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Merkmal fast allen anthropomorphen Affen gemeinsam zukommt, wohl annehmen, dass es wahrscheinlich auf Vererbung zu beziehen ist; indessen ist dies doch nicht sicher, da auch einige sehr weit abstehende americanische Affen in gleicher Weise characterisirt sind.

Obgleich nun, wie wir jetzt gesehen haben, der Mensch kein begründetes Recht hat, eine besondere Ordnung für sich zu bilden, so könnte er doch vielleicht eine besondere Unterordnung oder Familie beanspruchen. Professor Huxley theilt in seinem neuesten Werk[1] die Primaten in drei Unterordnungen; die Anthropiden mit allein dem Menschen, die Simiaden, welche die Affen aller Arten umfassen, und die Lemuriden mit den mannichfaltigen Gattungen der Lemuren. Soweit Verschiedenheiten in gewissen wichtigen Theilen des Baues in Betracht kommen, kann der Mensch ohne Zweifel mit Recht den Rang einer Unterordnung beanspruchen, und diese Stellung ist zu niedrig, wenn wir hauptsächlich auf seine geistigen Fähigkeiten blicken. Nichtsdestoweniger scheint es von einem genealogischen Gesichtspunkte aus, als sei dieser Rang zu hoch und als dürfe der Mensch nur eine Familie oder möglicherweise selbst nur eine Unterfamilie bilden. Stellen wir uns vor, es giengen drei Descendenzlinien von einer gemeinsamen Stammform aus, so ist es völlig begreiflich, dass zwei von ihnen nach dem Verlauf langer Zeiten so unbedeutend verändert sein könnten, dass sie noch immer Species einer und derselben Gattung blieben, während die dritte Descendenzlinie so bedeutend modificirt sein könnte, dass sie den Rang einer bestimmten Unterfamilie oder selbst Ordnung verdiente. Aber in diesem Falle ist es fast sicher, dass die dritte Linie noch immer in Folge der Vererbung zahlreiche kleine Punkte der Übereinstimmung mit den andern beiden Linien darbieten würde. Hier würde denn nun die für jetzt unlösliche Schwierigkeit eintreten, wie viel Gewicht wir in unsern Classificationen auf scharf ausgesprochene Verschiedenheiten in einigen wenigen Punkten, d. h. dem Betrage an eingetretenen Modificationen legen sollen und wie viel auf eine nahe Uebereinstimmung in zahlreichen bedeutungslosen Punkten als Andeutung der Descendenzreihe oder der Genealogie. Den wenigen, aber starken Verschiedenheiten grosses Gewicht beizulegen, ist der augenfälligste und vielleicht auch der sicherste Weg, obgleich es correcter zu sein scheint, den vielen kleinen Uebereinstimmungen grosse Aufmerksamkeit zu widmen, da sie eine wirklich natürliche Classification geben.


  1. An Introduction to the Classification of Animals. 1869, p. 99.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/211&oldid=- (Version vom 31.7.2018)