
Bayard Taylor ist ein Mann, der nicht nur Menschen und Dinge in seinem eigenen Vaterlande, sondern auch in anderen Ländern gründlich kennt. Wenn das Sprüchwort: ‚Wer seine Heimath nie verlassen hat, der besitzt nur einen beschränkten Gesichtskreis‘ nicht in allen Fällen wahr ist, so ist es doch unbestreitbar wahr, daß, sobald es sich um einen Gesandtschaftsposten handelt, man keinem Menschen den Vorzug geben darf, der niemals im Auslande gewesen ist. Vielleicht kennt kein
[275] anderer Amerikaner das Ausland besser, als Herr Taylor. Er hat die Länder, Völker und gesellschaftlichen Verhältnisse Europas nicht nur aus Büchern studirt, sondern vorzugsweise durch eigene Anschauung und persönliche Erfahrung, die sich niemals durch Bücherstudium ersetzen lassen, kennen gelernt. Er ist vollständig Herr der deutschen Sprache, ja, er hat Deutschland zu seinem Specialstudium gemacht, er kennt deutsche Geschichte, deutsche Literatur und deutsches Leben. Ganz besonders aber gereicht es Herrn Taylor zum Ruhme, daß er bei seinen vielen Reisen und seinem langen Entferntsein aus dem Vaterlande doch niemals aufgehört hat, Amerikaner zu sein. Er zählt eben zu jenen Reisenden, die nicht geringer von ihrer Heimath denken, indem sie andere Länder liebgewinnen und hochschätzen lernen.“
Taylor ist übrigens wie William C. Bryant (der politische Gesinnungsgenosse unseres Landsmannes Karl Schurz) weiter hervorhob, kein Parteipolitiker „in dem gehässigen Sinne dieses Wortes“, obschon er seit dem Bestehen der republikanischen Partei in allen Hauptfragen sich den Republikanern anschloß, Gegner der Negersclaverei war und während des Bürgerkrieges treu auf Seiten der Union stand.
Die englische Sprache hat bekanntlich für einen Mann, der sich vorzugsweise durch eigene Kraft seinen Lebensweg bahnte, die treffende Bezeichnung: self-made man. Solch ein „selbstgemachter Mann“ aber vereinigt in sich die begeisterungsvolle Liebe zum Idealen und den praktischen Sinn für das reale Leben. Diese Selbstbestimmung in Beruf und Charakter ist von Bayard Taylor sein ganzes Leben hindurch bethätigt worden.
Am 11. Januar 1825 wurde er in der Nähe von Kennett
[276] Square in Chester-County (Staat Pennsylvanien) geboren, wo sein Vater, dessen Vorfahren zu den frühesten Ansiedlern Amerikas gehörten, die Farmerei betrieb. Seine mangelhaften Schulkenntnisse wußte der junge Taylor durch unermüdliches Privatstudium zu erweitern und zu ergänzen und begab sich in seinem siebenzehnten Lebensjahre nach dem in seinem Geburtsstaate gelegenen Städtchen Westchester, um daselbst die Buchdruckerkunst zu erlernen. Zwei Jahre blieb er diesem Berufe treu, versuchte sich aber schon während dieser Zeit als Dichter, wie die 1844 zu Philadelphia erschienene Gedichtsammlung „Ximena und andere Dichtungen“ beweist. Die meisten dieser Jugendgedichte waren schon vorher in Journalen veröffentlicht worden, ohne dort die Aufmerksamkeit des Publicums in besonderem Grade zu erregen.
Der Amerikaner ist durch äußere und innere Ursachen von Jugend auf an einen häufigen und oft urplötzlichen Wechsel von Stellung und Beschäftigung gewöhnt und fühlt daher weniger als der Bewohner irgend eines andern Landes die Neigung und das Bedürfniß, an der Scholle zu kleben, auf der er geboren ist. Er wird sozusagen ein Wandergeschöpf, ist ein geborener Tourist. Die ungeheure Ausdehnung des Landes und das unruhige Temperament seiner Bewohner weckt in Letzteren die Wanderlust. Dieser mächtige Trieb nach Ortsveränderung und Abenteuern beseelte denn auch den jungen Bayard Taylor, und so sehen wir ihn schon in den Jahren 1844 bis 1846 verschiedene Länder Europas durchstreifen. Meistens zu Fuß und mit einem Reisegelde von nur etwa fünfhundert Dollars versehen, besuchte er England, Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Italien. Nach der Heimkehr schildert er die empfangenen Eindrücke und gemachten Beobachtungen in einem nicht nur in Amerika, sondern auch in England höchst beifällig aufgenommenen Buche („Views a-Foot, or Europe seen with Knapsack and Staff“). Nachdem er alsdann kurze Zeit zu Phönixville in Pennsylvanien eine Zeitung herausgegeben hatte, begab er sich nach New-York, wo er zunächst einige Beitrage für eine literarische Zeitschrift lieferte, dann aber als Miteigentümer und Mitherausgeber der „New-York Tribune“ auftrat. Im Jahre 1848 veröffentlichte er eine Sammlung von Reisegedichten und Balladen, die den sonst nur äußerst schwer zu befriedigenden Recensenten Edgar A. Poe zu der folgenden Kritik veranlaßten: „B. Taylor ist hinsichtlich seiner Ausdrucksweise den sorgfältigsten, feurigsten und kräftigsten Dichtern Amerikas, der älteren wie der neueren Zeit, beizuzählen. Der volltönende, fein abgemessene Rhythmus seiner Dichtungen erinnert gar häufig an Thomas Campbell.“
Die Beschreibung der von Taylor im Jahre 1849 nach dem von den Vereinigten Staaten neuerworbenen Goldlande Californien unternommenen Reise fand bei ihrem ersten Erscheinen einen solchen Beifall, daß in Amerika davon binnen zwölf Tagen zehntausend und in Europa binnen wenigen Jahren dreißigtausend Exemplare verkauft wurden. Solche Erfolge konnten das Selbstvertrauen und die Reiselust des Verfassers nur steigern und so verließ er denn im Jahre 1851 Philadelphia, um eine Reise großartigen Stils von mehr als fünfzigtausend englischen Meilen zu machen. Er durchwanderte Spanien, Sicilien, Aegypten, Nubien, Kleinasien und Syrien, sah Ostindien und China, und schloß sich zuletzt noch der Expedition an, die sein Landsmann Perry nach Japan unternahm. Das literarische Ergebniß dieser langen Reise, von der er am 20. December 1853 nach New-York zurückkehrte, war eine ganze Reihe von theils prosaischen, theils poetischen Schriften, die in Amerika und England wiederholte Auflagen erlebten. Die unbändige Wanderlust Taylor’s war damit aber noch lange nicht gestillt. Nach einem Aufenthalte von kaum dritthalb Jahren in der Heimath sehen wir ihn schon wieder sich in New-York einschiffen, um diesmal, nachdem er abermals Deutschland einen Besuch abgestattet, Dänemark, Schweden, Norwegen und Lappland, Rußland, Polen, Griechenland und Kreta zu bereisen. Was er in allen diesen Ländern gesehen und erlebt, schilderte er nun wiederum in verschiedenen Werken, nachdem er im October 1858 glücklich nach Amerika heimgekehrt war. Der Mann, der in allen Weltteilen zu Hause, der den Neger in seiner Hütte in Nubien und den gelben Japanesen in Jeddo, den Gemsenjäger aus den Alpen von Tirol und der Schweiz und den Goldgräber in Californien besucht hatte, der in Mexico die Winde der Tropenwelt und in Nigritien die Schauer der Wüste gefühlt, derselbe Mann suchte nun im hohen Norden Europas bei den Finnen und Lappen auch die Schrecken und Schönheiten des arktischen Winters auf.
Es möge uns vergönnt sein, als Probe von Taylor’s Schreibweise, eine kurze Stelle aus seinem Buche „Northern Travel“ hier mitzutheilen. Von Pitea im nördlichen Schweden aus schreibt er unterm 28. December 1856 unter Anderem Folgendes: „Ein wenig nach zehn Uhr Vormittags ging die Sonne auf, und ich habe nie etwas Schöneres gesehen, als die Beleuchtung der Wälder und Schneefelder in ihren wagerechten orangegelben Strahlen. Selbst zur Mittagszeit stand die Sonne nicht höher, als acht Grad über dem Horizont. Nur die Wipfel der Bäume wurden von ihren Strahlen berührt; ruhig und fest wie Eisen und von glänzenden Eiskrystallen bedeckt, waren die Stämme der Baumriesen in schimmerndes Gold und ihr Laubwerk in ein feueriges Orangebraun verwandelt. Die zarten, mit Eis überzogenen Zweige der Birken glänzten gleich Stäben von Topas und Amethyst, und die gegen die Sonne liegenden und mit jungfräulichem Schnee bedeckten Abhänge schimmerten in den schönsten safrangelben Strahlen. Im Süden findet sich Nichts, was diesem Anblick gleichgestellt werden kann, Nichts, was so reich, blendend und prachtvoll wäre.“
Die vielgereiste Mann glaubte in den Winterlandschaften des hohen Nordens die Erhabenheit des Todes und der Verödung, eine wilde, finstere, traurige Eintönigleit der hinsterbenden Natur zu finden und hatte, wie er selbst erklärte, in Wirklichkeit dort den beständigen Genuß der seltensten, zartesten und bezauberndsten Schönheit vor sich. Und mit diesen unerwarteten Natureindrücken schienen ihm auch die Leute, die ihm auf der Landstraße begegneten, in vollem Einklange zu stehen. „Sie sind so klaräugig und so rosenroth wie der Morgen,“ sagt er von ihnen, „so schlank und kräftig, wie die jungen Tannenbäume in ihren Wäldern, und einfacher, rechtschaffener und unverfälschter als irgend eine Classe von Menschen, die ich je sonst gesehen habe. Unter der Heiterkeit dieser blauen Augen und glatten, schönen Gesichter brennt die alte Berserkerwut, die nicht leicht in Feuer geräth, aber, sobald dies aus irgend einem Grunde geschieht, furchtbar ist wie der Blitz.“
Taylor bekämpft dann mit Recht den Ausspruch Lord Byron’s, daß die Bewohner des kalten Klimas auch kaltes Blut hätten, indem er den „Nordländern“ und „Nordländerinnen“ ebenso gut warme Herzen zuerkennt, als den Südländern; die ersteren scheinen nur „wegen ihrer hohen Selbstbeherrschung und in Folge der Freiheit von verderblichen Leidenschaften“ so kalt und eisig zu sein. Den Totaleindruck seiner Nordlandsreise faßt er ungefähr in folgender Weise zusammen: „Mein Ausflug nach dem Polarland kommt mir vor wie eine lange, lange Nacht voller glänzender Träume, aber doch Nacht und nicht Tag. Es ist gut, den Norden zu sehen, selbst nach dem Süden, wie aber Niemand die Tropen wieder verläßt, ohne dann und wann lebhaft die Sehnsucht nach Rückkehr zu empfinden, so wird keiner, der einen Winter innerhalb des Polarkreises verlebt hat, Verlangen tragen, die Erfahrung noch einmal zu machen.“
Es ist wahr, wie auch einige Kritiker von Taylor’s Reisebeschreibungen gesagt haben, die Schilderungen des amerikanischen Touristen entbehren hier und da der wissenschaftlichen Genauigkeit und Gründlichkeit, aber sie sind doch voll lebendiger Frische und wohlthuender Unbefangenheit; sie sind getreu wie Photographien und gehoben von jenem Schwunge, wie er aus einem warm schlagenden und edel empfindenden Herzen kommt. Seine Schrift: „Des Dichters Tagebuch“ darf als eine poetische Selbstbiographie angesehen und beurtheilt werden.
Von dem großen Präsidenten Abraham Lincoln wurde Taylor zuerst zum Legationssecretär und später zum Geschäftsträger der Vereinigten Staaten am Petersburger Hofe ernannt und bekleidete diese Stelle während der Jahre 1862 und 1863. Es ist daher anzunehmen, daß dem scharfblickenden Manne seine in Rußland gemachten diplomatischen Erfahrungen bei der gegenwärtigen orientalischen Krisis in Berlin von Nutzen sein werden.
Nachdem er damals seine Diplomatenstellung in Petersburg aufgegeben hatte, lebte er auf seinem schöngelegenen Landsitze Cedarcroft in der Nähe von Philadelphia in stiller Zurückgezogenheit, die nur durch eine abermalige Reise nach Californien und eine Sommertour nach Colorado unterbrochen wurde. Selbstverständlich [277] liegen auch Berichte über diese Ausflüge, wie über alle seine anderen Reisen, vor. Seit 1964 trat er wiederholt als öffentlicher Vorleser in verschiedenen größeren Städten Amerikas auf, und zwar mit großem Beifall und nicht ohne klingendes Ergebniß. Eine Reise auf der Pacific-Eisenbahn im Jahre 1871 benutzte er zu einem Abstecher nach den im Huron-See gelegenen und durch indianische Sagen berühmten Manitouline-Inseln.
Seine Liebe zu Deutschland, die schon aus dem Grunde erklärlich ist, weil er in der talentvollen Tochter des Astronomen Hansen zu Gotha eine treue und vielgeliebte Lebensgefährtin fand, zog Bayard Taylor im Jahre 1872 wiederum über den Ocean nach Europa, wo er sich einige Jahre theils in Italien, theils in Thüringen aufhielt und eifrig mit dichterischen und wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte. Aber auch das alte Land der Pharaonen übte noch einmal seine wunderbare Anziehungskraft auf ihn; von den Pyramiden begab er sich 1874 nach Island, um die tausendjährige Jubelfeier der Besiedelung dieser Insel mitzumachen und sie durch ein schwungvolles Lied zu verherrlichen. Die Frucht dieser letzten beiden Reisen ist auch seine letzte größere Reisebeschreibung: „Aegypten und Island“.
Als Taylor im Herbste des Jahres 1874 aus der Fremde in die Heimath zurückkehrte, wurde ihm von seinen vielen Freunden und Verehrern ein äußerst herzlicher Empfang bereitet. Der Berg Cuba, in der Nähe des schönen, romantischen Hockessinthales, gleich weit von Philadelphia und der Stadt Wilmington im Staate Delaware gelegen, war als der Platz auserwählt worden, wo die sinnige Empfangsfeier vor sich ging. Dies war vorzugsweise aus dem Grunde geschehen, weil Taylor den genannten Berg und das Hockessinthal nebst Umgegend durch ein gerade vor zwei Jahren in Deutschland verfaßtes längeres Gedicht, „Lars“ betitelt, verherrlicht hatte. Der Festplatz war durch Guirlanden und Triumphbogen geschmückt, an denen sich Sprüche und Sentenzen aus den Werken des berühmten Reisenden, umrahmt von Immergrün und frischen Herbstblumen, befanden. Als sich Taylor, begleitet von seinen betagten Eltern, seiner Frau und seiner Tochter, der Stelle näherte, stimmte ein Sängerchor das von Taylor selbst in’s Englische übertragene deutsche Nationallied „Die Wacht am Rhein“ an, nach dessen Beendigung verschiedene Begrüßungsreden gehalten wurden. Dr. Franklin Taylor, ein Verwandter des Heimgekehrten, der mit diesem vor dreißig Jahren die erste Reise nach Europa gemacht hatte, rief die Erinnerung an vergangene Zeiten wach und gedachte in ergreifender Weise mancher Freunde, die nicht mehr unter den Lebenden weilten. Schließlich nahm Bayard Taylor selber das Wort und gab in einer längere Rede einen kurzen Rückblick auf sein bisheriges Wirken und Streben. Seine vielen Reisen, sagte er unter Anderem, habe er wesentlich nur deshalb unternommen, um sich geistig auszubilden; er wisse wohl, daß seine Reisebeschreibungen, obschon sie viel und gern gelesen würden, doch sehr mangelhaft seien, aber sein letzter Aufenthalt in der Alten Welt sei von ihm zu gründlichen Arbeiten benutzt worden, er habe das Gedicht „Lars“ verfaßt, eine „Geschichte Deutschlands“ geschrieben und ein Drama, „Der Prophet“, gedichtet, außerdem habe er Material zu weiteren, größeren Arbeiten gesammelt. Er stehe an einem Wendepunkt seines Lebens, in drei Monaten werde er fünfzig Jahre alt, aber fühle sich noch körperlich und geistig frisch genug, um Besseres als bisher zu leisten. Seine Frau sei ihm in allen Dingen, auch bei seinen dichterischen Schöpfungen, eine treue und einsichtsvolle Beratherin und Helferin. Er sei kein eigentlicher „Reformer“, aber all seine Kraft solle darauf gerichtet sein, seine Mitbürger und sich selber besser und glücklicher zu machen.
Zum Andenken an das ihm bereitete frohe Bewillkommnungsfest dichtete er bald darauf das warm empfundene Gedicht: „Ad Amicos.“
Taylor’s Dichtungen sind von einem heiteren Glauben an das Gute durchhaucht, ebenso seine Romane und Novellen, unter denen mir „Hannah Thurston“, „Die Geschichte von Kennett“, „John Godfrey’s Schicksale“ und „Joseph und sein Freund“ hervorheben.
Als im Jahre 1875 der deutsche „Goethe-Club“ in New-York, der sehr viel amerikanische Mitglieder hat, am Geburtstage unseres großen Dichterfürsten ein Fest veranstaltete, um die Enthüllung und Einweihung einer wohlgelungenen Goethe-Büste vorzunehmen, welche fortan den großen und schönen Centralpark in New-York schmücken sollte, waren zu dieser Feier auch William C. Bryant und Bayard Taylor eingeladen worden. Der Vorsitzende des „Goethe-Clubs“, Herr Dr. A. Ruppauer, schilderte in einer längeren Begrüßungsrede den Zweck dieses Vereins, der deutschen Literatur in den Vereinigten Staaten eine immer weitere Verbreitung und Anerkennung zu verschaffen, und schloß mit einem Hinweis auf die vielfachen Verdienste der anwesenden Dichter Bryant und Taylor, die Beide, wohlbewandert in der deutschen Literatur, stets Freunde und Förderer des Deutschthums in Amerika gewesen seien.
Taylor beantwortete den auf ihn ausgebrachten Toast dankend und bemerkte in deutscher Sprache, daß er seit Jahren Material gesammelt habe, um für seine Landsleute eine Biographie Goethe’s zu schreiben. Bekanntlich hat Taylor Goethe’s „Faust“ wirklich meisterhaft in’s Englische übersetzt, ebenso Auerbach’s „Landhaus am Rhein“ und verschiedene andere deutsche Dichtungen. Unter den deutschen Uebersetzern Taylor’scher Reisebeschreibungen, Gedichte und Romane sind dagegen zu nennen: Friedrich Coßmann, Spielhagen, Strodtmann und Frau E. Steinitz. Das lyrisch-dramatische Gedicht Taylor’s „Die Maskerade der Götter“ behandelt die tiefsten metaphysischen Fragen über Gott und Welt und ist gleichsam ein Lobgesang auf die das Weltall umfassende göttliche Liebe. Der Stoff des oben erwähnten fünfactigen Dramas „Der Prophet“ ist der Geschichte des Mormonenthums entnommen. Seine „Ode an Columbia“, die er zur hundertjährigen Jubelfeier des 4. Juli 1776 dichtete und bei der Eröffnung der Weltausstellung zu Philadelphia 1876 selbst öffentlich vortrug, zeichnet sich durch dithyrambischen Schwung und hohen Patriotismus aus. Mit welcher Theilnahme er die Ereignisse in Europa verfolgte, davon hat uns erst vor Kurzem sein auf das Hinscheiden des Königs Victor Emanuel verfaßtes Gedicht überzeugt, in welchem er auch Mazzini’s, Cavour’s und Garibaldi’s rühmend gedenkt. Seine „Geschichte von Deutschland“, die er für die Schule der Vereinigten Staaten schrieb und in der er die ehrenvolle Herstellung der deutschen Reichseinheit feiert, ist von seiner Frau Marie in die deutsche Sprache übertragen und in Stuttgart (bei Aug. Berth. Auerbach) erschienen.
Wir haben hier vornehmlich die schriftstellerische Seite und das dichterische Verdienst des ausgezeichneten Mannes betont, weil sich hieraus allein schon hinlänglich die Hoffnung ergiebt, daß eine geistig so glänzende Persönlichkeit, ein so charaktervoller und bedeutender Schriftsteller auch eine Zierde unserer politischen Kreise sein, daß der gefeierte Uebersetzer des „Faust“ und der Verfasser der „Geschichte Deutschlands“ die große transatlantische Republik bei der Regierung unseres jungen Deutschen Reiches würdig und wirksam vertreten wird. Schon in den ersten Tagen des April schickte sich Bayard Taylor zur Abreise nach Deutschland an und von allen Seiten beeilten sich die Amerikaner, ihm ihre aufrichtigen Huldigungen und Glückwünsche durch großartige Abschiedsfeste vorzubringen, an denen sich die hervorragendsten Männer betheiligten. Bei Gelegenheit eines solchen, von dem obengenannten Goethe-Club in New-York ihm zu Ehren veranstalteten Festes äußerte sich der neue Botschafter unter Anderem auch über die Stellung seines schriftstellerischen Berufes zu seinen Pflichten als Staatsmann. Vielleicht, sagte er, gäbe es Einige, welche sagen, an einen solchen Posten von so außerordentlicher politischer Wichtigkeit solle man Niemand stellen, der eine weitab von diesem Felde liegende zweite Aufgabe sich gestellt habe. Denen erwidere er: als Gesandter denke er seine Pflicht in vollstem Maße zu erfüllen. Aber wen er von den vierundzwanzig Stunden des Tages, namentlich von den Stunden, welche nach gethaner Arbeit ihm zur Erholung gehörten, einige in literarischer Thätigkeit verwenden werde, so dürfe ihm das Niemand mißgönnen. Jedenfalls freue er sich, nach Berlin gehen zu können, in die Hauptstadt, wo ihm durch Quellenstudium, durch reichhaltiges Material und aus den lebendigen Mittheilungen der Forscher die Hoffnung winke, seine Arbeit (wohl die beabsichtigte Biographie Goethe’s) in dem Sinne vollenden zu können, wie er sich vorgenommen habe.
In alter Zeit hüteten Königssöhne der Heerden, dieweil Königstöchter des Hauses warteten. Liebliche Sagen haben die Frau verherrlicht, die unter ihren Mägden saß, Spindel und Webstuhl regierend; hier vernimmt Andromache den Tod Hector’s; dort sorgt Krimhild „webend das Gewand, doppelt und purpurhell“, darinnen Sigfried den Tod findet. Homer erzählt von den Frauen, die mit „rasselnder Mühle zermalmen gelbes Getreide“, daß sie bei ihrem häuslichen Wirken emsig seien, „wie die Blätter der lustigen Zitterpappel“, und unvergeßlich ist die reizende Erzählung der Geschäftigkeit der Nausikaa, die Wäsche zum Bleichen und Waschen zu fahren hat, und das Bild der Gudrun die am Strande das Linnen Gerlinde’s wäscht.
So lehnen sich an die Arbeit der Frau im Hause die schönsten unserer Märchen an. Jenes Dornröschen, das sich mit der Spindel sticht, und alle die verwunschenen Prinzessinnen, die am Rade sitzen und das Schiffchen werfen, die feinen Hände, die in dunkler Nacht das Leinen waschen, das der Geliebte auf dem Herzen getragen – und bluten die Finger darunter, dann bleibt er treu – bleiben die lieblichsten Gestalten unserer Kinderzeit. Auch Hunderte freundlicher Erzählungen jener Tage, die der Volksmund „die gute alte Zeit“ nennt, überliefern das Wirken der alten deutschen Hausfrau vom Vater auf den Sohn und pflanzen es mit jedem Jahrzehnt sagenhafter fort. Das Bild der rührigen Hausfrau, die das schäumende Hausbier selbst bereitet, die allabendlich sorgt, daß für den nächsten Morgen Zünder genug vorhanden, den Schwefelfaden anzuzünden, deren Hände selbst das dünne Talglicht ziehen, die gar ängstlich die Räucherkammer bewacht, trotz des beißenden Qualmes, die sich unsere Phantasie nicht anders denken mag, als mit dem mächtigen Bunde von Schlüsseln, deren jeder von Sorge, Mühe und Last erzählt, ist eine Gestalt, uns nicht minder fern und nicht weniger vertraut, als jene Frau aus dem Märchen.
Solches Wirken der Frau und seine Poesie ist vergangen, seitdem der Dampf, dieser starke Sohn des 19. Jahrhunderts, in nimmersattem Ehrgeiz Sorg’ auf Sorge, Last auf Last uns abnimmt und mehr und mehr der Frau das Heft aus den Händen windet, das unsere Ahninnen und Aeltermütter so absolut und unbestritten führten. Wie es nur wenige liebliche Landschaften noch giebt, deren Poesie er nicht unter den eisernen Schienen begraben, die sich heute durch unser Land ziehen wie die Gitterstäbe eines großen Gefängnisses, so hat er auch in dem Bereiche der Freuden und Leiden des Hauses gewaltige Veränderungen hervorgebracht. Nicht mehr an das stille Walten zweier Hände ist das Bedürfniß und Wohlbehagen des Hauses gebunden; von dem Gerassel von hundert und aberhundert Fabrikrädern hängt es ab.
Den Nahrungs- und Genußmitteln des täglichen Lebens treten darin alle anderen Factoren des häuslichen Wohlbehagens an die Seite. Klappernde Räder wanden den Frauen das Schiffchen, die mechanische Kraft der Maschinen nahm ihnen die Nadel aus der Hand – und die Hofleute Frotho’s des Ersten, die den Entschluß faßten, dem Könige zur Vermählung zu rathen, „damit seine zerrissene Kleidung in Ordnung käme“, wären im Stande, diesen wünschenswerthen Zustand ihres Gebieters auch auf anderem Wege zu erreichen. Auch Hrolf’s Unmuth, in dem er ausruft, als er seine Mutter nicht mit den Mädchen an den Fluß ziehen sieht: „Was Wunder, daß echte Freundschaft nicht mehr in der Welt angetroffen wird, da selbst die Mutter dem Sohne das Linnen nicht mehr bleichen mag“, hätte sich allmählich gewöhnen müssen, weniger nachdenklich zu werden.
Denn auch die Wäsche, in ihrem ehrwürdigen Begriff alter Tage, steht heute nicht mehr in dem Sorgenregister der Frau, und die große Truhe „schwarzen Zeuges“, das Grauen und die Angst des Hausherrn, die ihm auf volle acht Tage den Begriff seiner vollkommensten Machtlosigkeit prophezeite, ihm das alte Wort zurückrief: „Du bist ein Mensch – das bedenke stets!“ läßt unsere Männer heute kalt. Seit die Waschmaschinen und Dampfwäschereien der großen Städte sich dieser unheimlichen Frage des Hauses bemächtigt, lebt die Qual eines echten, rechten Waschtages für einen Theil des Publicums nur noch in der Sage fort, die, dem Kinde auf dem Bettrande erzählt, sogar von freundlichem Schimmer verklärt wird. Nur der Duft der köstlichen Milchreisschüssel blieb zurück, das historische Mittagsmahl, das unabänderlich war, wie das Verhängniß.
Die Fortschritte der Technik in der Reinigung und Erhaltung unserer Bekleidungsgegenstände hatten sich bis vor wenigen Jahren ausschließlich auf das Gebiet der Bett-, Tisch- und Leibwäsche des Hauses beschränkt und für einen Theil unserer modernen Bedürfnisse eine Lücke gelassen. Die mechanische Anwendung des Wassers in Verbindung mit Seife, Soda oder anderen fettlösenden Körpern, die natürlichen und geeigneten Waschmittel für jene Waschgegenstände, die von den ersten Dampfwäschereien in wachsender Vervollkommnung vertreten wurde, erwies sich nur ausnahmsweise verwendbar, wo buntfarbige Wollen- oder Seidenstoffe in Frage kommen, und war ganz unbrauchbar zarten oder unechten Farben gegenüber.
Die Fabrikation der sogenannten Fleckenwasser, welche in keinem Hause fehlen durften, suchte diese Lücke auszufüllen; immer gehörte die Handhabung derselben zu den Pflichten und Aufgaben der guten Hausfrau, und kein betäubender Geruch der geheimnißvollen Flüssigkeiten durfte sie abhalten, zu Nutz und Frommen der Familie ihres säuberlichen Amtes zu warten.
Die sorgliche Gattin, die, in eine Brönner’sche Duftwolke gehüllt, den Rothweinfleck aus dem Sonntagsstaat des Gatten reibt oder mit den unaufklärbaren Schatten ringt, die den Werkelanzug ihrer Buben verdüstern, ist uns Allen ein vertrautes Bild. Der wichtige Fortschritt der chemischen Wäsche, der auch dieses Bad uns selten und seltener macht, ist erst wenige Jahre alt. Wenn es aber ein Maßstab für die Wichtigkeit und den Werth einer Erfindung ist, daß sie alles Andere verdrängt, was vor ihr in ähnlicher Art vorhanden war, so ist die Erfindung der chemischen Reinigung für die Interessen des Hauses eine epochemachende. In ihren Anfängen auf die Zeit der Fünfziger Jahre zurückzuführen, ist sie heut zu einer Vervollkommnung gediehen, die sie zu einem der interessantesten Groß-Industriezweige macht. Worin das Wesen der chemischen Reinigung besteht, ist heute wohl Keinem mehr fremd. Den Schwierigkeiten gegenüber, welche die Wasserwäsche nicht zu überwinden vermag, verwendet sie solche flüssige chemische Körper, welche die Eigenschaften besitzen, die ursprüngliche Farbe, Haltbarkeit und Appretur der verschiedenartigsten Stoffe nicht anzugreifen, sondern nur das Unreine aufzulösen, soweit es sich an unseren Kleidern, Röcken, Hüten, Bändern etc. befindet und aus Fettstoffen besteht, die den überall vorhandenen pulverigen Staub aufnahmen und auf und in den Zeugstoffen festkitteten. Zu den dazu verwandten flüssig-chemischen Körpern gehören Steinkohlenbenzol, Petroleumbenzin, Terpentinöl, Schwefeläther, Schwefelkohlenstoff, Amylalkohol und andere, von denen die letzteren drei indessen nur ausnahmsweise für die chemische Reinigung von Bekleidungsgegenständen, dagegen in großartigem Maßstabe zu ähnlichen Zwecken, zum Entfetten der rohen Schafwolle, der Tuche etc. in Anwendung kommen.
Die Hausfrauen hatten das Steinkohlenbenzin bisher in den verschiedenen Präparaten der Fleckenwasser nur im Kleinen consumirt. Der hohe Preis desselben schreckte unternehmende Köpfe von dem Versuch, diese Flüssigkeit an Stelle des Wassers im Großen zu verwenden, lange zurück, und als Judlin, der eigentliche Vater der chemischen Reinigung, zuerst in Warschau, dann in Berlin eine chemische Waschanstalt in großartigem Umfange einzurichten sich entschloß, machte dieser Umstand das Unternehmen zu einem nicht geringen Wagniß.
Der Erfolg desselben ließ im Laufe der Jahre eine Reihe gleicher Unternehmungen in’s Leben treten, und die chemische Wäsche als das bedeutsame Moment der Reinigung, Wiederherstellung und Erhaltung eines ganz bestimmten Theils unserer Bekleidungsgegenstände ist heute eine Frage von nationalökonomischer Bedeutung. Wir sind mit ihrer Anwendung auf Sachen unseres Haushaltes, die aus Tuch, Seide, Wolle etc. bestehen, gegenwärtig in das Stadium der Periodicität getreten, wie mit der Reinigung unserer Leibwäsche oder unseres Körpers selbst. Wie wir diese Letzteren periodisch zu gewissen Zeiten besorgen, so giebt es auch für die chemische Wäsche alljährlich [279] zwei Hauptsaisons, den beginnenden Frühling und den beginnenden Winter. Es läßt sich nur schwer ein Bild von dem Umfange des Verkehrs geben, wie er sich zu dieser Zeit in den renommirtesten dieser Waschanstalten entwickelt, wo jeder Tag Tausende und Abertausende von Aufträgen bringt und alle ihre Einrichtungen und Maschinen, die verschiedenen complicirten Waschgefäße, Bürstvorrichtungen, die Centrifugalmaschinen, die umfangreichen Destillirgefäße, Appretur- und Trockenmaschinen, kurz alle Einzelheiten des ganzen großartigen Apparates den Anblick unausgesetzter Bewegung bieten. Das unermüdliche Schaffen vieler Hunderte von rüstigen Händen, das ewige Auf- und Abladen der Markthelfer, das Schnarren und Rasseln der Maschinen, die bunte Mannigfaltigkeit der Arbeit in den einzelnen Ressorts der Anstalt – es herrscht ein buntes Leben in so einer modernen Waschanstalt.
Keine Costümkammer eines Theaters kann ein bewegteres Bild darbieten, als der große Lagerraum, der zur Aufnahme der zu reinigenden Kleider dient, die ihm aus allen europäischen Staaten zuströmen; friedlicher und stiller kann das Grab die Contraste des Lebens nicht versöhnen, wie sie sich hier berühren. Da hängt das prunkende Luxusgewand der Fürstin, das die Sorge der Kammerfrau von einem Schatten befreien will, neben dem dünnen, fadenscheinigen Rocke des armen Familienvaters, der ihn vor Kurzem erst aus dem Versatzgeschäft einlöste. Stolzer Hermelin, bunter Flitterkram der Maskengarderobe zwischen einer unabsehbaren Menge schlichter brauner Mädchenkleider, aus einem Waisenhause stammend, eine goldbordirte Ministeruniform zwischen Arbeiterblousen, die Adjustirung einer Schwadron rother Husaren, mitten unter ihnen eine Altardecke – ihre frommen Embleme verhüllt von einem blonden Lockenchignon: Alles bunt durch einander, wie der Tag es eben bringt. Da liegen ferner in wirrem Chaos Atlasschuhe, Pelzsachen, Mützen, Hüte, Handschuhe, Sonnenschirme, Teppiche, feine Applicationsarbeiten, bunte Tapisseriearbeiten, wattirte Decken, mit Schwanenbesatz verzierter Atlas, Helmbüsche und noch tausend andere Dinge.
Die chemische Wäsche dieser Gegenstände beginnt zunächst mit dem Sortiren derselben nach der Art des Gewebes, sowie nach dem Grade der Verunreinigung derselben. Die weiß- und hellseidenen Stücke, die Sammete, die hellen wollenen, die dunkeln wollenen, und die ganz besonders schmutzigen Stücke werden in dieser Reihenfolge zu einer Ladung sortirt und in die Waschmaschinen gebracht, nachdem vorher jedes Stück auf einem mit Marmorplatten bedeckten Tische, je nachdem es die Qualität des Stoffes zuläßt, mittelst einer in Benzin getauchten Bürste, namentlich an den schmutzigsten Stellen gebürstet wurde.
Die Waschmaschinen bestehen in der Regel aus einer äußeren feststehenden und einer innerlichen beweglichen, aus von einander abstehenden Latten construirten Trommel, die mit verschließbarer Einfüllthür versehen ist. In der äußeren Trommel wird das Benzin so hoch eingefüllt, daß es einige Zoll hoch in die innere Lattentrommel einsteigt, dann wird, nach dem Hereinbringen der vorbereiteten Wäschestücke in die Lattentrommel, letztere in langsame Umdrehungen versetzt. Das Benzin löst hier das Fett auf, und der pulverige Staub reibt sich mechanisch aus und geht zum größten Theil in das Benzin über.
Nach zehn Minuten bis längstens einer Stunde – die Zeitdauer hängt von der Beschaffenheit der Stoffe ab – werden die Gegenstände aus der Trommel herausgenommen, um einer indeß vorbereiteten dunkleren Ladung Platz zu machen, hierauf in einer Spülwanne in frischem, reinem Benzin gespült und dann von dem letzteren in einer in schnellste Umdrehungen versetzten Schleuder-(Centrifugal)maschine so lange ausgeschleudert oder „ausgetriefelt“, daß sie äußerlich völlig trocken erscheinen. Aus der Centrifugalmaschine werden die Gegenstände sodann in eine stark geheizte und gut ventilirte Trockenkammer gebracht, wo sie völlig getrocknet werden und den Benzingeruch verlieren, während das mit Fett und Schmutz beladene Benzin in Reservoirs, mit Schwefelsäure vermischt, zum Absetzen stehen gelassen, vom Bodensatz abgezogen und in besonderen kupfernen Destillirgefäßen über Kalk abdestillirt wird, um so, völlig rein, in den Kreislauf der Arbeit wieder einzutreten.
Die in dem heißen Trockenzimmer nach einem Verbleibe von ein bis zwei Stunden völlig geruchfrei gewordenen Gegenstände gelangen nunmehr in die Räume der Appreteure und Detacheure, um hier das nöthige frische Aussehen zu erhalten und einer genauen Durchsicht auf noch vorhandene Flecken hin unterworfen zu werden. Das Personal der Appretirsäle hat die Aufgabe, jeden Fleck nach seiner Art oder Natur, unter genauer Berücksichtigung der Farbe und des Gewebes, zu behandeln, und gar manche Hausfrau könnte hier zu der Ueberzeugung gelangen, daß keine Flecken von dem Appreteur so sehr zu fürchten sind, als diejenigen, an welchen bereits vorher der Laie seine Kunst versuchte – sie sind gewöhnlich echt und unvertilgbar. Zumal bei irgend werthvollen befleckten Stoffen sollte man daher lieber mit eigenen Experimenten sparsam sein und die Verantwortlichkeit den Detacheuren chemischer Reinigungsanstalten überlassen, bedenkend, daß die besten Fleckmittel in nicht geübten Händen die Flecke verschlimmern anstatt sie zu entfernen.
Da in der chemischen Reinigungsanstalt sämmtliche eingelieferten Stücke – gleichviel ob sie zur chemischen Wäsche oder zur Reinigung weniger Flecken in die Anstalt geschickt wurden – in die Benzinwäsche gelangen, so wird der Detacheur vorwiegend nur noch solche Flecken finden, die ihrer Natur nach sich in zuckerige oder mehlartige theilen lassen, entstanden durch wässerige Lösungen gleicher Art. Da alle die den Lösungen seiner Zeit etwa beigemengten fettigen Körper durch die chemische Wäsche zuverlässig entfernt sind, so ist die Fortschaffung dieser gebliebenen Flecken bei dem gewonnenen Grunde in den Stoffen viel leichter, als wenn noch Fett darinnen säße. Bei dicken Wollenstoffen genügt meistens schon die Bürste, bei anderen in vielen Fällen einfach reines Wasser, welches mit Schwämmchen und kleinen Bürsten zum Fortschaffen der lose aufsitzenden Schmutztheile benutzt wird, worauf die betreffenden Stellen sogleich sorgfältig mit reinen Lederlappen ausgetrocknet, die seidenen Stoffe nach dem Abtrocknen mit Gyps belegt werden, um die Bildung eines Randes zu verhindern. Bei anderen Flecken werden andere Mittel, aber eben die allgemein bekannten, Spiritus, Säuren, Ammoniak etc. angewendet.
Das letzte Ressort in einer solchen ausgedehnten Anlage ist der Appretirsaal zum Fertigmachen der chemisch gereinigten Gegenstände. Auf hohlen Plättbrettern, welchen Dampf entströmt, wird der Sammet hier aufgerichtet, werden die Muster der Applicationen und Gardinen plastisch hervorgehoben, die Wollenstoffe gedehnt und decatirt; durch die Walzen der Appretirmaschinen tritt das vorher zerknittert eingetretene Wollenzeug frisch und glatt hervor. Und alle diese in verschiedenartigster Weise thätigen Maschinen, welche die eingelieferten Gegenstände dem Publicum wie neu zurückstellen, speist und treibt der Sclave der civilisirten Welt, der gefügige Dampf. Es ist nicht zuviel gesagt, daß unsere renommirten chemischen Reinigungsanstalten ein nationalökonomisches Moment geworden sind, wie jeder Fortschritt der Technik, welcher die Wiederherstellung und Erhaltung des Unserigen bezweckt. Wenn sich die Commanditen und Annahmemagazine der Reinigungsanstalt, welche Judlin in richtiger Würdigung ihrer Bedeutung einst in verhältnismäßig kleinem Maßstabe errichtete, heute schon wie ein Netz über die Karte des Reiches und darüber hinaus ausdehnen, so ist das zugleich ein Beweis, daß die Kunst der chemischen Reinigung täglich in ihrer Vervollkommnung weiterschreitet und darin gleichen Schritt mit der Chemie selber hält.
Es war eine echte gerechte Sonnengluth. Wer es mit oder ohne Opfer hatte möglich machen können, war aus Berlin verschwunden und lag an fernen Quellen im kühlen Schatten und pumpte sich den Staub aus Brust und Herzen, oder schluckte fremden Staub und fremde Hitze und bildete sich ein, Sommerfrische zu genießen. Auf jeden Fall aber war er fort aus Berlin – und mein Verhängniß zwang mich zum Bleiben. Man könnte überhaupt viel angenehmer leben, wenn das „Verhängniß“ nicht wäre.
[280] Eines Abends schlenderte ich aufgelösten Geistes die Bellealliancestraße entlang, ohne Willen, ohne Vorsatz und ohne Lebenslust, das beklagenswerthe Opfer widriger Pflichten – da leuchteten mir durch das eiserne Gitter des Kirchhofes grüne Bäume und Sträucher so verlockend entgegen, daß ich kurz entschlossen eintrat, in der Hoffnung, dort ein wenig Kühlung zu finden. Dies schlug allerdings fehl, denn die allmächtige Sonne hatte auch in dem Schatten der Bäume brütende Schwüle verbreitet: allein es zog mich doch an, dieses Gräberfeld zu durchwandern; es entsprach meiner Stimmung und erleichterte meine Seele. Gebrochene Säulen, Kreuze und Steintafeln von allen Arten, dunkle, trübselige Cypressen und rankender Epheu, der alles umspinnt – wer kennt nicht den Charakter eines solchen Ortes! Ich ging umher und las die Inschriften. Welch eine Unsumme von Tugend lag hier, wie überall, begraben!
Mir gingen verschiedene ehrenwerthe Personen durch den Sinn, die auch einmal hierher kommen werden. Und sie, die im Leben der Haß ihrer Nebenmenschen, die Qual ihrer Verwandten waren, an denen nichts vollkommen war als ihre Laster, sie werden hier ruhen als unvergeßliche Väter, als geliebte Mütter, als musterhafte Bürger, und ein Verzeichniß ihrer Tugenden wird vorhanden sein in Stein oder Erz zur Bewunderung nachfolgender Geschlechter. Es ist ein lügenhaftes Geschäft, Grabsteine zu fabriciren.
Die Schwüle des eingeschlossenen Raumes machte mich noch müder, als ich schon war. Ich setzte mich auf eine alte gebrechliche Bank in der Nähe eines mit Epheu umsponnenen Grabhügels und versenkte meine Blicke in dieses dunkelgrüne Kraut des Vergessens.
Es waren wenig Menschen auf dem Kirchhof; in der Ferne saßen einige schwarzgekleidete Frauenzimmer an einem frischen Grabhügel, und die Leute des Kirchhofinspectors begossen geschäftsmäßig die ihrer Sorge anvertrauten Gräber. Das Geräusch der lebendigen Straße drang dumpf zu mir her; in der hohen Luft jagten sich die Thurmschwalben schrillend und schreiend, und wo die schräge Sonne das Gras noch durchglühte, zirpte kleines emsiges Gethier seinen Abendgesang. Es mochte wohl den Anschein haben, als säße ich dort in trübselige Gedanken über die Vergänglichkeit alles Irdischen versunken, allein ich will es nur gestehen: ich dachte an einen kühlen Keller und an Rheinwein in Eis.
In diesem Augenblicke hörte ich eine dünne fadenscheinige Stimme hinter mir sagen: „Sie sind wohl ein Verehrer von Chamisso, mein Herr?“
Ich hatte auf die leisen Schritte, welche sich mir näherten, nicht geachtet, jetzt wendete ich mich und sah einen kleinen, hageren, schwarzen Herrn hinter mir stehen, der den Blick von mir erläuternd auf das epheuberankte Grab wendete und zugleich mit der Spitze seines Stockes darauf hin zeigte. Ein merkwürdiger alter Herr mit einem gelblichen scharfen Antlitz, dem ein Paar ganz unvorbereitete, plötzliche schwarze Augen einen seltsam starren Ausdruck gaben.
„Allerdings, mein Herr,“ antwortete ich, „aber weshalb diese Frage?“
„Nun, das ist er ja,“ sagte der Alte fast unwillig, indem er mit seinem Stocke zweimal hastig auf das Grab hindeutete. Dann drückte er ihn zwischen die Kniee, zog eine goldene Dose hervor und nahm eilfertig mit zitternden Fingern eine Prise. Ich sah, daß dieser Stock als Knopf einen silbernen Todtenkopf trug, und kam auf die seltsame Idee, den Mann für einen Arzt zu halten, der in seinem Garten spazieren geht. Dies sprach ich aber nicht aus, sondern begab mich an das Grab, um es näher zu betrachten. Der Alte folgte mir und schob mit seinem Stock eifrig die Epheuranken fort, die den einfachen Stein überkrochen hatten.
„Dies ist er, und dies ist seine Frau,“ sagte er und deutete auf die beiden Inschriften, „ich habe ihn noch gekannt, das war ein Dichter auch dem Aussehen nach. Es sind hier noch mehr aus der Zeit, z. B. Devrient und Hoffmann. Soll ich Ihnen Hoffmann zeigen?“
Und ohne meine Zustimmung abzuwarten, steuerte er mit der Sicherheit eines Menschen, der sich ganz zu Hause fühlt, quer über den Kirchhof auf kleinen Richtsteigen zwischen den Gräbern, und ich folgte ihm, halb verwundert, halb neugierig, wie dies wohl ablaufen würde. Endlich stand er still und deutete auf eine flache Steintafel, welche aus einer ebenen von der Sonne gedorrten Grasfläche emporragte.
„Sie haben den Hügel einsinken lassen,“ sagte er, „und die Tafel ist schief geworden.“ Dann las er mit einer gewissen Andacht die Inschrift:
„E. T. W. Hoffmann
geb. Königsberg den 24. Januar 1776
gest. Berlin den 25 Juni 1822
Kammergerichtsrath.
Ausgezeichnet
im Amte,
als Dichter,
als Tonkünstler,
als Maler.
Von seinen Freunden.“
Hinter jedem Absatze des letzten Theiles dieser Grabschrift machte er eine kleine Pause, um mir mit seinen schwarzen, starren Augen die Wirkung vom Gesichte zu lesen, die eine solche Vielseitigkeit auf mich ausüben müßte.
„Es ist genug für einen Menschen,“ sagte er dann, und sah mich wieder an, meine Bestätigung erwartend.
Nun bin ich zufällig ein Verehrer von Hoffmann und kenne seine sämtlichen Schriften ziemlich genau. Als der Alte dies aus meiner Antwort merkte, schien ich sein Herz gewonnen zu haben, denn es stellte sich heraus, daß Hoffmann sein Lieblingsschriftsteller war, und wir geriethen in ein begeistertes Gespräch, wie es wohl zu entstehen pflegt, wenn zwei fremde Menschen in gleichem Cultus sich begegnen. Merkwürdiger Weise schätzte aber der alte Herr diejenigen Stücke am höchsten, in welchen vom Dichter jedes erlaubte Maß überschritten war, wo er seiner Lust am Grauenhaften und Phantastischen den Zügel hat schießen lassen. Aber darin war er mit mir einig, daß von dem ganzen romantischen Zauberwald, der in jener Zeit wild und üppig emporschoß, sich außer Kleist und einigen kleinen Märchen von Tieck, Fouqué und Brentano nichts so lebenskräftig erwiesen hat, wie die Arbeiten unseres Dichters, ja daß er und Kleist als die beiden bedeutendsten Kräfte der romantischen Schule von damals zu bezeichnen sind. Denn nur das hat Werth, was Dauer hat. Die Gaukelbilder, welche Tieck einst in die Lüfte zauberte, hat der Wind längst verweht und nur noch der Literarhistoriker spürt ihren blassen Schatten nach.
Unter solchen Gesprächen wanderten wir in den Steigen des Kirchhofs und standen endlich still vor einer Grabcapelle, wie sie mannigfach sich an die Umfassungsmauer anlehnen. Es war eine Pause in unserer Unterredung eingetreten, und mir wurde die Absichtlichkeit auffällig, mit welcher der alte Herr gerade vor dieser Capelle Halt gemacht hatte. Zwischen zwei Säulen von dunkelrothem polirtem Granit, welche ein Giebel aus gleichem Stoffe krönte, lag der Eingang, verschlossen von einer schweren kunstreich mit Bronze beschlagenen Thür. Das Ganze machte einen sehr ernsten und feierlichen Eindruck. Der alte Herr grub einen Schlüssel aus seiner Tasche hervor und machte sich mit einer seltsamen hastigen Unruhe daran, diese Thür zu öffnen. Dann, ohne ein Wort zu sagen, drängte er mich förmlich hinein und schloß hinter uns wieder zu. Es war ganz dunkel und kühl, wo wir uns jetzt befanden; ein seltsamer Schauer überlief mich. Der Alte stieß eilig eine Thür vor uns auf, und das eigentliche Innere der Capelle, ein runder Kuppelraum von freundlicher Helle und Heiterkeit, nahm uns auf. Die Beleuchtung kam von oben durch matt geschliffene Scheiben, und die Wände waren aus polirtem Marmor von sanfter und heiterer Farbe hergestellt. Oben lief ein Fries herum aus Glasmosaik, dessen schöne Zeichnung und anmuthige Farbengebung mich sofort anzog. Es war eine Art Todtentanz, jedoch ohne den düsteren Charakter, der diesen Darstellungen sonst eigen zu sein pflegt.
In heiterem buntem Ranken- und Arabeskenwerk trieb allerlei Volk sein Wesen, tanzend, trinkend, lachend, musicirend, in das Studium alter Bücher versenkt oder schaffend in rüstiger Thätigkeit. Alle Beschäftigungen in Genuß und Arbeit waren vertreten und nur bei näherer Betrachtung sah man, daß sämmtliche Früchte und Blumen, in welche die Arabesken ausliefen, aus zierlichen kleinen Todtenköpfen, Stundengläsern, gekreuzten Knochen, Särgen und ähnlichen Emblemen des Todes bestanden, daß diese Dinge überall hineinnickten und rankten in das blühende Leben, daß die [281] Kinder fröhlich nach ihnen langten und die Liebenden sie sich zärtlich darboten. Das ganze Rankenwerk entsprang der Thür gegenüber aus dem grinsenden Munde eines mit Rosen bekränzten Todtenschädels und kehrte dahin auch wieder zurück.
Ich schwieg eine ganze Weile, in die Betrachtung dieses Kunstwerkes versenkt, und der Alte stand zur Seite und beobachtete mich freundlich.
„Ein heiterer freundlicher Raum, anders als alle dieser Art, die ich bis jetzt gesehen,“ sagte ich endlich.
„Nichtwahr,“ antwortete der Alte hastig, „ist es nicht ein anmuthender Gedanke, hier zu ruhen auf ewig im freundlichen Tageslicht oder im stillen Schein des Mondes, statt in den dumpfen moderigen Löchern, oder in finsteren unterdischen Gewölben?“
Mein Blick fiel auf eine goldene Inschrift, die an der Wand angebracht war:
Hier ruht
Daniel Siebenstern
geb. Berlin, den 24. Januar 1807
gest. den ;
der Tag und Ort des Todes war unausgefüllt.
„Für so alt hätten Sie mich wohl kaum gehalten?“ sagte er dann, „achtundsechszig Jahre. – Das macht das schwarze Haar; es conservirt.“
Mir kam plötzlich die Erleuchtung: dies war des Alten eigene Capelle.
„Sie selbst ...?“ fragte ich verwundert.
„Dies wird einmal meine Wohnung sein, wenn ich nicht mehr bin,“ antwortete er. – Lebhaft fuhr er dann fort: „Alles nach eigenen Angaben, düster von außen, freundlich nach innen. Es ist lange daran gebaut worden, und es war eine heitere Zeit für mich. Es fehlt mir etwas, seit dieses Häuschen fertig ist.“
Die Dämmerung war hereingebrochen. Wir wandten uns wieder zum Gehen. Der Kirchhof war bereits verschlossen, als wir an das Thor kamen; der Alte nahm einen Schlüssel hervor und öffnete die Pforte. „Ich bin hier zu Hause,“ sagte er. Als wir uns trennten, meinte er: „Also über Hoffmann sind wir im Allgemeinen einig? Ich habe alle Ausgaben seiner Bücher von ihm selbst illustrirt, Federzeichnungen und sonstige Seltsamkeiten, auch einige Musikalien; wenn Sie mich einmal besuchen wollen, so will ich Ihnen Alles gerne zeigen.“ Dann beschrieb er mir den Weg zu seinem am Kreuzberg gelegenen Häuschen und verabschiedete sich. – –
Kurze Zeit nachher führte mich ein Geschäft in die Gegend des Kreuzberges. Als ich nach Beendigung desselben noch ein wenig dort umherwanderte, fiel mir ein, daß der alte Herr hier seine Wohnung habe, und als ich meine Augen erhob, fielen sie auf eine alte eiserne Gitterthür, welche ein Messingschild trug mit der Inschrift: Daniel Siebenstern. Die Pforte war in einer Mauer angebracht, welche einen ziemlich verwilderten Garten umschloß, und durch das Gitter sah man hinter dichten Gebüsch ein Haus liegen. Ich zog kurz entschlossen die Glocke. Ein rostiger alter Drahtzug setzte sich nach einer Weile kreischend in Bewegung, und die Thür sprang auf. Ich ging den grasbewachsenen Steig entlang, um das Haus zu erreichen – da trat mir der Alte auf einem Seitenwege entgegen. Er sah mich eine Weile forschend an; plötzlich erkannte er mich und streckte mir die Hand entgegen.
„Ah, mein junger Freund, Sie halten Wort,“ sagte er, „ich glaubte nicht, daß Sie kommen würden. Sie werden nicht viel Schönes bei mir sehen; mein Haus ist alt und verfallen – warum sollte ein alter einsamer Mann eine Wohnung kostbar schmücken, die er so bald verlassen wird? – Mein Garten ist seinem eigenen Willen überlassen, wie Sie sehen.“ Und er bog vorsorglich einen Ast bei Seite, der mir den Weg versperrte.
Ich meinte, es sei eine Erfrischung in Berlin, nach all den wohl gezogenen Paradebeeten und mathematischen Kugelakazien und Pyramidenbäumen einmal ein wenig Natur zu sehen.
„Gewiß,“ meinte er, „aber die Cypresse ist doch ein schöner Baum?“
Ich theilte nun allerdings diese Ansicht nicht, allein er wartete auch meine Antwort gar nicht ab, sondern sprang auf ein anderes Thema über.
Es war ein trüber Sommernachmittag; nachdem wir eine Weile in dem Garten umherspaziert waren, fing es leise an zu tröpfeln, und er lud mich ein, in sein Haus zu treten. Ein alter, häßlicher Rococobau mit seltsam verschnörkelten Fensterkrönungen; allerlei Vasen- und Guirlandenwerk war daran angebracht. Ueber der Eingangsthür hielten zwei sehr aufgeregte Steinengel ein einfaches Wappenschild, welches sieben Sterne zeigte. Der Alte führte mich in sein Studirzimmer. Ein ziemlich großer Raum mit uralten Möbeln, deren eingelegte Arbeit durch das Dunkel der Jahre fast verschwunden war. An den Wänden zogen sich Bretter über Bretter hin, welche mit einer unglaublichen Menge von Gegenständen belastet waren. Ein großes Harmonium, das einen hellen Fensterplatz einnahm, fiel durch sein modernes Aussehen besonders auf. Als ich Platz genommen hatte, ging Herr Siebenstern an einen braunen Schrank und holte eilfertig und mit zitternden Händen eine Krystallflasche mit spanischem Wein und zwei alte venetianische Spitzgläser herbei. Nachdem er eingeschenkt hatte, kehrte er an den Schrank zurück und klapperte und kramte darin eine Weile, immer mit der hastigen Unruhe eines Menschen, der nicht daran gewöhnt ist, Gäste bei sich zu sehen. Er füllte dort einen silbernen Teller mit Smyrnafeigen, arabischen Datteln, Rosinen aus Malaga, eingezuckerten Früchten und echten Nürnberger Lebkuchen und lud mich freundlich dazu ein. Während ich mich mit diesen Dingen, die einen eigenthümlichen Duft der Fremde um sich verbreiteten, beschäftigte, war der ruhelose Alte in ein Nebenzimmer geschlüpft und kam nun mit den früher erwähnten Büchern und Zeichnungen von Hoffmann zurück. Aber auch dabei hatte er nicht lange Ausdauer. Der Regen draußen hatte nachgelassen; die Sonne glitt hinter den Wolken hervor und ließ draußen die regenblanken Blätter in funkelndem Lichte erglänzen, während sie inwendig in den dämmerigsten Ecken des großen Zimmers leuchtende Klarheit verbreitete. Dadurch wurden meine Augen auf den tausendfachen Inhalt der großen Wandbehälter gelenkt. Sie enthielten eine schöne Sammlung in Gräbern gefundener Alterthümer, und Herr Siebenstern war sofort bei der Hand, auf einer kleinen Leiter, so eilfertig, wie es sein Alter erlaubte, auf und nieder zu steigen und mir die besten Stücke vorzuzeigen. Diese Sammlung dehnte sich bis in sein Schlafzimmer aus, in welches er mich jetzt führte. Herr Daniel Siebenstern brachte seine Nächte in Gesellschaft vieler Graburnen, mannigfacher Schädel unserer Vorfahren und einer ägyptischen Mumie zu. Am Kopfende seines Bettes stand ein sauberes, schneeweißes, menschliches Skelet; es trug ein Licht in seiner Knochenhand. Der Alte bemerkte, daß meine Blicke darauf ruhten.
„Ich lese gern des Abends im Bette,“ sagte er, „da ist es sehr angenehm, wenn man die Beleuchtung hinter sich hat.“ Und er schob den Arm, der das Licht hielt, in die richtige Stellung. Es war offenbar, daß ihn durch sein einsames Leben und die lange Gewöhnung der Gedanke, daß dies doch am Ende eine etwas schauerliche Art von Leuchter sei, ganz abhanden gekommen war. Ich machte eine derartige Bemerkung.
„Es ist merkwürdig,“ meinte er, „viele Menschen haben am meisten Furcht vor dem, was todt ist, während doch einzig und allein Gefahr kommen kann von denen, die leben. Was hat der Tod Erschreckendes? ‚In Bereitschaft sein ist Alles‘, sagt Hamlet. Sie wissen, ich bin bereit, ja mehr noch, als sie denken. Kommen Sie!“
Und er stand schon in der Thür und winkte mir, ihm zu folgen. Er schritt vor mir her einen langen dämmerigen Gang hinunter. Am Ende desselben öffnete er eine Thür, daraus glanzvolle Helle hervorbrach, und bat mich einzutreten. Ein sonnniges Blumenzimmer nahm uns auf. Die Wände waren ganz mit Epheu und rankenden Schlinggewächsen überkleidet und ringsum war der Raum erfüllt mit den seltensten und schönsten Pflanzen, die ihre Blätter und schimmernden Kelche mit Behaglichkeit dem Scheine der Sonne darboten. In der Mitte des Raumes war ein Postament, besetzt mit den köstlichsten Blumen; daraus zeigte sich ein kostbarer Sarg, von mächtigen Wachslichtern in schöngearbeiteten Bronzeleuchtern umgeben. Der Alte nahm eine Gießkanne und begoß die Blumen. Während dieses Geschäftes sprach er in Absätzen, wie für sich, kaum als wisse er, daß ich zugegen sei: „Wenn ich sterbe, ist mein Name und Geschlecht ausgelöscht, wie die Funken laufen in einem verbrannten Stück Papier; zuletzt glimmt einer noch eine Weile, und dann [282] ist Alles aus. Von meiner Art, von meinem Wesen geht nichts über auf folgende Geschlechter; mein Blut verrinnt, wie der Quell der Oase versiecht im glühenden Sande der Wüste.“
Er schwieg einen Augenblick. „Es ist ein trauriges Gefühl,“ sagte er dann, „das Ende einer Reihe zu sein. Sie denken, ich hätte mich verheirathen können. Sie denken, daß ich einsam stehe, weil ich es selber so gewollt habe?“ Dabei zog er eine Rose von seltener Schönheit zu sich her und versenkte sich eine Weile in den Duft derselben. Dann ließ er sie zurückschnellen und fuhr fort: „Wenn die Liebe nicht gewesen wäre, verschmähte Liebe! Das hat mir die Seele verbittert und das hat mir den Muth genommen, bis es zu spät war. Und nun ist es vorbei und auf ewig dahin. Heirathen Sie, heirathen Sie, junger Mann, sobald Sie es vermögen, damit Ihr Blut nicht hinweggelöscht wird von dieser Erde! Dann werden Sie noch leben und wirken, wenn Alles, was von mir als Rest blieb mit jenem bunten Häuschen von Stein, das Sie kürzlich sahen, längst vertilgt ist und vernichtet.“
Ich vermochte nichts zu antworten – was sollte ich auch sagen? Er schien auch keine Antwort zu erwarten, sondern verrichtete seine Arbeit schweigend und ohne mich anzusehen.
Wir kehrten in das Studirzimmer zurück, und nach einer kleinen Weile verabschiedete ich mich. Als ich das kleine Gartenthor geschlossen hatte, tönten aus dem Hause die eindringlichen Klänge des Harmoniums zu mir her. Ich stand noch eine Weile und lauschte. Es war die Weise des alten Chorals: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen.“
Ich habe Daniel Siebenstern nicht wieder gesehen. Bald nach diesen Besuche verließ ich Berlin, und als ich bei meiner Rückkehr den Alten wieder aufsuchen wollte, war er gestorben.
Von seiner alten Haushälterin erfuhr ich die näheren Umstände seines Todes. Er war in eine schwere Fieberkrankheit gefallen, und die Alte hatte sich einen Krankenwärter zur Hülfe genommen. In der Nacht des Todes war nach einem starken Anfalle eine Ruhepause eingetreten und der Wärter war eingeschlafen. Als er plötzlich in jähem Schrecke aufwachte, war das Bett leer und der Kranke fort. Den Mann überfiel die Angst; er suchte und fand, daß die Thür nach dem Gange zu offen war. Er blickte hinaus und sah am Ende des Ganges einen hellen Lichtschein. Da er sich fürchtete, weckte er die Wirthschafterin, und sie gingen Beide in das Blumenzimmer. Dort brannten alle Lichter, und Herr Daniel Siebenstern lag in seinem Sarge und war todt.
Er hatte seiner Wirthschafterin ein Legat ausgesetzt, und sein ganzes Vermögen für eine Stiftung zur Ausstattung armer Brautpaare bestimmt.
Im Winter war er gestorben; es war Frühling, als ich dies erfuhr. An einem der nächsten Tage ließ ich mir die Capelle aufschließen und stattete dem Alten den letzten Besuch ab. Jetzt war der Tag des Todes ausgefüllt:
Er hatte genaue Bestimmungen über sein Begräbniß getroffen. Seine Leiche war einbalsamirt worden. Blumen sollten nicht auf seinen Sarg gelegt werden, weil das die Luft dumpfig macht. Ich stand eine ganze Weile in dem stillen friedlichen Raume. Es war dort nichts als das große ewige Schweigen und das Licht der freundlichen Sonne. Von draußen kamen einzelne ferne Töne von spielenden Kindern, und auf einem Baumaste, der sich über die Kuppel hinstreckte, sang unermüdlich eine kleine Grasmücke.
So wird er nun liegen, wie er es sich gewünscht, im Scheine der Sonne oder im Lichte des Mondes einsam und friedlich, bis der große Sturmwind kommt, der auch ihn und sein kleines Haus hinwegkehrt.
Nicht war’s des Vaters rauher Ton,
Vor dem ich in die Welt entfloh’n.
Es war der Mutter Hand, so weich,
Das Herz, so lieb- und sorgenreich –
Der Mutter Mund, ihr flehend Wort,
Das trieb mich in die Fremde fort.
Die Lieb’ hat uns den Sinn verwirrt:
Wir haben, o Mutter, frevelnd geirrt –
In Deiner Liebe hast Du geglaubt.
Die Liebste hätt’ mich Dir geraubt!
Und weil Du versagtest uns Glück und Stern,
So floh’n wir so weit und zogen so fern!
Zehn Jahr’ in Lieb’, in Leid und Noth –
Mein Weib ist todt, mein Kind ist todt. –
Dein blühender Sohn, Dein einziges Glück –
Ein Bettler kehrt er Dir zurück!
Wie werd’ ich vor Dir, Du Hohe, stehn!
Wie wird Dein Auge auf mich seh’n!
Dein starrer Blick – Dein Weheschrei –
O, wär’ das erste Wort vorbei!
Fr. Hofmann.
Ich spreche nicht von Venedig. – Die zaubervolle Lagunenstadt ist eine trauernde Wittwe, eine alte Frau, welche ihren Gram und ihre Greisenschwäche hinter dem prächtigen Schmuck und Gewand aus stolzen Jugendtagen zu verbergen weiß und ihr Brod oft in Thränen ißt, wenn sie überhaupt eines zu essen hat; Venedig hat die Königskrone der Adria abgeben müssen an die lebensfrische, üppig blühende Tochter jenseits des Meeres, an das reiche, junge Triest: aber todt ist sie nicht, die Lagunenstadt.
Wer ist die todte Königin, von welcher die Ueberschrift spricht? – Es ist die Großmutter Triests, die Mutter Venedigs und die Nachbarin von Beiden; es ist: Aquileja.
Die reiche, große, wehrhafte Handelsstadt, deren Name in drei Welttheilen wiederhallte und im römische Reiche jedem Kinde bekannt war – sie ist heute so vergessen und verschollen, daß man es nicht einmal der Mühe werth hält, ihren Namen vollständig auszuschreiben. Auf Hendschel’s Karte steht zwischen der Eisenbahnstation Monfalcone und dem Hafenort Grado nur ein großes A mit einem Punkte – das bedeutet Aquileja. Dort wohnen jetzt an den Kanälen Della Vergine und Anfoca etwa sechshundert arme Leute, die sich als Fischer und Schiffer ernähren.
Betrachten wir den Lebenslauf dieser merkwürdigen, heute noch drei Quadratmeilen mit ihren Trümmern bedeckenden Stadt, wie sie aus einem kleinen Anfang heranwuchs, das bedeutendste Handelsemporium des römische Reiches wurde und endlich auf jenes große A mit dem Punkte herabsank!
Ungefähr um das Jahr 182 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung legte der römische Senat an dem Ufer des Flusses Timavus ein befestigtes Lager (castrum) an und benutzte den schönen Hafen von Gradus (heute Grado) zur Gründung einer Colonie. Colonisten aus Latium wurden nach dem günstig gelegenen Küstenstriche gebracht und bald liefen waarenbeladene Schiffe dort ein und aus, während auf den Landstraßen die Handelsleute aus Ungarn, Kärnthen und Italien sich mit ihren Waarenzügen heran bewegten und in der neuen Stadt, hinter den wuchtigen Befestigungen des Castrums zu Tausch und Kauf zusammentrafen. Ein Adlerflug, welcher glückverheißend gedeutet wurde, hatte der jungen Colonie den Namen Adlerstadt oder Aquileja eingetragen, und sechshundert Jahre behielt die Weissagung Recht. Aquileja blühte, wuchs und gedieh, selbst dann noch, als die anderen Städte des römischen Reiches dem Verfall bereits mit großen Schritten entgegengingen.
Schon unter Augustus soll Aquileja hunderttausend Einwohner
[283][284] gezählt haben. Unter Trajan war diese Zahl auf das Dreifache, Manche behaupten sogar auf das Achtfache angewachsen.
Mag aber die Einwohnerzahl drei oder acht Hunderttausende betragen haben: Leben und Bewegung mußte auf den Werften von Gradus sowie auf den Plätzen und in den Gassen von Aquileja reichlich geherrscht haben. Die Via Aemilia, diese wichtige Verbindungsstraße für den Verkehr Roms mit den Donau- und Balkanländern, mit Istrien und Dalmatien, wurde schon früh bis Aquileja geführt. Getreide, Wein, Oel, Sclaven, phönicische Waaren, Kostbarkeiten des Orients überhaupt, die auf der Heerstraße oder auf den Wogen der Adria zu Schiff nach Aquileja gekommen waren, gingen auf einem strahlenförmig auslaufenden Systeme trefflicher Kunststraßen nach Ost, Nord und West weiter zu den binnenländischen Ansiedelungen des römischen Culturvolkes. Die starke Stadt Aquileja, später auch berühmt durch die große Theologenschlacht gegen die Arianer (381), widerstand manchem Anprall: den Markomannen, dem Kaiser Maximinus, und erst im Jahre 401 fiel ein erster großer Schatten auf die blühende Stadt, der Schatten Alarich’s des Gothenkönigs, der die Stadt besetzte. Dieselbe Stadt, die einem Adlerflug ihre Entstehung verdankte, ging durch einen Storchenflug zu Grunde. Attila, der schreckliche Verwüster so vieler hochcultivirter, blühender Städte und Länder, lag mit seinen beutegierigen Hunnen zu Anfang des Jahres 452 vor der Stadt, die viermonatliche Belagerung führte zu keinem Ergebniß, die Hunnen waren entmuthigt und wollten weiter ziehen. Da bemerkte Attila das auffallende Phänomen, daß die Störche aus der Stadt wegzogen. Schnell deutete der schlaue Heerführer seinen Leuten diese Erscheinung als ein Zeichen, daß Aquileja verloren sei, weil er wußte, daß die Hunnen dem Storche prophetische Gaben zuschrieben, in Folge deren er sein Nest verlasse, wenn dem Hause, auf dem es steht, Gefahr droht. Nochmals wurde gestürmt, und Aquileja fiel. Mit unerhörter Wuth mordeten und plünderten die Hunnen, Alles zertrümmernd, was aufrecht stand.
Hundert Jahre blieb Aquileja ganz in Trümmern liegen – Zeit genug, daß über denselben eine Erdschicht sich ablagern und gar viele Alterthumsschätze für die Forscher der Zukunft aufbewahren konnte.
Daß der kaiserliche Statthalter Rarses einen Theil der Stadt wieder aufbaute (554), daß die Patriarchen von Aquileja in den Kämpfen zwischen Guelfen und Ghibellinen treu zum deutschen Reiche hielten, ist bekannt.
Vielleicht kann noch einmal ein Adlerflug dem in Trümmern liegenden Aquileja glückliche Auferstehung verkünden. Der deutsche Handel, die deutsche Industrie, sie drängen nach einem Absatzkreise im Osten und verlangen eine leicht zugängliche Bahn nach dem Mittelmeer. Unfern dem lauten Handelsemporium Triest liegt die stille, todte Adriastadt Aquileja. Laßt sie uns beziehen, diese alte Rumpelkammer der römischen Vergangenheit! Die Frage ist aber nicht blos eine Seestadt-Frage, sie ist auch eine Eisenbahn-Frage. Vorläufig ist eine geeignetere Straße nach Aquileja für uns nicht offen. Der Weg dorthin besteht in einer Eisenbahn von Villach über Görz nach Monfalcone und Aquileja, das heißt in der auf Hendschel’s Karte nur als Project angedeuteten Predilbahn. Von München nach Villach fährt man in sechszehn Stunden; von Villach per Predilbahn nach Aquileja wird man einst in kaum acht Stunden fahren. Der renovirte antike Adriahafen wäre somit nur vierundzwanzig Stunden Fahrzeit vom Münchener Platze entfernt.
Noch ein anderer Zugang von Deutschland nach der Adriaküste wird geschaffen in der Pontebbabahn, aber von dieser ist noch ein wichtiges Stück, von Resiutta nach Tarvis, auf unserer Karte als unvollendet angegeben. Auch führt sie theilweise über italienisches Gebiet. Vorerst bleibt nur der Weg von Villach über Laibach nach Nabresina-Triest und Nabresina-Monfalcone (Aquileja) disponibel. Diese Strecke erfordert zwölf Stunden Fahrzeit; auf ihr kann also Monfalcone von München aus in achtundzwanzig Stunden erreicht werden. Das ist keine große Entfernung, und in sicherer Erwartung, daß die beiden anderen Schienenwege noch in diesem Jahrzehnt zu Stande kommen werden, könnte man sich noch eine Weile mit dem letzteren Zugange begnügen. Möchte doch bald auf dieser Bahn eine Schaar deutscher Gelehrten, Ingenieure und Seeleute (etwa aus den Hansestädten) sich nach der Stätte des alten Aquileja begeben und sich auf der historisch so interessanten Trümmerstätte umsehen, ob sie nicht zu einer Heimstätte für deutsche Adriaschifffahrt, deutschen Orienthandel Raum gäbe.
Wer auch nur in ihren flüchtigen Umrissen die Geschichte des Triester Lloyd und des ganzen Verkehrs der Erbin Venedigs betrachtet, der muß als guter Deutscher den dringenden Wunsch fühlen, daß ein so überaus dankbares Wirkungsgebiet dem Unternehmungsgeiste unserer Nation und dem Fleiße unserer Industriellen zur Wettbewerbung baldmöglichst und so weit wie möglich geöffnet werde. – Mit zwei kleinen Dampfern hat der österreichische Lloyd zu Triest im Jahre 1836 seine Fahrten begonnen, und jetzt, laut letztem Rechenschaftsberichte, hat er 68 große und mittlere Dampfschiffe von zusammen 16,120 Pferdekraft auf der See, welche eine Gesammttragfähigkeit von 80,125 Tonnen besitzen.
Der Levantehandel hat die rasche und großartige Steigerung dieses reichen Schifffahrtsinstituts zur Folge gehabt, und an die Fahrten im Mittelmeere schließen sich jetzt die durch den Suezcanal nach dem indischen Ocean.
Auch die deutschen Waaren können auf österreichische Schiffen nach dem fernsten Morgenlande gehen und die Schätze des Orients durch Oesterreich zu uns passiren, aber es wäre doch ein ungleich größerer Aufschwung des deutschen Orient-Handels zu gewärtigen, wenn deutsche Großhändler und Schiffsrheder, im neuerstandenen Aquileja ansässig, die Güter aus der Heimath (auf der Predilbahn angelangt) auf deutsche Schiffe verladen könnten, die im Hafen von Grado ankern oder auf dem Schifffahrtscanal Ansoca bis zur neuzuerbauenden Stadt fahren würden. An Bevölkerung könnte es dieser Stadt nicht fehlen: die Venetianer würden in Schaaren wieder zurückwandern und Arbeit suchen. Denn es geht ihnen schlecht. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sammeln auch nicht in die Scheunen und der italienische Fiscus ernährt sie doch nicht, sondern zwackt ihnen Steuern ab, so viel er kann. Auch die commercielle Eifersucht Venedigs würde Deutschland kaum erregen, denn Ersteres hat, wie neulich „Venezia“ klagte, „keinen Schlot auf dem Meeren“, kein Dampfschiff als die kleinen Lagunenboote. Wie aber sieht es mit unserer norddeutschen Dampfschifffahrt aus?
Sie hängt traurig die Flügel; der transatlantische Verkehr ist tief zurückgegangen. – Ach, könnten doch einige dieser großen Oceandampfer von Hamburg und Bremen noch einmal nach Amerika fahren, dort ewige Tausende arbeitslose, hungernde, aber im Städtegründen wohl erfahrene Deutsche aufnehmen, und dann nach Aquileja dampfen, um die Colonisten auszusetzen und eine deutsche Dampferlinie Grado-Corsu-Constantinopel-Alexandria zu eröffnen! Patriotische Träume! Auch unserer Kriegsflotte wäre es zu gönnen, wenn sie im Mittelmeer einen Ankerplatz wie den bei Grado hätte, wo sie Ausbesserungen vornehmen, Kohlen fassen und Manches aus der Heimath in Empfang nehmen könnte. Wo die altrömische Kriegsflotte geankert, wird auch die deutsche gut aufgehoben sein.
Um auf die erwähnte Erforschungs-Commission zurückzukommen, so denke ich sie mir zusammengesetzt aus einem Alterthumsforscher, einem Philologen, einem Arzt, der sich auf Beurtheilung klimatischer Verhältnisse versteht, einem Ingenieur, der weiß, wie man Sümpfe austrocknet und Canäle vom Sand und Schlamm reinigt, einem Eisenbahntechniker, der sich die Trace einer Bahn Monfalcone-Aquileja-Grado in’s Notizbuch zeichnet, einem Seemann, der den Hafen von Grado ausmißt und sieht, wo für Werfte und Docks Raum wäre, endlich einem Kaufmann, der in Triest und Venedig sich Raths erholt, wie und womit man von Deutschland mit Nutzen nach dem Orient Geschäfte macht. Alle diese Herren sollten dann Gutachten abfassen und einer Petition an den Reichstag beilegen. Wäre auch das praktische Ergebniß nur eine zweite Olympia-Expedition, das heißt Ausgrabungen in Aquileja auf Grund ähnlicher Verträge wie mit Griechenland – so müßte ein ganzer Supplementband zu Mommsen’s Inschriften-Werk, müßten Hunderte von Sculpturen, Mosaiken, Fresken, Architektur-Fragmenten, Bronzen, Geräthen etc. als Ergebnisse des Nachgrabens in dem antiken Aquileja das Unternehmen auch im ungünstigsten Falle reichlich lohnen.
Gelingt es aber, eine Verständigung mit Oesterreich anzubahnen, über deutsche Adriaschifffahrt und über einen Mittelmeer-(Frei?-) Hafen als Zufluchtsstätte für Deutschlands Fahrzeuge [285] aller Art – dann kann dieser Gewinn nicht leicht zu hoch angeschlagen werden.
Die Traditionen des deutschen Handels, der deutschen Gewerbe, der deutschen Kunst, sie weisen auf den befruchtenden Goldstrom hin, der vom Orient kommend vor Jahrhunderten unser Vaterland durchfloß. Um ihn wieder herbeizulenken, lohnt es sich wohl, daß deutsche Hände an das große Marmorgrab pochen, wo sie eingesargt liegt, die erste Königin der Adria, und rufen: Aquileja, wache auf!
„Please, tell me the shortest way to …“ Wie Mancher unserer Leser, wenn er sich in dem Häuser- und Straßengewirr der britischen Hauptstadt in Verlegenheit befand, hat als gelehriger Schüler des rothen Bädeker diese Bitte, ihm „den kürzesten Weg da und dorthin“ zu zeigen, an einen „Policeman“ gerichtet. Und hat sich einer der Fragenden jemals über Unzuvorkommenheit oder Unwissenheit der Sicherheitswachmänner zu beklagen gehabt? Wohl schwerlich. Garibaldi pflegte sich ganz entzückt über die sympathischen Männer im häßlichen Filzhelm zu äußern und vor ihnen sogar den Hut abzuziehen. In der That ist die Organisation des Londoner Polizeiwesens, um die sich namentlich Sir Robert Peel große Verdienste erworben, eine mustergültige.
Der Sicherheitsdienst wird von Constablern und Detectiven (d. h. Geheim-Polizisten) versehen. Wir haben es hier nur mit den Ersteren zu thun, welche sich wieder in zwei Gruppen theilen: die eine besteht aus neuntausendfünfhundert Mann und bildet die „Metropolitan Police“ („Hauptstädtische Polizei“), die andere ist die später zu erwähnende „City Police“.
Die Metropolitan Police hat ihren Hauptsitz in Great Scotland Yard, ganz in der Nähe des Continentalbahnhofes Charing Croß. Ihr Rayon erstreckt sich auf zwölf bis fünfzehn englische Meilen in der Runde, wenn man den genannten riesigen Hof als Mittelpunkt annimmt, und umfaßt ganz London, mit Ausnahme der City, und mehrere benachbarte Grafschaften. – Neben dem Londoner Polizeipräsidenten, welcher den Amtstitel „Chief Commissioner of the Metropolitan Police“ führt und mit sehr ausgedehnter Machtvollkommenheit bekleidet ist, wird die Polizei jedoch vom Minister des Innern und von – der öffentlichen Meinung controllirt. Der ganze Polizeibezirk von Scotland Yard zerfällt in einundzwanzig „divisions“ jede Division in Subdivisionen, diese in „sections“ und die Sectionen in Tag- und Nacht-Runden („beats“).
Wie wird man Policeman? Das ist einfach und doch schwierig. Der Candidat darf nicht älter sein als fünfunddreißig Jahre, muß lesen und schreiben können und eine Höhe von wenigstens fünf Fuß sieben Zoll haben. Ist er verheirathet, so darf er zur Zeit der Bewerbung nicht mehr als zwei Sprößlinge sein eigen nennen. Selbstredend sind Anständigkeit, Unbescholtenheit, Thatkraft erforderlich; sehr geschätzt werden Unverdrossenheit, Freundlichkeit und ruhiges Temperament. Wer ein Anstellungsgesuch eingereicht hat, wird durch den verantwortlichen Polizeiarzt geprüft. Ist die genügende Stärke und Intelligenz erwiesen, so wird nur noch ein von einem achtbaren Arbeitgeber, Kaufmann oder Geistlichen gezeichnetes Zeugniß verlangt, in welchem bestätigt sein muß, der Betreffende habe den Candidaten seit fünf Jahren als Menschen von guter Aufführung gekannt. Der Gewählte erhält sofort auf Kosten des Polizeibudgets eine Uniform, die er auf der Straße stets tragen muß: Pantalons und Tuchjacke (blau); diese ist eng zugeknöpft und zeigt am Kragen einen Buchstaben und eine Ziffer, deren Bedeutung sich auf die Division, welcher der Policeman angehört, und auf die Zahl, die er daselbst einnimmt, bezieht. Der schwere Lederhut von ehemals ist jetzt durch einen unschön geformten, aber leichten und vor Hieb und Stich gut schützenden Filzhelm ersetzt. Dieser wird durch eine Lederschnur festgehalten, statt aber, wie anderswo, dieses Band unter dem Kinn anzubringen, muß der Londoner Policeman es – wie der englische Soldat – zwischen Lippe und Kinn tragen, was unglaublich abscheulich ist. Die Bewaffnung des Constablers besteht aus einem kurzen Truncheon (Knittel), welcher in einem Lederfutteral ruht und nur im äußersten Nothfalle an’s Tageslicht gebracht werden darf. Regnet es, so bedeckt sich der Schutzmann mit einem den Oberleib schützenden kleinen Regenmantel, den er bei trockenem Wetter zusammenrollt und mittels eines Gürtels um den Körper bindet. – Der „Rekrut von Scotland Yard“ wird vor Allem in die Vorbereitungsschule geschickt, wo man ihm allerlei für sein wichtiges und delicates Amt Wissenswerthes beibringt; man legt dabei ein besonderes Gewicht auf die Erlernung der Kunst, vor den Polizeigerichtshöfen in klaren und einfachen Ausdrücken Aussagen abzugeben. Zu diesem Behufe müssen die jungen Polizisten einer Reihe von Gerichtsverhandlungen beiwohnen. Ein Theil der Erziehung ist den körperlichen Uebungen gewidmet; jeder neue Constabler manövrirt einige Wochen hindurch, unter Leitung eines höheren Polizei-Beamten, des Assistant Commissioner, oder eines Inspectors, in den unter dem Namen „Wellington Barracks“ bekannten Casernen. Ist all dies vorüber, so hat sich der nunmehr fertige Policeman auf Ehrenwort zu verpflichten, seine ganze Zeit den Amtspflichten zu widmen, keine Nebenbeschäftigung zu betreiben und selbst seiner Frau das Halten eines Ladens zu verbieten.
Die Wirksamkeit des Constablers ist eine mannigfaltige. Seine Hauptpflicht ist, die Ordnung in den Straßen aufrecht zu halten, aber so unauffällig wie möglich. Ueberhaupt darf er nur dann seines Amtes walten, wenn Jemandes Sicherheit gefährdet ist oder ein öffentliches Aergerniß zu drohen scheint. Ebenso verhält es sich mit den Versammlungen; auf diesen fungiren Polizeiagenten nicht als „Vertreter der Staatsanwaltschaft“, um jedes gesprochene Wort auf die Wagschale des Paragraphs zu legen, wie in anderen Ländern, nein, der Policeman erscheint nur, wenn es zu Handgreiflichkeiten kommt. Die großen Verkehrsadern der „Hauptstadt der Welt“ leiden bekanntlich nicht an Blutarmuth, und es ist Aufgabe des Polizisten, die Circulation dieses Blutes zu regeln und den oft fieberhaft raschen Puls des Straßenlebens zu besänftigen. Nur seinen phlegmatischen Handbewegungen ist das Wunder zu danken, daß in London verhältnißmäßig sehr wenige Fußgänger überfahren werden. Weiter ist es seine Sache, sich der auf der Straße von Unfällen Betroffenen anzunehmen. In vielen Fällen ist seine Autorität eine moralische: man wählt ihn fast immer zum Schiedsrichter in Streitigkeiten, die sich auf dem Straßenpflaster erheben, und daß er die Entscheidung wirklich trifft und daß man sie fast niemals verwirft, zeugt von dem tatsächlichen Vorhandensein natürlicher Intelligenz bei den Londoner Polizisten.
Wo das Wagengedränge so groß ist, daß Damen und Kinder es zu gewagt halten, weiterzugehen, da führt unser braver Helfer in der Noth die Furchtsamen selbst zwischen Pferdefüßen und Kutschenrädern hindurch in Sicherheit. Sein Verdienst wird dadurch erhöht, daß er so viel Gutes leistet, ohne auffällig zu werden. Statt aller Welt zu „zeigen“, daß er ein „Gewaltiger“ sei, bedient er sich der ihm übertragenen Macht nur mit stoischer Geduld, discretem Eifer und äußerster Mäßigung. Am meisten zu schaffen machen ihm die Betrunkenen, die im freiesten Lande zahlreicher und roher sind als anderswo.
Es wäre für den englischen Polizisten auch sehr verhängnißvoll, wollte er aus seiner Bescheidenheit heraustreten, denn während z. B. in Deutschland und anderswo die Vorgesetzten an dem Princip der „Unverletzlichkeit des Ansehens der Beamten“ festhalten, ist man in Scotland Yard geradezu der umgekehrten Ansicht. „Oeffentlicher Tadel,“ heißt es dort, „mit allen Consequenzen.“ Glaubt der Erstbeste zu einer Beschwerde gegen einen Constabler Grund zu haben, so steht ihm das Recht zu, den Wachmann vor den nächsten Polizeihof zu citiren. Oeffentlich wird angeschuldigt, öffentlich verurtheilt oder freigesprochen. Die Polizisten haben also alle Ursache, sich keine Uebergriffe zu erlauben und bei Arretirungen darauf zu sehen, daß sie mit dem in England so hochgehaltenen Grundsatze der persönlichen Freiheit nicht in
[286] Collision gerathen; der geringste Mißbrauch in der Ausübung der Functionen wird hart bestraft.
Wie bereits erwähnt, darf der Policeman nur Hand anlegen, wenn Jemand gewaltthätig und rauflustig ist, ob betrunken oder nicht, ist Nebensache. Ist aber der Constabler von Jemandes Schuld überzeugt, so hat er ihn auf’s nächste Commissariat zu führen und dem Inspector einen Bericht zu Protokoll zu dictiren. Der Gefangene übernachtet in einer Zelle und wird am nächsten Tage von dem Polizeirichter verhört. Diesem gegenüber muß der arretirende Schutzmann den Hergang wiederholen. Dabei liegt es in seinem Interesse, seine Worte genau zu bemessen, denn die geringste Unwahrheit bringt ihn in Gefahr, wegen falscher Zeugenaussage angeklagt zu werden, was für ihn im ersten Grade einen Verweis, dann die Degradation und endlich wohl auch die Entlassung (verbunden mit dem Verlust aller weiteren Ansprüche) zur Folge haben kann.
Daß die Thätigkeit des Policeman eine eiserne Gesundheit erfordert, ist sehr begreiflich. Selbst die stärkste Constitution kann den fortgesetzten Einflüssen der Diensteslasten und den später eintretenden des Alters nicht widerstehen, und auch unser Policeman muß sich schließlich zur Ruhe setzen, wenn er vorher nicht schon in eine bessere Welt eingegangen ist. Es hat sich daher die Nothwendigkeit herausgestellt, eine Altersversorgungscasse einzurichten, deren Haupteinnahme aus den regelmäßigen, eindreiviertel bis zwei Procent der Gehalte betragenden Beiträgen sämmtlicher Angehörigen der Metropolitan Police besteht; eine anständige Summe figurirt im Polizei-Budget für Wittwenpensionen und Waisenversorgungen. Freiwillige Beiträge des Publicums – zu deren Aufnahme auf den Police-Stations „Waisenbüchsen“ angebracht sind – thun das Uebrige, nun die im Dienste Ergrauten und ihre Wittwen und Waisen leidlich zu unterstützen.
Der verheirathete Policeman darf seine Wohnung nach Belieben wählen. Oft bekommt er unentgeltlich Quartier, besonders von Eigenthümern leerstehender Häuser, wenn es darauf ankommt, diese bewachen zu lassen. Im Uebrigen richtet der mit Frau und Kindern gesegnete Constabler seine Lebensweise ganz nach Gutdünken ein, wie andere Menschen. Seine Collegen vom Junggesellenstand dagegen sind gehalten, auf der „Station“, zu der sie gehören, zu wohnen, was für sie ganz vortheilhaft ist, denn sie haben dafür wöchentlich nur eine Mark zu entrichten. Nicht minder billig verschaffen sie sich die Kost; die Tafel ist gemeinsam. Ein Proviantmeister kauft die Lebensmittel ein und versieht die Küche. Allwöchentlich stellt er die Rechnungen zusammen und repartirt deren Betrag auf die einzelnen in gleichen Theilen.
Für die geistigen Bedürfnisse der Sicherheitswächter ist ganz anständig gesorgt. Jede Division besitzt eine Bibliothek von eintausendfünfhundert bis zweitausend Bänden. Von Zeit zu Zeit werden die Bücher von Division zu Division geschickt, sodaß jede derselben die Bibliotheken der übrigen eine gewisse Zeit hindurch zur Verfügung hat. Auch besteht ein Fonds zum fortwährenden Ankaufen neuer Publicationen; der Beitrag jedes Policeman hierfür beträgt jährlich eine Mark. Ferner wird auf jedem Bureau eine Zeitung gehalten, und überdies bezahlen die „Blauen“ einen Lehrer, der ihre Kinder unterrichtet; die Wissensdurstigen unter den Eltern pflegen wohl selbst auch an den Vorträgen theilzunehmen.
An die etwaige Möglichkeit politischer Unruhen ist bei der Organisirung des heutigen „constabulary system“ nicht gedacht worden. Daher rührt es, daß die Regierung sich, als während der Fenier-Bewegung die vorhandenen Polizeikräfte nicht genügten, genötigt sah, die Nation um Bildung eines freiwilligen Constabler-Corps zu bitten. Diesem Aufrufe leisteten etwa 115,000 Personen Folge; sie wurden als „Special Constables“ beeidet und sind in Rechten und Pflichten des Dienstes den andern Constablern gleichgestellt, tragen jedoch keine Uniform, beziehen keinen Gehalt, gehen ihren Geschäften nach und treten überhaupt nur dann in ihrer Eigenschaft als Schutzleute auf, wenn ihnen etwas besonders auffällt. Militärische Sicherheitsposten, Patrouillen und dergleichen kennt das britische Sicherheitswesen nicht, und kein Soldat hat das Recht, eine Arretirung vorzunehmen. Doch kann es vorkommen – und während des Krimkrieges ist es der Fall gewesen – daß, wenn die Londoner Garnison in einem Feldzuge abwesend ist, Polizisten Soldatenstelle vertreten.
Noch ein Wort über die Einnahmequellen, durch welche die Kosten dieses riesigen Sicherheitsapparates gedeckt werden. Der Hauptposten unter ihnen ist die Polizeisteuer. Der Engländer zahlt nämlich für die Polizei ebenso separat, wie für das Wasser oder das Gas. Diese Steuer wird nach dem Grundsatze der Einkommensteuer bemessen: je mehr zu Bewachendes, desto mehr Steuer. Daher kommt es, daß der Staat selbst der größte Zahler ist. In dieser Hinsicht gilt er als Privatpartei. Wer sein Eigenthum speciell bewacht wissen will, hat überdies das Recht, gegen separate Bezahlung sich in Scotland Yard eine beliebige Anzahl Policemen für eine beliebige Zeit zu miethen. Von diesem Rechte machen die Museen, Staatscassen, Münzämter, die großen Banken etc. ausgedehnten Gebrauch. Um einige Beispiele anzuführen, sei bemerkt, daß das British Museum nicht viel weniger als 20,000, die Hauptpost etwa 8000, die Große Bildergalerie über 10,000, das Greenwicher Hospital zwischen 24,000 und 28,000 Mark jährlich bezahlen für das Vergnügen, ganz extra beschützt zu werden. Einige Eisenbahngesellschaften haben sogar ihre eigene Polizei für sich, deren Angehörige zwar in Scotland Yard geprüft werden, sonst aber mit der Metropolitan Police nichts zu schaffen haben. Auch beschränkt sich die Wirksamkeit dieser Bahnpolizisten auf die Gemarkungen der sie bezahlenden Gesellschaft; es ist das eben nur eine Abart der „Bahndiener“.
Wenn wir die von der Nordseite der „Bank“ – so nennt man in London die Bank von England – nach dem Hauptpostamt führende Straße, Gresham Street, betreten, so ist die erste Quergasse links „Old Jewry“ („Altes Ghetto“). Hier steht das Centralbureau jener Institution, die, im Gegensatze zur Metropolitan Police „City Police“ genannt wird. Es dürfte wohl keine andere Stadt mit zweierlei Polizeiverwaltungen zu finden sein. Die City Police bildet einen Zweig der City-Administration und untersteht daher vor Allem dem Lord-Mayor. Die eigentliche Leitung hat ebenfalls ein „Commissioner“ in Händen. Die Zahl der Constabler beträgt etwas über achthundert. Die City ist daher weit besser bewacht als das übrige London. Es kommen auf einen Policeman nur zehn Acres Boden und nur neunzig Menschen, denn die Area der City ist nicht viel ausgedehnter als die des Hyde-Parkes, und die dermalige Bevölkerungsziffer von 70,000 nimmt von Jahr zu Jahr ab, weil die Wohnungen mehr und mehr in Contors verwandelt werden. Und dennoch sind achthundert Schutzleute für dieses „Herz des Herzens von London“ nicht zu viel; der Verkehr in ihren Straßen ja überwältigend, in manchen derselben sind Dutzende von Constablern nöthig, um die Glieder und die Taschen des hin- und herfluthenden Publicums zu beschirmen. In der City sind mehr gute und böse Leidenschaften, ist mehr Leben, Energie und Aufregung concentrirt, als in irgend einem Gemeinwesen der Welt. Nirgends ist soviel Geld auf so kleinem Raume beisammen, und nirgends wird die Jagd nach Geld und die Anbetung des Mammon mit mehr Eifer betrieben.
Die City hatte schon vor vielen Menschenaltern eine Art Polizeisystem, welches, anfänglich freilich sehr unvollkommen, sich allmählich ziemlich vorteilhaft entwickelte. Als Peel die Metropolitan Police reorganisirte, wurde die City Police zwar ebenfalls nach demselben Muster umgestaltet, aber alle damals und später auftretenden Verschmelzungsvorschläge wurden von den Herren zu Guildhall, die auf ihre alten Vorrechte eifersüchtig sind, beharrlich zurückgewiesen. Die Constabler des Lord-Mayors werden etwas besser bezahlt als ihre Collegen von Scotland-Yard, im Uebrigen aber sind sie ebenso gestellt wie diese; selbst die Tracht ist so ziemlich dieselbe, nur daß die Citymänner auch noch schwarzgelbe und rosaweiße Schärpen am rechten Arme tragen, ein Abzeichen, das Allen, die es als Darstellung einer großen Macht kennen, gewaltigen Respect einstößt.
Aus dem Budget der City-Polizei für 1876 war z. B. zu entnehmen, daß die Erhaltung der Institution auf 1,763,670 Mark veranschlagt ward. Die nächstjährigen Einnahmen wurden mit 1,858,376 Mark berechnet. Einen Theil derselben bilden die von den Verurtheilten durch die zwei Polizeigerichte der City (Guildhall- und Mansion-House) eingehobenen Strafgelder; es müssen somit Diejenigen, welche von der Polizei zu leiden haben, zu ihrer Erhaltung wesentlich beitragen.
Bei der englischen Polizei giebt es keine „geheimen Fonds“; Alles geschieht ganz offen. Alljährlich veröffentlicht der Chief Commissioner einen Bericht, worin er über jeden eingekommenen und verausgabten Pfennig genaue Rechenschaft ablegt. Die Bewachung [287] des größten Theiles der Riesenstadt und ihrer Umgebungen kostet im Durchschnitte jeden Monat eine Million Mark. Ein Umstand fällt uns besonders in’s Auge: während die für Kleidungsstücke ausgegebene Summe sehr hoch ist, figurirt für Waffenkäufe stets ein äußerst winziger Betrag. Diese Proportion deutet auf den friedlichen, bürgerlichen Charakter der Institution hin. In Wirklichkeit hat der Londoner Constabler – während anderswo „die Polizei“ oft als Vogelscheuche gilt – nichts Martialisches an sich. Und das ist ganz vernünftig, denn er soll ja nicht Furcht einflößen, sondern Zutrauen; er soll nicht verfolgen, sondern schützen. Dem ist aber nur darum so, weil die englische Polizei mit der Politik absolut nichts zu schaffen hat.
Die Burg des „frommen“ Schweppermann.
„Jedermann ein Ei,
Dem frommen Schweppermann zwei!“
Gleich zwei ergrauten Grenzwächtern der Oberpfalz – der eine gen Westen, der andere gen Osten hinausschauend – stehen die Ritterburgen Pfaffenhofen an der Lauter und Trausnitz im Thale[1] auf mächtigen Felsen, auf deren Wände die Geschichte die Namen „Schweppermann“ und „Friedrich der Große“ mit unauslöschbaren Buchstaben geschrieben hat.
Die Oberpfalz zählt eine Menge von Burgen, wie verhältnißmäßig kein anderes Land, selbst nicht Tirol, aufzuweisen hat. Sie liegen zumeist in Trümmern, aber sind erst in Klöster und später in Fabriken oder gar in Zuchthäuser umgestaltet worden. Ebenso grell tritt der Gegensatz der Bewohner von jetzt und früher hervor. Jene „Herren“, welche einst von ihren stolzen Edelsitzen mit Hochmuth herabsahen auf das Volk, das im Schweiße seines Angesichts sein Brod aß, sie haben ihre prächtigen Schlösser nicht einmal an dieses, nein, an Proletarier und Verbrecher abtreten müssen, und die Nachkommen jener Bäuerlein, welche im Frohndienste die mächtigen Burgen aufbauen halfen, nehmen von den verfallenen Trümmern oben die Steine, welche ihre Vorfahren ehedem zufuhren, zum Baue ihrer Häuschen, zum Gehege ihrer Aecker.
Das Geschlecht der Schweppermann, welches durch Siegfried oder Seyfried so berühmt geworden, reicht unter diesem Namen etwa bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts hinauf; früher führte es den Namen Hulloch oder Hülloch, von dem Dorfe und Schlosse Hüllohe, unweit Lautenhofen, Landgerichts Kastel. In der Stiftskirche zu Kastel befindet sich unter den dort aufgehängten Wappen auch das Schweppermann’sche mit der Ueberschrift: „Der Weppenmänner“.
Seyfried Schweppermann mag um das Jahr 1257 geboren worden sein; nach dem Zeugnisse der Schriftsteller war er im Treffen bei Mühldorf 1322 ein schon ziemlich alter Mann; da [288] er darnach noch fünfzehn Jahre lebte, so dürfte wohl anzunehmen sein, daß er ein Alter von achtzig Jahren erreichte. Er wurde 1280 mit Katharine Rindsmaul, der Schwester des Albrecht Rindsmaul, der sich in der Schlacht bei Mühldorf mit an der Spitze der baierischen Ritter befand, getraut. Von seinen sechs Söhnen sind drei Priester und von den drei Töchtern ist eine Nonne geworden. – Nach dem Jahre 1425 findet man den Namen Schweppermann nirgends mehr.
Seyfried Schweppermann war ein gewaltig streitbarer, im Kriege hocherfahrener Mann, der das höchste Vertrauen Ludwig’s besaß, bei dem der Kopf, das Herz und die Faust von gediegener Art und Eines so tüchtig wie das Andere war: ein Mann, wie seine eiserne Zeit ihn brauchte. Deshalb wurde er zum Kriegshauptmann bestellt. Aber gar viele, ja die meisten seiner „Spießgesellen“ waren eines solchen Führers durchaus würdig, und Ludwig sah, was sie vermochten.
Der Tag von Gammelsdorf ist es, an welchem unser Held zum ersten Mal auf Seite der tapferen und siegreichen Baiern fechtend angeführt wird. Herzog Ludwig, später Kaiser, stritt sich wegen der Vormundschaft seiner drei jungen Vettern, der Herzoge von Nieder-Baiern, gegen die österreichischen Herzoge, welch’ letztere der niederbaierische Adel zu Vormündern berufen hatte. „Schier ein Jahr währte es,“ sagt eine alte Urkunde, „daß die Oesterreicher unter drei ihrer Hauptleut, Ulrichen von Waldsee, Ulrichen von Pfannnberg und Leupolden von Haunberg, mit viel raissigem Gezeug Baiern überzogen und raubten auf alle die, so Herzog Ludwig’s Part waren. Ludwig daucht sich gegen ihne zu schwach, dieweil sein Bruder, Pfalzgraf Rudolf, nit anhaimbs, sondern mit Kaiser Heinrich an Welschland was. Doch zuletzt versammelt Herzog Ludwig zu München sein Kriegsvolk, deß Hauptleut waren Graf Bertholt zu Graisbach, Weygel von Trausnit, Friedrich von Preitenstein, der alte und junge Löhelein von Sulzbach, Conrad der Kemnater und Seyfried Schweppermann, zog mit noch anderem fürnemen Adel von München auf Mosburk, Landshut zu erobern, aber obgemeldeter niederbayerischer Adel zog ihm mit Gewalt entgegen, wollten ihm nit im Lamd lassen, schlugen ihre Wagen zuruck, eine Meil Weges von Mosburk in der Hallerthau bei Gammelsdorf. Herzog Ludwig ruckte vor die Wagenpurk und sturmete von morgen bis zu abends. Da flohen die feindt davon auf Volksmannsdorf bei Isareck zu der Brucken, so allda über die Amper gieng. Die Bruck brach und ertrank der mehrer Theil, vil wurden erschlagen und vil gefangen.“
Einige Wochen nach der Gammelsdorfer Schlacht verbriefte der König dem Schweppermann eine Schuld von dreihundert Pfund Regensburger Pfennigen (ein Pfund gleich fünfzehn Gulden fünfzehn Kreuzer) und die Burg Grünsberg bei Altorf als Pfand für den Schaden, den er bei dem „Geritt“ zu Gammelsdorf erlitten. Im Jahre 1315 ist ihm das Prädicat Ritter noch nicht beigelegt.
Die größere, aber auch weiterhin bekannte Waffenthat vollführte Schweppermann am 28. September 1322 im Treffen bei Mühldorf oder Ampfing, unweit Altenötting. Vier Tage hatte Ludwig der Baier den Ritter Schweppermann mit Ungeduld erwartet. Derselbe, obwohl betagt und von unansehnlicher Größe, aber ein erfahrener Feldherr, war von Ludwig auserwählt, an seiner Seite den Gang der Schlacht zu leiten. Der fromme Schweppermann ordnete als oberster Feldhauptmannn die Haufen zum Kampfe. Johann, König von Böhmen, und Heinrich, Herzog von Nieder-Baiern, waren Führer des Vordertreffens, Conrad von Baierbrunn des rechten, Albrecht Rindsmaul des linken Flügels; in der Mitte war König Ludwig selbst von auserlesenen Getreuen umgeben, und Conrad von Schlüsselburg mit der Heeresfahne; – im Hinterhalte gewärtigte Burggraf Friedrich von Nürnberg das verabredete Zeichen zum Hervorbrechen. Mit dem Tage begann die Schlacht. Die Haufen stießen auf einander.
Ebran von Wildenberg schildert die Ankunft Schweppermann’s beim Heere: „Des grossen streits auf kunig Ludwigs taile was ein oberister Hauptmann, der frumb Ritter Seyfried Schweppermann; auf den Ritter wartet der Kunig etlich tag, das er nit wolt streiten, und da der Ritter kam und die veindt vom erst beschaut, da wurden ihm die Fueß zittern in dem stegraifen, daß ihm die sporn glungen; da ward von vil jungen Rittern und knechten gar spöttlich dazue geredt: hat dan der Kunig als lang auf den man gewart! Er würdt den Herzogen von Oesterreich mit vil schaden damit thoun. Kunig Ludwig fing den strit an nach rat und unterweisung des frummen Ritters.“
Nach dem glücklich erfochtenen Siege bei Mühldorf soll – wie eine jener liebenswürdigen Sagen, mit welchen das Volk die Geschichte ausgeschmückt hat, berichtet – Ludwig der Baier noch am Abende des Treffens bei sparsamem Mahle, das nur in Eiern bestand, Schweppermann besonderer Aufmerksamkeit gewürdigt haben, indem er ihn durch eine doppelte Gabe vor den Uebrigen auszeichnete, und zwar mit den bekannten Worten: „Jedermann ein Ei, dem frommen Schweppermann zwei!“
Ludwig feierte am 8. Jänner 1323 zu Kastel, welches er seit lange schon lieb gewonnen hatte, mit vielen Getreuen und Tapferen das Dankfest wegen dieses Sieges, und zum ersten Male ertönte an diesem Tage die große Glocke, „die Stürmerin“ genannt, zu deren Beschaffung neben Ludwig, dem Kloster Kastel und vielen Edlen auch Schweppermann Beiträge geleistet hatte; von einer Gettela von Lotterbach wird angeführt: „sie hat viel köstlich Metall von Silber darzu gegeben.“ Noch heute ruft die „Stürmerin“ als eine Stimme aus grauer Vorzeit mit weittönendem, majestätischem Klange ein junges Geschlecht von den Bergen und aus den Thälern zusammen.
Ob Schweppermann nach der Schlacht bei Mühldorf noch ferner an einer kriegerischen That Antheil genommen, ist unbekannt; gewiß ist, daß er im Jahre 1337 sein Leben zu Pfaffenhofen beschloß. Mit seinen beiden Enkeln Seitz und Ulrich erlosch das Geschlecht. Schweppermann liegt in der Klosterkirche zu Kastel begraben, wo eine neun Fuß hohe und sechs Fuß breite Tafel angebracht ist, welche den Tapferen in der Rüstung zu Pferde darstellt, eine baierische Fahne – zum Zeichen des Sieges – tragend; die Pferdedecke hat zwei nebeneinanderstehende Schweppermann’sche Wappen. Oben zur Seite stehen die Worte:
„Hie leit begraben Herr Seyfried Schweppermann,
Alles thuns und Wandels wohlgethan,
Ein Ritter keck und fest
Der zu Sündersdorf (Gammelsdorf) that das Best
Er ist nun tod
Dem Gott genod
Obijt 1337.
Jedem ein Ei
Dem frommen Schweppermann zwei.“
Außer dieser Gedenktafel ist noch ein an der Mitte der Kirche vom Grafen Jörring Seefeld im Jahre 1782 errichtetes marmornes Denkmal zu schauen, dessen Schmuck und Inschrift aber nur eine weitere Umschreibung obiger Tafel enthält. – Die Sage – um dies zum Schlusse noch zu erwähnen – erzählt, daß Schweppermann einstens im Altmühlthale von Wegelagerern verfolgt wurde; um ihnen in dieser unwirthsamen Gegend zu entkommen, ließ er bei einem befreundeten Schmiede in der Eile seinem Pferde die Hufeisen abnehmen und verkehrt aufschlagen, daß man nach den Pferdespuren glauben sollte, er sei wohl in den Wald hinein-, aber nicht mehr herausgekommen.
Die Burg Pfaffenhofen zeigt außer einem Thurme nur noch einige Ueberreste. Ein schauerliches Gefühl der Oede, in der die Geister einer that- und lebenslustigen, nun todesstummen und in Staub versunkenen Vorwelt heimlich flüstern, ergreift den Wanderer unter diesen Trümmern. Es ist das alte germanisch-romantische Gefühl, das die Abenddämmerung in Ruinen immer in uns erwecken wird.
Blätter und Blüthen.
Die Horstmann’sche Schwerkraftmaschine. Der guten Stadt Merseburg, sonst nur berühmt durch ihr vortreffliches Schwarzbier und den unsterblichen Raben, droht seit einigen Wochen die ernste Gefahr, einen Weltruf zu bekommen.
Das von der Wissenschaft als unmöglich bezeichnete, schon von so viel tausend Erfindern vergeblich angestrebte Perpetuum mobile – in Merseburg sollte es, so sagt die Fama, im Jahre des Heils 1878 das Licht der Welt erblickt haben. Bei dem ersten Auftauchen dieser kühnen Behauptung fehlte es, wie begreiflich, nicht an Hohn und Spott. Man hielt die Sache entweder für einen Schwindel, oder doch für eine Selbsttäuschung
[289] des Erfinders. Auch der Umstand, daß die Maschine, nachdem sie einige Tage dem Publicum sichtbar gewesen, in Folge einer Beschädigung zeitweilig unbrauchbar wurde, war nur geeignet die hauptsächlich durch den gewählten Namen eines Perpetuum mobile hervorgerufene ungünstige Ansicht über den Werth der Maschine zu bestätigen. Man sagte sich, daß jede Kraft, welche eine Maschine treibt, über kurz oder lang erneuert werden muß, daß die Uhr z. B. nur so lange gehen kann, wie die Gewichte nicht abgelaufen oder die Feder ihre Spannung nicht verloren hat, man sagte sich, daß die Reibung, die Abnutzung des Materials eine ewige Bewegung nicht gestatten, daß also auf Erden wenigstens ein Perpetuum mobile im eigentlichen Sinne des Wortes ein Unsinn und eine Unmöglichkeit sei.
Es ist wohl möglich, daß der Erfinder, Herr Horstmann, von diesen sehr wichtigen Ansichten der Gelehrten nichts gewußt hat, denn vor etwa vierzehn Tagen stellte er sein reparirtes und verbessertes Werk zum zweiten Male dem Publicum zur Besichtigung aus. Das Publicum kam, und Horstmann siegte, denn die Maschine bewegte sich, bewegte sich mit einer geradezu verzweifelten Regelmäßigkeit. Da gab es nichts von bewegender Dampf-, Gas-, Wasser-, Pferde- oder Menschenkraft, aber die Maschine bewegte sich. Da waren auch, wie eine genaue Untersuchung ergab, keine magnetischen, elektrischen oder chemischen Kräfte, und die Maschine bewegte sich doch.
Das Ding machte bei dem ersten Anblicke fast einen unheimlichen Eindruck, da wohl alle Besucher die Bewegung sahen, die wenigsten aber sofort die Ursache dieser Bewegung begreifen konnten. Ja hätte das Werk noch zu Anfang einen tüchtigen Stoß erhalten! Aber nichts von alledem. Ein Stellrad, welches mit einem Gewinde verbunden ist, wird gedreht, und die Maschine bewegt sich; die Achsen drehen sich, die schiefe Ebene rotirt, die Balanciers sausen. So arbeitet das Werk, sich selbst überlassen, mit der größten Regelmäßigkeit und ziemlicher Geschwindigkeit so lange, bis man das Stellrad wieder in seine alte Lage zurückdreht. Eine solche Leistung hatte Niemand erwartet. Das anfängliche Mißtrauen wich freudiger Ueberraschung und begeisterter Anerkennung. Hoch und Niedrig, Gebildete und Ungebildete, Techniker und Laien wallfahrteten alsbald zu den bescheidenen Räumen in der Vorstadt Neumarkt, wo das Wunder zu sehen war. Ob Perpetuum mobile oder nicht, ein Mobile war es sicher, welches in kurzer Zeit die Bevölkerung Merseburgs, ja selbst die Nachbarstädte mobil machte.
Leider erlaubt es die Rücksicht auf den § 2 des Patentgesetzes nicht, dem Publicum der „Gartenlaube“ eine genauere und durch Abbildung unterstützte Beschreibung der Horstmann’schen Maschine vorzuführen. Das Interesse des mittellosen Erfinders, die Befürchtung, ihn muthwillig um die Früchte seiner achtzehnjährigen angestrengten Arbeit zu bringen, zwingen uns zur Vorsicht. Nur soviel glauben wir verrathen zu dürfen, daß die treibende Kraft des Ganzen die Schwerkraft ist. Zwei ungleicharmige Hebel, die den obersten Theil der Maschine bilden ruhen auf Unterstützungspunkten, welche durch das vorhin erwähnte Gewinde verschiebbar sind, sodaß die Hebelarme der Kraft nach Belieben verlängert und verkürzt werden können. Die Hebelarme der Last sind auf besondere Weise mit einer senkrechten Welle verbunden. Soll das Werk sich in Bewegung setzen, so werden durch Drehung der Winde die Unterstützungspunkte der Hebel verschoben, somit die Hebelarme der Kraft verlängert, wodurch die Wirkung der daran hängenden Gewichte verstärkt, und folglich nach den gewöhnlichen Gesetzen des Hebels die an den kürzeren Hebelarmen sitzende senkrechte Welle gehoben wird. Sofort beginnt das Werk, das von dem Augenblicke an, wo die Unterstützungspunkte der Hebel hinreichend verschoben sind, sich selbst überlassen bleibt, sich zu bewegen. Werden aber die Unterstützungspunkte der Hebel nicht weiter verschoben, so müssen natürlich die Gewichte stets denselben Druck, also auch die gleiche Wirkung ausüben. Wie nun Horstmann diesen sich stets gleichbleibenden Zug der senkrechten Welle nach oben mit Hülfe zweier anderer Wellen, schiefer Ebene etc. in eine gleichmäßig-drehende Bewegung verwandelt, das ist eben vorläufig noch sein Geheimniß, welches wir, so lange die Erfindung nicht patentirt ist, nicht mittheilen dürfen. Nur so viel sei gesagt, daß das Mittel ein ebenso ingeniöses, als einfaches ist – das Ei des Columbus! –
Nach Angabe des Erfinders soll die Maschine, die gewöhnlich fünfundvierzig Umdrehungen in der Minute macht, in ihrem jetzigen Zustande zwei Pferdekräfte besitzen. Wir halten diese Angabe für zu hoch. Doch mögen das die Techniker entscheiden, mögen sie untersuchen wie sich das Werk für den Betrieb von Drehbänken, Dreschmaschinen, Göpelwerken etc. eignet, oder ob es gar die Dampfkraft völlig zu ersetzen vermag. Für uns genügt es, daß der Apparat, allein durch die Schwerkraft getrieben, geht, daß selbst in längeren Zeiträumen seine Geschwindigkeit sich nicht verringert.
Gewiß ist die von Herrn Horstmann – beiläufig gesagt, einem einfachen Schlossermeister – construirte Maschine noch mancher Vervollkommnung fähig; immerhin scheint sie auch nach dem Urtheile berufener Sachverständiger, wenn auch kein Perpetuum mobile im strengen Sinne des Wortes, für das Maschinenwesen von hervorragender Bedeutung zu sein.
Der Künstler auf dem Anstand. (Mit Abbildung S. 275.) Es giebt sehr viele Leute, welche des Glaubens leben, der echte, rechte Meister des Pinsels müsse seine Gestaltungen mit Leichtigkeit aus seiner Phantasie schöpfen können und nur die mangelhafte Begabung nöthige dazu, das Modell, die Natur zu Hülfe zu nehmen. Wenn man in richtiger Kenntniß der Verhältnisse versichert, daß gerade unsere gediegensten Meister mit peinlicher Gewissenhaftigkeit der Natur bis in die Kleiderfalten nacharbeiten, wird man selten Ausrufen der Verwunderung und dem Achselzucken des Zweifels entgehen. Und doch ist es so, und es sind in Wahrheit nicht blos die Jungen, welche alljährlich in der schönen Wanderzeit des Sommers ihre Künstlerfahrten antreten und „Studien“ machen; jene so charakteristischen Typen welche auf den Bildern eines Knaus, Defregger etc. unsere volle Theilnahme fesseln, sie sind erst recht der Natur abgelauscht fast mit jedem Zuge, und eben darum wirken sie so sprechend und „echt“. -
Aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sind nur von wenigen Meistern Werke des Stifts und Pinsels überliefert, welche heute noch für den guten Geschmack der vollen Bewunderung werth sind, und das sind Arbeiten gerade solcher Meister, welche die Rousseausche Predigt von der Rückkehr zur Natur auf die Kunst angewendet haben. Aus diesen Bildern muthet uns dafür auch der Geist jener Periode des Uebergangs aus der Rococo-Welt mit einer Frische und Unmittelbarkeit an, daß eine culturgeschichtliche Feder durch ganze Bände nicht im Stande wäre, uns so in das unmittelbare, gefühlsmäßige Verständniß dieser Zeit zu versetzen, wie das aufmerksame Betrachten von wenigen jener charakteristischen Bilder.
Und wer ist nun der Meister mit dem feingeistigen Antlitz, welcher auf unserer ersten Illustration, das Skizzenbuch in der einen, den Stift in der anderen Hand, „Studien nach der Natur macht“? Vielleicht erinnern sich unsere Leser noch eines Aufsatzes in Nr. 5 des Jahrgangs 1874 der „Gartenlaube“, der unter der Ueberschrift „Vom Gewürzkrämer zum Künstler“ das Lebensbild dieses Mannes gegeben: es ist Daniel Chodowiecki, der gefeiertste Illustrator unserer classischen Literaturperiode, den wir dem Leser gern noch einmal inmitten von Gestalten der Haarbeutel-Zeit vorführen. Da steht er, wie der Jäger auf dem Anstand seine Ausbeute aus dem verborgenen Hinterhalt gewinnend, während die ahnungslosen Opfer in voller Ungezwungenheit die Lust eines ländlichen Festes athmen. Blut fließt nicht bei diesem friedlichen Lauern auf dem Anstande; vielleicht merken diejenigen, auf welche die Blitze der scharfen Maleraugen zielen, nicht einmal etwas davon, wie sie – getroffen werden. Und das werden sie bestimmt; denn der rechte Maler verfügt, wie der rechte Schütze über das, was zum Treffen hilft: über das sichere Auge und die sichere Hand!
Abschied am Grabe. Wir haben bei den Mittheilungen über die Trauerfeier und Bestattung unseres unvergeßlichen Ernst Keil des letzten Liedes von Gustav von Meyern gedacht, das an den Gräbern der beiden Männer gesungen wurde. Wenn wir im Folgenden die anspruchslosen Strophen wiedergeben, so kommen wir damit den uns in zahlreichen Briefen ausgesprochenen Wünschen unserer Leser gern nach. Das Lied lautet:
Lebe wohl in schön’rer Welt,
Theure Seele, die entschwunden!
Unser Herz bleibt doch verbunden,
Wenn der Leib dem Tod verfällt. –
Lebe wohl, lebe wohl in schön’rer Welt!
Lebe wohl, Du treues Herz,
Das so warm für uns geschlagen!
Ach, wir Armen steh’n und klagen,
Suchen Trost in uns’rem Schmerz. –
Lebe wohl, lebe wohl in schön’rer Welt!
Lebe wohl! Aus schön’rer Welt
Neige Dich zu uns hernieder:
„Was sich liebt, das sieht sich wieder“
Rufst Du uns vom Sternenzelt. –
Lebe wohl, lebe wohl in schön’rer Welt!
Was die von so vielen Seiten gewünschte Wiedergabe der ergreifenden Rede betrifft, welche Albert Traeger über dem Sarge Ernst Keil’s gesprochen, so hat der Dichter es leider für unmöglich erklärt, diese oratorischen Eingebungen des Augenblicks nachträglich aus dem Gedächtniß wiederherzustellen und können wir daher den Wünschen unserer Leser nicht entsprechen. Die uns noch fortwährend aus allen Kreisen des Publicums zugehenden Bezeugungen inniger Theilnahme an dem Hingange unseres verehrten Chefs und Freundes sind uns ein wahrer Trost in der Trauer um den theueren Todten, und sprechen wir hier wiederholt unsern Dank für die Beweise treuer Anhänglichkeit aus, die man ihm gezollt hat und die man so freundlich auf uns zu übertragen verspricht. D. Red.
Mit Fleisch ernährte Pflanzen. Im Jahrgange 1875 (Seite 169) hatte ich den Lesern der „Gartenlaube“ empfohlen zu ihrer Augenweide den rundblätterigen Sonnenthau, diesen zierlichen Insectenfänger unserer Torfsümpfe, in die Zimmer-Terrarien zu pflanzen und ihm gelegentlich ein Stückchen Fleisch zu reichen, damit er gut gedeihe. Es ist inzwischen von manchen Naturverständigen bezweifelt worden, daß diese Pflanzen wirklich thierische Kost verdauen und man hat gemeint, sie befänden sich ohne derartige Extraversorgung mindestens ebenso gut. Franz Darwin, ein Sohn des berühmten englischen Naturforschers, nahm sich vor, diese Frage zur Entscheidung zu bringen. Er sammelte im Juni vergangenen Jahres ungefähr zweihundert Pflänzchen des rundblätterigen Sonnenthaues und pflanzte sie in mit Moos ausgelegte Suppenteller, um sie den Sommer hindurch zu pflegen. Jeder Teller wurde durch eine niedrige hölzerne Scheidewand in zwei Hälften getheilt und die Pflanzen der einen dazu bestimmt, mit Fleisch gefüttert zu werden, die der andern Hälfte, zu fasten. Die Teller wurde sämmtlich unter ein Gazegehäuse gebracht, damit die zum Fasten bestimmten Pflanzen verhindert sein sollten, sich Insecten einzufangen. Die Methode der Fütterung bestand darin, daß aus den Futterseiten der Teller jedes Blatt mit einem ganz kleinen Schnitzelchen gebratenen Fleisches in Zwischenräumen weniger Tage versehen wurde, bis Anfang September, wo die Samen reisen, worauf dann eine Schlußvergleichung der verpflegten und unverpflegten Pflanzen vorgenommen wurde. Schon im Juli erschien es klar,
[290] daß die Bewohner der Fleischseite ein entschieden üppigeres Aussehen zeigten; auch trieben sie mehr junge Blätter und Blüthenschafte. Bei der Vergleichung zeigte sich nach allen Richtungen, daß die Pflänzchen der Fleischseite besser genährt waren, als die der andern, die gleiche Anzahl derselben zeigte fast das doppelte Gewicht jener und hatte nahezu noch einmal so viel Samenkapseln zur Reife gebracht wie diese. Am deutlichsten sprach sich der Vortheil in dem Totalgewicht der Samen aus, denn dieses war auf der Fleischseite fast viermal so groß als aus der Fastenseite. Man sieht, der Insectenfang ist bei den betreffenden Pflänzchen keine Spielerei, sie wissen – möchte man fast sagen – warum sie zugreifen.
Thüringen hat seinen bekannten „Waldläufer“ verloren: am 28. März starb in Schleusingen der preußische Major a. D. A. W. Fils im neunundsiebenzigsten Jahre. Durch seine Höhenmessungen in Mitteldeutschland hat er sich um deutsche Landeskunde wesentliche Verdienste erworben; das Thüringer Waldgebirge hat keine nur irgend nennenswerte Höhe aufzuweisen, welche der alte, ewig rüstige Fils – deß rühmte er sich freudig – nicht bestiegen und gemessen hätte. Seine Höhenschichtenkarten (vom Schlesinger Kreise, vom ganzen Thüringer Wald und Umgebung etc.) sind von Werth und werden dauernde Andenken an den „Thüringer Waldläufer“ bleiben.
Der Formenschatz der Renaissance. Eine Volksausgabe unserer Formenclassiker. Der dreißigjährige Krieg hatte das ganze reiche Culturleben, das sich in Deutschland vom 14. zum 16. Jahrhundert zu so reicher Blüthe entfaltet hatte, halb zerstört, halb verschüttet. Nahezu zwei Jahrhunderte brauchten wir an mühevoller materieller Arbeit, um Schutt und Trümmer, die uns dieser unseligste aller Kriege zurückgelassen, hinwegzuräumen, und erst in neuerer Zeit können wir überschauen, was Deutschland vor dieser Katastrophe an Kunst und Kunsthandwerk besessen, was es vergessen hatte, was es aber glücklicher Weise noch besitzt. Die Gegenwart scheint zur Schaffung neuer Kunstformen nicht besonders angethan zu sein. Unsere Zeit hat einen großen technischen Zug, welcher der ruhigen Bildung origineller Kunstformen nicht förderlich zu sein scheint, und doch wohnt uns durch eine vielseitige Bildung, durch eine weite Umschau auf allen künstlerischen Gebieten, durch den gesteigerten Wohlstand das Bedürfniß der schönen Erscheinung in unserer täglichen Umgebung inne.
Aber dieses Bedürfniß hält, wie wir wissen, mit der Production nicht gleichen Schritt. Es möchte daher das Gerathenste und Praktischste sein, sich an das anzulehnen, was eine frischere und fruchtbarere Phantasie vergangener Zeiten an künstlerischem Schaffen uns hinterlassen hat. Zu diesem Zwecke können wir nichts Besseres thun, als den Lesern unserer „Gartenlaube“, die namentlich in dem Gewerbestande so zahlreiche Freunde besitzt, das Werk des Dr. Georg Hirth in München, „Der Formenschatz der Renaissance“. Verlag von G. Hirth in Leipzig, auf das Allerangelegenste zu empfehlen.
Die Vorgänge der neuesten Zeit haben uns vielfach gemahnt, daß es mit dem Schlendrian, welchem sich das deutsche Kunstgewerbe hingegeben, ein Ende haben muß. Wir wurden durch die Fremde aus allen Gebieten überflügelt, und der nationale Wohlstand hat dadurch gar nicht zu berechnende Schädigungen erhalten. Der deutsche Kunstarbeiter litt bisher an einer Indolenz, die ihn nie den Gang in das Wirthshaus scheuen ließ, wohl aber den Versuch, aus einer Bibliothek oder in einer Sammlung für sein Gewerbe sich Anschauungen und Formen zu holen, sein Wissen und damit auch sein Können dadurch zu erweitern und zu vertiefen. Durch den Herausgeber des genannten Werkes ist ihm für die Zukunft jede Entschuldigung oder Ausrede, daß öffentliche Sammlungen schwer zugänglich seien, vollständig abgeschnitten. Dr. Hirth giebt in sorgfältig nach dem Geschmack und der Zeit ihrer Entstehung aufgeführten Blättern eine reiche Fundgrube von Formen und Gestaltungen nach allen Richtungen unseres auf Kunstschönheit in der täglichen Umgebung hinstrebenden modernen Culturlebens. Wir standen mit unserem ganzen Kunstleben in Deutschland zu lange unter der sclavischen Nachahmung der Antike. Durch Schulen und Bildungsanstalten wurde diese Richtung genährt und unterstützt, wenn auch gerade nicht gefördert, denn das Volk stand ihr doch immer fremd gegenüber. Wir hatten eine Zeit vergessen, wo der deutsche Künstler und Handwerker sich die Formen der Antike in ureigenster Weise assimilirt und umgeschaffen hatte, sodaß die deutsche Renaissance, wenn auch nicht unabhängig von den Anregungen durch die italienische und französische, doch ein selbsteigner Kunststil wurde.
Und welche Meisterwerke besitzen wir davon noch! Hätte uns nicht die Kunstausstellung in München darüber belehrt, so würde es das vorliegende Werk thun. Hier findet der Juwelier, der Silberarbeiter, der Bildhauer, der Tischler, der Töpfer, der Formenschneider, der Buchdrucker, die Stickerin, der Teppichwirker, der Waffenschmied, der Baumeister einen reichen Schatz der stilvollsten und herrlichsten Gestaltungen, die das Zeitalter der Renaissance hervorgebracht hat. Sie sind den Werken der hervorragendsten deutschen und niederländischen Meister des 16. Jahrhunderts entnommen, aber auch die italienische und französische Renaissance wird durch ihre besten Muster vertreten sein. In Rücksicht aus den Nutzen und den Segen, den das deutsche Gewerbe von dem Werke haben soll, hat die Verlagshandlung die Einrichtung getroffen, daß jedes Heft mit zwölf bis sechszehn Bildern zu einer Mark abgegeben wird, sodaß der ärmste Lehrbursche sich leicht in den Besitz dieses prächtigen Verlagswerkes setzen kann. Das königlich baierische Cultusministerium hat, die Wichtigkeit des Unternehmens wohl erkennend, den „Formenschatz“ allen Unterrichtsanstalten empfohlen, an denen das Zeichnen obligatorisch ist. Durch die „Gartenlaube“ sei es nicht allein dem ganzen deutschen Gewerbestande, sondern auch allen gebildeten Familien in Stadt und Land warm empfohlen. Denn wenn die nationalen kunstgewerblichen Bestrebungen, welche jetzt einen so schönen Anlauf genommen haben, nicht erlahmen sollen, so müssen sie einem zu immer höherer Vervollkommnung anspornenden geläuterten Geschmacke im Publicum begegnen. In München z. B. hat der Hirth’sche „Formenschatz“ jetzt schon den Charakter eines Familienbuches angenommen, aus welchem auch die Tochter des Hauses die schönsten Muster zu ihren Arbeiten schöpfen; was aber dort frohen Kunstgenuß gewährt, das wird auch in der ländlichen Einsamkeit – und hier erst recht! – zur Quelle reinster Freude werden.
Einem armen Lehrer das Leben zu erleichtern dazu haben die Leser der „Gartenlaube“ immer gern die Hand geboten. Sie haben es uns möglich gemacht, Pianofortes und Nähmaschinen in mehr als ein Schulhaus zu verpflanzen – warum sollte für die gelähmte Frau eines bedrängten Lehres nicht auch ein glücklich abgelegter, aber noch brauchbarer Fahrstuhl zu erlangen sein? Die „Gartenlaube“ wird die Transportkosten eines solchen gern auf sich nehmen, wenn die Gabe uns zuvor brieflich angemeldet wird.
Scheffel’s Jubiläumsgruß. Joseph Victor von Scheffel erblickt in der in Nr. 12 der „Gartenlaube“ veröffentlichten poetischen Entgegnung auf seinen Jubiläumsgruß einen Angriff gegen seine literarische Ehre und hat sich deshalb mit einer Beschwerde an uns gewendet. Es muß uns schmerzlich berühren, daß Derjenige, welcher im Drange seines warmen Herzens jenen Worten des „Bettlers vor dem Throne“ die Aufnahme gewährte, seitdem nicht mehr unter den Lebenden weilt und also seine Entscheidung in dieser seiner Angelegenheit nicht selber treffen kann. Der Protest des Dichters ist leider um einige Tage zu spät gekommen. Wie jedoch Jeder sieht, hat Ernst Keil das betreffende Entgegnungsgedicht nicht abgedruckt, ohne einen deutlichen Beweis zu geben, daß ihm eine mißverständliche Auffassung der Scheffel’schen Verse und jede Absicht eines Angriffs auf den Charakter des Dichters vollständig ferngelegen hat. Der Beweis liegt in der Bemerkung, welche er unter den Text des betreffenden Entgegnungsgedichtes stellen zu müssen glaubte. Aus eigener Erfahrung können wir bezeugen, daß er mit uns dem gefeierten Dichter des „Ekkehard“ stets die freundlichste Gesinnung, die herzlichste Verehrung und Anerkennung gewidmet hat. Die gegenwärtig fungirende Redaktion dieses Blattes glaubt daher der Pietät gegen den so allseitig verehrten Gründer und bisherigen Führer der „Gartenlaube“ nicht untreu zu werden, sondern ist vielmehr überzeugt, ganz in seinem Sinne, im Geiste seines starken Gerechtigkeits- und Billigkeitsgefühls zu handeln, wenn sie über seinem frischen Grabe keinen unnützen Hader erwachsen, keine bitteren Empfindungen in solchen Persönlichkeiten sich festsetzen läßt, von denen uns zweifellos ist, daß sie ihm wert gewesen sind. Gern und ohne Zögerung kommen wir darum dem Wunsche Scheffel’s nach, indem wir dem Urtheile unserer Leser nachträglich auch den vollen Wortlaut des Festgedichtes bieten, welches zu jenem herben Schmerzensrufe den Anlaß gab. Der Jubiläumsgruß Scheffel’s an den Großherzog von Baden lautet:
Heut’ weh’n die Banner gelb und roth; heut’ jubilirt das Badnerland,
Daß es in Freud’ wie Leid und Noth in Friedrich seinen Führer fand.
Was nebelfern, erreichbar kaum vor fünfundzwanzig Jahren schien,
Gelobt sei Gott! es blieb kein Traum, es ward erreicht durch Gott und Ihn.
Der Zwietracht Wunden heilgenarbt, das Land versöhnt und wohl bestellt,
In milder Pflege, wer noch darbt, – gleich einem Garten Wald und Feld,
Des Rheins Geländ’, des Schwarzwalds Höh’n durchschnaubt von frohem Dampfroßschall,
Die Städte neugebaut und schön - Gewerb’ und Schulen überall;
Im Glauben keine Scheidewand, ein sittig Volk in Bildung frei,
Geeint durch der Verfassung Band, dem Kaiser und dem Reiche treu,
Familienglück in jedem Haus, - des Lebens Müh’n von Kunst verklärt –
Und droht der Feind mit blut’gem Strauß, ein deutsches Heer, ein siegreich Schwert:
So war sein fürstlich Ideal! Und wie Er treu ihm nachgestrebt,
Weiß Jeder, der des Zweifels Qual, des Siegs Gewißheit miterlebt.
Schon reift die Saat, die Er gestreut, und ein Geschlecht, das Er erzog,
Ruft jubelnd einstmals wie wir heut: Dank, Friedrich, Badens Großherzog!
Fabrikant Sch. in H. Wie Sie sehen, konnten wir schon in dieser Nummer Gelegenheit nehmen, etwas Ihren Ideen Verwandtes zu bringen. Die Begründung einer deutschen Handelscolonie an der Küste der Adria, welche hier ein Vielgereister vorschlägt, sucht die Lösung des Problems freilich in größerer Nähe als Sie. Jedenfalls haben Sie Recht, daß wir, statt die gegenwärtige Calamität mit gefalteten Händen zu betrauern, besser thäten, neuen Quellen nationalen Wohlstandes nachzuspüren.
A. G. in M. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über Ihr Manuscript.
P. I. Sch. zu H. in Böhmen. Wie sehr wir auch die Größe des Begriffs bewundern, den Sie von der Toleranz der „Gartenlaube“ haben müssen, so kann dennoch Ihre Bitte, Ihnen, als einem schlechtsituirten Geistlichen, „Stipendien auf heilige Messen“ zukommen zu lassen, nicht in Erfüllung gehen.