Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl I/Sechstes Capitel

Fünftes Capitel Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band (1875)
von Charles Darwin
Siebentes Capitel


[190]
Sechstes Capitel.
Ueber die Verwandtschaften und die Genealogie des Menschen.

Stellung des Menschen in der Thierreihe. – Das natürliche System ist genealogisch. – Adaptive Charactere von geringer Bedeutung. – Verschiedene kleine Punkte der Uebereinstimmung zwischen dem Menschen und den Quadrumanen. – Rang des Menschen in dem natürlichen System. – Geburtsstelle und Alter des Menschen. – Fehlen von fossilen Uebergangsgliedern. – Niedere Stufen in der Genealogie des Menschen, wie sie sich erstens aus seinen Verwandtschaften und zweitens aus seinem Baue ergeben. – Früher hermaphroditer Zustand der Wirbelthiere. – Schluss.

Selbst wenn es zugegeben wird, dass die Verschiedenheit zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten in Bezug auf seine körperliche Bildung so gross ist, wie einige Naturforscher behaupten, und obgleich wir zugeben müssen, dass die Verschiedenheit zwischen ihnen in Bezug auf die geistigen Kräfte ungeheuer ist, so zeigen doch, wie mir scheint, die in den vorangehenden Capiteln mitgetheilten Thatsachen in der deutlichsten Weise, dass der Mensch von irgend einer niedrigeren Form abstammt, trotzdem dass verbindende Zwischenglieder bis jetzt noch nicht entdeckt worden sind.

Der Mensch bietet zahlreiche unbedeutende und mannichfaltige Abänderungen dar, welche durch dieselben allgemeinen Ursachen herbeigeführt und nach denselben allgemeinen Gesetzen bestimmt und überliefert werden wie bei den niederen Thieren. Der Mensch hat sich in einem so rapiden Verhältnisse vervielfältigt, dass er nothwendig einem Kampfe um’s Dasein und in Folge hiervon der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt worden ist. Er hat viele Rassen entstehen lassen, von denen einige so verschieden von einander sind, dass sie oft von Naturforschern als distincte Arten classificirt worden sind. Sein Körper ist nach demselben homologen Plane gebaut wie der anderer Säugethiere. Er durchläuft dieselben Zustände embryonaler Entwickelung. Er behält viele [191] rudimentäre und nutzlose Bildungen bei, welche ohne Zweifel einstmals eine Function verrichteten. Gelegentlich erscheinen Merkmale wieder bei ihm, welche, wie wir allen Grund zu glauben haben, im Besitze seiner früheren Urerzeuger waren. Wäre der Ursprung des Menschen von dem aller übrigen Thiere völlig verschieden gewesen, so wären diese verschiedenen Erscheinungen blosse nichtssagende Täuschungen; eine solche Annahme ist indessen unglaublich. Auf der andern Seite aber sind sie wenigstens in einer grossen Ausdehnung verständlich unter der Annahme, dass der Mensch mit anderen Säugethieren von irgend einer unbekannten und niederen Form abstammt.

In Folge des tiefen Eindrucks, welchen die geistigen und seelischen Kräfte des Menschen gemacht haben, haben einige Naturforscher die ganze organische Welt in drei Reiche eingetheilt, das Menschenreich, das Thierreich und das Pflanzenreich, womit sie also dem Menschen ein besonderes Reich einräumen.[1] Geistige Kräfte können von dem Naturforscher nicht verglichen oder classificirt werden; er kann aber zu zeigen versuchen, wie ich es gethan habe, dass die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der niederen Thiere nicht der Art nach, wennschon ungeheuer dem Grade nach von einander abweichen. Eine Verschiedenheit des Grades, so gross sie auch sein mag, berechtigt uns nicht dazu, den Menschen in ein besonderes Reich zu stellen, wie vielleicht am besten durch eine Vergleichung der geistigen Kräfte zweier Insecten gezeigt wird, nämlich eines Coccus oder Schildlaus und einer Ameise, welche unzweifelhaft zu einer und derselben Classe gehören. Die Verschiedenheit ist hier grösser, wenn auch von einer etwas verschiedenen Art, als zwischen dem Menschen und dem höchsten Säugethiere. Der weibliche Coccus befestigt sich, während er jung ist, mit seinem Rüssel an eine Pflanze, saugt deren Saft, aber bewegt sich nicht wieder, wird befruchtet und legt Eier; und dies ist seine ganze Geschichte. Andererseits aber die Gewohnheiten und geistigen Kräfte einer Arbeiterameise zu beschreiben, würde, wie Pierre Huber gezeigt hat, einen ganzen Band füllen. Ich möchte indessen kurz einige wenige Punkte anführen. Ameisen tauschen sicher unter einander Mittheilungen aus und mehrere vereinigen sich zu derselben Arbeit oder zum [192] Spielen. Sie erkennen die Mitglieder ihres Haufens selbst nach monatelanger Abwesenheit wieder und fühlen Sympathie mit einander. Sie errichten grosse Gebäude, halten sie reinlich, schliessen am Abend die Thüren und stellen Wachen aus. Sie bauen Strassen und selbst Tunnels unter Flüssen und temporäre Brücken über dieselben dadurch, dass sie sich an einander hängen. Sie sammeln Nahrung für die ganze Genossenschaft, und wenn ein für das Einbringen zu grosser Gegenstand an das Nest gebracht wird, so erweitern sie die Thüre und bauen sie nachher wieder auf. Sie legen Vorräthe von Samenkörnern an, deren Keimung sie verhindern, und welche sie, wenn sie feucht wurden, zum Trocknen an die Luft bringen. Sie halten sich Blattläuse und andere Insecten als Milchkühe. Sie ziehen in regelmässigen Reihen zum Kampfe aus und opfern ohne Besinnen ihr Leben für das allgemeine Wohl. Sie wandern nach einem vorher gefassten Plane aus. Sie fangen sich Sclaven. Sie bewegen die Eier ihrer Aphiden ebenso wie ihre eigenen Eier und Cocons nach den wärmeren Theilen des Nests, damit sie schneller zum Auskriechen gelangen; und es liessen sich noch endlose ähnliche Thatsachen anführen.[2] Im Ganzen ist der Unterschied in den geistigen Kräften zwischen einer Ameise und einem Coccus ganz ungeheuer, und doch hat sich Niemand auch nur im Traume einfallen lassen, beide in verschiedene Classen und noch viel weniger in verschiedene Reiche zu stellen. Ohne Zweifel wird dieser Abstand von den zwischenliegenden Graden geistiger Kräfte vieler andern Insecten überbrückt, und dies ist beim Menschen und den höheren Affen nicht der Fall. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass die Unterbrechungen der Reihe einfach das Resultat des Umstands sind, dass viele Formen ausgestorben sind.

Professor Owen hat die Säugethierreihe mit besonderer Berücksichtigung der Bildung ihres Gehirns in vier Unterclassen eingetheilt. Eine derselben umfasst den Menschen, in eine andere stellt er die beiden Abtheilungen der Marsupialien und Monotremen, so dass er den Menschen allen übrigen Säugethieren gegenüber als so verschieden hinstellt wie die beiden letzten Gruppen zusammengenommen. Soviel mir [193] bekannt ist, ist diese Ansicht von keinem Naturforscher angenommen worden, welcher der Bildung eines unabhängigen Urtheils fähig ist, und braucht daher hier nicht weiter betrachtet zu werden.

Wir können wohl einsehen, warum eine Classification, welche auf irgend ein einzelnes Organ oder Merkmal – selbst auf ein Organ von einer so wunderbaren Complicirtheit oder von solcher Bedeutung wie das Gehirn – oder auf hohe Entwickelung der geistigen Fähigkeiten sich gründet, sich fast mit Gewissheit als unbefriedigend herausstellt. Der Versuch, nach diesem Principe einzutheilen, ist in der That bei den Hymenoptern unter den Insecten angestellt worden. Wurden aber diese nach ihrer Lebensweise oder ihren Instincten classificirt, so erwies sich die Anordnung als durchaus künstlich.[3] Die Classificationen können natürlich auf irgendwelchen Character basirt werden, so auf die Grösse, die Farbe oder das Element, welches die Thiere bewohnen. Es haben aber die Naturforscher schon seit langer Zeit die tiefe Ueberzeugung gehabt, dass es ein natürliches System gebe. Wie jetzt allgemein zugegeben wird, muss dieses System soweit als nur möglich genealogisch in seiner Anordnung sein, – d. h. die verschiedenen Nachkommen einer und derselben Form müssen in einer Gruppe zusammengehalten werden und zwar getrennt von den verschiedenen Nachkommen einer andern Form. Sind aber die Stammformen mit einander verwandt, so werden es auch deren Nachkommen sein, und die beiden Gruppen zusammen werden dann eine gemeinsame grössere Gruppe bilden. Die Grösse der Verschiedenheit zwischen den verschiedenen Gruppen, – welcher den Betrag der Modifikationen, denen eine jede derselben unterlegen ist, bezeichnet, – wird durch derartige Ausdrücke wie Gattungen, Familien, Ordnungen und Classen angegeben. Da wir keine Urkunden über die Descendenzreihen besitzen, so können die Stammbäume nur durch Beobachtung der Aehnlichkeitsgrade zwischen den einzelnen zu classificirenden Wesen entdeckt werden. Zu diesem Zwecke sind zahlreiche einzelne Punkte der Uebereinstimmung von viel grösserer Bedeutung als der Betrag von Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit in einigen wenigen Punkten. Wenn nachgewiesen würde, dass zwei Sprachen einander in einer Menge von Worten und Constructionsweisen glichen, so würden sie ganz allgemein als aus einer gemeinsamen Quelle stammend anerkannt werden, trotzdem sie in einigen wenigen Punkten oder Constructionsweisen [194] bedeutend von einander abwichen. Aber bei organischen Wesen dürfen die Punkte der Uebereinstimmung nicht aus Anpassungen an ähnliche Lebensgewohnheiten bestehen. Es können z. B. zwei Thiere ihren ganzen Körperbau zum Leben im Wasser modificirt haben und werden doch trotzdem in keine irgend grössere Nähe zu einander im natürlichen Systeme gestellt werden. Wir können hieraus erkennen, woher es kommt, dass Uebereinstimmungen in unbedeutenden Bildungen, in nutzlosen und in rudimentären Organen und in Theilen, welche jetzt nicht functionell thätig sind oder sich in einem embryonalen Zustande befinden, für die Classification bei Weitem die zweckdienlichsten sind; denn sie können kaum Folgen von Anpassungen sein, die in einer späteren Zeit etwa eingetreten wären. Sie offenbaren uns daher die alten Descendenzlinien oder die eigentliche Verwandtschaft.

Wir können ferner einsehen, warum ein grosser Betrag von Modificationen an einem und demselben Merkmale uns nicht veranlassen darf, zwei Organismen deshalb weit von einander zu trennen. Ein Theil, welcher bereits von demselben Theile bei andern verwandten Formen sehr verschieden ist, hat nach der Entwickelungstheorie bereits bedeutend variirt; und so lange der Organismus denselben anregenden Bedingungen ausgesetzt ist, würde folglich jener Theil auch noch weiteren Abweichungen derselben Art unterliegen, und diese würden, wenn sie wohlthätig sind, erhalten und dadurch beständig vergrössert werden. In vielen Fällen, wie z. B. bei dem Schnabel eines Vogels oder bei dem Zahne eines Säugethiers, würde die beständige Weiterentwickelung dieses einen Theils für die Species von keinem Vortheil zur Erlangung ihrer Nahrung oder zu irgend einem andern Zwecke sein; beim Menschen indessen können wir keine bestimmte Grenze für die fortgesetzte Entwickelung des Gehirns und der geistigen Fähigkeiten sehen, soweit ein Vortheil für die Art dabei in Rede kommt. Bei der Bestimmung der Stellung des Menschen in dem natürlichen oder genealogischen Systeme darf daher die extreme Entwickelung des Gehirns eine Menge von Uebereinstimmungen in andern weniger bedeutungsvollen oder völlig bedeutungslosen Punkten nicht überwiegen.

Die grössere Zahl der Naturforscher, welche die ganze Structur des Menschen mit Einschluss seiner geistigen Fähigkeiten in Betracht gezogen haben, ist Blumenbach und Cuvier gefolgt und hat den Menschen in eine besondere Ordnung unter dem Titel der Zweihänder gebracht und daher auf gleiche Classificationsstufe mit den Ordnungen [195] der Vierhänder, Fleischfresser u. s. w. Neuerdings sind viele unserer besten Naturforscher zu der zuerst von Linné, der so merkwürdig wegen seines Scharfsinns war, ausgesprochenen Ansicht zurückgekehrt und haben den Menschen in eine und dieselbe Ordnung mit den Quadrumanen unter dem Titel der Primaten gebracht. Die Richtigkeit dieser Folgerung wird zugegeben werden, wenn man an erster Stelle die soeben gemachten Bemerkungen über die vergleichsweise geringe Bedeutung der grossen Entwickelung des Gehirns beim Menschen für seine Classification im Auge behält und wenn man sich ferner daran erinnert, dass die scharf ausgesprochenen Verschiedenheiten zwischen den Schädeln des Menschen und der Quadrumanen, welche neuerdings von Bischoff, Aeby und Anderen hervorgehoben worden sind, offenbar Folge ihrer verschieden entwickelten Gehirne sind. An zweiter Stelle müssen wir uns aber erinnern, dass fast alle die anderen und bedeutungsvolleren Verschiedenheiten zwischen dem Menschen und den Quadrumanen offenbar ihrer Natur nach adaptiv sind und sich hauptsächlich auf die aufrechte Stellung des Menschen beziehen. Dahin gehört die Bildung seiner Hände, seines Fusses und Beckens, die Krümmung seines Rückgrats und die Stellung seines Kopfes. Die Familie der Robben bietet eine gute Erläuterung für die geringe Bedeutung adaptiver Charactere in Bezug auf die Classification dar. Diese Thiere weichen von allen andern Fleischfressern in der Form ihres Körpers und in der Bildung ihrer Gliedmaassen viel mehr ab, als der Mensch von den höheren Affen abweicht; und doch werden in den meisten Systemen, von dem Cuvier’s bis zu dem neuesten von Mr. Flower,[4] die Robben als eine blosse Familie in der Ordnung der Carnivoren angesehen. Wäre der Mensch nicht in der Lage gewesen, sich selbst zu classificiren, so würde er niemals auf den Gedanken gekommen sein, eine besondere Ordnung zur Aufnahme seiner selbst zu errichten.

Es würde über die mir gesteckten Grenzen und auch völlig über meine Kenntnisse gehen, die zahllosen Bildungsverhältnisse auch nur namentlich anzuführen, in welchen der Mensch mit den andern Primaten übereinstimmt. Unser grosser Anatom und Philosoph, Professor Huxley, hat diesen Gegenstand ausführlich erörtert[5] und ist zu dem Schlusse gekommen, dass der Mensch in allen Theilen seiner Organisation [196] weniger von den höheren Affen abweicht, als diese von den niedrigeren Gliedern derselben Gruppe verschieden sind. Folglich „ist es nicht gerechtfertigt, den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen“.

In einem früheren Theile dieses Bandes habe ich verschiedene Thatsachen angeführt, welche zeigten, wie eng der Mensch in seiner Constitution mit den höheren Säugethieren übereinstimmt, und diese Uebereinstimmung muss von der grossen Aehnlichkeit unseres Körpers mit dem jener Thiere in der mikroskopischen Structur und chemischen Zusammensetzung abhängen. Ich führte das Beispiel an, dass wir denselben Krankheiten und den Angriffen verwandter Parasiten ausgesetzt sind; ferner unsere gemeinsame Neigung zu denselben Reizmitteln und die ähnlichen durch diese hervorgerufenen Wirkungen, ebenso die Wirkung verschiedener Arzneimittel und ähnliche Thatsachen.

Da geringe und nicht bedeutungsvolle Punkte der Uebereinstimmung zwischen dem Menschen und den höheren Affen in den systematischen Werken gewöhnlich nicht erwähnt werden und da dieselben, wenn sie zahlreich sind, deutlich unsere Verwandtschaft aufdecken, will ich einige wenige dieser Punkte speciell anführen. Die relative Stellung der Gesichtszüge ist offenbar dieselbe beim Menschen und den Quadrumanen; und die verschiedenen Gemüthserregungen werden von nahezu ähnlichen Bewegungen der Muskeln und der Haut hauptsächlich oberhalb der Augenbrauen und um den Mund herum ausgedrückt. Einige wenige Gesichtsausdrücke sind in der That fast ganz dieselben, wie das Weinen bei gewissen Affenarten und das lärmende Lachen anderer, wobei die Mundwinkel rückwärts gezogen und die unteren Augenlider gerunzelt werden. Die äusseren Ohren sind merkwürdig gleich. Beim Menschen ist die Nase in viel höherem Maasse hervorstehend als bei den meisten Affen; wir können aber den Anfang zur Krümmung einer Adlernase an der Nase des Hoolock-Gibbon’s sehen; und dies ist bei dem Semnopithecus nasica bis zu einem lächerlichen Extrem geführt.

Das Gesicht vieler Affen ist mit Bärten, Backenbärten oder Schnurrbärten geziert. Bei manchen Arten von Semnopithecus[6] wächst das Haar auf dem Kopf zu einer bedeutenden Länge und bei dem Mützenaffen (Macacus radiatus) strahlt es von einem Punkte auf dem Scheitel aus, mit einer auf der Mitte herablaufenden Scheitelung wie beim [197] Menschen. Es wird gewöhnlich gesagt, dass die Stirn dem Menschen sein edles und intellectuelles Ansehen gibt; aber das dichte Haar auf dem Kopfe des Mützenaffen endet nach unten ganz plötzlich und es folgt ihm hier so kurzes und feines Haar, dass von einer geringen Entfernung aus die Stirn mit Ausnahme der Augenbrauen vollständig nackt erscheint. Man hat irrthümlicher Weise behauptet, dass Augenbrauen bei keinem Affen vorhanden wären. In der eben genannten Species ist der Grad von Nacktheit an der Stirn bei verschiedenen Individuen verschieden, und Eschricht[7] gibt an, dass die Grenze zwischen der behaarten Kopfhaut und der nackten Stirn bei unsern Kindern zuweilen nicht scharf bestimmt ist, so dass wir hier, wie es scheint, einen beiläufigen Fall von Rückschlag auf einen Urerzeuger vor uns haben, bei welchem die Stirn noch nicht völlig nackt geworden war.

Es ist eine bekannte Thatsache, dass die Haare an unsern Armen von oben und unten her am Ellbogen in eine Spitze zusammenzukommen streben. Diese merkwürdige Anordnung, welche der bei den meisten niederen Säugethieren so ungleich ist, findet sich in gleicher Weise beim Gorilla, dem Schimpanse, dem Orang, einigen Arten von Hylobates und selbst einigen wenigen amerikanischen Affen. Aber bei Hylobates agilis ist das Haar am Unterarm abwärts gerichtet, oder nach der gewöhnlichen Weise nach der Hand zu, und bei H. Lar ist es fast aufrecht mit einer nur sehr geringen Neigung nach vorn, so dass in dieser letzteren Art das Haar sich in einem Uebergangszustand befindet. Es kann kaum bezweifelt werden, dass bei den meisten Säugethieren die Dichte des Haars und seine Richtung auf dem Rücken dem Zwecke angepasst ist, den Regen abzuhalten; selbst die querstehenden Haare auf den Vorderbeinen eines Hundes können zu diesem Zwecke dienen, wenn er beim Schlafen sich zusammengerollt hat. Mr. Wallace macht die Bemerkung, dass das Convergiren der Haare nach dem Ellbogen zu an den Armen des Orang (dessen Lebensweise er sorgfältig studirt hat) dazu dient, den Regen abzuhalten, wenn das Thier bei Regenwetter, wie es sein Gebrauch ist, mit gebogenen Armen und mit um einen Zweig oder selbst auf seinem eigenen Kopf zusammengefalteten Händen dasitzt. Der Angabe Livingstone’s zufolge sitzt auch der Gorilla „im strömenden Regen mit den Händen über seinem Kopfe“ da.[8] [198] Ist die eben gegebene Erklärung, wie es wahrscheinlich zu sein scheint, correct, so bietet das Haar an unsern Vorderarmen ein merkwürdiges Zeugniss für unsern frühern Zustand dar; denn Niemand kann die Vermuthung hegen: dass es jetzt von irgendwelchem Nutzen ist zur Abhaltung des Regens; es wäre auch bei unserer jetzigen aufrechten Stellung für diesen Zweck entschieden nicht passend gerichtet.

Es würde indessen voreilig sein, dem Principe der Anpassung in Bezug auf die Richtung der Haare beim Menschen oder seinen frühen Urerzeugern zu sehr zu vertrauen; denn es ist unmöglich, die von Eschricht über die Anordnung der Haare am menschlichen Fötus (und diese ist dieselbe wie beim Erwachsenen) gegebenen Figuren zu betrachten, ohne mit diesem ausgezeichneten Beobachter darin übereinzustimmen, dass noch andere und noch complicirtere Ursachen dazwischen getreten sind. Die Convergenzpunkte scheinen in einer gewissen Beziehung zu denjenigen Punkten beim Embryo zu stehen, welche sich während seiner Entwickelung zuletzt geschlossen haben. Es scheint auch irgendwelche Beziehung zwischen der Anordnung der Haare an den Gliedmaassen und dem Verlaufe der Markarterien zu bestehen.[9]

Man darf nun aber auch nicht etwa annehmen, dass die Aehnlichkeit, in den eben genannten und vielen andern Punkten, zwischen dem Menschen und gewissen Affen – wie der Besitz einer nackten Stirn, eines wallenden Haarwuchses auf dem Kopfe u. s. w. – sämmtlich nothwendig das Resultat einer ununterbrochenen Vererbung von einem mit diesen Merkmalen versehenen Urerzeuger oder eines später eingetretenen Rückschlags sind. Viele von diesen Uebereinstimmungen sind wahrscheinlich eine Folge analoger Abänderungen, welche, wie ich an einem andern Orte zu zeigen versucht habe,[10] daher rühren, dass von gemeinsamen Stammformen ausgehende Organismen eine ähnliche Constitution haben und von ähnlichen, Variabilität hervorrufenden Ursachen beeinflusst worden sind. In Bezug auf die ähnliche Richtung der Haare am Vorderarme des Menschen und gewisser Affen lässt sich, da dieses [199] Merkmal fast allen anthropomorphen Affen gemeinsam zukommt, wohl annehmen, dass es wahrscheinlich auf Vererbung zu beziehen ist; indessen ist dies doch nicht sicher, da auch einige sehr weit abstehende americanische Affen in gleicher Weise characterisirt sind.

Obgleich nun, wie wir jetzt gesehen haben, der Mensch kein begründetes Recht hat, eine besondere Ordnung für sich zu bilden, so könnte er doch vielleicht eine besondere Unterordnung oder Familie beanspruchen. Professor Huxley theilt in seinem neuesten Werk[11] die Primaten in drei Unterordnungen; die Anthropiden mit allein dem Menschen, die Simiaden, welche die Affen aller Arten umfassen, und die Lemuriden mit den mannichfaltigen Gattungen der Lemuren. Soweit Verschiedenheiten in gewissen wichtigen Theilen des Baues in Betracht kommen, kann der Mensch ohne Zweifel mit Recht den Rang einer Unterordnung beanspruchen, und diese Stellung ist zu niedrig, wenn wir hauptsächlich auf seine geistigen Fähigkeiten blicken. Nichtsdestoweniger scheint es von einem genealogischen Gesichtspunkte aus, als sei dieser Rang zu hoch und als dürfe der Mensch nur eine Familie oder möglicherweise selbst nur eine Unterfamilie bilden. Stellen wir uns vor, es giengen drei Descendenzlinien von einer gemeinsamen Stammform aus, so ist es völlig begreiflich, dass zwei von ihnen nach dem Verlauf langer Zeiten so unbedeutend verändert sein könnten, dass sie noch immer Species einer und derselben Gattung blieben, während die dritte Descendenzlinie so bedeutend modificirt sein könnte, dass sie den Rang einer bestimmten Unterfamilie oder selbst Ordnung verdiente. Aber in diesem Falle ist es fast sicher, dass die dritte Linie noch immer in Folge der Vererbung zahlreiche kleine Punkte der Übereinstimmung mit den andern beiden Linien darbieten würde. Hier würde denn nun die für jetzt unlösliche Schwierigkeit eintreten, wie viel Gewicht wir in unsern Classificationen auf scharf ausgesprochene Verschiedenheiten in einigen wenigen Punkten, d. h. dem Betrage an eingetretenen Modificationen legen sollen und wie viel auf eine nahe Uebereinstimmung in zahlreichen bedeutungslosen Punkten als Andeutung der Descendenzreihe oder der Genealogie. Den wenigen, aber starken Verschiedenheiten grosses Gewicht beizulegen, ist der augenfälligste und vielleicht auch der sicherste Weg, obgleich es correcter zu sein scheint, den vielen kleinen Uebereinstimmungen grosse Aufmerksamkeit zu widmen, da sie eine wirklich natürliche Classification geben.

[200] Um uns in Bezug auf den Menschen ein Urtheil über diesen Punkt zu bilden, müssen wir einen Blick auf die Classification der Simiaden werfen. Diese Familie wird fast von allen Zoologen in die Gruppe der Catarhinen oder Affen der alten Welt und in die Gruppe der Platyrhinen oder Affen der neuen Welt getheilt. Die erstere ist in ihren sämmtlichen Gliedern, wie schon ihr Name ausdrückt, durch die eigenthümliche Structur ihrer Nasenlöcher und durch den Besitz von vier falschen Backzähnen in jeder Kinnlade characterisirt; die letztere, welche zwei sehr verschiedene Untergruppen enthält, umfasst Formen, welche sämmtlich durch verschieden gebaute Nasenlöcher und durch den Besitz von sechs falschen Backzähnen in jeder Kinnlade characterisirt sind. Es liessen sich noch einige andere kleinere Verschiedenheiten anführen. Der Mensch gehört nun ohne Frage rücksichtlich seiner Bezahnung, des Baues seiner Nasenlöcher und in einigen anderen Beziehungen zu der Abtheilung der Catarhinen oder der altweltlichen Formen, und den Platyrhinen gleicht er nicht mehr als die Catarhinen in irgend welchen Merkmalen, mit Ausnahme einiger weniger von nicht besonderer Bedeutung und offenbar von einer adaptiven Natur. Es würde daher gegen alle Wahrscheinlichkeit sein, wollte man annehmen, dass irgend eine alte Species der neuweltlichen Gruppe variirt und dadurch ein menschenähnliches Wesen mit allen den distinctiven Merkmalen, welche der altweltlichen Abtheilung eigen sind, hervorgebracht habe, wobei sie gleichzeitig auch ihre sämmtlichen eigenen Unterscheidungsmerkmale verloren haben müsste. Es lässt sich folglich kaum irgend bezweifeln, dass der Mensch ein Zweig des altweltlichen Simiadenstammes ist und dass er von einem genealogischen Gesichtspunkte aus in die Abtheilung der Catarhinen einzuordnen ist.[12]

Die anthropomorphen Affen, nämlich der Gorilla, Schimpanse, Orang und Hylobates, werden von den meisten Zoologen als eine besondere Untergruppe von den übrigen Affen der alten Welt getrennt. Es ist mir wohl bekannt, dass Gratiolet unter Bezugnahme auf die Bildung des Gehirns das Vorhandensein dieser Untergruppe nicht zugibt, [201] und sie ist auch ohne Zweifel eine unterbrochene. So ist der Orang, wie Mr. St. George Mivart bemerkt,[13] „eine der eigenthümlichsten und aberrantesten Formen, die sich in der ganzen Ordnung finden lässt“. Die übrigen, nicht anthropomorphen Affen der alten Welt werden ferner von einigen Zoologen in zwei oder drei kleinere Untergruppen getheilt. Die Gattung Semnopithecus mit ihrem eigenthümlich zusammengesetzten Magen bildet den Typus der einen dieser Untergruppen. Es scheint aber aus den wunderbaren Entdeckungen Mr. Gaudry’s in Griechenland hervorzugehen, dass dort während der Miocenperiode eine Form existirte, welche Semnopithecus und Macacus verband, und dies erläutert wahrscheinlich die Art und Weise, in welcher die andern und höheren Gruppen einst mit einander zusammenhiengen.

Wird zugegeben, dass die anthropomorphen Affen eine natürliche Untergruppe bilden, so kann man auch schliessen, dass irgend ein altes Glied dieser anthropomorphen Untergruppe dem Menschen Entstehung gegeben habe. Denn der Mensch stimmt mit ihnen nicht bloss in allen denjenigen Merkmalen überein, welche er mit der ganzen Gruppe der Catarhinen in Gemeinschaft besitzt, sondern auch in andern eigenthümlichen Characteren, so in der Abwesenheit eines Schwanzes und der Gesässschwielen und in der ganzen äusseren Erscheinung. Es ist nicht wahrscheinlich, dass ein Glied einer der andern niederen Untergruppen durch das Gesetz analoger Abänderungen ein menschenähnliches Geschöpf, welches den höheren anthropomorphen Affen in so vielen Beziehungen gleicht, hätte entstehen lassen können. Ohne Zweifel ist der Mensch im Vergleich mit den meisten seiner Verwandten einem ausserordentlichen Betrage von Modifikation unterlegen, und zwar hauptsächlich in Folge seines bedeutend entwickelten Gehirns und seiner aufrechten Stellung. Nichtsdestoweniger dürfen wir nicht vergessen, dass er nur „eine der verschiedenen exceptionellen Formen der Primaten ist“.[14]

Jeder Naturforscher, welcher an das Princip der Entwickelung glaubt, wird zugeben, dass die beiden Hauptabtheilungen der Simiaden, nämlich die catarhinen und platyrhinen Affen mit ihren Untergruppen, sämmtlich von einem äusserst weit zurückliegenden alten Urerzeuger ausgegangen sind. Die frühen Nachkommen dieses Urerzeugers werden, [202] ehe sie in irgend einem beträchtlichen Grade von einander abgewichen waren, noch immer eine einzige natürliche Gruppe gebildet haben; aber einige dieser Arten oder dieser beginnenden Gattungen werden bereits angefangen haben, durch ihre divergirenden Merkmale die künftigen Unterscheidungszeichen der beiden Abtheilungen der Catarhinen und Platyrhinen anzudeuten. Es werden daher die Glieder dieser angenommenen alten Gruppe weder in ihrer Bezahnung noch in der Natur ihrer Nasenlöcher so gleichförmig gewesen sein, wie es auf der einen Seite die jetzt lebenden catarhinen, auf der andern die jetzt lebenden platyrhinen Affen sind, sondern sie werden in dieser Beziehung den verwandten Lemuriden geglichen haben, welche in der Form ihrer Schnauze[15] bedeutend und in Bezug auf ihre Bezahnung in einem ganz ausserordentlichen Grade von einander abweichen.

Die catarhinen und platyrhinen Affen stimmen in einer Menge von Merkmalen mit einander überein, wie sich schon aus dem Umstande ergibt, dass sie ohne Frage in eine und dieselbe Ordnung gestellt werden. Die vielerlei Charactere, welche sie in Gemeinschaft besitzen, können kaum von so vielen verschiedenen Species unabhängig erlangt worden sein, es müssen also diese Merkmale vererbt sein. Aber eine alte Form, welche Charactere besass, von denen viele den catarhinen und platyrhinen Affen gemeinsam eigen sind, von denen andere in einem intermediären Zustande und einige wenige in einer von den gegenwärtig in beiden Gruppen vorhandenen vielleicht ganz verschiedenen Weise vorhanden waren, würde unzweifelhaft, wenn sie ein Zoolog zu bestimmen hätte, als ein Affe bezeichnet werden. Und da der Mensch von dem genealogischen Standpunkte aus zu dem Stamme der catarhinen oder altweltlichen Formen gehört, so müssen wir schliessen, wie sehr sich auch unser Stolz gegen diesen Schluss empören mag, dass unsere frühen Urerzeuger wahrscheinlich in dieser Weise bezeichnet worden wären[16]. Wir dürfen aber nicht in den Irrthum verfallen, etwa anzunehmen, dass der frühe Urerzeuger des ganzen Stammes der Simiaden, mit Einschluss des Menschen, mit irgend einem jetzt existirenden Affen identisch oder ihm auch nur sehr ähnlich gewesen sei.

[203] Ueber die Geburtsstätte und das Alter des Menschen. – Wir werden natürlich darauf geführt zu untersuchen, wo die Geburtsstätte des Menschen gewesen ist, d. h. auf derjenigen Stufe seiner Descendenzreihe, wo unsere Urerzeuger von dem Stamme der Catarhinen sich abzweigten. Die Thatsache, dass sie zu diesem Stamme gehörten, zeigt ganz entschieden, dass sie die alte Welt bewohnten, aber weder Australien noch irgend eine oceanische Insel, wie wir aus den Gesetzen der geographischen Verbreitung schliessen können. In jedem grossen Bezirk der Erde sind die dort lebenden Säugethiere nahe mit den ausgestorbenen Arten desselben Bezirks verwandt. Es ist daher wahrscheinlich, dass Africa früher von jetzt ausgestorbenen Affen bewohnt wurde, welche dem Gorilla und dem Schimpanse nahe verwandt waren; und da diese beiden Species jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es noch etwas wahrscheinlicher, dass unsere frühen Urerzeuger auf dem africanischen Festlande lebten. Es ist aber ganz unnütz, über diesen Gegenstand Speculationen anzustellen; denn zwei oder drei anthropomorphe Affen, einer fast so gross als der Mensch, nämlich der Dryopithecus[17] von Lartet, welcher mit dem Hylobates nahe verwandt war, existirten in Europa während der Miocenperiode, und seit dieser so entfernt liegenden Periode hat die Erde sicher viele grosse Revolutionen erfahren und es ist auch hinreichende Zeit für Wanderungen im grössten Maasstabe vergangen.

Zu der Zeit und an dem Orte, wann und wo dies auch gewesen sein mag, als der Mensch zuerst sein Haarkleid verlor, bewohnte er wahrscheinlich ein warmes Land, und dies würde einer Ernährung von Früchten, von denen er nach Analogie zu urtheilen lebte, günstig gewesen sein. Wir sind weit davon entfernt, wirklich zu wissen, wann der Mensch zuerst von dem Stamme der Catarhinen abzweigte; indess kann dies schon in einer so entfernten Periode eingetreten sein, wie der eocenen; denn die höheren Affen waren von den niedrigeren Formen der Ordnung bereits zu einer so frühen Zeit wie der oberen miocenen abgezweigt, wie durch die Existenz des Dryopithecus eben bewiesen wird. Wir sind auch vollständig unwissend darüber, in einem wie schnellen Verhältnisse Organismen überhaupt, mögen sie nun hoch oder niedrig in der Stufenleiter stehen, unter günstigen Umständen modificirt werden können; indessen wissen wir, dass einige Organismen eine [204] und dieselbe Form während eines enormen Zeitraums beibehalten haben. Nach dem, was wir im Zustande der Domestication vor sich gehen sehen, bemerken wir, dass innerhalb einer und derselben Periode einige der gleichzeitigen Nachkommen einer und derselben Art gar nicht geändert zu haben brauchen, einige nur wenig und andere wieder bedeutend. So mag es mit dem Menschen der Fall gewesen sein, welcher im Vergleich mit den höheren Affen einen grossen Betrag an Modificationen in gewissen Merkmalen erfahren hat.

Die grosse Unterbrechung in der organischen Stufenreihe zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten, welche von keiner ausgestorbenen oder lebenden Species überbrückt werden kann, ist oft als ein schwer wiegender Einwurf gegen die Annahme vorgebracht worden, dass der Mensch von einer niederen Form abgestammt ist; für Diejenigen aber, welche durch allgemeine Gründe überzeugt an das allgemeine Princip der Evolution glauben, wird dieser Einwurf nicht als ein Einwurf von sehr grossem Gewichte erscheinen. Solche Unterbrechungen treten unaufhörlich an allen Punkten der Reihe auf, einige sind weit, sehr scharf abgeschnitten und bestimmt, andere in verschiedenen Graden weniger nach diesen Beziehungen hin, so z. B. zwischen dem Orang und seinen nächsten Verwandten – zwischen dem Tarsius und den andern Lemuriden – zwischen dem Elephanten und in einer noch auffallenderen Weise zwischen dem Ornithorhynchus oder der Echidna und allen übrigen Säugethieren. Aber alle diese Unterbrechungen beruhen lediglich auf der Zahl der verwandten Formen, welche ausgestorben sind. In irgend einer künftigen Zeit, welche nach Jahrhunderten gemessen nicht einmal sehr entfernt ist, werden die civilisirten Rassen der Menschheit beinahe mit Bestimmtheit auf der ganzen Erde die wilden Rassen ausgerottet und ersetzt haben. Wie Professor Schaaffhausen bemerkt hat,[18] werden zu derselben Zeit ohne Zweifel auch die anthropomorphen Affen ausgerottet sein. Der Abstand zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten wird dann noch weiter sein; denn er tritt dann zwischen dem Menschen in einem noch civilisirteren Zustande als dem kaukasischen, wie wir hoffen können, und irgend einem so tief in der Reihe stehenden Affen wie einem Pavian auf, statt dass er sich gegenwärtig zwischen dem Neger oder Australier und dem Gorilla findet.

[205] Was das Fehlen fossiler Reste betrifft, welche den Menschen mit seinen affenähnlichen Urerzeugern zu verbinden dienen, so wird Niemand auf diese Thatsache viel Gewicht legen, welcher Sir C. Lyell’s Erörterung[19] gelesen hat, worin er zeigt, dass in sämmtlichen Classen der Wirbelthierreihe die Entdeckung fossiler Reste ein äusserst langsamer und vom Zufall abhängiger Vorgang gewesen ist. Auch darf man nicht vergessen, dass diejenigen Gegenden, welche am wahrscheinlichsten solche Reste darbieten, die den Menschen mit irgend einem ausgestorbenen affenähnlichen Geschöpfe verbinden, bis jetzt von Geologen noch nicht untersucht sind.

Die niederen Stufen in der Genealogie des Menschen. – Wir haben gesehen, dass der Mensch sich als von der Abtheilung der Catarhinen oder altweltlichen Formen der Simiaden abgezweigt darstellt, welche Abzweigung also eintrat, nachdem diese Abtheilung von der der neuweltlichen Formen verschieden geworden war. Wir wollen jetzt versuchen, den noch entfernteren Zügen seiner Genealogie zu folgen, wobei wir uns an erster Stelle auf die gegenseitigen Verwandtschaften zwischen den verschiedenen Classen und Ordnungen beziehen und auch, wenn schon in untergeordneter Weise, auf die Perioden Rücksicht nehmen, in welchen dieselben, soweit bis jetzt ermittelt ist, nach einander auf der Oberfläche der Erde erschienen sind. Die Lemuriden stehen unter und nahe bei den Simiaden, indem sie eine sehr verschiedene Familie der Primaten oder nach Häckel und Andern selbst eine besondere Ordnung bilden. Diese Gruppe ist in einem ganz ausserordentlichen Grade verschiedenartig geworden und auseinandergefallen und umfasst viele aberrante Formen. Sie hat daher wahrscheinlich viel von dem Aussterben einzelner Formen gelitten. Die meisten der Ueberbleibsel leben noch auf Inseln, namentlich auf Madagascar und auf den Inseln des malayischen Archipels, wo sie keiner so scharfen Concurrenz ausgesetzt gewesen sind, als dies auf gut bevölkerten Continenten der Fall gewesen sein würde. Diese Gruppe bietet auch viele gradweise Verschiedenheiten dar, welche, wie Huxley bemerkt,[20] „unmerklich von der Krone und Spitze der thierischen Schöpfung zu Geschöpfen herabführen, von denen scheinbar nur ein Schritt zu den [206] niedrigsten, kleinsten und wenigst intelligenten Formen der placentalen Säugethiere ist“. Nach diesen verschiedenen Betrachtungen ist es wahrscheinlich, dass die Simiaden sich ursprünglich aus den Vorfahren der jetzt noch lebenden Lemuriden entwickelt haben und diese wiederum aus Formen, welche in der Reihe der Säugethiere sehr tief standen.

Die Beutelthiere stehen in vielen bedeutungsvollen Merkmalen unterhalb der placentalen Säugethiere. Sie erscheinen in einer früheren geologischen Periode und ihr Verbreitungsbezirk war früher ein viel ausgedehnterer, als sich derselbe jetzt darstellt. Es wird daher allgemein angenommen, dass die Placentalen sich von den Implacentalen oder den Beutelthieren heraus entwickelt haben, indessen nicht etwa von Formen, welche den jetzt existirenden Marsupialien sehr gleichen, sondern von deren frühen Urerzeugern. Die Monotremen sind ganz offenbar mit den Marsupialien verwandt, sie bilden eine dritte und noch niedrigere Abtheilung in der grossen Reihe der Säugethiere. Heutigen Tages werden sie nur von dem Ornithorhynchus und der Echidna repräsentirt, und man kann diese beiden Formen ganz getrost als Ueberbleibsel einer bedeutend grösseren Gruppe betrachten, welche in Folge des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände in Australien erhalten worden sind. Die Monotremen sind ganz ausserordentlich interessant, da sie in mehreren bedeutungsvollen Punkten ihres Körperbaus nach der Classe der Reptilien hinführen.

Wenn wir den Versuch machen, die Genealogie der Säugethiere und daher auch des Menschen noch weiter abwärts in der Thierreihe zu verfolgen, so kommen wir auf immer dunklere und dunklere Gebiete der Wissenschaft; wie aber ein äusserst fähiger Forscher, Mr. Parker, bemerkt hat, haben wir guten Grund anzunehmen, dass kein echter Vogel oder kein echtes Reptil in die Descendenzreihe eintritt. Wer hier zu erfahren wünscht, was Scharfsinn und Kenntnisse hervorbringen können, mag die Schriften Professor Häckel’s zu Rathe ziehen.[21] [207] Ich will mich mit einigen allgemeinen Bemerkungen hier begnügen. Jeder Anhänger der Evolutionstheorie wird zugeben, dass die fünf grossen Wirbelthierclassen, nämlich Säugethiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, sämmtlich von einem gemeinsamen Prototype oder von einer Stammform abgestammt sind; denn sie haben sehr viel, besonders während ihrer embryonalen Zustände, gemeinsam. Da die Classe der Fische die am niedrigsten organisirte ist und vor den übrigen auf der Erde erschienen ist, so können wir schliessen, dass sämmtliche Glieder des Wirbelthierreichs von irgend einem fischähnlichen Thiere herrühren. Die Annahme, dass von einander so verschiedene Thiere, wie ein Affe, ein Elephant, ein Kolibri, eine Schlange, ein Frosch und ein Fisch u. s. w. sämmtlich von denselben Eltern entsprossen sein könnten, wird Denjenigen ganz monströs erscheinen, welche die neueren Fortschritte der Naturgeschichte nicht mit Aufmerksamkeit verfolgt haben; denn diese Annahme setzt die frühere Existenz von Zwischengliedern voraus, welche alle diese jetzt so völlig ungleichen Formen eng mit einander verbanden.

Nichtsdestoweniger ist es sicher, dass Thiergruppen existirt haben, oder selbst jetzt noch existiren, welche die verschiedenen grossen Wirbelthierclassen mehr oder weniger eng mit einander zu verbinden geeignet waren oder sind. Wir haben gesehen, dass der Ornithorhynchus sich in mehreren Beziehungen den Reptilien nähert; und Professor Huxley hat die merkwürdige Entdeckung gemacht, welche Mr. Cope und Andere bestätigt haben, dass die alten Dinosaurier in vielen wichtigen Beziehungen mitten zwischen gewissen Reptilien und gewissen Vögeln inne stehen; die hier in Rede kommenden Vögel sind die straussartigen Vögel (offenbar selbst die weitverbreiteten Reste einer grösseren Gruppe) und der Archaeopteryx, jener merkwürdige Vogel der Secundärzeit, welcher einen langen Schwanz hatte wie eine Eidechse. Ferner bieten nach Professor Owen[22] die Ichthyosaurier – grosse Meereidechsen, die mit Ruderfüssen versehen waren – viele Verwandtschaften mit Fischen oder vielmehr, Huxley zufolge, mit Amphibien dar. Diese letztere Classe, welche in ihrer höchsten Abtheilung die Frösche und Kröten enthält, ist offenbar mit den ganoiden Fischen verwandt. Diese letzteren Fische wieder waren während der früheren geologischen Perioden sehr zahlreich und nach einem, wie man sich [208] auszudrücken pflegt, bedeutend verallgemeinerten Plane gebaut, d. h. sie zeigten verschiedenartige Verwandtschaften mit andern Gruppen von Organismen. Der Lepidosiren ist wiederum so nahe mit den Amphibien und Fischen verwandt, dass die Zoologen sich lange gestritten haben, in welche dieser beiden Gruppen er zu stellen sei. Der Lepidosiren und einige wenige ganoide Fische sind dadurch vor völliger Zerstörung gerettet worden, dass sie Flüsse bewohnen, welche schützende Zufluchtshäfen bilden und dieselbe Beziehung zu den grossen Wassermassen des Oceans darbieten, wie die Inseln zu den Continenten.

Endlich ist ein einziges Glied der ungeheuer grossen und verschiedenartigen Classe der Fische, nämlich das Lanzettfischchen oder Amphioxus, so verschieden von allen übrigen Fischen, dass Häckel behauptet, es müsste eine besondere Classe im Wirbelthierreiche bilden. Dieser Fisch ist wegen seiner negativen Merkmale merkwürdig; man kann kaum sagen, dass er ein Gehirn, eine Wirbelsäule, ein Herz u. s. w. besitzt, so dass er auch von den älteren Naturforschern unter die Würmer gestellt wurde. Vor vielen Jahren machte Professor Goodsir die Beobachtung, dass das Lanzettfischchen einige Verwandtschaften mit den Ascidien darbietet, welche wirbellose hermaphroditische und beständig fremden Körpern angeheftete marine Geschöpfe sind. Sie erscheinen kaum als Thiere und bestehen aus einem zähen lederartigen Sacke mit zwei kleinen vorspringenden Oeffnungen. Sie gehören zu den Molluscoiden Huxley’s, einer niedrigen Abtheilung des grossen Unterreichs der Mollusken; neuerdings sind sie aber von einigen Zoologen unter die Vermes oder Würmer gestellt worden. Ihre Larven sind der Form nach den Kaulquappen etwas ähnlich[23] und haben das Vermögen frei herumzuschwimmen. Kowalevsky[24] hat neuerdings beobachtet, dass die Larven der Ascidien den Wirbelthieren verwandt sind und [209] zwar in der Weise ihrer Entwickelung, in der relativen Lage ihres Nervensystems und in dem Besitze eines Gebildes, welches der Chorda dorsalis der Wirbelthiere sehr ähnlich ist. Dies ist von Prof. Kupffer bestätigt worden. Mr. Kowalevsky schreibt mir von Neapel, dass er diese Beobachtungen jetzt noch weiter geführt hat; sollten seine Resultate sicher begründet werden, so würden sie eine Entdeckung von dem grössten Werthe darstellen. Dürfen wir uns nun auf Embryologie verlassen, welche sich stets als der sicherste Führer bei der Classification erwiesen hat, so scheint es hiernach, als hätten wir endlich einen Schlüssel zu jener Quelle gefunden, aus welcher die Wirbelthiere herstammen.[25] Wir würden darnach zu der Annahme berechtigt sein, dass in einer äusserst frühen Periode eine Gruppe von Thieren existirte, in vielen Beziehungen den Larven unserer jetzt lebenden Ascidien ähnlich, welche in zwei grosse Zweige auseinandergieng; von diesen gieng der eine in der Entwickelung zurück und brachte die jetzige Classe der Ascidien hervor, während der andere sich zu der Krone und Spitze des ganzen Thierreichs erhob, dadurch, dass er die Wirbelthiere entstehen liess.

Wir haben bis jetzt versucht, in grossen Umrissen die Genealogie der Wirbelthiere mit Hülfe ihrer gegenseitigen Verwandtschaften zu entwerfen. Wir wollen nunmehr den Menschen betrachten, wie er gegenwärtig existirt, und ich meine, wir werden theilweise im Stande sein, in den aufeinanderfolgenden Perioden, aber wohl nicht in der gehörigen Zeitfolge, den Bau unserer frühen Urerzeuger zu reconstruiren. Dies kann mit Hülfe der Rudimente ausgeführt werden, welche der Mensch noch besitzt, ferner durch die Charactere, welche gelegentlich bei ihm in Folge eines Rückschlags zur Erscheinung kommen, und endlich durch die Hülfe der Gesetze der Morphologie und Embryologie. [210] Die verschiedenen Thatsachen, auf welche ich mich hier beziehen werde, sind in den vorausgehenden Capiteln mitgetheilt worden.

Die frühen Urerzeuger des Menschen müssen einst mit Haaren bekleidet gewesen sein, wobei beide Geschlechter Bärte hatten. Ihre Ohren waren wahrscheinlich zugespitzt und einer Bewegung fähig und ihr Körper war mit einem Schwanze versehen, welcher die gehörigen Muskeln besass. Auch auf ihre Gliedmaassen und den Körper wirkten viele Muskeln, welche jetzt nur gelegentlich wiedererscheinen, aber bei den Quadrumanen im normalen Zustande vorhanden sind. In dieser oder in etwas früherer Zeit liefen die grosse Arterie und der Nerv des Oberarms durch ein supracondyloides Loch. Der Darmcanal gab ein viel grösseres Divertikel oder einen Blinddarm ab, als der jetzt beim Menschen vorhandene ist. Nach dem Zustande der grossen Zehe beim Fötus zu urtheilen war damals der Fuss ein Greiffuss und ohne Zweifel waren unsere Urerzeuger Baumthiere, welche ein warmes, mit Wäldern bedecktes Land bewohnten. Die Männchen waren mit grossen Eckzähnen versehen, welche ihnen als furchtbare Waffen dienten. Auf einer noch viel früheren Periode war der Uterus doppelt, die Auswurfstoffe wurden durch eine Cloake entleert, und das Auge wurde von einem dritten Augenlide oder einer Nickhaut beschützt. Auf einer noch früheren Periode müssen die Urerzeuger des Menschen in ihrer Lebensweise Wasserthiere gewesen sein; denn die Morphologie lehrt ganz deutlich, dass unsere Lungen aus einer modificirten Schwimmblase hervorgiengen, welche einst als hydrostatisches Gebilde wirkte. Die Spalten am Halse des menschlichen Embryo's zeigen uns, wo einst die Kiemen lagen. In den mit dem Monde oder wöchentlich wiederkehrenden Perioden einiger unsrer Functionen besitzen wir offenbar noch immer Andeutungen unsres einstigen Geburtsortes, eines von den Wellen umspülten Strandes. Ungefähr in dieser Periode waren die echten Nieren durch die Wolff'schen Körper ersetzt. Das Herz bestand nur in der Form eines einfach pulsirenden Gefässes, und die Chorda dorsalis nahm die Stelle einer Wirbelsäule ein. Diese frühen Vorläufer des Menschen, welche wir hiernach in den dunklen Zeiten vergangener Aeonen sehen, müssen so einfach organisirt gewesen sein wie das Lanzettfischchen oder Amphioxus, oder selbst noch einfacher.

Es ist aber noch ein anderer Punkt, welcher einer ausführlichen Erwähnung bedarf. Es ist längst bekannt, dass in dem Wirbelthierreiche das eine Geschlecht Rudimente verschiedener accessorischer, zu [211] dem Systeme der Reproductionsorgane gehöriger Theile besitzt, welche eigentlich dem entgegengesetzten Geschlechte angehören: und es ist jetzt ermittelt worden, dass auf einer sehr frühen embryonalen Periode beide Geschlechter echte männliche und weibliche Generationsdrüsen besassen. Es scheint daher ein äusserst weit zurückliegender Urerzeuger des grossen Wirbelthierreichs hermaphroditisch oder androgyn gewesen zu sein.[26] Hier stossen wir aber auf eine eigenthümliche Schwierigkeit. In der Classe der Säugethiere besitzen die Männchen in ihren Vesiculae prostaticae Rudimente eines Uterus mit dem daranstossenden Canal, sie besitzen auch Rudimente von Brustdrüsen; und einige männliche Beutelthiere haben Rudimente einer marsupialen Tasche.[27] Es liessen sich noch andere analoge Thatsachen hinzufügen. Haben wir nun anzunehmen, dass irgend ein äusserst altes Säugethier zwitterhaft blieb, nachdem es die hauptsächlichsten Unterscheidungsmerkmale seiner eigenen Classe erlangt hatte, nachdem es daher von den niederen Classen des Wirbelthierreichs abgezweigt war? Dies scheint im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein. Denn wir müssen bis zu den Fischen, der niedrigsten Classe von allen, hinabsteigen, um jetzt noch existirende hermaphroditische Formen zu finden.[28] Dass verschiedene accessorische Theile, die dem einen Geschlecht eigen sind, [212] in einem rudimentären Zustande beim andern Geschlechte gefunden werden, kann dadurch erklärt werden, dass das eine Geschlecht allmählich diese Organe erlangte, und dass sie dann in mehr oder weniger unvollkommenem Zustande auf das andere Geschlecht mit überliefert wurden. Wenn wir die geschlechtliche Zuchtwahl zu behandeln haben werden, werden wir zahllose Beispiele dieser Form der Ueberlieferung antreffen, — so in den Fällen, wo Spornen, besondere Federn oder brillante Farben, welche von den männlichen Vögeln zum Kämpfen oder zum Schmuck erlangt worden sind, in einem unvollkommenen oder rudimentären Zustand den Weibchen überliefert worden sind.

Dass männliche Säugethiere functionell unvollkommene Milchdrüsen besitzen, ist in manchen Beziehungen ganz besonders merkwürdig. Die Monotremen haben die ordentlichen milchabsondernden Drüsen mit Oeffnungen, aber ohne Zitzen; und da diese Thiere factisch auf dem Boden der ganzen Säugethierreihe stehen, so ist es wahrscheinlich, dass die Urerzeuger der Classe in gleicher Weise die milchabsondernden Drüsen, aber keine Zitzen besassen. Diese Folgerung wird noch durch das unterstützt, was wir von ihrer Entwickelungsweise wissen; denn Professor Turner theilt mir nach der Autorität von Kölliker und Langer mit, dass beim Embryo die Milchdrüsen deutlich nachgewiesen werden können, noch ehe die Warzen auch nur im geringsten sichtbar sind; und die Entwickelung nach einander auftretender Theile am Individuum stellt im Allgemeinen die Entwickelung nach einander auftretender Geschöpfe in derselben Descendenzreihe dar oder stimmt mit dieser überein. Die Marsupialien weichen von den Monotremen durch den Besitz von Zitzen ab, so dass diese Organe wahrscheinlich von den Marsupialien zuerst erlangt wurden, nachdem sie von den Monotremen sich abgezweigt und sich über dieselben erhoben hatten, worauf sie dann den placentalen Säugethieren überliefert wurden.[29] Niemand wird annehmen, dass die Marsupialien noch zwitterhaft blieben, nachdem sie ihren gegenwärtigen Bau annäherungsweise erreicht hatten. Wie haben wir es nun dann zu erklären, dass männliche Säugethiere Milchdrüsen [213] besitzen? Es ist möglich, dass sie zuerst bei den Weibchen sich entwickelt und dann auf die Männchen vererbt haben; aber nach dem Folgenden ist dies kaum wahrscheinlich.

Eine andere Ansicht wäre, zu vermuthen, dass lange nachdem die Urerzeuger der ganzen Säugethierclasse aufgehört hatten, Zwitter zu sein, beide Geschlechter Milch abgesondert und damit ihre Jungen ernährt hätten, und dass, was die Marsupialien betrifft, beide Geschlechter die Jungen in der marsupialen Tasche getragen hätten. Dies wird nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen, wenn wir uns erinnern, dass die Männchen jetztlebender Nadelfische (Syngnathus) die Eier der Weibchen in ihre abdominalen Taschen aufnehmen, sie ausbrüten und, wie Manche annehmen, später die Jungen ernähren,[30] — dass ferner gewisse andere männliche Fische die Eier innerhalb ihres Mundes oder der Kiemenhöhlen ausbrüten, — dass gewisse männliche Kröten die rosenkranzförmigen Schnüre von Eiern von ihren Weibchen abnehmen und sie um ihre eigenen Schenkel herumwinden und dort behalten, bis die Kaulquappen geboren worden sind, — dass ferner gewisse männliche Vögel die Pflicht des Brütens ganz auf sich nehmen und dass männliche Tauben ebenso gut wie die weiblichen ihre Nestlinge mit einer Absonderung aus ihrem Kropfe ernähren. Die oben angegebene Vermuthung kam mir aber zuerst, als ich sah, dass die Milchdrüsen bei männlichen Säugethieren so viel vollkommener entwickelt sind als die Rudimente jener andern accessorischen Theile des Fortpflanzungssystems, welche sich in dem einen Geschlechte finden, trotzdem sie eigentlich dem andern angehören. Die Milchdrüsen und Zitzen können in der Form, wie sie bei männlichen Säugethieren existiren, in der That kaum rudimentär genannt worden, sie sind einfach nicht vollständig entwickelt und nicht functionell thätig. Sie werden unter dem Einflusse gewisser Krankheiten sympathisch mit afficirt, ganz wie dieselben Organe beim Weibchen. Bei der Geburt und zur Zeit der Pubertät sondern sie oft einige wenige Tropfen Milch ab; diese letztere [214] Thatsache kam in dem merkwürdigen, früher erwähnten Falle vor, wo ein junger Mann zwei Paar Milchdrüsen besass. Man hat Fälle kennen gelernt, wo sie gelegentlich beim Menschen und andern Säugethieren in der Reifeperiode so wohl entwickelt waren, dass sie eine reichliche Menge von Milch absonderten. Wenn wir nun annehmen, dass während einer frühen lange dauernden Periode die männlichen Säugethiere ihre Weibchen bei der Ernährung ihrer Nachkommen unterstützten[31] und dass später aus irgend einer Ursache (z. B. wenn eine kleinere Zahl von Jungen hervorgebracht wurde) die Männchen aufhörten, diese Hülfe zu leisten, so würde Nichtgebrauch der Organe während des Reifezustands dazu führen, dass sie unthätig würden; und nach zwei bekannten Principien der Vererbung würde dieser Zustand der Unthätigkeit wahrscheinlich auf die Männchen im entsprechenden Alter der Reife vererbt werden. Aber auf einer früheren Altersstufe würden diese Organe unafficirt bleiben, so dass sie bei den Jungen beider Geschlechter gleichmässig wohl entwickelt sein würden.

Schluss. — Die beste Definition der Weiterentwickelung oder des Fortschritts in der organischen Stufenleiter, welche je gegeben worden ist, ist die von Karl Ernst von Baer gegebene, dass dieselbe auf dem Betrag der Differenzirung und Specialisirung der verschiedenen Theile eines und desselben Wesens beruht, wenn es, wie ich geneigt sein würde hinzuzufügen, zur Reife gelangt ist. Da nun Organismen mittelst der natürlichen Zuchtwahl langsam verschiedenartigen Richtungen des Lebens angepasst worden sind, so werden ihre Theile in Folge des durch die Theilung der physiologischen Arbeit erlangten Vortheils immer mehr und mehr für verschiedene Functionen differenzirt und specialisirt worden sein. Ein und derselbe Theil scheint oft zuerst für den einen Zweck und dann lange Zeit später für irgend einen andern und völlig verschiedenen Zweck modificirt worden zu sein; und hierdurch sind alle Theile mehr oder weniger complicirt gemacht worden. Aber jeder Organismus wird noch immer den allgemeinen Typus des Baues seines Urerzeugers, von dem er ursprünglich herrührte, beibehalten. In Uebereinstimmung mit dieser Ansicht scheint, wenn wir die geologischen Zeugnisse berücksichtigen, die Organisation im Ganzen auf der Erde in langsamen und unterbrochenen Schritten vorgeschritten [215] zu sein. In dem grossen Unterreiche der Wirbelthiere hat sie im Menschen gegipfelt. Es darf indessen nicht angenommen werden, dass Gruppen organischer Wesen fortwährend unterdrückt werden und verschwinden, sobald sie andern und vollkommeneren Gruppen Entstehung gegeben haben. Wenn auch die Letzteren über ihre Vorgänger gesiegt haben, so brauchen sie doch nicht für alle Stellen in dem Haushalte der Natur besser angepasst gewesen zu sein. Einige alte Formen sind allem Anscheine nach leben geblieben, weil sie geschützte Orte bewohnten, wo sie keiner sehr scharfen Concurrenz ausgesetzt waren; und diese unterstützen uns oft bei der Construction unsrer Genealogien dadurch, dass sie uns ein leidliches Bild früherer und sonst verloren gegangener Bildungen geben. Wir dürfen aber nicht in den Irrthum verfallen, die jetzt lebenden Glieder irgend einer niedrig organisirten Gruppe als vollkommene Repräsentanten ihrer alten Urerzeuger zu betrachten. Die ältesten Urerzeuger im Unterreiche der Wirbelthiere, auf welche wir im Stande sind, einen, wenn auch nur undeutlichen Blick zu werfen, bestanden, wie es scheint, aus einer Gruppe von Seethieren,[32] [216] welche den Larven der jetzt lebenden Ascidien ähnlich waren. Diese Thiere liessen wahrscheinlich eine Gruppe von Fischen entstehen, welche gleich niedrig wie der Lanzettfisch organisirt waren; und aus diesen müssen sich die ganoiden und andere dem Lepidosiren ähnliche Fische entwickelt haben. Von derartigen Fischen wird uns ein nur sehr geringer Fortschritt zu den Amphibien hinführen. Wir haben gesehen, dass Vögel und Reptilien einst innig mit einander verbunden waren, und die Monotremen bringen jetzt in einem unbedeutenden Grade die Säugethiere mit den Reptilien in Verbindung. Für jetzt kann aber Niemand sagen, durch welche Descendenzreihe die drei höheren und verwandten Classen, nämlich Säugethiere, Vögel und Reptilien, von den beiden niederen Wirbelthierclassen, nämlich Amphibien und Fischen, abzuleiten sind. Innerhalb der Classe der Säugethiere sind die einzelnen Schritte nicht schwer zu verfolgen, welche von den alten Monotremen zu den alten Marsupialien führen und von diesen zu den frühen Urerzeugern der placentalen Säugethiere. Wir können auf diese Weise bis zu den Lemuriden aufsteigen und der Zwischenraum zwischen diesen bis zu den Simiaden ist nicht gross. Die Simiaden zweigten sich dann in zwei grosse Stämme ab, die neuweltlichen und die altweltlichen Affen, und aus den letzteren gieng in einer frühen Zeit der Mensch, das Wunder und der Ruhm des Weltalls, hervor.

Wir haben auf diese Weise dem Menschen einen Stammbaum von wunderbarer Länge gegeben, man könnte aber meinen nicht einen Stammbaum von edler Beschaffenheit. Es ist oft bemerkt worden, dass die Welt sich lange auf die Ankunft des Menschen vorbereitet zu haben scheint; und dies ist in einem gewissen Sinne durchaus wahr, denn er verdankt seine Geburt einer langen Reihe von Vorfahren. Hätte ein einziges Glied in dieser langen Kette niemals existirt, so würde der Mensch nicht genau das geworden sein, was er jetzt ist. Wenn wir nicht absichtlich unsere Augen schliessen, so können wir nach unsern jetzigen Kenntnissen annähernd unsere Abstammung erkennen und wir dürfen uns derselben nicht schämen. Der niedrigste Organismus ist etwas bei weitem Höheres als der unorganische Staub unter unsern Füssen; und Niemand mit einem vorurtheilsfreien Geiste kann irgend ein lebendes Wesen, wie niedrig es auch stehen mag, studiren, ohne enthusiastisch über seine merkwürdige Structur und seine Eigenschaften erstaunt zu werden.


  1. Isidore Geoffroy Saint-Hilaire gibt einen detaillirten Bericht über die Stellung, welche dem Menschen von verschiedenen Naturforschern in ihren Classificationen eingeräumt worden ist, in seiner: Hist. natur. génér. Tom. II. 1859, p. 170–189.
  2. Einige der interessantesten Thatsachen über die Lebensweise der Ameisen, die je veröffentlicht worden sind, hat Mr. Belt gegeben in seinem „Naturalist in Nicaragua“, 1874. s. auch Mr. Moggridge’s treffliches Buch „Harvesting Ants“ etc. 1873, auch den Artikel „L’Instinct chez les Insectes“ von George Pouchet in: Revue des Deux Mondes. Febr. 1870, p. 682.
  3. Westwood, Modern Classification of Insects. Vol. II. 1840, p. 87.
  4. Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 4.
  5. Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur. Uebers. S. 79 und an andern Orten.
  6. Isid. Geoffroy Saint-Hilaire, Hist. natur. génér. Tom. II. 1859, p.217.
  7. Ueber die Richtung der Haare u. s. w. in: Müller’s Archiv für Anat. und Physiol. 1837. S. 51.
  8. Citirt von Reade, The African Sketch Book, Vol. I. 1873. p. 152.
  9. Ueber das Haar bei Hylobates s. C. L. Martin, Natur. Hist. of Mammals. 1841, p. 415, auch Isid. Geoffroy Saint-Hilaire, über die americanischen Affen und andere Arten in: Hist. natur. génér. Tom. II. 1859, p. 216, 243. Eschricht, a. a. O. S. 46, 55, 61. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 619. Wallace, Contributions to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 344.
  10. Entstehung der Arten, (Uebers.) 5. Aufl. S. 173. Das Variiren der Thiere und Pflanzen etc. 2. Aufl. Bd. 2, S. 395.
  11. An Introduction to the Classification of Animals. 1869, p. 99.
  12. Dies ist so ziemlich dieselbe Classification wie die provisorisch von St. George Mivart angenommene (Philos. Transact. Roy. Soc. 1867, p. 300), welcher nach Abscheidung der Lemuriden die übrigen Primaten in die Hominiden, die Simiaden, den Catarhinen entsprechend, die Cebiden und die Hapaliden theilt, wobei die beiden letzteren Gruppen den Platyrhinen entsprechen. Mr. Mivart ist noch immer derselben Ansicht; s. „Nature“, 1871, p. 481.
  13. Transact. Zoolog. Soc. Vol. VI. 1867, p. 214.
  14. St. George Mivart, Philos. Transact. 1867, p. 410.
  15. Murie and St. George Mivart, On the Lemuridae, in: Transact. Zoolog. Soc. Vol. VII. 1869. p. 5.
  16. Häckel ist zu demselben Schlusse gekommen, s. Ueber die Entstehung des Menschengeschlechts in Virchow’s Samml. gemein. wissensch. Vorträge. 1868, S. 61. s. auch seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, in welcher er seine Ansichten über die Genealogie des Menschen im Einzelnen entwickelt.
  17. Dr. C. Forsyth Major, Sur les Singes fossiles trouvés en Italie, in: Soc. Ital. des Scienc. Natur. Tom. XV. 1872.
  18. Anthropological Review. Apr. 1867, p. 236.
  19. Elements of Geology. 1865, p. 583–585. Das Alter des Menschengeschlechts (Uebers.) S. 97.
  20. Stellung des Menschen in der Natur. S. 119.
  21. Ausgeführte Tabellen sind mitgetheilt in seiner „Generellen Morphologie“. Bd. 2, S. CLIII und S. 425, und mit speciellerer Beziehung auf den Menschen in seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ 1874. Bei der kritischen Anzeige des letzteren Werkes in The Academy, 1869, p. 42 sagt Prof. Huxley, dass er das Phylum oder die Descendenzlinien der Vertebraten für ausgezeichnet von Häckel erörtert hält, wenngleich er von ihm in einigen Punkten abweicht. Er drückt auch seine hohe Werthschätzung der allgemeinen Haltung und des Geistes des ganzen Werkes aus.
  22. Palaeontology. 1860, p. 199.
  23. Ich habe die Genugthuung gehabt, auf den Falkland-Inseln im April 1833 und daher mehrere Jahre vor irgend einem andern Naturforscher die locomotiven Larven einer zusammengesetzten Ascidie gesehen zu haben, welche mit Synoicum nahe verwandt, aber, wie es scheint, doch generisch von ihm verschieden war. Der Schwanz war ungefähr fünfmal so lang als der oblonge Kopf und endete in einem feinen Faden. Er war, wie ich es unter einem einfachen Mikroskop gezeichnet habe, deutlich durch quere opake Abtheilungen getheilt, welche, wie ich vermuthe, die grossen von Kowalevsky abgebildeten Zellen darstellen. Auf einer früheren Entwickelungsstufe war der Schwanz dicht um den Kopf der Larve gewickelt.
  24. Mémoir. de l’Acad. des Scienc. de St. Pétersburg. Tom. X. No. 15. 1866.
  25. Bemerken muss ich aber doch, dass einige competente Männer diese Folgerung bestreiten; so z. B. M. Giard in einer Reihe von Aufsätzen in den „Archives de Zoologie Expérimentale“, 1872. Trotzdem sagt aber derselbe Forscher, p. 281: „L’organisation de la larve ascidienne en dehors de toute hypothèse et de toute théorie nous montre comment la nature peut produire la disposition fondamentale du type vertébré (l’existence d’une corde dorsale) chez un invertébré par la seule condition vitale de l’adaptation, et cette simple possibilité du passage supprime l’abime entre les deux sous-règnes, encore bien qu’on ignore par où le passage s’est fait en réalité“.
  26. Dies ist die Schlussfolgerung, zu welcher eine der höchsten Autoritäten in der vergleichenden Anatomie gelangte, nämlich Prof. Gegenbaur, in seinen Grundzügen der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. 1870, S. 876. Er ist zu diesem Resultate vorzüglich durch das Studium der Amphibien geleitet worden; es scheint aber nach den Untersuchungen Waldeyer's (Eierstock und Ei. Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Sexualorgane. Leipzig, 1870, S. 152 flgde.) die Uranlage der Sexualorgane auch bei den höheren Vertebraten hermaphroditisch zu sein (citirt in Humphrey's Journ. of Anat. and Phys. 1869, p. 161). Aehnliche Ansichten haben mehrere Schriftsteller schon vor längerer Zeit getheilt, wenn schon nicht so gut begründet wie in neuerer Zeit.
  27. Der männliche Thylacinus bietet das beste Beispiel dar. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III. p. 771.
  28. Hermaphroditismus ist bei mehreren Species von Serranus und einigen andern Fischen beobachtet worden, wo er entweder normal und symmetrisch oder abnorm und einseitig auftritt. Dr. Zouteveen hat mir Belege über diesen Gegenstand mitgetheilt und mir besonders einen Aufsatz von Prof. Halbertsma in den Abhandlungen der Holländischen Akademie der Wissenschaften, Band XVI. genannt. Dr. Günther bezweifelt die Thatsache, sie ist aber jetzt von zu vielen guten Beobachtern mitgetheilt worden, als dass sie noch länger bestritten werden könnte. Dr. M. Lessona schreibt mir, dass er die von Cavolini am Serranus gemachten Beobachtungen verificirt habe. Prof. Ercolani hat neuerdings gezeigt, dass Aale Zwitter sind (Accad. delle Scienze, Bologna, Dec. 28, 1871).
  29. Prof. Gegenbaur hat gezeigt (Jenaische Zeitschrift, Bd. VII, p. 212), dass durch die verschiedenen Säugethierordnungen zwei verschiedene Typen von Zitzen vorkommen, dass es aber vollständig zu begreifen ist, wie beide von den Zitzen der Beutelthiere, und diese letzteren von den Milchdrüsen der Monotremen abgeleitet werden können, s. auch einen Aufsatz von Dr. Max Huss über die Brustdrüsen, in derselben Zeitschrift, Bd. VIII, p. 176.
  30. Mr. Lockwood glaubt (nach dem Citat im Quart. Journ. of Science, Apr. 1868, p. 269) nach dem was er über die Entwickelung von Hippocampus beobachtet hat, dass die Wandungen der Abdominaltasche des Männchen in irgend einer Weise Nahrung darbieten. Ueber männliche Fische, welche die Eier in ihrem Munde ausbrüten, s. einen sehr interessanten Aufsatz von Prof. Wyman in: Proceed. Boston. Soc. Nat. Hist. Sept. 15. 1857, auch Prof. Turner in Journ. of Anat. and Physiol. Nov. 1. 1866, p. 78. Aehnliche Fälle hat gleicherweise Dr. Günther beschrieben.
  31. Mdlle C. Royer hat eine ähnliche Ansicht vorgetragen in ihrem „Origine de l'homme“ etc. 1870.
  32. Die Bewohner des Meeresstrandes müssen von den Fluthzeiten bedeutend beeinflusst werden; Thiere, welche entweder an der mittleren Fluthgrenze oder an der mittleren Ebbegrenze leben, durchlaufen in vierzehn Tagen einen vollständigen Kreislauf von verschiedenen Fluthständen. In Folge hiervon wird ihre Versorgung mit Nahrung Woche für Woche auffallenden Veränderungen unterliegen. Die Lebensvorgänge solcher, unter diesen Bedingungen viele Generationen hindurch lebender Thiere können kaum anders als in regelmässigen wöchentlichen Perioden verlaufen. Es ist nun eine mysteriöse Thatsache, dass bei den höheren und jetzt auf dem Lande lebenden Wirbelthieren, ebenso wie in andern Classen, viele normale und krankhafte Processe Perioden von einer oder von mehreren Wochen haben; diese würden verständlich werden, wenn die Wirbelthiere von einem mit den jetzt zwischen den Fluthgrenzen lebenden Ascidien verwandten Thiere abstammten. Viele Beispiele solcher periodischen Processe könnten angeführt werden, so die Trächtigkeit der Säugethiere, die Dauer fieberhafter Krankheiten etc. Das Ausbrüten der Eier bietet ebenfalls ein gutes Beispiel dar; denn Mr. Bartlett zufolge („Land and Water“, Jan. 17, 1871) werden Taubeneier in zwei Wochen ausgebrütet, Hühnereier in drei, Enteneier in vier, Gänseeier in fünf und Strausseneier in sieben. So weit wir es beurtheilen können, dürfte eine wiederkehrende Periode, falls sie nur annäherungsweise die gehörige Dauer für irgend einen Vorgang oder eine Function hatte, sobald sie einmal erlangt war, nicht leicht einer Veränderung unterliegen; sie könnte daher fast durch jede beliebige Anzahl von Generationen überliefert werden. Wird aber die Function verändert, so würde auch die Periode abzuändern sein und würde auch leicht beinahe plötzlich um eine ganze Woche ändern. Diese Schlussfolgerung würde, wenn sie als richtig erfunden würde, höchst merkwürdig sein; denn es würden dann die Trächtigkeitsdauer bei einem jeden Säugethiere, die Brütezeit aller Vogeleier, und viele andere Lebensvorgänge noch immer die ursprüngliche Geburtsstätte dieser Thiere verrathen.
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