Burney Tagebuch 3/Schlußbemerkungen über Deutschland

Rotterdam Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
[Schlußbemerkungen über Deutschland]
Zusätze


[251] Hier endigt sich meine zwote Reise. Was Deutschland betrift, wenn ich an verschiedene Oerter unmöglich habe gelangen können, die sonst wohl ein Recht auf meine Aufmerksamkeit gehabt hätten, oder wenn ich an andern eines oder des andern geschickten Tonkünstlers nicht erwähnt habe: so hoffe ich, wird man bedenken, daß ich auf das Leben eines Patriarchen hätte müssen rechnen können, um eine jede Provinz, jeden Hof oder jede Stadt dieses weitläuftigen Reichs zu besuchen, und an jedem Orte so lange mich aufzuhalten, bis [252] ich in der Carnavalszeit die besten Musiker alle gehört hätte, wie mir solches sehr oft angerathen wurde. Wenn indessen der Leser meinem Wege auf der Landcharte nachgehen will, so wird er finden, daß ich fast jede Hauptstadt besucht habe; und daß ich, von meiner ersten Landung aus dem Schiff an, einen Winkel von Westen gegen Osten und von Süden gegen Norden, durch Flandern, Brabandt und das deutsche Reich, von beynahe 400 Meilen gezogen, ehe ich auf meiner Zurückreise nach England wieder Holland berührt habe.

Um gleichwohl einigermassen die Kürze meiner Zeit für einen so langen Weg zu ersetzen, will ich hier einige Nachrichten als eine Zugabe mittheilen, die ich, in Betreff des Zustandes der Musik, in den Gegenden Deutschlands, die ich unmöglich habe berühren können, von sehr guter Hand erhalten habe.

Der Pater, Martin Gerbert, ein Benedictiner, in der Abtey St. Blasius, im Schwarzwalde, nahe bey Freyburg, gab 1763 den Entwurf einer Geschichte der Kirchenmusik vom ersten Jahrhunderte bis auf gegenwärtige Zeiten heraus[1]. Nachdem er solchen im Druck bekannt gemacht hatte, that er eine Reise durch [253] Deutschland, und einen grossen Theil von Frankreich und Italien, um in den Klöstern und öffentlichen Büchersälen dieser verschiedenen Länder, Materialien zu sammlen. Und im Jahr 1765 ließ er seine Reisebeschreibung drucken, worin er das Publikum von dem Erfolge seines Unternehmens benachrichtigte[2].

Als ich in Manheim war, ward meine Neugierde beym Durchlesen dieses letzten Buches, und durch die mündlichen Nachrichten von den Materialien, die Herr Pater Gerbert schon seit langer Zeit zu seiner vorhabenden Geschichte zusammengebracht hätte, gereizt, daß ich den Entschluß faßte, seine Abtey zu besuchen, ob solche gleich sehr weit aus meinem mir vorgesetzten Wege lag. Als ich mich aber zu dieser Abweichung von meinem ersten Plane anschickte, und die nöthigen Nachrichten von dem Wege dahin einzog, hatte ich den Verdruß zu erfahren, daß diese grosse und schätzbare Sammlung von Materialien zu einer Geschichte der heiligen Musik, vor Kurzen, mit sammt dem Convente, worin solche niedergelegt waren, im Feuer aufgegangen sey. Nichts als die Geduld konnte mich über diese fehlgeschlagne Hofnung trösten. Indessen hatte ich die Freude zu vernehmen daß [254] dieser ehrwürdige und gelehrte Compilator aller dieser antiquarischen Schätze, neulich die Ehre gehabt hätte, zum Haupte seiner Societät, oder zum gefürsteten Abbt vom Stift St. Blasii, erhoben zu werden.

Der Herzog von Fürstenberg, ist ein grosser Liebhaber und Beschützer der Musik. Alle deutsche Virtuosen sind sicher, bey ihm zum Gehör zu gelangen, und nach ihrem Verdienste belohnt zu werden.

Herr Riepel, zu Regensburg, wird für einen der besten Theoriker und der einsichtvollesten Tonkünstler des Orts gehalten. Ich war willens auf meinem Wege nach Wien von München aus dahin zu gehen, ward aber durch die Nachricht von meinem Vorhaben abgehalten, daß Herr Riepel und die besten Musiker in Regensburg damals mit dem Fürsten von Thurn und Taxis zu Teschingen wären. Ich würde sie aber selbst zu Teschingen aufgesucht haben, hätte mich nicht ein vortreflicher Beurtheiler der Musik versichert, daß er öfter den Fürsten von Thurn und Taxis auf einen Monat oder 6 Wochen besucht, sowohl dort als zu Regensburg, aber niemals an seinen Concerten ein grosses Vergnügen gefunden hätte, ob seine Kapelle gleich zahlreich genug wäre. Denn sie führte ihre Musiken auf ohne Eleganz und Ausdruck, mit einer fast gänzlichen Vernachlässigung des Piano und [255] Forte oder Lichts und Schatten, so, daß die Stücke, die sie executirten, so gut sie auch an und für sich selbst waren, ihm dennoch wenig Vergnügen verursachten.[H 1]

Herr Riepel hat einige sehr gute musikalische Abhandlungen drucken lassen, deren Marpurg und Hiller in ihren Sammlungen Erwähnung thun. Auch ist in Deutschland eine sinnreiche Komposition von ihm sehr berühmt, worin er Mittel gewusst hat, fast alle Arten von militarischen Geschalle durch musikalische Instrumente nachzuahmen.[H 2]

[256] Zu Gotha ist eine gute Kapelle, welcher Herr Georg Benda als Kapellmeister vorsteht. Die vornehmsten Instrumentalisten darin sind die Hrn. Hattasch, Violinist, Kramer, Clavicimbalist und Boehmer, Bassonist. Ich habe in verschiedenen musikalischen Sammlungen einige sehr gefällige Kompositionen von einem Musikliebhaber dieses Orts, Herrn Gräfe, gesehen. Der Kapellmeister Benda, hat vieles für die Kirche, das Theater und die Kammer geschrieben. Seine Kompositions sind, überhaupt genommen, neu, meisterhaft und gelehrt; viele aber wollen darin ein bis zur Affektation getriebnes Bestreben nach etwas Eigenthümlichen angemerkt haben.

Keinem Orte in ganz Deutschland bin ich so ungerne vorbey gereiset, als Braunschweig, weil diese Stadt verschiedene Tonkünstler von grossem Verdienst zu besitzen scheint. Der vornehmste darunter ist wohl Herr Schwanberger, welcher Verfasser von verschiedenen Opern ist, die in einem sehr feinen und gefälligen Geschmacke komponirt sind. Seine Melodien sind voller Anmuth [257] und Natur, seine Begleitungen sinnreich und überlegt, und die Klarheit und Leichtigkeit, die man in seinen Arbeiten gewahr wird, zeugen von grosser Erfahrung und einer glücklichen Auswahl der Gedanken. Seine Clavierstücke sowohl als seine Violinsachen sind voller angenehmen Wirkungen, die er durch sehr glückliche und natürliche Mittel hervor bringt.[H 3]

Herr Fleischer, Organist an der Martinskirche daselbst, ist ein andrer Komponist von grossem Verdienste, dessen Kirchenmusiken,[H 4] komische Opern und Clavierstücke in einem eleganten und angenehmen Style geschrieben sind.

[258] Des regierenden Herrn Herzogs Durchlaucht, erster Violinist und Concertmeister ist Herr C. A. Pesch, welcher auch verschiedene angenehme Sachen für sein Instrument gesetzt hat, die in Leipzig bey Breitkopf gedruckt sind.[H 5]

Diese Stadt besitzt auch gegenwärtig den Herrn J. C. Bach, ältesten Sohn des berühmten Sebastian Bach, und Kapellmeister des regierenden Herrn Grafen von Bückeburg. Er ist ein geschickter Mathematiker, und hält man ihn für den grössesten Fugisten und tiefsten Musikgelehrten in Deutschland. Er ist 1710. gebohren, und ist, ehe er an den Bückeburgischen Hof in Dienste kam, verschiedene Jahre zu Halle, im Magdeburgischen, Organist und Musikdirektor gewesen.[H 6]

[259] Die Musik wird an wenig Orten mit glücklicherm Erfolge kultivirt als in Braunschweig, und dazu haben der Gefallen des regierenden Herrn Herzogs Durchlaucht an den Opern, und der feine Geschmack des Herrn Erbprinzen ein Grosses beygetragen.[H 7]


[260] Der Erzbischof, Fürst von Salzburg, verwendet Summen auf die Musik, und hält eine Kapelle von ungefehr hundert Personen an Sängern und Instrumentalisten. Dieser Fürst ist selbst ein Dilettante und sehr guter Violinspieler. Er hat sich neulich viele Mühe gegeben, seine Kapelle [261] auf einen bessern Fuß zu setzen, weil ihr der Vorwurf gemacht wurde, daß ihre Execution mehr rauh und rauschend, als delikat und im besten Geschmacke wäre. Signor Fischietti itzt gegenwärtig Director dieser Kapelle.

[262] Die ganze Mozartische Familie war vorigen Sommer zu Salzburg. Der Vater ist schon lange Zeit im Dienste dieses Hofes, und der Sohn ist nun auch darin aufgenommen. Der Letzte komponirte zu Mayland eine Oper auf das Beylager des Erzherzogs mit der Prinzessinn von Modena und sollte abermals eine für dasselbe Theater, auf dieses künftige Carnaval setzen, ob er gleich nicht älter ist, als sechzehn Jahr.[WS 2] Ein Brief vom letzten November (1772) berichtet mir, daß dieser junge Mann, der durch seine Wissenschaft in der Musik und Kunst im Spielen als Kind ganz Europa in Verwunderung setzte, noch immer ein grosser Meister auf seinem Instrumente ist. Mein Correspondent ging nach seines Vaters Hause, um ihn und seine Schwester Duetts auf einem Claviere spielen zu hören. Allein sie ist itzt schon auf ihrer höchsten Spitze, und das ist kein Wunder, „und“ sagt der Verfasser des Briefes, „wenn ich nach der Musik, die ich von seiner Komposition im Orchester hörte, urtheilen darf, so ist er ein Beweiß mehr, daß frühzeitige Früchte mehr ungewöhnlich als vortreflich sind.“

Die berühmtesten Musikalienhandlungen in Deutschland, sind zu Nürnberg. Nur in dieser Stadt sticht man Noten in Kupfer.[H 8] In andern [263] Gegenden des Reichs werden solche mit Typen gedruckt. Hafner, Winterschmidt und Schmidt sind die vornehmsten nürnbergsichen Notenverleger. Agrel ist der einzige Musikus in Nürnberg, der sich als ein Komponist bekannt gemacht hat. Ehedem wurden seine Claviersachen stark gebraucht; allein, ob solche gleich grammatikalisch richtig gesetzt waren: so gingen sie doch, in Ansehung der Erfindung und Gedanken, niemals über das Mittelmässige hinaus.

Zu Zerbst steht Herr Hoeck, der den Ruhm eines grossen Violinspielers hat. Herr Krebs zu Altenburg, ein Scholar von Sebastian Bach, ist wegen seiner vollen und meisterhaften Manier, die Orgel zu tracktiren, sehr berühmt geworden. Und Herr Kunzen, dessen sich diejenigen noch mit Vernügen erinnern müssen, die ihn in England haben spielen gehört, steht itzt als Organist und Werkmeister in Lübeck.[H 9]

[264] Ausser Herrn Hiller halten sich in Leipzig vier Komponisten auf, mit denen ich, wegen Mangel an Zeit, keine persönliche Bekanntschaft machen konnte. Es sind: der Herr Cantor Doles, ein Kirchenkomponist; Herr Löhlein, Clavierspieler und Komponist für sein Instrument; Herr Neefe, Komponist einiger hübschen Sonaten für eben das Instrument[H 10] und Herr Reichardt, der komische Opern gesetzt hat, denen es gar nicht an Genie mangelt.

Herr Rolle, Musikdirektor zu Magdeburg, ist ein feuriger und gedankenreicher Komponist, der sich durch seine Werke für die Kirche rühmlichst bekannt gemacht hat. Ich habe aber einige von seinen Claviersachen gesehen, welche mir mehr gefallen haben, als seine übrigen Werke; besonders finden sich in der Berliner Sammlung verschiedene von seinen Stücken, welche voller Feuer sind, und in welchen durch Einführung alter Passagien in einer neuen Manier, angenehme Wirkungen hervorgebracht sind.[H 11]

Herr Müller, Hoforganist zu Dessau, ist ein Mann von grosser Geschicklichkeit. In seinen [265] Kompositions entdeckt man Geschmack, Einbildungskraft und eine grosse Fertigkeit der Hände. Allein sein Ehrgeitz, bey jeder Gelegenheit neue Passagien einzuführen, macht seine Stücke oft strotzend, unnatürlich und affektirt; und zu diesem Fehler kommt noch der, seinen Landesleuten so gewöhnliche, seine Gedanken bis zu einer einschläfernden Länge hinauszuspinnen.

Herr Wolf, zu Weimar ist ein natürlicher und gefälliger Komponist für deutsche komische Opern. Eine Gattung Kompositionen, die in den nördlichen Gegenden des Reichs seit 1750 sehr im Gange ist, in welchem Jahre Herr Hiller die erste von der Art komponirte und aufs Theater brachte. Sie fand grossen Beyfall, trotz dem Urtheile der Kritiker, die das Stück wegen seiner niedrigen Possen sehr herunter machten. Es war der lustige Schuster, oder der Teufel ist los, eine Nachahmung des Merry Cobler or the Devil to pay.[H 13] Vor dieser Zeit hatten [266] die Deutschen in ihrer Sprache bloß ernsthafte Opern und Zwischenspiele.[H 14] Nunmehro aber ist die Sucht nach komischen Opern so allgemein, daß verständige Tonkünstler besorgen, das Komische werde allen wahren Geschmack an Musik von der höheren Gattung gänzlich verdrängen.

Herr Reichardt, zu Königsberg, ist ein grosser Geiger und besonders stark im Phantasiren aus dem Kopfe, und in Doppelgriffen, die er sehr rein und leicht herausbringt.[H 15]

[267] Herr Fr. Xav. Richter, sollte unter den Musikern zu Manheim vorzüglich bemerkt worden seyn. Seine Kompositions in verschiedenen Gattungen, haben viel Verdienst; seine Subjekte sind oft neu und edel; sein Detail aber und Manier des Tracktaments ist oft trocken und mager, und er transponirt und wiederholt die Passagien in verschiedenen Tonarten bis zum Ueberdruß. Die Franzosen haben einen Ausdruck für diese Armseligkeit, welcher andern Sprachen fehlt, sie nennen es Rosalie[H 16]: woher sie dieses Wort entlehnt, weiß ich nicht; es bedeutet aber diejenige Armuth des Geistes eines Komponisten, da er einen musikalischen Satz, unmittelbar nur einen Ton höher oder tiefer wiederholt, welches eben so richtig seine Erfindungskraft bezeichnet, als es Mangel an Witz und Gedächtniß bey einem Erzähler anzeigt, wenn er oft ein Gut! und nicht allzugut! oder wollt’ ich sagen, einflickt.

Der Pater Schmidt, ein Cistertienser Mönch, in der Abtey Eberbach, im Rheingau, hat Violintrios herausgegen, welche nicht nur voller [268] Geschmack und Phantasie, sondern auch mit solchen Feuer, solcher Künheit und Accuratesse komponirt sind, wohin Dilettanti oder blosse Liebhaber, selten gelangen.

Herr Johann Gottfried Müthel, zu Riga, verdient, als ein gebohrner und erzogner Deutscher hier seinen Platz, ob er gleich an einem Orte steht, der unter russische Bothmässigkeit gehört. Wenn ein angehender Clavierspieler alle Schwierigkeiten überwunden hätte, die in Händels, Scarlattis, Schoberts, Eckharts und C. P. E. Bachs Clavierstücken anzutreffen sind, und, wie Alexander, bedauerte, daß er weiter nichts zu überwinden hätte, dem würde ich Müthels Kompositions vorschlagen, als ein Mittel, seine Geduld und Beharrlichkeit zu üben. Seine Arbeiten sind so voller neuen Gedanken, so voller Geschmack, Anmuth und Kunstfertigkeit, daß ich mich nicht scheuen würde, sie unter die grössesten Produkte unsrer Zeit zu rechnen. So ausserordentlich das Genie und die Kunst dieses Tonkünstlers sind, so ist er doch in Deutschland nicht sehr bekannt, und alles was ich von ihm erfahren konnte, besteht darin, daß er Unterricht von Sebastian Bach gehabt, und ehe er sich in Riga niedergelassen hat, einige Zeit in Mecklenburg-Schwerinischen Diensten gewesen ist[H 17].

[269] Der Styl[H 18] dieses Komponisten kommt dem Style des hamburgischen Bachs näher, als irgend ein andrer. Die Gänge und Passagien aber sind ganz sein eigen, und machen seiner Hand und seinem Kopfe viel Ehre. In seinen Sachen trift man aber wirklich solche Schwierigkeiten an, welche alltäglichen Hörern und Spielern zu mühsam vorkommen müssen. Denn selbst seine Instrumentalbegleitung ist so schwer geschrieben, daß sie solche Spieler erfodert, die eben so stark auf ihren Instrumente seyn mußten, als er auf dem Seinigen, und das [270] ist wohl von den Musikern dieser sublunarischen Welt zu viel erwartet.

Wenn meine Geschicklichkeit und Muse für einen so ausgebreiteten Plan hingericht hätten, so hätte ich gern aus diesen Nachrichten von meiner Reise ein Buch von dem gegenwärtigen Zustande der Künste und Wissenschaften überhaupt gemacht. Indessen haben Musik und Dichtkunst einen so genauen Zusammenhang, daß ich mich nicht entbrechen konnte, einige Erkundigung [271] von den itzt lebenden Dichtern in Deutschland einzuziehen, und ich will hier meinen Lesern vorlegen, was ich als ein allgemeines Urtheil über ihre Geschicklichkeiten, von Männern von Geschmack und Gelehrsamkeit, haben fällen hören.

* * * *

„Was hier Herr Burney seinen Landsleuten von unsern deutschen Dichtern, Klopstock, Karschinn, Lessing, Ramler, Gleim, [272] Gellert, Gesner, Cramer, Rabner, Utz, Giseke, Gerstenberg, Schiebeler, Jacobi, Weiß, Lichtwehr, auf viertehalb Seiten sagt, ist von keiner grössern Bedeutung, als was ein Reisender, der kein Deutsch versteht, in einer Gesellschaft bey einem Glase Wein, so beyläufig sagen gehört, und so unvollständig, wie man sich etwan eines solchen Gesprächs des Abends in seinem Gasthofe[WS 3] wieder erinnert, aufgeschrieben hat. Der Uebersetzer hat keinen seiner Leser in dem kränkenden Verdachte, daß er von einem [273] Fremden, die Lieblingsdichter der Nation erst müsse kennen lernen, wenn der Fremde auch eben so viel Alphabete, als unser Verfasser Seiten, darüber geschrieben hätte. Also – – zu der Hauptsumme seines Urtheils über uns Deutsche, und will ich es dem Leser getrost überlassen, nachzusehen, ob Herrn Burneys Bilance richtig ist.“[WS 4] Er fährt fort:

[274]
* * * *

Deutschland hat sechs und dreissig Universitäten, wovon siebzehn römisch chatholisch, siebzehn protestantisch, und zwey, nemlich die zu Erfurt und Heidelberg, für beyde Religionen sind. Wenn ich die Namen aller der gelehrten Männer hersetzen wollte, welche in diesen Musensitzen an der Beförderung der Wissenschaften und Künste arbeiten, so würde das Verzeichniß für mein Werk viel zu lang werden. Vorzüglich aber verdienen der Herr Professor Zachariä, zu Braunschweig, und der verstorbene Advocat Krause zu Berlin, hier wegen ihrer Verdienste um die Musik, einen Platz.

Herr Zachariä, der als einer der besten Deutschen Dichter, und besonders wegen seines Witzes und seiner Laune in seinen komischen Heldengedichten berühmt ist, hat auch von seiner eignen Komposition drucken lassen, und ist überhaupt ein einsichtsvoller Richter in musikalischen Dingen.

Herr Krause, der sich durch sein Buch von der musikalischen Poesie, vielen Ruhm erworben, hat auch verschiedenes (besonders Trios) komponirt, das von Kennern hochgeschätzt wird.

Nachdem ich nunmehr dem Leser die Nachrichten vorgelegt habe, die ich vermögend gewesen bin, von dem gegenwärtigen Zustande der Musik, an den Orten, die ich auf dieser meiner Reise berührt habe, einzuziehen, so habe ich nur noch hinzuzusetzen, daß, ausser den mannichen vortreflichen [275] Tonkünstlern, welche ich in Deutschland gefunden habe, diese Nation fast jeder grossen Stadt in Europa Tonmeister von ausnehmender Geschicklichkeit geliefert hat; und es ist schwerlich zu viel gesagt, daß die besten deutschen Tonkünstler unsrer Zeit, einige wenige ausgenommen, in fremden Ländern zu suchen sind. Man hat in der That angemerkt, daß, aus was Ursach es auch sey, die transplantirte Deutschen, in den meisten der schönen Künste, Cæteris paribus, diejenigen übertreffen, welche in ihrer Heymath zurück bleiben.

Durchs Reisen, verliert ein Musikus unter andern Lokalvorurtheilen auch jene Ehrerbietung gegen einen besondern Styl, welche die Anzahl der Nachahmer so sehr vergrössert; und sie so unter dem Zwange hat, daß sie gleich den neuern Lateinern, keinen einzigen Gedanken wagen dürfen, für welchen sie keine Autorität eines classischen Schriftstellers anführen können.

Die Musiker fast einer jeden Stadt, und jede Kapelle eines deutschen Fürsten, dessen Staaten auch noch so klein seyn mögen, werfen sich zu einer musikalischen Monarchie auf, beneiden sich einer den andern, und alle beneiden einmüthiglich die Italiäner, welche in ihr Land kommen. Ich hingegen, als ein blosser Zuschauer, dem der Zank gar nichts angeht, und der weder Schaden noch Vortheil davon besorgen darf, ich glaube wahrzunehmen, daß an beyden Seiten grosse Vorurtheile [276] herrschen. Indessen muß man eingestehn, daß man den Italiänern liebkoset, schmeichelt, und oft zweymal so viel Gehalt bezahlt, als selbst denen unter den Einheimischen, die grössre Verdienste besitzen. Bey solchen Reizungen muß man es also den Deutschen nicht gar zu übel nehmen, wenn sie manchen italiänischen Meister zu gering schätzen, und ihnen mit solcher Verachtung und Strenge begegnen, als nur die plumpeste Unwissenheit und Dummheit verdient.

Meine Absicht war weder einen Panigyrikum noch eine Satire über die deutsche Musik zu schreiben, sondern bloß zu erzählen, was sie für einen Eindruck auf meine Empfindungen gemacht habe. Ich trat meine Reise mit dem Verlangen an, vergnügt zu seyn; und wenn ich zuweilen unzufrieden gewesen bin, und meine fehlgeschlagene Erwartung einen Tadel erzeugt hat: So hoffe ich doch nicht, daß mir solches den Vorwurf zuziehen wird, als mangele es mir an Unpartheilichkeit und Aufrichtigkeit.

Man lobt eigentlich nichts, wenn man alles lobt. – Und ich habe zuweilen meine Zweifel über solche idealische Schönheiten dieses oder jenes besondern Styls gehegt, die nur durch eine ausschliessende Bewunderung unterstützt werden.

Ich will nicht behaupten, daß die Deutschen keine Nationalmusik hätten; sie haben manchen grossen Mann gehabt, der niemals in Italien gewesen, [277] und der es sich für einen Schimpf angerechnet hätte, die Werke seiner Nachbarn zu plündern. Den itzigen Schwung der deutschen Melodie kann man aber leicht aus den italiänischen Opernarien herleiten; so wie den Geschmack der meisten Deutschen Komponisten und Spieler, von dem Geschmacke der besten italiänischen Sänger.

In der That sind auch manche günstige Umstände zusammen gekommen, die es ihnen erleichtert, diesen Geschmack zu erwerben; besonders da viele deutsche Herrn jenseits den Alpen Güter besitzen, wo ihr Gefolge fleissig Umgang mit den Eingebornen hat; und im deutschen Reiche selbst haben die Einwohner von Wien, München, Dresden, Berlin, Manheim, Braunschweig, Stutgard und Cassel, woselbst seit so langer Zeit italiänische Opern gewesen, und zum Theil noch sind, dem italiänischen Singen nicht vergebens zugehört.

Wenn ich indessen alle besondern Distinktions bey Seite setze, so besteht das Resultat aller meiner Nachforschungen und Bemerkungen in folgenden zwey Erfahrungssätzen: Erstlich, daß die Einwohner aller Gegenden von Europa wenig Anspruch auf gutes Singen machen können, Italien ausgenommen; Zweytens, daß wenn gleich die Italiäner vor allen andern Nationen den Vorzug in der Vokalmusik haben, dennoch die Deutschen einige wenige Ausnahme zugegeben, in Verfertigung und dem Gebrauche der meisten Instrumente, selbst die Italiäner übertreffen; und vielleicht [278] ist es so schwer nicht, die Ursach der verschiednen musikalischen Vorzüge dieser beyden Nation anzugeben. Die Sprache der Italiäner ist zur Musik bequemer, als die Sprache irgend eines andern Volks, und die Gewohnheit, daß auf ihren Theatern und in ihren Kirchen, fast täglich die besten und kostbarsten Kompositions aufgeführt werden, muß nothwendiger Weise unter allen Ständen des Volks eine allgemeine Richtigkeit des Geschmacks hervorbringen, und einem jeden, der ein unterscheidendes Ohr und eine biegsame Stimme hat, ein vollkommnes Muster zur Nachahmung vorhalten. Die Sprache der Deutschen hingegen ist unter denen, die zur Musik am unbequemsten sind; es wird ferner bey ihnen, selbst in ihren Opern, sehr wenig andre Vokalmusik aufgeführt, als über italiänische Worte: es war daher natürlich, daß Instrumentalmusik ihr allgemeiner Vorwurf wurde. Die Anzahl von Schulen, deren in diesem Tagebuche erwähnt worden, worinn die Instrumentalmusik gelehrt wird, vermehrt die Anzahl der Mitwerber, und die Gewohnheit der deutschen Prinzen, an ihren Höfen zahlreiche Kapellen und bey ihren Regimentern gute Hoboisten zu unterhalten, muß ein Bestreben erwecken, sich hervorzuthun.

Im Ganzen betrachtet, scheint es, daß in den schönen Künsten ein jedes Land, und eine jede Schule, ihre eignen Fehler und auch ihre eignen Vollkommenheiten haben. Die Musik betreffend, [279] hab’ ich schon in der Nachricht von meiner Reise durch Italien gezeigt, daß die lombardische, die venezianische und die neapolitanische Schulen ihre charakteristische Kennzeichen haben. Eben das könnte man auch von den verschiedenen Arten von Style in den Kompositionen und dem Vortrage der vornehmsten Städte in Deutschland beweisen. Wien unterscheidet sich durch Feuer und Invention; Manheim durch eine nette und brillante Execution; Berlin durch Contrapunkt; und Braunschweig durch Geschmack. Allein, ohne ein Land dem andern, oder eine Stadt der andern Stadt entgegen zu setzen, kann man überhaupt von Deutschland sagen, daß die musikalischen Tugenden seiner Eingebornen in Geduld und Gründlichkeit und ihre Fehler in Weitschweifigkeit und Pedanterie bestehen.[H 19]

[280] Die Italiäner sind sehr geneigt, zu nachlässig, und die Deutschen, zu arbeitsam zu werden; dergestalt daß, wenn ich den Gedanken wagen darf, den Italiänern die Musik ein Spiel, den Deutschen aber ein Geschäft zu seyn scheint. Die Italiäner sind vielleicht das einzige Volk auf dem Erdboden, das mit Anmuth tändeln kann, und die Deutschen besitzen allein das Vermögen, selbst durch Arbeit Vergnügen zu erwecken.[H 20]


Anmerkungen

  1. De Cantu & Musica Ecclesiastica a prima Ecclesiæ Ætate usque ad presens Tempus.
  2. Martini Gerberti Iter Allemannicum, accedit Italicum & Gallicum. Sequuntur Glossaria ex codicibus Manuscriptis, a Seculo 9 usque 13. Typis San. Blasii, 1765.

Anmerkungen (H)

  1. Einer der angesehensten Männer von Hamburg, dessen Namen ich in keiner Note nennen will, der aber, wenn er nicht wäre, was er ist, ein ungemein guter Kapellmeister seyn würde, der eine sehr gründliche Wissenschaft in der Musik besitzt und dabey öftere Gelegenheit gehabt hat, von den besten Orchestern Musiken aufführen zu hören, worunter auch das, vom Herrn Burney mit Recht gerühmte Mannheimer ist, – dieser so einsichtsvolle als unpartheyische, angesehene Mann, hat vor wenigen Jahren noch die Kapelle des verstorbenen Fürsten von Thurn und Taxis nicht nur oft gehört, sondern von seinen eignen Singkompositionen mit derselben aufgeführt, und so ein guter und genauer Zuchthalter eines Orchesters er auch ist, so habe ich doch von ihm selbst vernommen, daß er mit Sängern und Instrumentisten sehr zufrieden gewesen ist.
    Der Uebersetzer.
  2. Aus der Kapelle Se. Durchl. des Fürsten von Thurn und Taxis muß ich hier den Herrn Gretsch [256] nennen, den ich zwar nicht selbst spielen gehört habe, von dem ich aber Violonschellsonaten besitze, die unmöglich jemand anders gemacht haben könnte, als ein Mann, der bey übriger gründlicher Kenntniß der Harmonie und einem sehr guten Geschmacke, auch zugleich das Instrument in seiner ganzen Stärke der Exekution praktisch inne hat.
    Der Uebersetzer.
  3. Er arbeitet gegenwärtig an einem kleinen tragischen Drama für wenige Personen, wozu Herr Professor Eschenburg den Plan nach Shakespears Trauerspiele, Romeo and Juliet, entworfen und welches ein italiänischer Dichter nach diesem Plane ausgearbeitet hat. Eine angenehme Erwartung! Wie wünschenswerth wäre es, daß man Herrn Schwanberger nicht mit List oder Gewalt überreden dürfte, seine Sachen durch den Druck bekannter zu machen. Die Noten- oder Kupferpressen würden an seinen Arbeiten eine viel bessre Beschäftigung haben, als an vielem andern, die so mit durchschleichen.
    Der Uebers.
  4. Kirchenmusiken hat Herr Fleischer, wenn welche, doch gewiß nur sehr wenige geschrieben. Seine übrigen Sachen aber, wovon zwey Theile Oden und Lieder und Gellerts Singspiel, das Orakel, gedruckt worden, sind ihm Bürgen seines Ruhms.
    Der Uebers.
  5. Herr Pesch ist nicht bey der Kapelle des regierenden Herrn Herzogs, die ohnedem schon seit etlichen Jahren eingegangen ist, sondern bey des Erbprinzen Durchlaucht im Dienste, welche selbst so gut auf der Violin spielen, daß ein Musikus von Profession dadurch sein Glück machen könnte. Herr Pesch kann sich auch, wenn ihn gleich seine eigne liebenswürdige Bescheidenheit daran zweifeln lassen möchte, mit dem grössesten Geigern unsrer Zeit messen. Er hat, als er Anno 1767 mit seinem Herrn in England war, daselbst sechs Violintrios stechen lassen, welche sich durch einen ausserordentlich gefälligen und natürlichen, und nichts weniger als gemeinen, Gesang auszeichnen.
  6. Dieser Artikel erfodert eine Berichtigung, weil darin von zween Brüdern, als von einer Person [259] gesprochen wird. Herr Wilhelm Friedemann Bach, der noch im Jahr 1772 in Braunschweig war, ist niemals in Bückeburgischen Diensten gewesen. Das ist der jüngste von seinen Brüdern. Das übrige, was von dem Aeltesten im Texte gesagt ist, hat seine Richtigkeit. Nur noch diesen kleinen Zusatz. So wie ihm ein jeder zugesteht, der ihn kennt, daß er einer der gründlichsten Orgelspieler in Europa ist, so ward ihm doch in Braunschweig, als eine, freylich nicht wichtige Organistenstelle zu besetzen war, die unser älteste Bach in seiner Situation zu suchen Ursach fand, von den Herrn Kirchenvorstehern jemand bey dieser Wahl vorgezogen, dessen Namen – seine Taufzeugen vermuthlich kennen. Herr Bach ist in diesem Jahre, 1773, wie ich eben erfahren, nach Göttingen gezogen.
  7. Es ist schon in einer vorigen Note angemerkt, daß die Kapelle eingegangen ist, und das geschahe ungefehr zu gleicher Zeit, da die Opern eingestellt wurden. Das ist aber noch nicht so lange her, daß sich, bey den Umständen, da das ganze Hochfürstliche Braunschweigische Haus musikalisch ist, und sich ausser den vorbenannten Tonkünstlern, noch einige brave Männer hier befinden, welche denen im Collegio Carolino Studirenden Privatunterricht geben, der Geschmack an guter Musik schon sollte verlohren haben. Das Concert, welches der Herr Professor Eschenburg, seit einigen Wintern hindurch besorgt hat, trägt auch das Seinige dazu bey. Ueberdem giebt es noch einige Liebhaber, welche der Tonkunst [260] Ehre machen. Die mir zuerst einfallen, sind, der Herr Postrath Gräf, dessen schon S. 43 erwähnt worden, und der ausser seiner sehr bekannten Odensammlung, die im gleditschischen Verlage in Leipzig herauskamen, noch neulich angefangen hat, die Cramerschen Psalme theilweise für eine Singstimme mit Begleitung von Violinen und Baß herauszugeben. Der Kammerherr von Kungsch, ein ehrebringender Scholar des Herr Schwanberger, und dessen Liebe zur Musik fast Leidenschaft ist. – Ich errinnre mich mit vielem Vergnügen, die Frau Legationsräthinn von Voigts singen, und die itzige Frau Professorinn Ebert, Tochter des obbenannten Herrn Postraths Gräf auf dem Claviere spielen gehört zu haben. Beyde gehören in eine ganz vorzügliche Klasse von Liebhaberinnen[WS 1] der Musik. Aus dem goldnen Zeitalter der Braunschweigischen Kapelle, aus den Zeiten der Graune und Simonettis sind noch am Leben, Herr Stolze, zu seiner Zeit ein vortreflicher Fagottist, und sehr guter Violinist. Auf dem letzten Instrument nahm er von dem Concertmeister Graun Unterricht, und überhaupt für den Vortrag des Adagio von dem Kapellmeister dessen Bruder. Herr Stolz spielt die Geige in Ansehung des Mechanischen auf eine ganz besondre Art. Er führt z. E. den Bogen mit der linken Hand, und die Geige selbst, ohne, wie man vermuthen sollte, sie links zu beziehen, hält er vertikal vor der rechten Brust, wie etwan eine Viola da spalla; und bey dieser Stellung war er nicht nur ein sehr guter Sologeiger, sondern auch ein zuverlässiger Anführer. Wie er denn noch [261] bis itzt, so viel ich weiß, die academischen Concerte zu Helmstädt dirigirt. Er spielte auch in seiner Jugend die Flöte traversiere; als er aber einst Se. Majestät, den König von Preussen, und Quantz, in dem Lustschloß zu Salzdahlum hörte, und einsah, der Ansatz auf dem Basson würde ihm beständig hindern, den wahren schönen Flötenton zu erzeugen, legte er solche gänzlich bey Seite, und ließ sich eine grosse Flaut a bec machen, deren tiefster Ton D war, wie die Fleuttraversire; setzte oben ein halbes Eß mit einem Rohre darauf, welches jedoch nichts that, als den Bassonansatz in der Lage zu erhalten, und auf diesem Instrumente, das von sehr angenehmen Tone war, und gar nichts Aehnliches mit der Flauto dolce hatte, als die Aplicatur, machte er hernach alles, was nur rührend oder auch schwer für die Traversiere gesetzt war. – Herr Matern, ein berühmter Violonschellist, der sich selbst gelehrt hat. Er selbst fühlt schon Etwas von seinem Alter in der Execution; er hat aber an seinen zwey Söhnen Schüler gezogen, die ihm Ehre machen. Er hat vieles für sein Instrument geschrieben, aber nichts öffentlich herausgegeben. – Herr Schönfeld, eigentlich ein Gelehrter, und gegenwärtig Hofmeister bey den Söhnen des Hrn. Geh. Raths von Münchhausen, hat die Musik zu einer seiner Lieblingswissenschaften gemacht. Er hat eine Sammlung französischer Chansons, eine deutsche, Oden und Lieder und eine kleinere von Freymäurerliedern herausgegeben, auch verschiedenes für das komische Theater gesetzt. Die Musik würde gewiß durch diesen empfindungsvollen Komponisten gewinnen, wenn er sich ihr ganz widmen dürfte.
  8. In Braunschweig, in Hamburg und Leipzig und an viel andern Orten mehr, ist wirklich ebenfalls [263] viel gestochen worden. Freylich itzt, da der schöne breitkopfische Notendruck bequemer, etwas wohlfeiler und fast durchgängig leserlicher ist, als der Notenstich, leiden die Kupferstecher darunter, die nicht viel mehr als dergleichen Arbeiten zu machen wissen.
  9. Dieser verdienstvolle Clavierspieler und feurige Komponist, hatte vor etwan anderthalb Jahren das Unglück, daß ihn der Schlag rührte, und die eine Hand lähmte. Er ist zwar übrigens wieder gesund, allein die Lähmung ist nicht gehoben, und man hat ihm einen von seinen Scholaren, Herrn Königslöw, aus Hamburg, abjungirt.
  10. Hat auch schon eine komische Oper mit Beyfall drucken lassen.
  11. Voriges Jahr hat Herr Rolle ein geistliches Drama, der Tod Abels, fürs Clavier ausgezogen, drucken lassen, welches die Liebhaber der Musik nach mehrern von seinen Arbeiten in dieser Gattung lüstern gemacht hat.
  12. Herr Schweitzer, von dem Herr Wieland sagt, daß er an ihm endlich und unverhoft gefunden, wornach er lange vergebens: Addurite mihi Psaltem, gerufen, [266] muß bey diesem Orte genannt werden. Er hat Herrn Wielands Oper, Alceste, auf eine solche Art komponiret, daß dieser gar nicht leicht zu befriedigende Dichter, davon mit warmen Lobe spricht. Der Uebersetzer hat auch einige empfindungsvolle Arien, und das Elisum, vom Herrn Jacobi, von seiner Komposition gehört, und weil er nicht den Kenner spielen will: so kann er bloß sagen, daß sie ihn ungemein gefallen haben. Man kanns den Melodien nicht anmerken, daß sich der Komponist nach der Stimme und Fähigkeit richten müssen, aber man möchte auch nichts weiter hinzugefügt haben.
  13. Der lustige Schuster war ursprünglich von dem Balletgeiger bei der Kochischen Schauspieler-Gesellschaft, Standfuß, gesetzt, welcher zu Hamburg in einem Hospitale gestorben ist. Herr Hiller hat erst lange nachher einige Arien verbessert und einige ganz von neuem komponirt.[H 12]
  14. Unter den alten Opern, die auf dem hamburgischen Theater vor sechzig und mehr Jahren aufgeführt worden, finden sich einige wirkliche komische. Z. B. die verkehrte Welt, von Telemann, worinn schon die Ouvertüre dem Titel entspricht, indem die Bässe die Melodie führen, und die Violinen die Baßnoten spielen. Der Hamburger Jahrmarkt, u. m.
  15. Scheint wohl mit dem, S. 264 bereits angeführten Herrn Reichardt eine und eben dieselbe Person zu seyn.
  16. Die Deutschen nennen es einen Schusterfleck, und man sieht leicht, woher. Ich habe es auch sehr komisch durch ein Zeitwort Vettermicheln bezeichnen gehört. Und wer nur jemals von dem berühmten Liede: Gestern Abend war Vetter Michel da, etwas gehört hat, wird gleich wissen was man meynt, wenn man sagt: dieser oder jener Komponist vettermichelt.
  17. Da der Uebersetzer die Lebensumstände des Herrn Müthels zuverlässig weiß: so rückt er hier solche mit [269] Vernügen ein, um die Lücke in Herrn Burney’s Tagebuche zu füllen. – Herr Müthel ist 1729 in der sachs-lauenburgischen Stadt Möllen gebohren. Sein Vater war daselbst Organist, und ließ seinen Sohn schon im sechsten Jahre den Anfang auf den Clavier machen; und ließ ihm auch bald darauf die Violine und Flöte lehren. Er schickte ihn hernach nach Lübeck zu Herrn J. Paul. Kuntzen, zum Unterricht in der Komposition und im Spielen. Dieser machte seinen jungen Scholaren auf das Schöne, sowohl in seinen eignen als andrer Männer Partituren aufmerksam, ließ ihn das Volle der Harmonie und den Ausdruck der Worte bemerken, und lösete ihm die vorkommenden Zweifel auf. In seinem siebzehnten Jahre, ward unser Müthel bey Sr. Durchl. dem regierenden Herzog von Mecklenburg-Schwerin, Kammermusikus und Hoforganist. Er hatte zugleich die Ehre, den gegenwärtigen Erbprinzen Ludewig und seine Schwester, die Prinzessin Amalia, in der Musik zu unterrichten. Nachdem er einige Jahre in diesen Diensten gestanden, erhielt er die Erlaubniß vom Herzoge, andre Höfe, mit Beybehaltung seiner Bedienungen und seines Gehalts, zu besuchen. Seine Hauptabsicht war, bey [270] dem grossen Seb. Bach in Leipzig, sowohl im Spielen als in der Komposition noch ein Mehres zu erlernen, und sich die zur Musik erfoderlichen Wissenschaften zu erwerben. Zu diesem Ende erhielt er von seinem Fürsten und Herrn, ein sehr gnädiges Empfehlungsschreiben. Der Kapellmeister Bach, nahm ihn sehr freundschaftlich auf, räumte ihm eine Wohnung in seinem Hause ein, und Herr Müthel machte sich seines Unterrichts mit der grössesten Aufmerksamkeit zu nutze. Zu gleicher Zeit machte er auch die Bekanntschaft mit den würdigen Söhnen dieses Mannes, die ihm durch ihre Unterredungen und Kompositionen vielen Vortheil schaften. Nach Sebastian Bachs Tode, hielt sich Herr Müthel noch einige Zeit bey dessem Schwiegersohne in Naumburg, Herrn Altnicol (welcher ein Scholar des seligen Seb. Bachs, und ein starker Orgelspieler war) mit vielem Nutzen auf. Von da begab er sich nach Dresden, besuchte die Kirchen, die Opern und die Concerte, und machte mit Hasse, (dem er empfohlen war) wie auch mit Herrn Neruda, dem Sänger Signor Salimbene, und andern würdigen Männern, Bekanntschaft. Der Aufenthalt in Dresden war Herrn Müthel in Ansehung der Musik in allen [271] Stücken sehr vortheilhaft. Sein Geschmack bekam hier neue Richtung. Nachdem er Dresden verlassen, sammlete er noch an verschiedenen Orten, wo er geschickte Männer in der Musik antraf, noch viele Vortheile, und nachdem er sich einige Zeit in Potsdam aufgehalten hatte, ging er nach Berlin. Hier hielt er sich besonders zu seinem Freunde, dem hamburgischen Bach, der damals Kammermusikus beym Könige von Preussen war, und mit dem er noch in einem freundschaftlichen Briefwechsel steht. Er hörte die berühmte Astrua, und machte mit einigen andern geschickten Tonkünstlern Bekanntschaft. Hierauf nahm er seinen Weg über Hamburg, woselbst er den Freund seines Vaters, den alten würdigen Telemann, besuchte und andre geschickte Männer kennen lernte. Endlich kehrte er wieder nach dem mecklenburgischen Hofe zurück, trat seine Bedienungen von neuem an, arbeitete das Eingesammlete fleissig aus und blieb daselbst noch ungefehr zwey Jahre. Während seiner Abwesenheit hatte aber der Hof, in verschiedenem Betracht eine andre Gestallt gewonnen, so, daß er keine sonderliche Neigung da zu bleiben hatte. Im Jahre 1753 übernahm er, aus Liebe zu seinem ältesten Bruder, (der gegenwärtig [272] Oberfiscal beym kayserlichen Hofgericht zu Riga ist,) die Direktion einer kleinen Kapelle des russisch-kayserlichen Herrn Geheimden Raths und Ritter von Vietinghoff. Nach erhaltender Demission ging er also nach Riga, und als er seiner kleinen Direktorstelle zwey Jahr vorgestanden, ertheilte man ihm die Anwartschaft auf die Organistenstelle an der dasigen Hauptkirche. Diese Letzte besitzt er nun schon wirklich seit einigen Jahren. Man hat ihm seitdem glänzender scheinende Dienste angetragen, allein er scheint ein ruhiges und vergnügtes Leben, dessen er in Riga versichert ist, allen übrigen Vortheilen vorzuziehen.
    Seine im Druck gegebene Arbeiten sind folgende:
    1) 3 Sonates & 2 Ariosi avec 12 variations, pour le Clavecin.
    2) Oden und Lieder fürs Clavier. Hamburg, 1759.
    3) 2 Concerti per il Cembalo concertato, accompagnato da due Violini, Violetta e Basso. Riga und Mietau, bey J. Fr. Hartknoch. 1767.
    4) Duetto für 2 Claviere, 2 Flügel oder 2 Forte Piano. Riga, bey Hartknoch. 1771.
    [273] Herr Müthel hat noch Kompositions von allerley Gattung liegen, die er zu verschiedenen Zeiten verfertigt hat, und wovon er vermuthlich noch Eins und und das andre drucken lassen wird. In einem Briefe an einen Freund sagt er unter andern: „Bey mir ist manches, das bey guter Laune und bey heitern Stunden entworfen, nur bloß der Anlage nach vorhanden, und wartet auf eine glückliche Disposition des Geistes, um weiter ausgearbeitet zu werden, weil ich nicht gerne arbeite, wenn der Geist nicht dazu aufgelegt ist. Diese wahre Heiterkeit des Geistes zur Arbeit erscheint bey mir nur sparsam. Ueberhaupt bin ich mit denjenigen Komponisten nicht zufrieden, die fast ganz ohne Aufhören fortschreiben. Der Geist wird müde, schläfrig und stumpf. In solcher Unthätigkeit und Trägheit des Geistes plündert man sich öfters selbst ohne daß man es weiß und merket. Mit einem Worte, man wiederholt sich. – Würde man sparsamer und nur alsdann arbeiten, wenn der Geist ausgeruhet und sich völlig von den vorigen Gedanken befreyet und erhohlet hätte; so würde man neu und feurig denken und schreiben, und so würden auch viele träge und schläfrige Arbeiten seltner werden.“
    Der Uebersetzer.
  18. [314] Herrn Müthel hat wohl nicht Bachs Styl, ob er gleich sehr original ist; sonderlich in seinen Claviersonaten ist er wilder, minder zärtlich, rauschender. Er ist auch noch länger als Bach, welches ja nicht hätte sollen vergessen werden.
  19. Da steht endlich unser Debet und Credit; und wir armen Deutschen wüßten nunmehr, wie unsre Sachen stünden, wofern wir nur die Hälfte, und vermuthlich die überwiegende Hälfte unsrer zwo Cardinaltugenden, Geduld', üben, und nicht pedantischer Weise unsern unbeeidigten Buchhalter fragen wollen, ober er auch alles richtig aufgezählt habe. – Im Ernste, wenn man sich wieder besinnt was man gelesen hat, und wie viel Gutes Herr Burney von der Originalität unsrer deutschen Tonmeister, von Hasse, Gluck, Bachs, Vanhall, Hofmann, Schwanberger, Benda, Müthel, Händel u. a. m. gesagt hat: so sollte man auf den Gedanken kommen, daß dieses Endurtheil weniger aus einer kaltblütigen Ueberlegung der Gründe für und gegen eine ganze Nation, als vielmehr aus der mit Anmuth getändelten, [280] schönen Symetrie der vier Worte Patience, Profundity, Prolixity und Pedantry, die alle so artig mit einem P. anfangen, entsprungen sey. Sollte diese Anmerkung jemanden ein harter Vorwurf scheinen, den bitte ich, zu bedenken, daß sie bey einer Gelegenheit gemacht wird, da einer ganzen Nation, über eine Kunst, in der sie allen andern Nationen die achtungswürdigsten Meister geliefert hat, mit vier Worten und eben so cavallierement ihr Urtheil gesprochen wird, als ob ein junger Herr von seinem Schneider urtheilte, der ihm ein Kleid nicht zu Danke gemacht hätte. Uebrigens verkenne ich das viele Gute des Herrn Burney’s keineswegs, besonders schätze ich sein lebhaftfühlendes Herz, das ihn selten anders, als bey Nationalvorurtheilen, und wenn ihn die bösen Wege in üble Laune gesetzt haben, zu verlassen pflegt, recht sehr hoch!
    Der Uebersetzer.
  20. Von Herzen gerne zugegeben, daß der Mensch ein vernünftiges Wesen seyn müsse!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Lieehaberinnen
  2. Vorlage: Jahn
  3. Vorlage: Hasthofe
  4. Dieses „Zitat“ ist wohl vom Übersetzer und Herausgeber Bode, der Hinweise auf Kürzungen sonst in Fußnoten packt. Die ausgelassene Passage ist in der Originalausgabe S. 330–334 Google
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