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dem Systeme der Reproductionsorgane gehöriger Theile besitzt, welche eigentlich dem entgegengesetzten Geschlechte angehören: und es ist jetzt ermittelt worden, dass auf einer sehr frühen embryonalen Periode beide Geschlechter echte männliche und weibliche Generationsdrüsen besassen. Es scheint daher ein äusserst weit zurückliegender Urerzeuger des grossen Wirbelthierreichs hermaphroditisch oder androgyn gewesen zu sein.[1] Hier stossen wir aber auf eine eigenthümliche Schwierigkeit. In der Classe der Säugethiere besitzen die Männchen in ihren Vesiculae prostaticae Rudimente eines Uterus mit dem daranstossenden Canal, sie besitzen auch Rudimente von Brustdrüsen; und einige männliche Beutelthiere haben Rudimente einer marsupialen Tasche.[2] Es liessen sich noch andere analoge Thatsachen hinzufügen. Haben wir nun anzunehmen, dass irgend ein äusserst altes Säugethier zwitterhaft blieb, nachdem es die hauptsächlichsten Unterscheidungsmerkmale seiner eigenen Classe erlangt hatte, nachdem es daher von den niederen Classen des Wirbelthierreichs abgezweigt war? Dies scheint im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein. Denn wir müssen bis zu den Fischen, der niedrigsten Classe von allen, hinabsteigen, um jetzt noch existirende hermaphroditische Formen zu finden.[3] Dass verschiedene accessorische Theile, die dem einen Geschlecht eigen sind,


  1. Dies ist die Schlussfolgerung, zu welcher eine der höchsten Autoritäten in der vergleichenden Anatomie gelangte, nämlich Prof. Gegenbaur, in seinen Grundzügen der vergleichenden Anatomie. 2. Aufl. 1870, S. 876. Er ist zu diesem Resultate vorzüglich durch das Studium der Amphibien geleitet worden; es scheint aber nach den Untersuchungen Waldeyer's (Eierstock und Ei. Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Sexualorgane. Leipzig, 1870, S. 152 flgde.) die Uranlage der Sexualorgane auch bei den höheren Vertebraten hermaphroditisch zu sein (citirt in Humphrey's Journ. of Anat. and Phys. 1869, p. 161). Aehnliche Ansichten haben mehrere Schriftsteller schon vor längerer Zeit getheilt, wenn schon nicht so gut begründet wie in neuerer Zeit.
  2. Der männliche Thylacinus bietet das beste Beispiel dar. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III. p. 771.
  3. Hermaphroditismus ist bei mehreren Species von Serranus und einigen andern Fischen beobachtet worden, wo er entweder normal und symmetrisch oder abnorm und einseitig auftritt. Dr. Zouteveen hat mir Belege über diesen Gegenstand mitgetheilt und mir besonders einen Aufsatz von Prof. Halbertsma in den Abhandlungen der Holländischen Akademie der Wissenschaften, Band XVI. genannt. Dr. Günther bezweifelt die Thatsache, sie ist aber jetzt von zu vielen guten Beobachtern mitgetheilt worden, als dass sie noch länger bestritten werden könnte. Dr. M. Lessona schreibt mir, dass er die von Cavolini am Serranus gemachten Beobachtungen verificirt habe. Prof. Ercolani hat neuerdings gezeigt, dass Aale Zwitter sind (Accad. delle Scienze, Bologna, Dec. 28, 1871).
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/223&oldid=- (Version vom 31.7.2018)