Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Verschitsch, Joseph
Band: 50 (1884), ab Seite: 152. (Quelle)
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Verseghy, Franz (ungarischer Dichter und Schriftsteller, geb. zu Szolnok, der Hauptstadt des gleichnamigen Comitates in Ungarn am 3. April 1757, gest. zu Ofen 15. December 1822). Nach Danielik’s und Ferenczy’s Schriftsteller-Lexikon (Magyar irók) stammt er von adeligen Eltern. Doch ist seine Familie nicht in Iván Nagy’s großem ungarischen Adelswerke (Magyar ország családai ...) erwähnt. Nach dem frühzeitigen Tode seines Vaters, der als Beamter bei dem königlichen Salzamte in Szolnok diente, blieb er zunächst der Leitung seiner Mutter überlassen, welche sorgfältig seine erste Erziehung leitete und ihn, als er ins zehnte Jahr trat, 1766 nach Pesth brachte. Daselbst besuchte er die Schulen mit so ausgezeichnetem Erfolge, daß er, als er für den geistlichen Beruf sich entschied, sofort Aufnahme im Erlauer bischöflichen Seminar fand. In demselben hörte er 1771 bis 1777 die philosophischen und theologischen Vorträge, änderte aber mit einem Male seinen Sinn und gab das Studium der Theologie auf. Nach Jahresfrist jedoch kehrte er zu dieser zurück und trat in den Pauliner Orden, in welchem er 1781 die Priesterweihe erlangte. Zunächst wirkte er als Erzieher in den adeligen Familien Bertalanfy und Horeczky, erwarb dann 1783 zu Ofen das Doctorat der Philosophie und 1784 das Baccalaureat der Theologie. Nun widmete er sich dem Predigtamte und blieb in demselben thätig bis zur Aufhebung seines Ordens im Jahre 1786. Als dann Kaiser Joseph II. im Februar 1788 der Türkei den Krieg erklärte, zog Verseghy mit dem obersten Feldsuperior Nicolaus Milassin als dessen Secretär ins Feld. Da aber die Strapazen des Lagerlebens seine Gesundheit stark angriffen, sah er sich zur Heimkehr genöthigt. Nun während eines vierthalbjährigen Siechthums widmete er sich zu Pesth-Ofen wissenschaftlichen Studien, schriftstellerte auch und verlegte sich mit besonderem Eifer auf Erlernung von Sprachen, deren neun er mit der Zeit sich eigen machte. Auch trieb er, durch den Besitz einer schönen Stimme dazu angeregt, viel Musik, erlernte den Generalbaß und componirte mehrere seiner eigenen Lieder. Nach seiner Genesung im Jahre 1792 bewarb er sich um eine Anstellung bei der königlichen Censur, denn die kleine Pension, welche er als Expauliner bezog, war wohl zum Sterben zu viel, zum Leben jedoch zu wenig. [153] Wie nun aber die Sorte der Erbärmlichen im Menschenleben nie ausstirbt, so beschwor denn auch Verseghy, der in seiner Begeisterung für patriotische Zwecke zu ein paar Flugschriften sich hinreißen ließ, alsbald Gegner und Denuncianten herauf. Ein gewisser Alexovits griff ihn in einem seiner Werke auf das heftigste an. Von einem Anderen aber, Namens Riethaler, wurde Verseghy geradezu denuncirt wegen der Beifügung des Anhanges zu seiner Uebersetzung von Millot’s Universalgeschichte. In seiner Bewerbung um ein Amt sah er sich abschlägig beschieden. Aber sein trauriges Geschick hatte sich noch nicht ganz erfüllt, in der Nacht vom 10. December 1794 wurde er plötzlich verhaftet. In die Verschwörung des Mönches Martinovics [Bd. XVII, S. 50] verwickelt, ward er von dem Gerichtshofe zum Tode verurtheilt, vom Könige aber zu zehnjähriger schwerer Kerkerhaft begnadigt, von welcher er neun Jahre auf den Festungen in Kufstein, Graz und Brünn verbrachte. 1804 erhielt er seine Freiheit zurück. Nun nahm sich Johann Graf Szápáry [Bd. XLI, S. 170, Nr. 5], Obersthofmeister des Erzherzogs Palatin, des Unglücklichen an, erwirkte zunächst, daß derselbe seine kleine Pension wieder ausgezahlt erhielt, und verschaffte ihm Unterrichtsstunden bei Angehörigen seiner Familie. Durch einige poetische Arbeiten, welche Verseghy um diese Zeit erscheinen ließ, wendete sich ihm die Theilnahme auch in den höchsten Kreisen zu, und 1806 nahm ihn der Erzherzog Palatin selbst zu seinem Lehrer in der ungarischen Sprache. Aber so völlig ungetrübt sollte Verseghy, der sich damals mit Studien über seine Muttersprache beschäftigte und einige philologische Neuerungen in dieser Richtung versuchte, sein Glück nicht genießen. Sein mächtigster Gegner erwuchs ihm in dem ungarischen Poeten Nicolaus Révay [Bd. XXV, S. 374], mit dem er in einen heftigen Federkrieg gerieth, aus welchem er nach Ansicht der Sprachgelehrten nicht als Sieger hervorging, obwohl es ihm – wozu seine bevorzugte Stellung als Lehrer des Palatins das ihrige beigetragen haben mochte – gelungen war, seinem System in den ungarischen Schulen Eingang zu verschaffen. Und so lebte er von dem Honorar seiner schriftstellerischen Arbeiten, der kleinen Pension als Expauliner und vom Ertheilen des Sprachunterrichts, stets thätig auf verschiedenen Gebieten der Literatur, und zwar bis zu seinem Tode, indem er noch kurz vor demselben der Preßburger Synode von 1822 seine Verbesserung der ungarischen Bibelübersetzung unterbreitete. Seine zahlreichen Arbeiten sind poetischen, ästhetischen, philologischen, historischen und theologischen Inhalts und in deutscher, lateinischer und ungarischer Sprache verfaßt. Viele derselben erschienen selbstständig, andere dagegen, wie seine theologischen Abhandlungen, in der Zeitschrift „Egyházi értekezések“, deren fleißiger Mitarbeiter er war. Wir nennen von seinen einzelnen Werken: „A magyar hazának anyai szózatja az ország napjára készülő Magyarokhoz“, d. i. Des ungarischen Vaterlandes mütterlicher Aufruf an die auf den Landtag sich vorbereitenden Ungarn (1790); – „Emlékeztető Oszlop azoknak a hazafiaknak tiszteletére a kik az ország előtt Jun. 11 és 12. 1790 a hazanyelvnek bevétele mellett szólattanak“, d. i. Denkmal zu Ehren jener Patrioten, die am 11. und 12. Juni 1790 vor der Nation für die Einführung der ungarischen Sprache gesprochen haben (1790); – „Egy jó[154] szivből költ Szatíra avvagy Feddő költemény a magyar literaturáról“, d. i. Eine aus gutem Herzen geschriebene Satyre über die ungarische Literatur (Pesth 1791); – „Rövid értekezések a Muzsikáról“, d. i. Kurze Abhandlung über die Musik (Wien 1791); – „Mi a’ Poézis? És ki az igaz Poétá?“, d. i. Was ist Poesie? und wer ist ein wahrer Poet? (Budae 1793); – „Proludium in Institutiones linguae hungaricae ad Systema Adelungianum, genium item linguarum Orientalium ac dialectum tibiscanam et transylvanam exactas“ (Pestini 1793, 8°.); – „Rikóti Mátyás egy ngájas költemény ...“, d. i. Matthias Rikóti, komisches Epos in zwölf Gesängen (Pesth 1804); – „Kólómposi Szarvas Gergely úrnak, mostoha ükömrűl kedves uram bátyámnak víg élete és nevetséges Vélekedései, két kötetke“, d. i. Lustiges Leben und lächerliche Ansichten des Georg Kolomposi Szarvas, zwei Bände (Pesth 1804); – „Magyar Aglája avvagy kellemetesen mulató nyájaskodások külömbféle versnemekben“, d. i. Ungarische Aglaja (Ofen und Pesth 1806, 8°.), eine Sammlung von Verseghy’s vermischten Gedichten; – „Neuverfasste ungarische Sprachlehre, worin die verschiedenen Mund- und Schreibarten der ungarischen Sprache kurz angezeigt. Die Regeln aus dem morgenländischen Bau der Sprache selbst hergleitet, mit den deutschen Redensarten zusammengehalten und durch Beispiele erläutert werden. Mit einem Anhange, worin eine Sammlung der zum Sprechen nöthigsten Wörter und der gewöhnlichsten Redensarten des sittlichen Umganges; dann einige Gespräche, Erzählungen, Briefe und Gedichte enthalten sind“ (Pesth 1805, Fr. Jos. Patzkó, 8°.); – „A Tiszta Magyarság, avagy a’ csinos magyar beszédre és helyes irásra vezérlő értekezések ...“, d. i. Anleitungen zur correcten ungarischen Sprache und Orthographie (Pesth 1805), mit diesem Werke beschwor Verseghy die Gegnerschaft der Pesther Philologen an deren Spitze eben Révay stand, herauf und wurde in mehreren, mitunter sehr heftigen Gegenschriften angegriffen; – „A Magyar harfásnak Énekei fortepiánóra, két szakasz“, d. i. Lieder des ungarischen Harfners, zwei Hefte, wozu die Composition für das Piano auch von ihm selbst herrührte; – „Báró Külneki Gilméta kisasszony és Aranypataki György“, d. i. Fräulein Baronesse Gilmete Külneki und Georg Arany-Pataki (Pesth 1808); – „Gróf Kaczajfalvi László avvagy a természeles ember“, d. i. Graf Ladislaus Kaczajfalvi oder der Naturmensch (Pesth 1808); – „A Magyaroknak Hüsége és Nemzeti Lelke“, d. i. Die Treue der Ungarn und ihr nationaler Muth (ebd. 1809); – „Az emberi Nemzetnek történetei“ 1–3 köt., d. i. Geschichte des menschlichen Geschlechtes, drei Theile (Buda 1810–1811, 8°.); – „Vak Béla a magyarok királya“, d. i. Der blinde Béla, König der Ungarn (Pesth 1812); – „Epitome Institutionum Grammaticarum linguae hungaricae“, fünf Theile (Budae 1816); – „Exercitationes Idiomatis hungarici secundum regulas Epitomes concinnatae“ (Budae 1816); – „Analyticae Institutionum linguae hungaricae. Pars I: Etymologia. Pars II: Syntaxis. Pars III: Usus aestheticus linguae hungaricae“ (Budae 1816–1817); – „Magyar Orthographia avvagy Irástudómány ...“, d. i. Ungarische Orthographie oder Rechtschreibung (Buda 1817); – „Ungarische Rechtschreibung als Einleitung in die ungarische Sprachlehre“ (ebd. 1817); – „Ungarische Sprachlehre [155] zum Gebrauche der ersten lateinischen und Nationalschulen“ (ebd. 1817); – „Magyar Grammatica avvagy Nyelvtudomány“, d. i. Ungarische Grammatik oder Sprachwissenschaft (ebd. 1817); – „Dissertatio de versione hungarica scripturae sacrae“ (Budae 1822,4°.). Eine Sammlung der Geeichte Verseghy’s gab über fünfzig Jahre nach dessen Tode Franz Toldy unter dem Titel: Verseghy Költeményei“ (Pesth 1864, Heckenast, 8°.) heraus. Außer diesen originalen Werken veröffentlichte unser Schriftsteller auch Verschiedenes in Uebersetzung, darunter von Millot’s Universalgeschichte die ersten zwei Bände, welche die Geschichte der alten Völker und jene der Römer enthalten, von Kotzebue das Schauspiel „Das Kind der Liebe“ und die Erzählung „Der Einsiedler von Formentera“, von Aeschylus „Der Gefesselte Prometheus“, dann des Pedro Cevallos „Authentische Darstellung der spanischen Geschichte“. Eine von ihm begonnene, aber nur bis über die Hälfte des zweiten Buches gediehene Uebertragung der Metamorphosen Ovid’s und einige kleinere Stücke hat sein Freund Alexander Sághy, unter welchem Pseudonym sich ein Graf Széchényi bergen soll, zugleich mit einer Darstellung von Verseghy’s Leben unter dem in den Quellen angeführten Titel in schöner Ausstattung herausgegeben. Verseghy gebührt unter den Dichtern und Schriftstellern Ungarns ein höherer Platz, als ihm gewöhnlich eingeräumt wird. Die Pesther Schule, welche gegen den Neuerer in Sachen der ungarischen Sprache in schonungsloser Weise verfuhr, hat es verstanden, ihn so zurückzudrängen, daß die späteren Literaturhistoriker Ungarns, seine Werke kaum würdigend, über ihn als einen Autor von geringerer Bedeutung hinweggingen, und doch besaß er außer einer Vielseitigkeit und Gründlichkeit in seinen Kenntnissen als Dichter und Schriftsteller hervorragende Eigenschaften. Wohl hat er auch durch eigene Heftigkeit in den Ausfällen gegen seine Angreifer Manches selbst verschuldet.

Handbuch der ungarischen Poesie ... In Verbindung mit Julius Fenyéry herausgegeben von Franz Toldy (Pesth und Wien 1828, G. Kilian und K. Gerold, gr. 8°.) Bd. I, S. 243–253. – Kertbeny (C. M.). Album hundert ungarischer Dichter. In eigenen und fremden Uebersetzungen (Dresden und Pesth 1854, R. Schäfer und Hermann Geibel, 12°.) S. 32 und 524. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. V, S. 544. – Ungarns Männer der Zeit. Biographien und Charakteristiken hervorragendster Persönlichkeiten. Aus der Feder eines Unabhängigen (C. M. Kertbeny) (Prag 1862, A. G. Steinhauser, 12°.) S. 251. – Saghy (Alexander). Verseghy Fer. maradványai és élete (Budapesth 1825, 8°.). – Magyar irók. Életrajz-gyüjtemény. Gyüjték Ferenczy Jakab és Danielik József, d. i. Ungarische Schriftsteller. Sammlung von Lebensbeschreibungen. Von Jacob Ferenczy und Joseph Danielik (Pesth 1856, Gustav Emich, 8°.) Bd. I, S. 612. – Toldy (Ferencz). A magyar költészet kézikönyve a Mohácsi vésztől a legujabb időig, d. i. Handbuch der ungarischen Dichtung von der Schlacht bei Mohács bis auf unsere Tage (Pesth 1857, Gust. Heckenast, gr. 8°.) Bd. I, S. 613. – Toldy (Ferencz). A magyar nemzeti irodalom története a legrégibb időktől a jelenkorig rövid előadásban, d. i. Geschichte der ungarischen National-Literatur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (Pesth 1864–1865, Gustav Emich, 8°.) S. 129, 137, 162, 166, 170, 174, 256, 259, 267, 268, 270 und 417.
Porträt. Avenarius pinx. Blas. Höfel sc. (8°. und 4°.).