BLKÖ:Retzer, Joseph Friedrich Freiherr von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 25 (1873), ab Seite: 343. (Quelle)
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Retzer, Joseph Friedrich Freiherr von (österreichischer Poet und Schriftsteller, geb. zu Krems am 25. Juni 17854, n. A. 1755, gest. zu Wien am 15. October 1824). Ein Sohn des im Jahre 1800 mit Diplom vom 29. April in den Freiherrnstand erhobenen Bankal-Gefällen-Administrations-Assessors Wenzel Hadrian Edler v. Retzer aus dessen Ehe mit Marie Benedicte Baronin Palazzi-Romani. Eine Verwandtschaft dieses Geschlechts mit dem steirischen[WS 1] der Edlen von Retzer, das im Mannsstamme bereits im Jahre 1579 erloschen, und dessen die Mittheilungen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale (Wien, 4°.) IX. Jahrgang (1864), S. XXXIV, gedenken, ist nirgends angedeutet. Nachdem Retzer im Elternhause eine sorgfältige Erziehung genossen, kam er im Jahre 1762 in die Theresianische Ritter-Akademie in Wien, in welcher er bis zum Jahre 1774 verblieb, worauf er als Praktikant bei der damaligen Ministerial-Banko-Hofdeputation angestellt wurde. Im Jahre 1782 erfolgte seine Ernennung zum Hofconcipisten, in welcher Eigenschaft ihm im folgenden Jahre [344] die Büchercensur übertragen wurde. Als Censor erhielt er von Kaiser Joseph II. den Auftrag, eine Geschichte der Büchercensur von 1766 bis 1787 zu schreiben, nach deren Vollendung er im Jahre 1787 über Vorschlag des damaligen Hofkanzlers Grafen von Chotek, mit Ueberspringung von 36 älteren Hofconcipisten, zum Hofsecretär ernannt wurde. Sonderbarer Weise findet – obgleich Retzer bis zum Jahre 1824 lebte – mit dieser letzten Ernennung seine amtliche Laufbahn ihren Abschluß. Sollte er obigen Sprung über 34 Collegen – wie das im bureaukratischen Leben nie verziehen und bei Veränderungen in den leitenden Personen gewöhnlich gerächt wird – so schwer haben büßen müssen? Für dieses Werk hat aber Baron Retzer noch ein anderes und viel eindringlicheres Interesse, da er als Schriftsteller und Herausgeber von Werken Anderer zu einer Zeit, als eben durch den Anstoß von Außen das geistige Leben im Kaiserstaate sich zu regen begann, in ersprießlichster Weise thätig war. Retzer’s eigene, im Drucke erschienene Schriften sind: „Mako’s physikalische Abhandlung von den Eigenschaften des Donners und den Mitteln wider das Einschlagen“ (Wien 1773, 8°.) ; – „Gedichte aus dem k. k. Theresianum“ (ebd. 1774, 8°.); – „Mihi jam puero coelestia sacra placebant“, Ovid (Wien 1774); – „Des Herrn Racine Briefe. Aus dem Französischen übersetzt“ (ebd. 1776; 2. Aufl. 1778); – „Gedicht auf die verstorbene Kaiserin Maria Theresia“ (ebd. 1782); – „Schreiben an Herrn D. Chr. H. Schmidt über die Anweisung der vornehmsten Bücher in allen Theilen der Dichtkunst“ (Wien 1782); – „Metastasio. Eine Skizze für seinen künftigen Biographen“ (ebd. 1782); – „Herrn Hofrath von Sonnenfels erster Vortrag in diesem akademischen Jahrgange“ (ebd. 1782); – „Tabackpachtung in den Oesterreichischen Ländern von 1670 bis 1783, nach den ächten Urkunden“ (ebd. 1784); – „Choice of the best poetical pieces of the most eminent English Poets“, vol. I–VI (Vienna 1783– 1786); – „Der Beichtvater und der junge Geistliche als Beichtkind“ (ebd. 1785); – „Nachrichten von dem Leben und den Schriften des ehemaligen Bischofs von Gurk, Hieronymus Balbi, zur vorläufigen Uebersicht der künftigen lateinischen Ausgaben seiner sämmtlichen Werke“ (Wien 1790); – „Ueber die Beschuldigungen der Herausgeber der neuesten Religionsbegebenheiten der Wiener Zeitschrift und des Magazins der Kunst und Literatur“ (ebd. 1795); – „Sieben Gedichte“ (Berlin 1806). Außerdem finden sich von Retzer viele Gedichte in den Jugendfrüchten des Theresianums, im Leipziger Musenalmanach, im Taschenbuche für Dichter und Dichterfreunde; ferner war er Mitarbeiter an den literarischen Monatschriften (Wien 1776 u. 1777), an Reichhard’s Theaterkalender für 1779, an Archenholz Neuer Literatur- und Völkerkunde, am neuen teutschen Mercur, an der Olla potrida 1791 und an der Berliner Monatschrift 1794. Auch ist ihm die ausführlichere Biographie eines in seiner Zeit vielgenannten und einflußreichen Volksschriftstellers, des Verfassers der Eipeldauer Briefe, Joseph Richter, zu verdanken, welche im Jahre 1813 der Briefe des jungen Eipeldauer’s an seinen Herrn Vetter in Wien, im 8. Hefte, S. 38–49, abgedruckt steht. Außerdem hat Freiherr von Retzer noch folgende Werke Anderer herausgegeben: „Hieronymi[WS 2] Balbi, Veneti, Gurcensis olim Episcopi opera poetica, oratoria ac politico moralia ex codicibus manuscriptis, primisque typis collegit ac praefatus est“. Volumina 2 (Vienna [345] 1791 et 1792); – „Nachlese zu Sined’s Liedern, aufgesammelt und herausgegeben “ (Wien 1785); – „Gesammelte Schriften der Frau Herzogin Julie von Giovane, geb. Reichsfreiin von Mudersbach u. s . w.“ (ebd. 1793) – und besorgte er die 3. Auflage der sämmtlichen Werke von C. von Ayrenhoff in 6 Theilen (ebd. 1814). In seinem Nachlasse befand sich eine Abhandlung von den sieben römischen Königen und eine Uebersetzung der in französischer Sprache verfaßten Schrift des St. Pöltener Bischofs, Heinrich Johann Kerens [Bd. XI, S. 175], betitelt: „Discours historique sur ce qui s’est passé en Europe depuis 1450 jusqu’à 1500“ (Vienne 1762, 8°.). Retzer’s schriftstellerische Thätigkeit ist nichts weniger als epochemachend, ja man kann sie nicht einmal bedeutend nennen, als Dichter war er sogar unbedeutend; aber er wirkte im Ganzen anregend, suchte in seiner Eigenschaft als Censor den Eifer für Lectüre und Aufklärung zu wecken und zu fördern, eine Eigenschaft, die seinen Nachfolgern in diesem gedankenmörderischen Amte vollends abhanden gekommen war; er schrieb in Prosa einen für seine Zeit guten Styl, besaß selbst eine ungemein große Belesenheit, machte sich um die Ausbreitung der englischen Literatur in Oesterreich durch die Herausgabe einer mit gutem Geschmacke zusammengestellten Anthologie verdient, trat mit Schriftstellern des Auslands in vielfachen Verkehr und schürzte somit das durch manche Verhältnisse gelockerte Band mit Deutschland von Neuem etwas enger. Selbst auf den Kanzleistyl, der überdieß damals wie heute noch nichts weniger als musterhaft ist, nahm er durch seine gute Schreibart einen heilsamen Einfluß. Dabei war er im Umgange äußerst wohlwollend, dienstfertig und liebenswürdig, und seinem Wesen nach ein Biedermann durch und durch. In seiner Häuslichkeit war er im hohen Grade einfach und seinen eigentlichen Schmuck bildete eine mehrere Tausend Bände starke Bibliothek, welche die besten Werke der deutschen und fremdländischen Literatur enthielt, und eine Anzahl – etwa 40 Stück – von Bildnissen berühmter Männer und trefflicher Ansichten. Sein Vermögen, an 40.000 fl. C. M. – er war Hagestolz geblieben – hinterließ er durch ein auf einem Quartblatte mit fast unleserlicher Schrift geschriebenes Testament, das nur wenige Zeilen faßte, der Tochter seines Schwagers Regulus, Commandanten der ungarischen Leibgarde. Noch sei bemerkt, daß seinen Bemühungen vornehmlich die Erhaltung eines der ältesten, wo nicht des ältesten Baudenkmals der Stadt Wien, der St. Ruprechtskirche, zu verdanken ist, wo er und seine Schwester, die verwitwete Gemalin des Feldzeugmeisters Franz Freiherrn von Lauer, ihren Eltern einen Denkstein hatten setzen lassen, dessen Inschrift die „Vaterländischen Blätter für den österreichischen Kaiserstaat“ (Wien) 1814, mittheilen. Die Eigenheiten aller Hagestolzen, die mit den Jahren noch zunehmen, theilend, hing er gar gern an seinen alten Gewohnheiten und blieb, während sich die Welt äußerlich um ihn veränderte, immer derselbe. So konnte er sich von seinem Zopfe nicht trennen, nachdem längst Niemand mehr diese komische Kopfzierde, die einer ganzen Zeit den Namen gab, trug. Auch sehr spät konnte er sich entschließen, seinen dreieckigen Hut, den er bis in’s hohe Alter trug, mit einem runden, wie sie allgemein getragen wurden, zu vertauschen. Im Uebrigen war seine Gestalt imposant und einnehmend, und blieb sein [346] Geist bis in’s Alter frisch und voll Theilnahme für alle Erscheinungen der Zeit. Sein Bild, von John gestochen, nach einem Originale von Linder, ist wohl das beste, das von ihm vorhanden, und charakterisirt ihn mit der darauf befindlichen Unterschrift: „Musis et carus amicis“ am treffendsten. Das Geburtsdatum 25. Juni 1755 steht auf dem von W. Arndt gestochenen Bildniß.

Frankl (L. A. Dr.), Sonntagsblätter (Wien, gr. 8°.) I. Jahrgang (1842), S. 542, in Franz Gräffer’s „Literargeschichtliches“; – II. Jahrg. (1843), S. 325: „Shakespeare“; S. 497: „Literatur-Notizen. Von Franz Gräffer. V. Reihe, Retzer“; – VI. Jahrg. (1847), S. 321: „Aufschreibungen eines alten Herrn“, von J. Pfundheller. – Goedeke (Karl), Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. Aus den Quellen (Hannover 1859, L. Ehlermann, 8°.) Bd. II, S. 606, Nr. 275. – Gräffer (Franz), Kleine Wiener Memoiren (Wien 1845, Fr. Beck, 8°.) Bd. II, S. 194. – (De Luca) Das gelehrte Oesterreich. Ein Versuch (Wien 1778, v. Trattnern, 8°.) I. Bds. 2. Stück, S. 49. – Kehrein (Joseph), Biographisch-literarisches-Lexikon der katholischen deutschen Dichter, Volks- und Jugendschriftsteller im 19. Jahrhundert (Zürch, Stuttgart und Würzburg 1870, Leo Wörl, gr. 8°.) Bd. II, S. 50 [nach diesem geboren 25. Juli 1755, gest. 17. October 1824]. – Neuer Nekrolog der Deutschen der Deutschen (Ilmenau, B. Fr. Voigt, 8°.) II. Jahrg. (1824), S. 1206. – Oesterreichische Biedermanns-Chronik. Ein Gegenstück zum Phantasten- und Prediger-Almanach (Freiheitsburg [Akademie in Linz] 1784, kl. 8°.) I. (u. einziger) Theil. S. 154. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1836, 8°.) Bd. IV. S. 378. – Porträte. 1) W. Arndt sc. (8°.); – 2) J. E. Liotard del., J. E. Mansfeld sc. (8°.); – 3) F. Linder p., J. Keller sc.; – 4) F. Linder p., John sc. (4°. u. Fol.), auch Abdrücke vor der Schrift. – Wappen. Quadrirter Schild. 1 und 4: in Gold und Schwarz quergetheilt, im oberen goldenen Felde ein schwarzer Adler mit ausgespannten Flügeln; im untern schwarzen Felde ein mit den Spitzen nach aufwärts gekehrter goldener Halbmond; 2 und 3; in Silber ein rechtsschräger rother Balken, der in gleicher Richtung mit drei sechseckigen silbernen Sternen belegt ist. Auf dem Schilde ruht die Freiherrnkrone, auf welcher drei gekrönte Turnierhelme sich erheben. Auf der Krone des mittleren Helms steht der obbeschriebene schwarze Adler, dessen Brust mit dem goldenen Mond belegt ist. Die Krone des rechten Helms trägt einen die Schwingen auswärts kehrenden halben silbernen, mit einem rothen rechtsschrägen Balken belegten Flug; aus jener des linken wallen fünf Straußenfedern empor, deren erste, dritte und fünfte roth, zweite und vierte aber silbern ist. Helmdecken. Jene des mittleren sind schwarz mit Gold, jene der beiden äußeren Helme roth mit Silber belegt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: steiririschen.
  2. Vorlage: Hieroronymi.