bedeutend von einander abwichen. Aber bei organischen Wesen dürfen die Punkte der Uebereinstimmung nicht aus Anpassungen an ähnliche Lebensgewohnheiten bestehen. Es können z. B. zwei Thiere ihren ganzen Körperbau zum Leben im Wasser modificirt haben und werden doch trotzdem in keine irgend grössere Nähe zu einander im natürlichen Systeme gestellt werden. Wir können hieraus erkennen, woher es kommt, dass Uebereinstimmungen in unbedeutenden Bildungen, in nutzlosen und in rudimentären Organen und in Theilen, welche jetzt nicht functionell thätig sind oder sich in einem embryonalen Zustande befinden, für die Classification bei Weitem die zweckdienlichsten sind; denn sie können kaum Folgen von Anpassungen sein, die in einer späteren Zeit etwa eingetreten wären. Sie offenbaren uns daher die alten Descendenzlinien oder die eigentliche Verwandtschaft.
Wir können ferner einsehen, warum ein grosser Betrag von Modificationen an einem und demselben Merkmale uns nicht veranlassen darf, zwei Organismen deshalb weit von einander zu trennen. Ein Theil, welcher bereits von demselben Theile bei andern verwandten Formen sehr verschieden ist, hat nach der Entwickelungstheorie bereits bedeutend variirt; und so lange der Organismus denselben anregenden Bedingungen ausgesetzt ist, würde folglich jener Theil auch noch weiteren Abweichungen derselben Art unterliegen, und diese würden, wenn sie wohlthätig sind, erhalten und dadurch beständig vergrössert werden. In vielen Fällen, wie z. B. bei dem Schnabel eines Vogels oder bei dem Zahne eines Säugethiers, würde die beständige Weiterentwickelung dieses einen Theils für die Species von keinem Vortheil zur Erlangung ihrer Nahrung oder zu irgend einem andern Zwecke sein; beim Menschen indessen können wir keine bestimmte Grenze für die fortgesetzte Entwickelung des Gehirns und der geistigen Fähigkeiten sehen, soweit ein Vortheil für die Art dabei in Rede kommt. Bei der Bestimmung der Stellung des Menschen in dem natürlichen oder genealogischen Systeme darf daher die extreme Entwickelung des Gehirns eine Menge von Uebereinstimmungen in andern weniger bedeutungsvollen oder völlig bedeutungslosen Punkten nicht überwiegen.
Die grössere Zahl der Naturforscher, welche die ganze Structur des Menschen mit Einschluss seiner geistigen Fähigkeiten in Betracht gezogen haben, ist Blumenbach und Cuvier gefolgt und hat den Menschen in eine besondere Ordnung unter dem Titel der Zweihänder gebracht und daher auf gleiche Classificationsstufe mit den Ordnungen
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/206&oldid=- (Version vom 31.7.2018)