BLKÖ:Nüll, Eduard van der

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Nudera, Adalbert
Band: 20 (1869), ab Seite: 422. (Quelle)
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Nüll, Eduard van der (Architekt und k. k. Baurath, geb. zu Wien im Jahre 1812, gest. ebenda 3. April 1868). Van der Nüll war ein natürlicher Sohn des aus der Geschichte der Fünfziger-Jahre Wiens bekannten Feldmarschall-Lieutenants Freiherrn von Welden. Er widmete sich den technischen Studien und trat nach deren Vollendung in die Akademie der bildenden Künste ein, um sich zum Historienmaler auszubilden. Gleichzeitig mit Steinle gehörte er in den Jahren 1826–1828 zur Schule des bereits 1818 gestorbenen Malers Hubert Maurer [Bd. XVII, S. 140], der seit 1785 die Professur der historischen Zeichnungsschule an der Wiener Kunstakademie bekleidet und daselbst eine manches tüchtige Talent zählende Schule gebildet hatte. Später verließ N. aus Gründen, die selbst sein Biograph in der „Wiener Zeitung“ nicht anzugeben weiß, diese Laufbahn und trat im Jahre 1832, damals 20 Jahre alt, bei dem Lemberger Landesgubernium als beeideter Baupraktikant ein. Im Jahre 1835 bat er seine Behörde um die Gestattung, den höheren Lehrcurs der Architectur an der Akademie der bildenden Künste in Wien mit Beibehaltung seines damaligen Dienstranges beenden zu dürfen, welche er auch erhielt und welchem Umstande es zu danken ist, daß N. der Kunst erhalten wurde. Zu jener Zeit stand an der Spitze der Wiener Architecturschule der seinem Namen auch in seiner wörtlichen Bedeutung vollkommen entsprechende Baurath Peter von Nobile [s. d. S. 376 dies. Bds.] ein entschiedener Vertreter der classischen Richtung, auch waren damals Paul Sprenger und C. Rösner an dieser Schule thätig, und unter dieser Leitung machte N. zugleich mit dem ihm befreundeten Siccard von Siccardsburg die Studien der höheren Architectur durch. Im J. 1839 hatten beide Freunde ihre Studien vollendet und auch ihre Preisaufgabe, welche in Anfertigung von Plänen für ein neues Börsengebäude bestand, in so ausgezeichneter Weise gelöst, daß jede der Arbeiten von dem akademischen Rathe des ersten Preises würdig erkannt und jeder mit dem Hofpreise ausgezeichnet wurde. Durch Erlangung desselben erwarb der jeweilige Erwerber den Anspruch, als Pensionär in die Architecturschule zu Rom einzutreten. Beide Freunde bewarben sich nun um diese Stelle. Da aber nur eine erledigt war, wurden in Berücksichtigung des ungewöhnlichen Falles auf außerordentlichem Wege die Mittel angewiesen, um beiden Künstlern die Möglichkeit zur Ausbildung in Rom zu gewähren. Auch baten beide, nur die Hälfte der dreijährigen Pensionsdauer in Rom verbleiben und nach Einsendung der Proben ihrer römischen Studien die zweite Hälfte zu einer Reise nach Frankreich, England und dem nördlichen Deutschland mit verhältnißmäßiger Erhöhung ihrer Bezüge verwenden zu dürfen, was ihnen gleichfalls gestattet wurde. Ende 1839 verließen beide Künstler und Freunde, deren Lebenswege [423] ununterbrochen nebeneinander liefen, Wien und begaben sich nach Rom, wo sie sich mit Ernst und Hingebung ihrem Berufe widmeten und in den Museen und Sammlungen und an den Bauwerken einen Schatz von Kenntnissen sammelten. Aus Italien gingen sie, wie es ihr Plan war, nach Frankreich, wo namentlich die Werke des mittelalterlichen Baustyls ihre Aufmerksamkeit fesselten, besuchten Berlin, wo Schinckel, und dann München, wo Klenze und Gärtner walteten und schufen. Im Sommer 1843 waren sie nach Wien zurückgekehrt, wo bereits Vorsorge getroffen war, ihnen einen ehrenvollen Wirkungskreis zu verschaffen. Siccardsburg erhielt eine mit Rücksicht auf ihn offen gebliebene Professur der Architectur, van der Nüll die neubegründete Professur der Ornamentik und Perspective, zu der er im folgenden Jahre noch an Förster’s [Bd. IV, S. 270] Stelle die Professur der Architectur übernahm. Auf diesem Posten wirkte N. mit Eifer und Einsicht und im Interesse der Kunst. Aber es sollte ihm auch bald Gelegenheit geboten werden, seinen künstlerischen Schaffensdrang nach außen hin zu bethätigen. Ueber die Zustände des Bauwesens in Wien und in der ganzen Monarchie, sowohl bezüglich der Privat- wie der Staatsbauten vor 1848, gibt van der Nüll’s Biograph in dessen Lebensskizze eine wahrheitsgetreue Darstellung. Es galt, um sich kurz zu fassen, das damals herrschende Monopol der Baumeister und technischen Organe des Staates, die ohne selbstständige Auffassung, ohne künstlerischen Beruf aus der armseligen Anschauung des primitivsten Kasernen- und Spitalbaustyls gar nicht herauskamen, zu erschüttern und dann ganz über den Haufen zu werfen. Van der Nüll übrigens hatte weniger Freude daran, einen Bau aufzuführen, als vielmehr, einen aufgeführten Bau mit gefälligen Formen zu bekleiden. Bei Siccardsburg hingegen war gerade die entgegengesetzte Richtung entwickelt und so ergänzten sich denn auch noch in dieser Richtung hin die beiden Freunde. Bald sollte ihnen auch Gelegenheit geboten werden, ihre Dioskuren-Kunstnatur zu bethätigen. Der Entwurf zu einem neuen Ständehause in Pesth, welcher im Jahre 1844 vollendet ward, war das erste größere Werk mit dem beide Künstler in die Oeffentlichkeit traten. Um fast dieselbe Zeit wirkten sie an dem Gebäude für die Wiener Industrie-Ausstellung (1845), und waren zunächst die Pläne zu den beiden Pavillons in den inneren Hofräumen des Galleriezubaues ihr Werk. Dann erhielten sie den Auftrag, die Pläne zu dem Baue eines neuen Theaters in der Leopoldstadt für Director Carl zu entwerfen, wurden aber durch die Ungunst des Terrains und die knapp zugemessenen Geldmittel mannigfach in[WS 1] der Ausführung ihrer Ideen gehindert. In diese Zeit fällt auch eine kleine Fachschrift van der Nüll’s, welche anfänglich in Dr. A. Schmidl’s „Oesterreichischen Blättern für Literatur und Kunst“ abgedruckt war, bald darauf aber unter dem Titel: „Andeutungen über die kunstgemässe Beziehung des Ornaments zur rohen Form“ (Wien 1845) in einer Separatausgabe erschien. Es ist dieß eine Arbeit, worin große Wahrheiten in geistvoller Form und in ziemlich eindringlicher Weise vorgebracht werden. Noch vollendeten beide Künstler vor dem auch in Kunstsachen einen Umschwung herbeiführenden 48ger Jahre den Sophienball- und Badsaal, eine, wenngleich von einer den Freunden eben nicht wohlwollenden [424] Partei stark angefochtene, doch nichtsdestoweniger eigenthümliche und im Hinblicke auf die Art und Zeit der Ausführung (8 Monate) immerhin beachtenswerthe Arbeit. Nun kam das Jahr 1848 und der Bau des k. k. Artillerie-Arsenals wurde ausgeschrieben. Zwölf Architekten wurden zu Entwürfen für die Pläne eingeladen, keiner der vorgelegten entsprach allen Anforderungen, aber die vier besten, nämlich jene von van der Nüll und Siccardsburg, von Förster, Rösner und Hansen wurden zu einem einheitlichen Ganzen umgestaltet und in der Hauptdisposition sämmtlicher Räume die Pläne der zwei Freunde als die besten befunden, daher ihnen auch die Ausführung des Commandanturgebäudes und der gesammten Umfassungsgebäude übertragen wurde. Das Verdienst beider Künstler um diesen monumentalen Bau wird ungeschmälert bleiben müssen. Eine andere, in Folge der bei dem vorerwähnten Baue bewährten Tüchtigkeit ihnen übertragene Arbeit, nämlich die Anfertigung von Plänen zu dem Baue einer großartigen militärischen Bildungs-Anstalt in Wiener-Neustadt kam nicht zur Ausführung, jedoch die Pläne dazu sind vorhanden. Im Jahre 1853 erhielt van der Nüll von dem Ministerium den Auftrag, gemeinschaftlich mit Professor Führich [Bd. V, S. 5] ein Programm für die Ausschmückung der Altlerchenfelder Kirche zu entwerfen und die Leitung des architektonischen ornamentalen Theiles, der Wandmalerei, sowie der gesammten inneren Einrichtungen, der Altäre, Kanzel, des Mobiliars u. dgl. m. zu übernehmen. Ein neues Feld zu großartiger Thätigkeit eröffnete sich dem Künstler mit der in Folge kaiserlichen Ausspruchs eintretenden Stadterweiterung Wiens. Wieder mit seinem Freunde Siccardsburg betheiligte er sich an der ausgeschriebenen Concurrenz, und in der That wurde ihr Project auch unter den zahlreichen Vorlagen mit dem dritten Preise gekrönt. Ebenso auf Grundlage eines Concurses fiel beiden Künstlern im Jahre 1861 die Ausführung des neuen Opernhauses zu, eines Werkes, welches in den letzten Jahren ihre ganze Kraft in Anspruch nahm und beiden der eigentliche Nagel zum Sarge wurde. Von anderen namhaften Arbeiten, welche in diese Zeit fielen, sind anzuführen die Pläne für den Bau einer neuen Universität in Wien und für ein Gymnasium in Brünn, wovon jedoch nur das letztere zur Ausführung kam. Von anderen Arbeiten van der Nüll’s sind anzugeben der nicht ausgeführte Plan eines Sparcassagebäudes in Prag, eine Skizze für das Liebig’sche Haus am Graben, eine Reihe von Entwürfen für kleinere Kirchen und Grabmonumente, die Piedestals für die Monumente Erzherzog Karl, Prinz Eugen, Baron Welden und Geolog Mohs, die Zeichnung zu dem O’Donnell-Schilde, Portefeuille-Zeichnungen für die Königin Victoria, die Zeichnung zu dem Gebetbuche Ihrer Majestät der Kaiserin Elisabeth, die Entwürfe zu dem ganzen Haas’schen Steinbaue am Stock im Eisenplatze, zu dem Gerold’schen Hause am Dominikanerplatze, zur Reitschule in der Artilleriekaserne (im romanischen Style) u. dgl. m. Was nun die Ausführung des Baues des neuen Opernhauses anbelangt, so wurde dieselbe für van der Nüll die Quelle zahlloser trüber Stunden und war – wenn man die Nekrologe vergleicht, die über den Künstler erschienen und auf die deßhalb insbesondere hingewiesen wird – die Ursache, daß van der Nüll, der [425] schon früher einmal Hand an sich gelegt, in einem Anfalle von Trübsinn dieses Attentat auf sich selbst wiederholte und mit dem zweiten sein Ziel erreichte. Van der Nüll, der schon im September 1861 Titel und Rang eines k. k. Oberbaurathes erhalten hatte, bat im Jahre 1864 um Versetzung in den bleibenden Ruhestand, welche ihm auch mit Allerh. Entschließung vom 17. October g. J. unter den günstigsten Verhältnissen gewährt wurde. Er hatte diese Bitte in Rücksicht seiner stark angegriffenen Gesundheit gestellt und sich auch im genannten Jahre, in welchem eben die deutschen Architekten in Wien tagten, in die Berge geflüchtet, um sein hartnäckiges Augenleiden durch Ruhe und ungestörten Aufenthalt in der Natur zu bekämpfen. Wenngleich im Ruhestand lebend, so nahm er doch an der Reform der Kunstakademie im Jahre 1865 lebhaften Antheil, trat auch in den akademischen Rath ein und betheiligte sich an den Berathungen über Reorganisation der Architektenschule. N. war in den letzten Tagen sehr leidend und das Leiden steigerte sich mit den Verdrießlichkeiten, die ihm der Bau des Opernhauses mit jedem Tage in Hülle und Fülle brachte, nur noch mehr. Er lebte im letzten Jahre, in welchem er auch noch geheirathet, in der Villa seines Freundes, des Architekten La Vignier, in der Vorstadt Mariahilf und dort hatte er sich am 3. April Morgens gegen sieben, indem er sich an der Thüre seines Arbeitszimmers erhing, von den irdischen Leiden selbst befreit. N. war 56 Jahre alt geworden, hatte eine junge Frau, die sich eben Mutter fühlte und – kein Vermögen hinterlassen. Die Theilnahme, die man dem unglücklichen Künstler im Tode bezeugte, war groß und allgemein. Sein Leichenbegängniß, an dem sich die Vertreter der Kunst und Wissenschaft und die Bevölkerung Wiens in Massen betheiligte, war ein ehrenvolles. Er wurde im eigenen Grabe auf dem Währinger Friedhofe beigesetzt. Bald nach seinem Tode wurde zur Errichtung einer „Van der Nüll-Stiftung“ eine Subscription eingeleitet, welche schon in den ersten Tagen das Ergebniß einer Summe von mehr denn zehntausend Gulden aufwies. Nichtsdestoweniger zeigte sich aber auch Angesichts des Todes die menschliche Erbärmlichkeit in ihrer ganzen Größe: der Antrag im Wiener Ingenieur- und Architektenverein, dem Todten einen Nachruf zu widmen, scheiterte an der Opposition der Mehrzahl, welche den Einwand vorbrachte, van der Nüll sei nicht – Mitglied gewesen. Als ob nur die Mitgliedschaft Anrecht auf Cameraderie im Leben und Anerkennung nach dem Tode gäbe. Jene, die den Antrag werfen halfen, werden wohl die tieferliegenden Motive solcher Verirrung gekannt haben. Sein Freund, Kunst und jahrelanger Lebensgefährte Siccardsburg folgte ihm in wenigen Monaten in’s Jenseits nach. Nach seinem Tode wurde im Monate August 1868 während der Dauer der Künstlerfeste in einem der Säle des neuen Opernhauses eine Ausstellung der sämmtlichen Arbeiten beider Künstler veranstaltet und das Ergebniß des Eintrittsgeldes der van der Nüll-Stiftung zugewendet. In dem einen der Vorhänge für die Bühne des neuen Opernhauses befinden sich in der Gruppe der „Schatten“ die wohlgetroffenen Porträte van der Nüll’s und Siccardsburg’s. Auch genehmigte Se. Majestät, daß die Medaillons beider Künstler an geeigneter Stelle im neuen Opernhause angebracht und so die [426] Bildnisse der Erbauer des Hauses der Nachwelt erhalten werden.

Wiener Zeitung 1868, Nr. 90 u. 91: „Eduard van der Nüll“, von K. Weiß. – Fremden-Blatt von Gust. Heine (Wien, 4°.) 1868, Nr. 94, 96, 97, 241, 287 [theils besondere Artikel, theils in den Notizen]. – Neue freie Presse 1865, Nr. 128, 1292, 1294, 1297, 1422. – Presse 1868, Nr. 94, im Localanzeiger. – Neues Fremdenblatt 1868, Nr. 94. – Neues Wiener Tagblatt 1868, Nr. 94, 95, 97, 98. – Bohemia (Prager polit. und Unterhaltungsblatt, 4°.) 1868, Nr. 95, im Wiener Feuilletonbriefe – Wanderer 1868, Nr. 101. – Morgen-Post (Wiener polit. Blatt) 1868, Nr. 94. – Frankl (L. A.), Sonntagsblätter (Wien, Pfautsch, 8°.) IV. Jahrg. (1845), S. 1145; V. Jahrg. (1846), S. 85. – Figaro (Wiener Witz- und Spottblatt) 1868, Nr. 17. – Kunst-Blatt (Stuttgart, Cotta, 4°.) 1844, S. 103; 1848, S. 20. – Deutsches Kunstblatt 1854, S. 15, 70, 276; 1857, S. 94; 1865, S. 185. – Kunstchronik 1868, Nr. 13. – Tagespost (Gratzer polit. Blatt) 1868, Nr. 65, im Feuilleton: „Wiener Silhouetten“, von Grandjean. – Oesterreichische Gartenlaube (Gratz, 4°.) 1868, S. 206. –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: in in