BLKÖ:Versing-Hauptmann, Anna

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 50 (1884), ab Seite: 155. (Quelle)
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Versing-Hauptmann, Anna (Schauspielerin und Schriftstellerin, geb. zu Prag 1835). Ort und Jahr ihrer Geburt werden sehr verschieben angegeben. [156] Nach E. M. Oettinger’s „Moniteur des Dates“, 29me livraison Mai 1868, S. 150, erblickte sie zu Mainz am 14. October 1834 das Licht der Welt. Nach Sacher-Masoch, der ihr Leben und dichterisches Schaffen erzählte und wiederholt würdigte und gut unterrichtet sein konnte, ist ihr Geburtsort Prag, und auch Brümmer in seinem „Dichterlexikon“ läßt sie 1835 daselbst geboren sein. Ihr Vater[WS 1] war als Baritonist an der deutschen Oper in Prag angestellt, ihre Mutter ist nach Oettinger die berühmte Schauspielerin Versing geborene Lauber[WS 2], deren Immermann so häufig gedenkt. Mit ihren Eltern kam Anna als einjähriges Kind nach St. Petersburg, wo sie zehn Jahre blieb und auch in einem der ersten Mädcheninstitute erzogen wurde. Für das Theater von ihren Eltern nicht bestimmt, hatte sie, als sie für diese Laufbahn sich entschied, einen nicht geringen Widerstand zu besiegen. Mit ihren Eltern nach Deutschland zurückgekehrt, erreichte sie endlich durch vieles Bitten, daß ihre Mutter ihr einige Rollen einstudiren half, und im Alter von vierzehn Jahren, noch ein halbes Kind, betrat sie in Olmütz zum ersten Male die Bühne als Königin von sechzehn Jahren. Sie fand die freundlichste Aufnahme und folgte nach viermaligem Auftreten auf der dortigen Bühne einem Rufe an das Prager ständische Theater, auf welchem ihr Debut ebenso glücklich ausfiel. Aber ein Engagement daselbst, wo sie als Anfängerin denn doch vorerst nur in zweiten Rollen Verwendung gefunden hätte, lehnte sie ab, um im Jänner 1851 ein erstes Fach am Theater in Brünn zu übernehmen. Dritthalb Jahre war sie da der Liebling des Publicums und würde es wohl noch länger geblieben sein, wenn sie nicht den Antrag des Buchhändlers A. Hauptmann, ihm Lebensgefährtin zu werden, angenommen hätte, worauf sie 1852 von der Bühne sich zurückzog, sehr vortheilhafte Anträge nach Wien und an das Hoftheater in Hannover ablehnend. Durch eine Reihe von Jahren führte sie nun als Gattin und Mutter ein stilles Familienleben, als mit einem Male der alte Drang zur Bühne wieder in ihr erwachte. Ein glänzendes Gastspiel in Frankfurt a. M. im Herbste 1859 führte sofort zu einem Engagement. Zu dieser Zeit spielte daselbst Fräulein Janauschek, und Anna Versing-Hauptmann mußte neben deren „Adrienne“ die Herzogin, neben deren „Maria Stuart“ die Elisabeth spielen. Diese Stellung sagte ihr auf die Dauer nicht zu, und sie unternahm daher zunächst ein Gastspiel in Breslau, wo sie als Jungfrau von Orleans, Maria Stuart, Donna Diana und Gretchen auftrat. In Frankfurt noch durch festes Engagement gebunden, mußte sie einen glänzenden Antrag nach St. Petersburg ablehnen. Dagegen führte sie in dieser Zeit Gastspiele in Magdeburg, Görlitz, Berlin, Brünn, Gratz, Pesth, Prag meist mit sehr günstigem Erfolge aus und erhielt auch 1860 eine Einladung, am Burgtheater in Wien zu gastiren, womit zunächst die Absicht auf ein Engagement verbunden war. Nun, um der Wahrheit getreu zu bleiben, ihre Darstellungen am Burgtheater fanden von Seite des Publicums und des allerhöchsten Hofes eine ungemein freundliche Aufnahme; aber die Kritik, mit wenigen Ausnahmen, verhielt sich ablehnend, fast feindselig, so daß die Direction von einem Engagement abstand. Nun ging Frau Versing-Hauptmann nach Prag, wo sie bei geräumtem Orchester auftrat. Von da begab sie sich nach Coburg, und das Gastspiel am dortigen Hoftheater führte [157] zu lebenslänglichem Engagement. Auch wurde sie zur Vorleserin am herzoglichen Hofe ernannt. Im Winter 1864 erhielt sie einen fünfmonatlichen Urlaub zu einem längeren Gastspiele am Hoftheater zu St. Petersburg. Nach Coburg zurückgekehrt, fand sie die Verhältnisse in einer Weise geändert, daß ihr das lebenslängliche Engagement, welches sie wegen der Vortheile einer bleibenden Stellung mit Rücksicht auf ihren Gatten und ihre Kinder eingegangen war, denn doch unerträglich wurde und sie dasselbe auch endlich aufgab. Die nächste Zeit nach dem Verlassen der Coburger Bühne dachte sie zu Gastspielen zu benützen und begann auch mit einem solchen an dem Hoftheater zu München. Eine Fortsetzung derselben ließ der Ausbruch des mörderischen Bruderkrieges 1866 nicht zu, und so kehrte Frau Versing in den Kreis ihrer Familie zurück. Im Jahre 1867 nahm sie ihren künstlerischen Rundgang wieder auf, und zwar mit einem Gastspiele auf der deutschen Bühne in Prag, wo sie dann auch für mehrere Jahre Engagement in ersten Rollen fand. Da überraschte sie im Frühlings 1871 das Publicum mit einem Schreibebrief, der die Zumuthung mehrerer Journale, sie möge in das ältere Fach übergehen, in eigenthümlicher Weise zurückwies. Frau Versing-Hauptmann war zu jener Zeit 36 Jahre alt, Mutter mehrerer Kinder, also eine solche Zumuthung eine ganz natürliche. Ihre in diesem Briefe ausgesprochene Erklärung aber, mit dem älteren Fache nichts zu thun zu haben und sich gar nicht danach zu sehnen, machte einen entschieden komischen Eindruck. Sie blieb im Ganzen vierzehn Jahre in Prag; als Liebhaberin war ihre Zeit zu Ende; ins Charakterfach überzugehen, dazu fehlte ihr das Zeug; unter diesen Verhältnissen, zu denen sich noch andere nicht minder maßgebende gesellten, verließ sie das Prager Engagement, ging dann nach Wien, nach Hamburg und zuletzt nach – Amerika, wo sie überall in kurzen Engagements thätig blieb. Hierauf kehrte sie nach Prag zurück und lebt daselbst bei ihrem Manne. Von der Bühne hat sie sich – die nun bald Fünfzigjährige – ganz zurückgezogen. Die vorzüglichsten Rollen in ihrer Glanzzeit waren: Philippine Welser, Adrienne Lecouvreur, Maria Stuart, Judith in Hebbel’s gleichnamigem Stücke, Molly in „Ein deutsches Dichterleben“, Donna Diana, die Jungfrau von Orleans, Gretchen im „Faust“, Iphigenia, Deborah, Maria Theresia in Sacher-Masoch’s „Mann ohne Vorurtheil“ und Pietra in Mosenthal’s gleichnamigem Stücke, welche zwei letzten Rollen von ihr eigentlich geschaffen wurden, da sie die Erste war, welche dieselben spielte. Aber nicht blos als darstellende Künstlerin ist Frau Versing-Hauptmann aufgetreten, auch auf schriftstellerischem Gebiete hat sie sich wiederholt versucht. Zuerst gab sie ein Bändchen „Gedichte“ (Leipzig 1861, O. Wigand, 16°.) heraus; denselben folgte dann ein Bändchen „Novellen“ (1866), „Aus meinem Frauenleben“, „Die Philosophin“ und „Carla Colomba“ enthaltend. Mehrere andere veröffentlichte sie in Zeitschriften, und eine größere Arbeit: „Hebbel und das deutsche Theater“ wurde 1867 als demnächst erscheinend angekündet, ist aber bis zur Stunde nicht erschienen. Was ihre dramatische Kunst betrifft, so bezeichnete sie Herr Sacher-Masoch als Charakterdarstellerin par excellence (!); als Dichterin räumt er ihr eine minder hohe Stelle ein, indem [158] er in manchem Gedichte wohl „Goethe’sche Grazie“, doch neben viel wahrhaft Empfundenem manches Mißlungene, Gekünstelte und Phrasenhafte entdeckt; am höchsten stellt er sie aber als Frau und vergleicht sie, einem englischen Dichter die Phrase entlehnend: „mit gefrorenem Champagner, in dessen eisiger Hülle der heißeste Extract lauert“. Herausgeber dieses Lexikons konnte natürlich nur Sacher-Masoch’s Worte wiederholen. Zur Zeit ist Frau Versing-Hauptmann in Prag auch schriftstellerisch thätig, und das „Prager Tagblatt“ bringt von Zeit zu Zeit im Feuilleton Artikel aus ihrer Feder.

Sacher-Masoch. Anna Versing-Hauptmann. Ein Charakterkopf aus der Bühnenwelt (Gratz 1867, Verlag der „Gartenlaube für Oesterreich“, gr. 8°., acht Seiten). – Brümmer (Franz). Deutsches Dichterlexikon. Biographische und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten (Eichstätt und Stuttgart 1877, Krüll, 4°.) Bd. II, S. 451. – Deutsche Schaubühne. Herausgegeben von Martin Perels (8°.) 1866, Heft 10, S. 50: „Anna Versing-Hauptmann. Ein Charakterkopf aus der Bühnenwelt“. Von Sacher-Masoch. – Dieselbe, 1867, S. 14: „Anna Versing-Hauptmann als Dichterin“. Von Stephan Hederwary. – Gartenlaube für Oesterreich (Gratz, 4°.) I. Jahrg., S. 9: „Anna Versing-Hauptmann“. Von Sacher-Masoch. – Dieselbe, II. Jahrg., Beilage zu Nr. 21 und 22: „Gastspiel der Frau Versing-Hauptmann“. Von Sacher-Masoch. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber) 1861, Nr. 957. – Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik. Herausgegeben von Klemm (recte Fürsten Czartoryski) (Wien, 4°.) VI. Jahrgang (1860), S. 322, im Bericht über das Burgtheater; S. 338, gleichfalls im Bericht über dasselbe. [Die „Recensionen“ waren bekannt als das einzige unabhängige und in der Theater- und Musikkritik unparteiische und competente Fachblatt Wiens. Entgegen den Lobpreisungen, welche alle Theaterblätter unisono über Frau Versing-Hauptman ertönen ließen, kommt die Dame in den „Recensionen“ schlimm genug weg und wird ihr ebenso Talent als echte Darstellungsgabe abgesprochen. Daß das Engagement am Burgtheater, worauf ihr Gastspiel damals abzielte, nicht zu Stande kam, könnte als Bestätigung dieser Kritik angesehen werben.]
Porträte. 1) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Anna Versing-Hauptmann“. Lithographie ohne Angabe des Zeichners und Lithographen. Druck von A. Leykam’s Erben in Gratz (4°.). – 2) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges. Stich und Druck von Weger in Leipzig. Verlag von Friedrich Mauke in Jena (4°.). Halbe Figur in Costum. – 3) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges. Nach einer Photographie von Prasch. Stich und Druck von Weger in Leipzig. Verlag von Baumgartner’s Buchhandlung (4°.). Sitzend, Kniestück. – 4) Unterschrift: „Anna Versing-Hauptmann“. Nach einer Photographie. Holzschnitt ohne Angabe des Xylographen in der „Illustrirten Zeitung“, 1861 Nr. 957, 320. – 5) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges. Stich und Druck von Weger in Leipzig. Kniestück.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wilhelm Versing (Wikipedia).
  2. Auguste Lauber (Wikipedia).