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ehe sie in irgend einem beträchtlichen Grade von einander abgewichen waren, noch immer eine einzige natürliche Gruppe gebildet haben; aber einige dieser Arten oder dieser beginnenden Gattungen werden bereits angefangen haben, durch ihre divergirenden Merkmale die künftigen Unterscheidungszeichen der beiden Abtheilungen der Catarhinen und Platyrhinen anzudeuten. Es werden daher die Glieder dieser angenommenen alten Gruppe weder in ihrer Bezahnung noch in der Natur ihrer Nasenlöcher so gleichförmig gewesen sein, wie es auf der einen Seite die jetzt lebenden catarhinen, auf der andern die jetzt lebenden platyrhinen Affen sind, sondern sie werden in dieser Beziehung den verwandten Lemuriden geglichen haben, welche in der Form ihrer Schnauze[1] bedeutend und in Bezug auf ihre Bezahnung in einem ganz ausserordentlichen Grade von einander abweichen.

Die catarhinen und platyrhinen Affen stimmen in einer Menge von Merkmalen mit einander überein, wie sich schon aus dem Umstande ergibt, dass sie ohne Frage in eine und dieselbe Ordnung gestellt werden. Die vielerlei Charactere, welche sie in Gemeinschaft besitzen, können kaum von so vielen verschiedenen Species unabhängig erlangt worden sein, es müssen also diese Merkmale vererbt sein. Aber eine alte Form, welche Charactere besass, von denen viele den catarhinen und platyrhinen Affen gemeinsam eigen sind, von denen andere in einem intermediären Zustande und einige wenige in einer von den gegenwärtig in beiden Gruppen vorhandenen vielleicht ganz verschiedenen Weise vorhanden waren, würde unzweifelhaft, wenn sie ein Zoolog zu bestimmen hätte, als ein Affe bezeichnet werden. Und da der Mensch von dem genealogischen Standpunkte aus zu dem Stamme der catarhinen oder altweltlichen Formen gehört, so müssen wir schliessen, wie sehr sich auch unser Stolz gegen diesen Schluss empören mag, dass unsere frühen Urerzeuger wahrscheinlich in dieser Weise bezeichnet worden wären[2]. Wir dürfen aber nicht in den Irrthum verfallen, etwa anzunehmen, dass der frühe Urerzeuger des ganzen Stammes der Simiaden, mit Einschluss des Menschen, mit irgend einem jetzt existirenden Affen identisch oder ihm auch nur sehr ähnlich gewesen sei.


  1. Murie and St. George Mivart, On the Lemuridae, in: Transact. Zoolog. Soc. Vol. VII. 1869. p. 5.
  2. Häckel ist zu demselben Schlusse gekommen, s. Ueber die Entstehung des Menschengeschlechts in Virchow’s Samml. gemein. wissensch. Vorträge. 1868, S. 61. s. auch seine „Natürliche Schöpfungsgeschichte“, in welcher er seine Ansichten über die Genealogie des Menschen im Einzelnen entwickelt.
Empfohlene Zitierweise:
Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl, I. Band. E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch), Stuttgart 1875, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DarwinAbstammungMensch1.djvu/214&oldid=- (Version vom 31.7.2018)